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Der Palazzo Vendramin vor Richard Wagner
ОглавлениеKriminelle Energien in Adelskreisen sind keine Seltenheit. Besonders anschaulich zeigt das die Geschichte der Brüder Calergi: Vettor (1610–1665), Antonio (1626–1647), Giovanni (1628–1664) und Pietro Calergi (1629–1686).
Sie waren von edler Abstammung. Ihr Vater war Vincenzo Grimani, aus der Linie von Santa Maria Formosa. Mütterlicherseits kamen sie aus einer sehr alten Familie mit griechischen Wurzeln, die von Kreta nach Venedig gezogen war. Als die Serenissima im Jahre 1297 das Goldene Buch schloss, also das Adelsverzeichnis zum Abschluss führte, hatten die Calergi zwar den Sitz im Großen Rat nicht mehr zugesagt bekommen, aber sie gaben nicht auf. Durch verschiedene wohltätige Aktionen während des Krieges von Venedig gegen Chioggia gelang es ihnen, 1381 als Patrizier anerkannt und endlich in den Großen Rat berufen zu werden.
Vincenzo Grimanis ältester Sohn war Vettor Grimani Calergi, geboren zu Venedig am 21. September 1610. Die Calergi hatten 1598 den prachtvollen Palazzo Loredan ersteigert, aus dem Besitz des Markgrafen von Mantua.
Ihr Familiengesetz verpflichtete Vincenzo, den Ehemann der neuen Besitzerin, zur Annahme des Namens Calergi. Hier lebte die Familie Grimani Calergi bis zum Erwerb des Palazzo durch die Familie Vendramin im Jahre 1739 durch Erbschaft.
Vincenzo und seine Frau Marina hatten eine zahlreiche Nachkommenschaft. Da waren die acht Töchter, fünf wurden Nonnen, drei heirateten – Maria den Niccolo Vendramin, Canciana den Leonardo Dolfin und Cornelia den Alvise Zorzi. Alle drei Schwiegersöhne trugen bedeutende Namen.
Der Palazzo Vendramin-Calergi um 1855
Dazu kamen vier Brüder – die beiden älteren waren für den Beruf des Priesters bestimmt, die zwei anderen sollten den Fortbestand der Familie für die nächsten Generationen sichern. Aber das lief etwas anders.
Die vier Grimani Calergi erwarben sich in kurzer Zeit einen weithin hallenden Ruf – rauflustig, zügellos, brutal. Sie hatten in ihrem weitläufigen Palazzo einen besonders unübersichtlichen Teil, den sogenannten Weißen Flügel. Vincenzo Scamozzi hatte ihn 1614 gebaut. Dort konnten sie sich verstecken, dort wurden sie mehrmals erfolglos gesucht. Annähernd harmlos war nur Antonio, der gerade Abate geworden war, als er starb. Dass Vettor ebenso Abate war, scherte ihn überhaupt nicht. Er ließ sich ständig von einer Gruppe von Raufbolden, Bravi, begleiten, die für ihn die Dreckarbeit übernahmen. So war er bald sehr gefürchtet, noch mehr als seine Brüder.
Was der Rat der Zehn dachte und beschloss, kümmerte Vettor nicht im Geringsten. Einmal hatte man ihn zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt – er kam einfach nicht und blieb wohl bewacht im Familienpalais im Stadtteil San Marcuola.
Hatte Vettor ein Auge auf eine Dame geworfen, dann war ihm kein Weg zu mühevoll, keine Gemeinheit zu gefährlich, er musste die Frau zur Geliebten machen, wenn auch nur für einige Tage.
Wagte sich eine zu widersetzen, so konnte das für sie auch gefährlich werden.
Annamaria Santelli war eine erfahrene Kurtisane, als sie sich zu einer Bühnenkarriere entschloss. Vettor Grimani Calergi verliebte sich in die junge Frau, umwarb sie, ohne Erfolg. Als es ihm zu bunt wurde, bestrafte er sie.
