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Kindliche Erinnerungen

Jährlich machten wir im Sommer einen Ausflug mit der ganzen Familie. Oft durften wir auch unsere Freunde dazu einladen. Meist ging es zwölf Kilometer zur Schlossruine Geroldseck. Vater trug einen Rucksack, voll mit Getränken und einer Vesper, die wir auf der halben Strecke, während einer Pause im Wald, verzehrten. Das war immer toll. Wir saßen auf umgesägten Baumstämmen an einer Waldhütte, jeder bekam ein belegtes Brot und einen Apfel, durfte mal einen kräftigen Zug aus der Limoflasche machen – und die Welt war in Ordnung. So fiel es uns Kindern nicht auf, dass die Strecke doch ganz schön weit war. Wenn einer anfing zu jammern, meinte unser Vater: Setze dich an den Wegesrand, wir nehmen dich auf dem Rückweg wieder mit. Wer wollte schon alleine im ach so dunklen Wald sitzen bleiben? Wer weiß, ob die überhaupt auf dem Rückweg wieder hier entlangkommen würden? Also – weiter.

Einer dieser Jahresausflüge ist mir auch heute noch im Gedächtnis, da wir vier Kinder im Verlauf des Tages fest daran glaubten, unser Zuhause nie wieder zu sehen. Da Mutter mit unserem kleinen Bruder schwanger war, konnte sie nicht mit auf diese Wanderung. So zogen wir mit Vater alleine los. Die ersten Kilometer bis zur Ruine ging alles gut. Ab dort wollten wir eigentlich mit dem Bus weiter nach Lahr fahren. Leider war Sonntag und es fuhr kein Bus. Statt, was logisch und der schnellere Weg gewesen wäre, durch den Wald wieder zurückzugehen, lief Vater mit uns in Richtung Lahr. Unterwegs hielten wir an jeder offenen Kneipe, da Vater enormen Durst hatte und wir Kinder natürlich auch was trinken wollten oder mal auf die Toilette mussten. In Lahr angekommen, war der letzte Bus wieder weg. Ohnedies fuhren sonntags nur zwei Busse auf dieser Strecke.

„Macht nichts, ich weiß einen kurzen Weg durch den Wald“, meinte Vater frohgelaunt. Wir Kinder waren inzwischen einfach nur müde und erledigt. Wenn wir je wieder nach Hause kommen wollten, mussten wir unserem Vater folgen. Bevor es in den Wald ging, machten wir noch eine Vesper im Gasthaus am Waldrand. Vater trank noch einige Bierchen, was seinen Gang aber nicht sicherer machte. Als wir wieder losgingen, hatte er Schwierigkeiten, ein Bein richtig vor das andere zu setzen.

„Weißt du überhaupt den Weg?“, fragte ihn meine älteste Schwester.

„Immer mir nach, ich kenne mich in diesem Wald bestens aus“, sprach es und schwankte uns voraus. Was blieb uns anderes übrig, als ihm zu folgen. Es wurde dunkel und dunkler, die Sonne war längst weg und der helle Mond gab dem Ganzen Umfeld einen geheimnisvollen Glanz. Wenn man zwischen den Baumkronen nach oben schaute, sah man die Sterne leuchten. Wir Kinder hatten für diesen romantischen Blick überhaupt nichts übrig. Wir waren uns mittlerweile sicher, in diesem dunklen Wald übernachten zu müssen. Wir hatten Angst vor der bösen Hexe, die bestimmt hier irgendwo ihre Hütte hatte. Was sollten wir tun, wenn unser Vater jetzt weglaufen würde, oder wenn er sich hinlegte und einfach einschlief, wie er es zu Hause oft auf dem Sofa machte? Uns war überhaupt nicht wohl in unsere Haut.

„Papa, renn doch nicht so schnell…“

„Immer mir nach, gleich sind wir zu Hause…“

Vater hatte mittlerweile wieder einen recht sicheren Gang und fing sogar an, mit uns Lieder zu singen. Wir waren froh darüber und stimmten kräftig mit ein.

