Читать книгу Meine Jugend in Erfurt unter Hitler 1933–1945 - Gerhard Laue - Страница 9
1933 – Hitler kommt an die Macht
ОглавлениеAls Hitler am 30. Januar die Macht in Deutschland übernommen hat, war ich, wie bereits erwähnt, 4 ½ Jahre alt. Begriffen habe ich noch nichts. Aber an einige Vorgänge kann ich mich doch noch erinnern.
Das war vor allem der nächtliche Lärm unten auf der Straße. Ich konnte nicht schlafen – auch wenn ich mich noch so tief unter der Bettdecke verkrochen habe.
Wir wohnten damals im Norden der Stadt, einem reinen Arbeiterviertel. Da hatten sich kurz zuvor noch die Nazis und die Kommunisten erbitterte Straßenschlachten geliefert.
Jetzt feierten die Sieger, voran die Schlägerkolonnen der SA, ausgiebig und lautstark ihren Sieg. Mit Pauken, Trompeten und klingendem Spiel zogen sie durch unsere nächtliche Straße. Laut grölend haben sie ihre brachialen Lieder gesungen. Lange Fackelzüge erhellten die Nacht.
Diese Horrornächte sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben.
Schon nach wenigen Tagen der Hitlerregierung hat es niemand mehr gewagt, sich über den Lärm zu beschweren.
Auch in unserem Haus gab es einige begeisterte Hitler – Anhänger. Ich weiß noch, wie mich damals ein Nachbar zur Seite genommen hat. Mit wichtigem Gesicht hat er mir gesagt: „Wenn du jetzt jemandem begegnest, der eine Uniform anhat, dann musst du ihn grüßen. Das geht so: „Du musst den rechten Arm nach vorn strecken und dabei laut „Heil Hitler“ rufen.“
Er machte mir das vor und ich hatte kapiert.
Männer in Uniform hatte ich schon gesehen. Das waren die zwei Polizisten, die den ganzen Tag mit geschultertem Gewehr die Stollbergstraße auf und ab gegangen sind.
An denen wollte ich jetzt das ausprobieren, was ich gerade gelernt hatte. Meinen Spielkameraden hatte ich vorher den neuen Gruß beigebracht.
So vorbereitet zogen wir Dreikäsehochs – ich war mit 4 ½ der Älteste – voll Tatendrang in die Stollbergstraße. Das war direkt um die Ecke.
Auch wir gingen nun die Straße auf und ab. Genau wie die Polizisten. Aber in die Gegenrichtung. Bei jeder Begegnung grüßten wir die Polizisten ganz stramm mit dem neuen Gruß. Es hat Spaß gemacht. Ganz offensichtlich auch den Polizisten. Die haben mitgemacht und immer freundlich zurück gegrüßt.
Wir wurden mutiger und grüßten bei jeder Begegnung lauter und zackiger. Schnell ausgesprochen wurde aus dem „Heil Hitler“ bald ein „Heitler“.
Meine kleine Schwester, gerade 3 Jahre alt geworden, war auch mit dabei. Sie hat uns „Großen“ alles nachgemacht. Nur nicht ganz so stramm. Sie hatte ihr Spielzeug, einen kleinen Handfeger, mitgebracht. Und so ergab es sich, dass sie einmal mit erhobenem Handfeger gegrüßt hat. Darauf haben ihr die freundlichen Polizisten gesagt, dass man den Führer nicht mit einem Besen grüßen darf. Ganz brav hat sie das dann auch nicht mehr getan.
Weil es uns so gefallen hat, haben wir das Spielchen mit großer Ausdauer sehr lange fortgesetzt. Wir hatten unsere Freude. Und die Polizisten bestimmt auch.
Ich habe erst 60 Jahre später erfahren, warum die Polizisten damals in der Stollbergstraße patrouilliert sind. Das geschah während eines Klassentreffens kurz nach der Wende.
Da erfuhr ich erstmals, dass in der Feldstraße – nur 100 m von unserer damaligen Wohnung entfernt – in einem Hinterhoffabrikgebäude ein provisorisches Konzentrationslager errichtet worden war. Es soll das erste überhaupt gewesen sein.
Vermutlich sollten die Polizisten Präsenz zeigen, um eventuell aufkommenden Unruhen im Umfeld dieses KZs vorzubeugen.