Читать книгу Durch die Raumakustik muss ein Ruck gehen - Gerhard Ochsenfeld - Страница 26

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Tiefe Frequenzen

Zu allererst möchte ich mich den tiefen Frequenzen widmen.

Spricht man über tiefe Frequenzen, muss man auch über Fuchs sprechen.

Es scheint fast, als sei Helmut V. Fuchs in der Gegenwart der Einzige, der noch engagiert und unbeirrt über tiefe Frequenzen spricht.

Fuchs zeigt ganz bescheiden auf, dass die Relevanz tiefer Frequenzen zumindest seit den 1930er Jahren bekannt ist (etwa in seiner Publikation „Thesen zur Akustik anspruchsvoller Räume“ im Akustik-Jounal 02/2018, der Fachzeitschrift des DEGA e.V.; Seiten 31–45).

Detaillierter jedoch als dort führt Fuchs in seinem Buch „Raum-Akustik und Lärm-Minderung“ (2017 in 4. Auflage beim Verlag Springer Vieweg) aus, wie ein Beranek 1962 mit einer Formel für das Bassverhältnis zumindest kräftig geholfen hat, das dumpfe Wummern tiefer und beherrschender Bässe als Postulat für eine gute Raumakustik zu etablieren.

… und 42 Jahre später auch selbst widerrufen hat!

Bei Fuchs lesen wir:

„Ganz generell gilt: Um ein differenziertes Bassfundament als Basis für den gesamten Klangkosmos […] generieren zu können, bedarf es einer schlanken Raumakustik. Der weit verbreitet anzutreffende Anstieg der Nachhallzeit zu den Tiefen hin […] wirkt sich ausgesprochen kontraproduktiv aus. Wenn man dagegen […] dafür sorgt, dass der tiefe Bassbereich klar und unverfälscht […] vom Raum übertragen […] werden kann, wird auch eine gute Wiedergabequalität ermöglicht. Denn der unterste Bereich des Schallspektrums […] kann bei zu starkem Nachhall dazu führen, dass sich im Raum stattdessen ein konturloses Wabern einstellt, das […] das darüber aufgebaute Klanggebäude vernebelt.

Man findet in der Literatur aber auch gegenteilige Ansichten, zumindest was den üblichen Anstieg der Nachhallzeit zu den Tiefen hin für musikalische Nutzung angeht, z. B. bei Barron (1993, dort Abschn. 2.8 und 3.4):

‚Ein Anstieg der Nachhallzeit ist aus Gründen der Deutlichkeit sehr günstig für Orchesterkonzerte, derweil die meisten tiefen Instrumente ihre stärkste Klangabstrahlung oberhalb von 200 Hz haben und schwach in den tiefen Frequenzen abstrahlen. Deshalb ist es vorteilhaft, wenn das Klangfundament der Bassstimmen durch den Raum verstärkt wird. Das ist einer der Gründe, weshalb die Decke in der Philharmonic Hall in New York, die weitreichend tiefe Frequenzen absorbiert, ein solcher Nachteil für die Celli ist. […] Ein Wert bei 125 Hz von 50 % oberhalb dessen bei mittleren Frequenzen ist normalerweise empfohlen. […]

Die Auswirkung für Konzerthallen, in denen lange Nachhallzeiten für tiefe Frequenzen angestrebt werden, ist dass Wände, Decken und alle darin befindlichen Gegenstände hinreichend schwer sein müssen, um die tieffrequente Absorption gering zu halten. Eine solche Herangehensweise hat deutliche finanzielle Konsequenzen‘.“

(Fuchs, Raum-Akustik und Lärm-Minderung, 4. Aufl.; Springer Vieweg, 2017 – Seiten 212/213)

[Textpassage in Schrägschrift in eigener Übersetzung, da Fuchs original englischsprachig zitiert]

(der bezogene ‚Barron, 1993‘: Barron, Michael, „Auditorium acoustics and architectural design“, E. & F.N. Spon, London, 1993)

Barron hat sehr wohl recht, wenn er meint, tiefe Frequenzen sollten Unterstützung durch den Raum selbst gewinnen. Und er hat recht, wenn zu diesem Zweck viel mit schallharten Materialien gearbeitet werden sollte.