Jeden Tag sah man sie auf einem Balkon des Palazzo Balbo, lange still sitzend, Sonnenbad, Schönheitsschlaf. Immer wieder hatte sie Besuch eines Verehrers, das stachelte natürlich die Grimani’sche Eifersucht in Tobsuchtsanfallhöhen.
Die Bravi Vettores waren selbstredend auch gute Schützen. Sie versorgten die Santelli mit einer Ladung ätzenden Salzes aus einer weitreichenden Hakenbüchse. Dabei wurde die Schauspielerin nicht nur erschreckt, sie wurde auch empfindlich verletzt.
Das brachte Vettor wieder einmal Gefängnis ein, fünf Jahre Dunkelhaft, auf der Stelle anzutreten. Der älteste Bruder verließ sich auf seine jüngeren, mit Recht. Sie bereiteten die Entführung vor.
An der Stelle der Seufzerbrücke, an der der Gefangene den Gang zu den Bleikammern erreicht hat, lauerten sie. Hinter einer Türe verborgen warteten die Bravi. Als nun Vettor kam, wurden die Bravi hereingelassen, Pietro stach auf den Offizier des Begleitkommandos ein, verletzte ihn tödlich und die ganze Gruppe mit ihrer menschlichen Beute floh zum darunterliegenden Kanal, wo einige Gondeln wartend bereitlagen.
Vettor war ausnahmsweise der Boden zu heiß geworden, er verließ das Staatsgebiet Venedigs und wartete in der Ferne, dass sich eine Änderung des Gremiums des Rates der Zehn ergebe. Doch er kehrte zurück, verliebt.
Die Auserwählte, eine junge Aristokratin namens Elena Bassanella, aus gediegener Familie, wollte von ihrem Verehrer nichts wissen. Er trachtete, sie zu beeindrucken, indem er prächtig gekleidet, von seiner Schurkentruppe begleitet, zu ihr kam – vergeblich.
Da es im Guten nicht ging, musste man andere Mittel ergreifen – Entführung.
Die Mutter, bei der die schöne Tochter lebte, war aber auf der Hut und so verbargen sich die beiden Damen bei einem Verwandten, dem Grafen Demetrio Santi, bei der Kirche Santi Apostoli.
Enttäuscht und wütend sah der zweiundvierzigjährige Abate, dass er vergeblich zum Palazzo der Angebeteten gekommen war. Aber man ergriff eine Magd, und unter Folter gab sie das Versteck ihrer Herrin preis.
Vettor Grimani verstärkte seine Truppe, setzte sie in mehrere Gondeln und fuhr zum Palazzo Santi. Die Kerle versuchten, das Tor mit einer kleinen Kanone zu sprengen, einige Bravi kletterten auf das Dach. Doch Conte Santi leistete erfolgreich Widerstand, durch den Lärm erwachte man ringsum, der Anmarsch der Exekutive war zu erwarten, die Desperados gaben auf. Und ausnahmsweise gab auch der enttäuschte Obergauner auf.
Er hatte ohnehin genügend andere Gelegenheiten für seine Kleinkriegszüge – wie einen Ärger, der nur mit den Pflichten zur Repräsentation zusammenhing.
Vettor Grimani gehörte zu den Gründern und Besitzern des Theaters bei der Basilica Santi Giovanni e Paolo. Dort gab es einen endlosen Streit um den Besitz einer Loge zwischen den Grimani Calergi und den Brüdern Francesco und Paolo Querini Stampalia. Die beiderseitigen Bravi schlugen zu, im wörtlichen Sinn, vor allem 1655 am Abend einer Vorstellung von Statira, Prinzessin von Persien, Musik von Francesco Cavalli, Libretto von Giovanni Francesco Busenello. Das Aufsehen übertraf alles Dagewesene. Man konnte annehmen, dass der Zwischenfall Folgen haben werde.