„Wir müssen ganz laut singen, vielleicht suchen die uns schon“, flüsterte uns mein jüngerer Bruder leise zu.

Endlich sahen wir durch die Baumstämme in der Ferne Lichter auftauchen.

„Dort ist unser Dorf, war doch ein toller Ausflug.“ Das meinte Papa auch noch ernst.

Als wir am Waldrand ankamen, schickte mich mein Vater los, um zum Haus meiner Großeltern zu laufen.

„Lauf die Straße immer gerade runter, dann kommst du zu Oma und Opa. Das Haus kannst du nicht verfehlen. Sag ihnen, dass alles in Ordnung ist.“

Jetzt war mir die Dunkelheit völlig egal. Ich rannte los und kam gut beim Haus meiner Großeltern an. Diese waren überglücklich, als ich durch die Haustür hereinkam und schon von weitem rief: „Wir sind wieder daaaa…“ Auch meine Mutter saß im Wohnzimmer. Sie hatte es alleine nicht mehr ausgehalten und war zu den Großeltern gegangen.

Es sprudelte einfach alles aus mir heraus, vom verpassten Bus, dem leckeren Vesper und dem dunklen Wald. Von unseren Ängsten und Befürchtungen erzählte ich natürlich nichts.

Als meine Geschwister kurz darauf ins Wohnzimmer stürmten und mein Vater leicht schwankend und fröhlich durch die Tür kam, waren alle froh, dass wir endlich wieder zu Hause waren. Den Blick, den meine Mutter Papa zuwarf, werde ich nie vergessen. Wären sie alleine gewesen, hätte sie ihm bestimmt den Hals umgedreht.

„Ist doch erst 10 Uhr, geht doch noch…“, war Vaters Reaktion. Allerdings 10 Uhr am Abend! Keiner antwortet ihm. Der Kilometer nach Hause verging sehr schnell. Jeder wollte Mama etwas Anderes erzählen. Papa lief einige Meter hinter uns und sang immer noch leise vor sich hin. Ich glaube, dass auch er war froh, diesen Tag gut überstanden zu haben.

Wir Kinder fielen halb tot in die Betten. Das Schimpfen meiner Mutter hörten wir bis in unsere Zimmer im ersten Stock. Ich denke, Mama hat Papa kräftig die Leviten gelesen. Aber in seinem Zustand hat der sich wahrscheinlich einfach im Bett umgedreht – und bestimmt gut geschlafen.

Und dann war da noch der Tag, an welchem mein junges Dasein fast ein jähes Ende gefunden hätte. Wir waren in einer kleinen Gruppe von Nachbarskindern unterwegs zum Kindergarten, tollten herum, spielten Fangen und waren einfach nur lustig. Als wir am Kaufladen vorbeikamen, erhielt jedes Kind von der Ladenbesitzerin, wie jeden Tag, ein Bonbon geschenkt. Ich nahm mir ein besonders großes, dunkelgrün leuchtendes und herrlich schmeckendes eckiges Teil. Wir waren noch nicht lange am Bach entlang gerannt, als ich plötzlich umkippte und dunkel im Gesicht wurde. Keiner wusste, was mit mir los war. Meine beste Freundin Karin machte das einzig Richtige: Sie rannte los und holte Hilfe. Zum Glück war nicht weit entfernt der Baron in seinem Garten bei der Arbeit. Der kam gerannt, machte mit leichter Gewalt meinen Mund auf und erkannte das Übel: Beim Springen und Reden hatte ich mir das geschenkte Bonbon in die Luftröhre gezogen und dieses verstopfte nun meinen Rachen. Der Baron schnappte mich an den Fußknöcheln, schüttelte mich einige mal hoch und runter und das schöne, grüne Bonbon flutschte mir aus dem Mund. Diese „beinahe Katastrophe“ ging völlig unbemerkt am Rest der Welt vorbei.

Im gleichen Laden sah ich Jahre später beim Einkauf immer die braunen Bananen.

„Was machst du mit den braunen Bananen? Die kann doch keiner mehr essen“, fragte ich die Ladenbesitzerin.