Und Fuchs ist sich seiner bloßen Absorption tiefer Frequenzen keinesfalls so sicher, wenn er schreibt:

„Wenn man dagegen durch bauliche Maßnahmen dafür sorgt, dass der tiefe Bassbereich klar und unverfälscht von den Musikern dargeboten, vom Raum übertragen und von den Tonschaffenden aufgezeichnet werden kann, wird auch eine gute Wiedergabequalität ermöglicht.“

(Fuchs, Raum-Akustik und Lärm-Minderung, 2017 – Seite 212)

Man darf es als spitzfindig bezeichnen, wenn ich in der Aussage „vom Raum übertragen“ entdecke, dass auch Fuchs für die tiefen Frequenzen ein bisschen Raum erwartet und mit der Absorption keiner Freifeldsituation nahe kommen möchte. Und Fuchs ist ja auch einer, der sich für diese tieffrequente Absorption mit großer Zurückhaltung gerade auf die Raumkanten konzentriert.

Wiederum empfiehlt Beranek einen um 50 % längeren Nachhall als in den mittleren Frequenzen. Das bleibt vorerst widersprüchlich im Raum stehen – und ich muss vorsichtig fragen: Liegt das darin begründet, dass weder die Raumkante als besondere Störzone, noch deren Physik tatsächlich erkannt worden war?

Barron deutet vage an, was es mit den tiefen Frequenzen also auf sich hat: Auch die tiefen Frequenzen bedürfen der Diffusion. Blieb darüber die Raumkante von Beranek tatsächlich so gänzlich unerkannt? Allein die Tatsache, dass er gar eine bis 50 % längere Nachhallzeit für tiefe Frequenzen empfiehlt, impliziert das nicht selbstredend.

Wiederum: Je größer der Raum, desto mehr tritt die Raumkante zurück. Das werfe ich etwaig entlastend für die Herren ein!

Man darf den tiefen Frequenzen keine Kanten anbieten, in denen sie ihre Energie potenzieren können. Aber auch für die tiefen Frequenzen merke ich vorsichtig an, dass möglicherweise der Nachhall schlechthin keinen so großen Schaden mehr anrichtet, wenn der Raumkante schon nur diese potenzierende Kraft genommen ist.

Sondern es muss ein ausgewogenes Verhältnis der tiefen zu den mittleren und höheren Frequenzen aufrechterhalten bleiben. Andernfalls stellen sich neue Probleme ein – und schnell wird erkennbar, wie man wieder einmal versuchen muss, an den einzelnen Symptomen so lange herumzuschieben, bis ein einigermaßen befriedigendes Ergebnis dabei herauskommt.

Dieses „Herumdoktern“ an den Symptomen sieht heutzutage zum Beispiel so aus:

Geht man den gegenwärtig offenbar (überwiegend) empfohlenen Weg, dann bringen Musikenthusiasten ordentlich Absorption in die (senkrechten) Raumkanten ein… und platzieren mehr oder minder viele Diffusoren, die im mittelfrequenten Bereich wirksam sind. Denn die Skepsis gegenüber langen Nachhallzeiten bei tiefen Frequenzen hat sich längst ebenso herumgesprochen wie die Furcht vor den Raumkanten. Diffusion in den mittleren und höheren Frequenzen wiederum verleiht der Musikwiedergabe Transparenz und Leichtigkeit.

Wenn HiFi-Enthusiasten im Internet dann aber wiederholt der Tipp an die Hand gegeben und auch mit Produktangeboten oder Bauanleitungen untermauert wird, mit extrem starken Bassfallen in den senkrechten Raumkanten die Bässe zunächst komplett „aufzusaugen“, so dass sie im Raum so weit wie eben möglich auf ihren Direktschall reduziert werden, dann klingt das auf den ersten Blick plausibel. Wenn dann aber der Ratschlag folgt, man müsse fortan die Gesamtlautstärke erhöhen, weil die Bässe andernfalls kraftlos „unterhalb“ der Musik darben, dann hat das natürlich einerseits den Vorteil, dass man auch die Mitten und Höhen verstärkt. Aber andererseits wird deutlich, wohin die Reise geht:

Der Musikliebhaber macht sich bei seinen Nachbarn im Hause weiterhin unbeliebt, denn der wahre Musikgenuss ist vorgeblich nur zu erreichen über die bloße Lautstärke. Der einzige, dem die Bässe nun klar erscheinen (das ist nicht gleichbedeutend mit „klangvoll“), ist der HiFi-Enthusiast – mit dem Lautstärkeregler in der Hand. Durch Wände und Decken wummern die Bassrhythmen noch stärker hindurch.