Nun hatte dieser Streit schon viele Straßenkämpfe und Konfrontationen aller Art zur Folge gehabt, der Rat der Zehn hatte genug davon und befahl den Brüdern Querini Stampalia die Verbannung nach Zara in der Adria, den drei Grimani Calergi jene auf die Insel Korfu.
Nach ihrer Rückkehr, mit Spenden an die Staatskasse erkauft, nimmt der Zwist der beiden Familien noch kein Ende. Eines Abend überfallen die Grimani-Bravi den einen der beiden Brüder, Francesco, der gerade ohne seine bewaffneten Begleiter unterwegs ist, verschleppen ihn in den Palazzo Grimani Calergi und schlachten ihn regelrecht ab. Die drei Schurkenbrüder flüchten ins nahe Mantua. Der Rat der Zehn setzt eine Belohnung aus für jeden, der die drei umbringt – 6000 Dukaten, wenn es auf venezianischem Gebiet, 4000 Dukaten, wenn es auf ausländischem Boden geschieht.
Die Basilica Santi Giovanni e Paolo auf einem Gemälde des 18. Jahrhunderts
Da waren die Brüder also einen Schritt zu weit gegangen. Nun waren sie seit 1659 auf ewige Zeiten verbannt, enteignet und ihres Adelstitels entkleidet.
Der Weiße Flügel wurde abgerissen, man kannte ja seine fatale Vergangenheit. Und in den Park des Palazzo stellte der Senat eine Säule, ein Denkmal der Schande.
Auf ewige Zeiten verbannt – offenbar ein diskutierbarer Begriff.
Es waren die Jahre der großen Sorgen des Senats, des Großen Rates, des Dogen. Der Niedergang der früheren Seemacht hatte eingesetzt, vor allem von den Osmanen drohte ständige Gefahr. Zypern war längst gefallen, Kreta war bedroht. Venedig brauchte Geld.
Die Brüder Grimani hatten es: Die Ewigkeit dauerte knapp zwei Jahre. Die Gebühr zur Aufhebung ihrer Verbannung belief sich auf 7 350 Dukaten. Dafür bekamen sie Ehre, Titel und Besitzrechte zurück. Im Volksmund heißt so etwas – sagen wir, es war nichts.
Denn nun wurde die Schandsäule geschleift, der geschleifte Flügel schleunigst rekonstruiert, 1661 stand er schon wieder.
1664 ist Giovanni gestorben, am 25. Oktober 1665 der böse Vettor. Pietro, der relativ harmlose der drei, wiewohl auch er ein Mörder, starb erst 1686.
Die Erinnerung an die Calergischen Verbrechen in diesem herrlichen Palazzo ist durch die Jahrhunderte nicht nur verblasst, sondern überdeckt worden. Ab jetzt ist Schluss mit Mord und Totschlag. Die neuen Besitzer, ab 1739 die Familie Vendramin, sollen die Inschrift Non nobis – domine – non nobis an der Fassade anbringen haben lassen, um darauf hinzuweisen, dass sie nichts mit den hier verübten Verbrechen zu tun hätten.
1844 erwarb Maria Carolina, Prinzessin beider Sizilien, Witwe des ermordeten Duc de Berry, des Thronfolgers von Frankreich, den Palazzo. Sie heiratete wieder und bewohnte das Haus mit ihrem Ehemann Graf Ettore Lucchesi-Palli und den Kindern aus beiden Ehen.
Graf Enrico Bardi, Herzog von Parma, war einer der Erben der Ca’ Vendramin. Er vermietete einen Teil des Gartentrakts an einen großen Verehrer der Serenissima – an Richard Wagner. Fünfzehn Räume bewohnte das Genie, von Mitte September 1882 bis zu seinem Tod im Februar 1883.
Der Palazzo Vendramin-Calergi heute: Venedigs Casinò
Seit 1946 ist der Palazzo das winterliche Casinò der Stadt, sommers spielt man im Casinò Municipale di Venezia am Lido. Allfällige Meinungsverschiedenheiten werden sowohl da als auch dort heute anders ausgetragen als zur Zeit der Brüder Calergi.