„Die müssen wir leider wegwerfen.“

In mir keimte eine Idee, für meine 12 Jahre sogar eine ganz tolle. Einige Tage überlegte ich mir, wie ich es am besten anstellen konnte, aus diesen alten Bananen einen Schnaps herzustellen. Traubensaft ließ man ja auch einfach im Fass reifen und sie ergaben einen ganz tollen Wein. Warum sollte das mit braunen Bananen, also sehr reifen Früchten, nicht auch klappen. Im Buch „Der deutsche Bauer“ fand ich einen kurzen Artikel über das „Brennen von Obst“. Das war mir alles zu kompliziert.

Ich beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Sollte das Ganze klappen, würde sich mein Vater viel Geld einsparen. Er könnte dann zu Hause meinen selbstgemachten Schnaps trinken und bräuchte nicht jeden Tag in der Linde zu sitzen. Vielleicht ließe sich daraus sogar eine ganz große Firma aufbauen, die uns dann auch noch richtig reich machte. In meiner kindlichen Vorstellung sah ich schon einige hundert Mark, die da in Mutters Haushaltskasse flossen.

„Bekomme ich die braunen Bananen umsonst?“, fragte ich beim nächsten Einkauf.

„Klar, dafür musst du nichts bezahlen. Was willst du denn damit machen?“ Neugierig sah mich die Ladenbesitzerin an.

„Weiß ich noch nicht so genau. Vielleicht kann man die ein oder andere auch noch essen.“ Ich war nicht bereit, ihr meine Geschäftsidee zu verraten. Nicht, dass sie selbst noch auf den Gedanken kam, meine Idee in die Tat umzusetzen. Sie verdiente schließlich genug mit ihrem A&O Laden.

Bereitwillig packte sie mir rund 10 braune Früchte ein. Ganz oben legte sie eine nur braun-fleckige Banane.

„Die kannst du in jedem Fall noch essen. Wenn du noch mehr brauchst, sag mir einfach Bescheid.“

Zu Hause angekommen, verdrückte ich zunächst die noch essbare, fleckige Banane. Sie schmeckte köstlich. Bananen gab es fast nie, da wir alles andere Obst selbst zur Genüge im Feld und im Garten hatten. Sollte das mit den Bananen klappen, könnte ich vielleicht noch Schnaps aus anderen Obstsorten produzieren.

Kurzerhand schälte ich die braune, matschige Masse aus den Schalen, verrührte die Pampe in einem kleinen Eimer mit zwei Gläsern Wasser, gab noch etwas aus der Küche geklauten Zucker dazu und schob diesen Eimer ganz hinten unter mein Bett. Täglich rührte ich, wenn ich aus der Schule kam, die Maische um.

Nach dem dritten Tag fragte ich mich allerdings, ob das Ganze überhaupt klappen würde. Das Zeug wurde zwar leicht schaumig, was für mich den Beginn des Gärprozesses signalisierte, fing aber auch an, leicht zu riechen. Da ich das Zimmer mit meinem Bruder teilte und meine zwei Schwestern unser Zimmer immer durchqueren mussten, um ihr Schlafdomizil zu erreichen, konnte das noch Schwierigkeiten geben.

Am nächsten Tag war der Eimer weg.

„Was war das für eine Sauerei in dem Eimer unter deinem Bett?“ Mutter sah mich streng an.

Es blieb mir nichts Anderes übrig. Ich musste ihr von meiner Idee erzählen. Vor lauter Lachen tat ihr hinterher der Bauch weh und die Tränen liefen ihr die Wangen herunter.

„Oh Junge, du musst noch viel lernen. So leicht ist das Leben nicht.“ Sprach es, struwelte mir durch die Haare und schickte mich raus zum Spielen. Über die tolle Geschäftsidee wurde nie wieder gesprochen. Natürlich holte ich auch keine weiteren matschigen Bananen aus dem Kaufladen.

In meiner Erinnerung verging die Kindheit viel zu schnell und ohne weitere Ereignisse, die ich heute erwähnenswert finden würde. Sie war einfach nur schön und ich bin dankbar, dass ich sie so erleben durfte.

Schwarzwaldjunge - Weltenbummler

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