Das Thema der Diffusion ist jedem Musikfreund bekannt. Es gibt reichhaltig Lösungen für die Diffusion – und auch schon für relativ günstiges Geld. Aber es gibt eine leicht nachvollziehbare Regel von nachgerade proportionaler Strenge: Je günstiger der Diffusor, desto weniger wirkt er dort, wo es wirklich Not tut. Es gibt gar wirklich sehr „günstige“ Angebote für den Heimanwender, die dann allen Ernstes mit einer Wirksamkeit ab 500 Hz oder 700 Hz beginnen. Solche, die dann schon bei 300 Hz einsetzen, sind bereits etwas teurer und für die mittleren Frequenzen wohl auch achtsam. Aber ob all solche Diffusoren dann bis 1.500 Hz oder 2.500 Hz oder auch noch höher hinaufreichen, spielt kaum noch eine Rolle. – Natürlich bewirken solche Diffusoren etwas. Und natürlich hört man den Unterschied auch.

Allein: Probleme löst das nicht, sondern hilft Symptome leidlich zu bewältigen– unter Inkaufnahme erheblicher Nebenwirkungen.

Ich richte jetzt ausdrücklich, damit man ihn besser versteht, noch einmal den Blick auf Barron:

„Eine solche Herangehensweise hat deutliche finanzielle Konsequenzen.“

(in eigener Übersetzung: Fuchs, H. V.: Raum-Akustik und Lärm-Minderung; Springer Vieweg 2017 – Seite 213, dessen Zitat von Barron)

Wenn jemand bei 500 Hz oder 1.000 Hz oder höher tatsächlich ein Problem hat, dann kann ein Diffusor helfen, das Problem abzuschwächen. Aber nur symptomatisch, wenn man das Problem der größten – ich beschreibe es hier einmal so – „Irritation“ nicht dort angeht, wo diese an sich entsteht: nämlich in der Raumkante.

Man muss einerseits verstehen, dass die Raumkante für alle Frequenzen ein enormes Störpotenzial in den Raum einbringt. Aber man darf auch das enorme und spezifische – weil oftmals fast nur subtile – Störpotenzial der tiefen Frequenzen nicht aus den Augen verlieren.

Spricht man über tiefe Frequenzen, dann muss man – auch ohne technische Detailverliebtheit – über den Bereich ab 50 Hz und bis 200 Hz sprechen. Damit ist das Problem nicht abschließend beschrieben, aber in seiner Alltagsrelevanz schon weitestgehend umfasst.

Natürlich hat Fuchs erst einmal nicht Unrecht, wenn er immer wieder betont, lange Nachhallzeiten in tiefen Frequenzen seien ein Monster.

Allein – dieses Monster sollte man nicht bezwingen, indem man ihm pauschal die Energie raubt. Sondern auch die tiefen Frequenzen wollen getragen sein, wie das auch für die mittleren und höheren Frequenzen gilt.

Oder mit anderen Worten: Dieses Monster möchte freundlich gezähmt werden.

Wenn ich nun aber noch einmal auf Fuchs zurückgreifen möchte, dann muss ich zuvor auch darauf hinweisen, dass Fuchs zumindest die Musikenthusiasten daheim oder Betreiber von Aufnahme- oder Produktionsstudios schon gar nicht mehr überzeugen muss, wenn er sagt, dass zu viel Nachhall in den tiefen Frequenzen schädlich ist. Dort nämlich übertreibt man es längst – und leider – gern in Gegenrichtung.

Fuchs spricht also von jenen Bereichen, die von Normen oder Richtlinien beherrscht werden, wenn er mit der „verbreiteten Philosophie“ folgend meint, dass höhere

Nachhallzeiten für tiefe Frequenzen nicht nur favorisiert, sondern mit aller Deutlichkeit empfohlen werden:

„a. Die Begründung für diese heute weit verbreitete Philosophie klingt ganz logisch, allerdings nur wenn man das Schallfeld im Raum und seine Wahrnehmung rein energetisch betrachtet: Alle menschlichen Stimmen und Musikinstrumente […] strahlen ein zu tiefen Frequenzen abfallendes Schallspektrum ab. […]

b. Das menschliche Ohr weist eine zu den Tiefen geringere Empfindlichkeit bzw. höhere Hörschwelle auf, und zwar umso mehr, je geringer die Lautstärke einer Darbietung ist. […]“

