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Klassenkamerad Günter Stein und der große Hunger

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Ich habe schon erzählt, dass bei der Einschulungsfeier in der großen Aula, einige in SA-Uniform erschienen waren. Träger waren junge Lehrer und junge Väter.

Hitler war für uns Kinder zu diesem Zeitpunkt schon eine Selbstverständlichkeit. Und unsere vornehmlich jungen Lehrer haben in der Folge alles getan, um diese Selbstverständlichkeit in unseren Köpfen noch weiter zu verfestigen.

Aber bei all dem frenetischen Jubel, der dem Führer überall entgegengebracht wurde, darf man auch die Schattenseiten nicht vergessen.

Hitler war zwar gekommen, um alles besser zu machen. Aber nicht alle Versprechungen konnte er einhalten. Denn die Not – vor allem unter den Arbeitern in unserem Viertel – die war noch da.

Jetzt flossen ungeheure Mittel in die auf Hochtouren laufende Rüstungsindustrie, in den Bau des mehrere hundert Kilometer langen Westwalls und in den Bau der neuen Autobahn. Letzteres, obwohl nur wenige Autos auf den Straßen zu sehen waren. Das alles waren Investitionen, die wirtschaftlich betrachtet, keine Gegenwerte geschaffen haben – die förmlich verpufft sind. Dringend benötigte Wohnungen z. B., konnten nicht gebaut werden, weil das Geld dafür fehlte.

Die Kaufkraft war niedrig, weil diejenigen, die Arbeit hatten, sehr wenig verdient haben. Der große Jubel hat vieles verdeckt. Aber den Arbeitern ging es noch genauso schlecht, wie zu Zeiten der Weimarer Republik.

Besonders kinderreiche Familien waren davon betroffen. Je größer eine Familie gewesen ist, um so ärmer war sie.

Ich hatte Klassenkameraden, die sind in die Schule gekommen, ohne vorher etwas gegessen zu haben. Oft hatten sie auch keine Pausenbrote dabei. Das waren bittere Zustände, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Das war auch unseren Lehrern nicht verborgen geblieben. Und die haben in Eigeninitiative etwas unternommen, um diesen Kindern zu helfen. Eltern, die es sich leisten konnten, wurden gebeten, ein Frühstückspaket mehr mitzugeben. Auf diese Weise sind auch herrliche kleine Patenschaften entstanden.

Einer, der zu den Begünstigten gehörte, war Günter Stein. Er kam aus einer der kinderreichen Familien, die uns gegenüber in den städtischen Häusern gewohnt haben. Stein gehörte nicht zum engeren Kreis meiner Freunde. Aber wenn ihn der Hunger besonders geplagt hat, da hat er geklingelt, um mich abzuholen. Wichtiger war ihm allerdings das gemeinsame Frühstück mit mir. Er wusste, dass ihn meine Mutter nicht abweisen würde. Es ist vorgekommen, dass ich gerade erst aufgestanden war, als der arme Kerl schon bei uns auf der Matte gestanden hat.

Obwohl ein Jeder seine Probleme gehabt hat, gab es doch eine wohltuende Solidarität unter der Bevölkerung. Sie kam von selbst und war nicht von oben verordnet.

Ich kann nicht sagen, ob das überall so gewesen ist, möchte es aber fest annehmen.

Damals gab es für mich ja nur die kleine Welt eines Sechsjährigen, der im Arbeiterviertel Erfurt-Nord gelebt hat.

Meine Jugend in Erfurt unter Hitler 1933–1945

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