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Hugo

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Die Geschichte um das Kaninchen Hugo hat nichts mit Politik zu tun. Aber sie ist Teil meiner frühen Kindheit. Und ich meine, sie verdient es, erzählt zu werden.

Oma und Opa sind auf dem Lande groß geworden. Die Oma in Dienstedt und der Opa in Witzleben.

Diese bäuerliche Herkunft haben sie auch nach vielen Jahren des Stadtlebens nicht verleugnen können.

Tiere gehören zum Haushalt. Dieser Meinung sind sie treu geblieben.

Kastor, hieß der bullige Boxer, mit dem ich schon in frühester Kindheit eine enge Freundschaft geschlossen habe. Kastor hat mich behütet und bewacht. Er hat mich Dreikäsehoch ganz allein und ganz sicher um den Häuserblock geführt, obwohl die Großeltern in gebührendem Abstand gefolgt sind. Aber, ich habe das nicht bemerkt.

Opa hatte auch Kaninchen. Im Garten hinter dem Haus stand ein Kaninchenstall in beachtlicher Größe. Es waren weit mehr, als er für den Eigenbedarf gebraucht hätte. Für Opa bedeuteten die Kaninchen ein gutes Zusatzgeschäft. Überhaupt hatte er immer ein Gespür für lukrative Nebeneinnahmen.

Als Zigaretten auf dem schwarzen Markt zu Höchstpreisen gehandelt wurden, hat Opa seinen Vorgarten in eine kleine Tabakplantage umgewandelt. Er hat es auch verstanden, den Tabak bis zur Gebrauchsfertigkeit zu bearbeiten. Sogar der stark rauchende Opa Laue ist sein Kunde gewesen, obwohl der von Bauern eigentlich nicht viel gehalten hat.

Die Wohnung der Großeltern ist so groß gewesen, dass sie übers Verkehrsamt zwei Zimmer an Durchreisende vermietet haben. Die Oma hat sich noch ein paar Mark dazuverdient, wenn sie die Gäste an den täglichen Mahlzeiten teilhaben ließ.

Opa war darüber hinaus – wie alle Bauernsöhne aus kinderreichen Familien – ein Multitalent in allen handwerklichen Belangen.

Als mal wieder Kaninchennachwuchs kam, hat Opa mir einen Winzling geschenkt. Ich war stolz und glücklich mit meinem neuen Besitz. Und Opa hat sich gefreut, wenn er mich dabei beobachtet hat. Gemeinsam haben wir nach einem passenden Namen gesucht. Schließlich haben wir uns auf „Hugo“ geeinigt. Wie wir ausgerechnet auf diesen Namen gekommen sind, das kann ich heute nicht mehr sagen.

Von nun an war Hugo mein liebster Spielgefährte, wenn ich bei den Großeltern gewesen bin. Beim Füttern hat Hugo immer eine Zusatzration bekommen. Als Vierjähriger habe ich mich mit ihm unterhalten und ich war überzeugt, dass er mich immer gut verstanden hat.

Eigentlich haben ja alle Kaninchen gleich ausgesehen. Trotzdem habe ich Hugo immer aus allen heraus erkannt. So wurde Hugo größer und größer. Für Kaninchen ist das kein gutes Omen. Damals habe ich das noch nicht gewusst. Daran, dass meinem Hugo einmal etwas Schlimmes widerfahren könne, habe ich nie gedacht. Wo ich ihn doch so gut gefüttert und betreut habe!

Wie immer, wenn ein Karnickel geschlachtet worden war, sind wir zum Festessen von den Großeltern eingeladen worden. Wir saßen schon am Tisch, als mir plötzlich ein schlimmer Gedanke durch den Kopf schoss. So schnell ich konnte, raste ich raus zum Kaninchenstall.

Hugo war nicht mehr da!

„Ist das mein Hugo?“, habe ich gefragt, als die dampfende Pfanne auf den Tisch kam.

Es folgte betretenes Schweigen. Außer mir hatte das jeder gewusst. Sicher hatten alle in diesem Moment ein schlechtes Gewissen. Allen voran der Opa. Die Oma versuchte die Situation zu retten: „Vielleicht hast du den Hugo gerade übersehen. Die sehen doch alle gleich aus.“ Das konnte nicht sein. Meinen Hugo hätte ich erkannt, dessen war ich mir sicher.

Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Der liebe gute Opa! Der mir den Hugo geschenkt hatte. Der so oft dabei gewesen ist, wenn ich mit ihm gespielt hatte. Der hatte ihn jetzt getötet! Ein furchtbarer Gedanke! Und jetzt sollte er auch noch aufgegessen werden! Das war zu viel für mein kindliches Gemüt. Ich habe geweint. Nein, essen wollte ich heute überhaupt nichts. Sicher war dem Opa in diesem Moment auch der Appetit vergangen. Aber ich war von ihm enttäuscht. Wie nur hat er so etwas tun können!

Wieder wollte die Oma vermitteln: „Dann iss doch wenigstens Kloß mit Soße.“ Nein, die Soße, in welcher der arme Hugo jetzt gelegen hat, die wollte ich auch nicht essen. Alles war für mich so furchtbar.

Die Oma hat mir auf die Schnelle etwas Anderes gemacht. Ich glaube, es war Grießbrei.

Zum Opa hatte ich für einige Zeit ein gestörtes Verhältnis. Sicher hat ihn das sogar noch mehr geschmerzt.

Aber allzu lange hat dieser Zustand nicht angehalten.

Meine Jugend in Erfurt unter Hitler 1933–1945

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