(Helmut V. Fuchs, Raum-Akustik und Lärm-Minderung, 4. Auflage; Springer Vieweg, 2017 – Seite 213)

Wenn dem so ist, dass menschliche Stimmen und Musikinstrumente in den Tiefen weniger energiereich sind, und wenn zudem das Ohr zu den tiefen Frequenzen hin weniger empfindlich ist, dann macht es mich zumindest stutzig, dass man von den tieferen Frequenzen so viel verschlucken soll wie möglich. Auch wenn ich im Übrigen Fuchs gut folgen kann, das Störpotenzial der tiefen Frequenzen betreffend, so bietet diese Aufforderung zur Absorption aber auch eine Widersprüchlichkeit – und wirft somit sperrig und brüchig neue Fragen auf.

Aber weiter bei Fuchs:

„c. Die Kurven gleicher Lautstärke rücken die tiefen Frequenzen immer enger zusammen […]. Damit die Tiefen in Pausen etwa gleich lange hörbar bleiben, solle der Pegelabfall im Nachhall […] langsamer als bei den Höhen erfolgen.

[…]

[…] Seit gut 50 Jahren stand […] ein fast sakrosanktes Dogma im Raum, das für Musik generell einen Anstieg der Nachhallzeit zu den Tiefen postulierte. Beranek (1962) definierte ein Bassverhältnis (‚bass ratio‘)


[eig. Anm.: T = jeweilige Nachhallzeit bei Frequenz x in sec.]

[…] als ein Qualitätskriterium insbesondere für Konzertsäle. Dieses sollte Werte zwischen 1,1 (für Räume mit hoher) und 1,5 (für Räume mit niedriger mittlerer Nachhallzeit) betragen mit der noch in Beranek (1996, dort S. 37) hoch gehaltenen Begründung:

‚Wenn die Oberflächen von Wänden oder-Decken oder der Bestuhlung die tiefen Frequenzen absorbieren, kann das gesamte Orchester in den Bässen und Celli schwach klingen. […] Eine Musikhalle lässt Wärme vermissen, wenn die Nachhallzeiten bei tiefen Frequenzen (75 bis 350 Hz) kürzer sind als bei mittleren Frequenzen (350 bis 1.400 Hz)‘.

Diese Ansicht wurde von anderen erfahrenen Akustikern übernommen und wird von vielen heute noch vehement vertreten.“

(Helmut V. Fuchs, Raum-Akustik und Lärm-Minderung, 4. Auflage; Springer Vieweg, 2017 – Seiten 213/214)

[Textteil in Schrägschrift: eigene Übersetzung, da Fuchs englischsprachig zitiert]

(der bezogene ‚Beranek, 1996‘ ist: Beranek, LL, „Concert and Opera Halls – How They Sound“, Acoustical Society of America, New York, 1996)

Ich möchte hier orientierungshalber erläutern, dass der zitierte Beranek zwar mit „75 – 350 Hz“ und mit „350 – 1.400 Hz“ andere Frequenzen angibt, als er für seine Formel aus dem Jahre 1962 zugrunde legt, nämlich dort 125 Hz, 250 Hz, 500 Hz und 1.000 Hz. Schlussendlich aber vertritt er mit jener Aussage die Ansicht, dass ein Bassverhältnis, ausgedrückt als die von ihm entworfene „bass ratio“, in etwa von kleiner gleich 1 für eine Musikhalle „kalt“ und „trocken“ klinge.

Das heißt, Beranek betrachtet noch 1996 eine undifferenzierte Bekräftigung der tiefen Frequenzen, nur über die Nachhallzeit, als den goldenen Weg, um über ein insgesamt schummeriges Bassvolumen einen warmen Raumklang zu erzeugen.

Zu den hier nach Fuchs zitierten Formeln (11.23 und 11.24) erlaube ich mir für solche Personen aufzuschlüsseln, die bisher weniger mit der Raumakustik zu tun hatten: Wenn „T“ für die Nachhallzeit in Sekunden steht, dann beschreibt die tiefer gestellte Zahl dahinter die spezifisch betrachtete Frequenz – wobei mit der Nachhallzeit jene Zeitspanne gemeint ist, in der der Schallpegel um 60 dB gefallen ist.

Einige Seiten später darf Leo L. Beranek (1914 – 2016) dann Rehabilitation erfahren, da er offenbar 12 Jahre vor seinem Tod dem eigenen und einstigen Irrtum in seiner Publikation „Concert Halls and Opera Houses“ (Springer-Verlag, New York, Inc., 2004) abgeschworen hatte:

„[…] außer einem lange hochgehaltenen Anspruch wie BR > 1 […] für Musik, der sich später nach Bradley et al. (1997) und Beranek (2004, dort S. 512), als unhaltbar herausgestellt hat, findet man zur […] vorgefundenen Nachhallcharakteristik dieser Räume keinen einheitlichen Beurteilungsmaßstab. Zu Räum lichkeiten, die für Rock- und Popdarbietungen oft noch viel intensiver genutzt werden, fehlte lange eine ähnlich […] professionelle Beschäftigung.

Erst kürzlich hat Adelman-Larsen (2014) dazu eine […] Dokumentation […] vorgelegt. Der Autor hat diese alle über Jahrzehnte als ausübender Musiker am eigenen Leib bzw. Gehör offenbar sehr eindringlich erfahren […]. Im Rahmen eines größeren, wissenschaftlich fundierten Projekts wurden Nachhallzeitspektren (glücklicherweise stets wenigstens bis 63 Hz herunter!) gemessen und ausgewertet. […]

Bei seiner Beurteilung […] hat sich Adelman-Larsen (2014) aber nicht allein auf seine eigene Erfahrung und Einschätzung verlassen, sondern dazu auch Fragebögen und Interviews […] ausgewertet. Die Schlussfolgerungen in seinem Kap. 5 passen sehr gut zu dem hier propagierten [eig. Anm.: Fuchs‘ eigenem] raumakustischen Konzept: […].

Die zitierten Aussagen lassen sich nach Adelman-Larsen […] durch ein alternatives Bassverhältnis


quantifizieren, das einem gemittelten Wert von 0,88 für die fünf am besten und 1,32 für die fünf am schlechtesten bewerteten Hallen annimmt, und in seinem Kap. 3 schreibt er: [eig. Anm.: eig. Übersetzung, da Fuchs englischsprachig zitiert] ‚Hallen mit einer niedrigen Nachhallzeit bei tiefen Frequenzen werden als am besten bewertet […] Nachhallender tieffrequenter Schall zeigt die Tendenz, Direktschall teilweise zu maskieren (sowohl bei tiefen als auch bei mittleren Frequenzen), und hiermit geht die Kernaussage von Musik, Rhythmus und auch Text verloren.‘“

(Helmut V. Fuchs, Raum-Akustik und Lärm-Minderung, 4. Auflage; Springer Vieweg, 2017 – Seiten 233/234)

Irgendwie hat Fuchs es geschafft, in der Branche für einige gleichsam zur Zielscheibe zu avancieren. Andere ziehen ihn mit mäßigem Engagement heran, derweil sie ahnen oder wissen, dass Fuchs im Kern seiner Aussagen recht hat – seine Argumentationen hingegen lückenhaft, vielleicht nur nicht hinreichend widerspruchsfrei bleiben.

Auch ist Fuchs einer, der mit angemessener Überzeugung – denn seine praktischen Erfolge bestätigen ihn (!) – von den Raumkanten spricht … und diese beruhigt.

Tatsächlich geht Fuchs bisher im Wesentlichen über das bewährte Konzept nicht hinaus, wenn er insbesondere den tieferen Frequenzen mit Absorption oder Resonanz zu Leibe rückt.

Oder doch?

Denn skeptisch werden kann man etwa bei Fuchs, wenn er die akustische Ausstattung im „Mediengarten“ des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig beschreibt (Bauphysik-Kalender 2014 – Seite 623). Diese als „Event-location Mediengarten“ vermarktete Räumlichkeit bietet eine sehr helle und offene Atmosphäre, indem das nur aus Glas und Stahlrahmen bestehende Dach wiederum auf einer nur aus Glas und Stahlrahmen bestehenden Wandfläche oberhalb eines hohen Erdgeschosses aufsetzt. So gewinnt die Halle an Höhe – und pfercht die Besucher doch nicht in einen tief geschachteten Raum ein: Vermutlich gewollt fühlt man sich an ein Atrium der römischen Antike erinnert. Laut Fuchs unterspannen mikroperforierte, dünne Polycarbonat-Folien das Glas – und bringen schon einmal einen Großteil der Akustik in Ordnung. Man findet hier keine dicken Pakete von Absorbern – aber vermisst sie eben auch nicht.

Was möchte uns das sagen über die alten Regeln und Ansichten zur Raumakustik, wo der Begriff der „äquivalenten Absorptionsfläche“ noch heute – oder gerade heute (?) – so dominant in den Vordergrund tritt?

Mir ist klar, dass in einer so hohen Halle dem Schall andere Bedingungen geboten werden, als in einem Klassenraum, einem Besprechungs- oder Seminarraum – oder auch einem Wohnzimmer oder einer Küche. Und natürlich ist mir klar, dass diese mikroperforierte Folie eben nicht schallhart ist. Dennoch durchbrechen solche Konzepte und durchbricht die Arbeit mit und Kombination von solchen Materialien (hier: Glas und eine hauchdünne, mikroperforierte Folie) so manche Vorstellung von Schall und Lärm.

Nachdem ich den Raumkanteneffekt in sehr kleinen räumlichen Verhältnissen – quasi in „Labor“-Versuchen – mit schallharten Reflektoren in unterschiedlichen Ausführungen bewältigen konnte, und nachdem ich dann auch für einen Klassenraum eine – für einen rein passiv ausgestatteten Raum – bisher ungekannte Sprachverständlichkeit erzielen konnte, stelle ich vorsichtig auch für die tiefen Frequenzen in Frage, ob die Klarheit des Raumklanges tatsächlich eine niedrige Nachhallzeit in der häufig geforderten Strenge verlangt. Für höhere Frequenzen jedenfalls zeigt sich, dass längere Nachhallzeiten sehr gut toleriert werden können, wenn nur dieser Nachhall frei vom Raumkanteneffekt ist. – Und so komme ich zu jenem Lösungsansatz, der da lautet, dass in Wahrheit der Raumkanteneffekt immer zuerst angegangen werden und bewältigt werden muss – um etwaig gar, für so etwas wie „Lärm“ alleinverantwortlich, nach weiteren Maßnahmen überhaupt nicht mehr zu rufen.

Was mich im Jahre 2019 bereits für den Akustik-Optimierer sehr hatte aufhorchen lassen, war der nachdrückliche Hinweis von Prof. Fuchs im persönlichen Gespräch, dass seine recht aufwändigen und individuell anzupassenden Kantenabsorber – aus Gipskarton- oder Gipsfaserplatten und mit Vlies-Füllungen aus Mineralwolle – unbedingt einen offenen Spalt zur Wand und zur Decke hin aufweisen müssten.

So hat Fuchs aber im Wohnbereich, also in akustisch betrachtet sehr kleinen Räumen, hervorragende Resultate generiert, ohne die Einbauten so sperrig zu dimensionieren, wie vielfach für KiTas oder Schulen von ihm beschrieben: also mit weniger als ca. 40 x 40 Zentimetern.

Dort aber, im Wohn- und privaten Studiobereich, hat er sich sehr bedacht gezeigt, musikalische Wiedergaben optimal zu unterstützen und sauber zu präsentieren. Und das ganz unabhängig davon, ob es nun um HiFi-Musik oder originär die Flöte oder Geige ginge. Der bloßen Theorie folgend erfüllt er mit diesen kleineren Einbauten die physikalischen Erfordernisse nicht…

Ich drücke also – vorläufig mit aller Vorsicht – meine Skepsis gegenüber dem Postulat der niedrigen Nachhallzeiten – und insbesondere der sehr niedrigen Nachhallzeiten für tiefe Frequenzen – aus.

Der Weg, die Raumkanten auch mit rein schallharten Materialien bewältigen zu können, deutet Einflüsse eines anderen physikalischen Hintergrundes an… und auch die Notwendigkeit, Auffassungen und Klangwahrnehmungen zu revidieren.

Inwieweit sich das auswirkt auf Nachhallzeiten insgesamt – nicht nur in den tiefen Frequenzen – steht näher herauszufinden noch aus.

Durch die Raumakustik muss ein Ruck gehen

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