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Linda Cimetta

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Diese Methode, sich einer Leiche zu entledigen, wie wir sie soeben kennengelernt haben, hat an der Lagune Tradition und ist auch in der Gegenwart lebendig.

Die folgende Begebenheit wurde und wird in der Stadt häufig erzählt, in stets anderer Form. »So war es wirklich!«, hört man, und dann gibt es eine weitere Version. Was tatsächlich geschehen ist, das hat, beruhend auf den Polizeiprotokollen, die Tageszeitung Bellunopress in einem Bericht vom 3. Jänner 2013 endgültig geklärt.

Die Geschichte muss man sich vor dem Hintergrund der frühen Nachkriegszeit vorstellen. Die Lebensbedingungen waren ganz anders als schon wenige Jahre später. In diese Welt des »dritten Manns« gerieten auch viele Städte und Regionen in Italien – Schwarzhandel, Schmuggel, Glücksritterei, ein unsicherer Alltag.

Linda Cimetta kam 1902 in Ceneda zur Welt, einem Teil des Städtchens Vittorio, seit dem Ersten Weltkrieg Vittorio Veneto. Sie heiratete, übersiedelte nach Belluno und betrieb dort mit ihrer Familie das Café Vittoria. Oft fuhr sie nach Venedig, wo sie im Sestiere San Marco eine Freundin hatte, Signora Gaiotti. Über sie kam sie regelmäßig an größere Mengen von amerikanischen Zigaretten, geschmuggelten Zigaretten. In Belluno verkaufte Linda die Zigaretten am Schwarzmarkt. So war es auch diesmal geplant, am 24. April 1947. Die Cimetta versorgte sich mit einem größeren Betrag, 110.000 Lire, und nahm den Zug nach Santa Lucia.

Linda Cimetta kannte nicht nur die Schmuggler, sie hatte auch andere Männerbekanntschaften, denn als Nebengeschäft betrieb sie die Prostitution. So lernte sie Bartolomeo Toma kennen, neununddreißig Jahre alt, aus Brindisi. Er war ein Spieler, weitgehend glücklos. Er hatte schon alles verspielt, was einmal Familienvermögen war, und lebte nun mittellos bei einer Tabakhändlerin, viele Jahre älter als er, Elisa Cudignotto. Sie hatte ihn am Dachboden ihres Hauses in der Calle della Bissa untergebracht.

Linda Cimetta

Linda hatte sich in Venedig angesagt – und erschien nicht. Nach drei Tagen ging die Freundin Gaiotti zur Polizei. Dort hatte man schon seine Erfahrungen, kannte das Umfeld der Cimetta und verhaftete am 1. Mai den Toma. Er leugnete, aber nur kurz. Man fand bei ihm ein Halstuch, rot vom Blut der Linda Cimetta.

Schon am 2. Mai bekannte er die Untat, des Geldes wegen. In seiner Behausung suchte man den Leichnam, aber vergeblich. Toma gab an, er habe ihn in eine Truhe gesteckt und diese im Wasser versenkt.

Für ihn alleine wäre das kaum möglich gewesen, er hätte einen Komplizen gebraucht. Am 4. Mai gestand Toma dessen Namen – Luigi Sardi, Gondoliere, fünfundvierzig Jahre alt, wohnhaft in San Samuele. Dieser sei es auch gewesen, der Linda die tödlichen Wunden zugefügt habe.

Und weil die Leiche in der Truhe nicht gleich Platz fand, musste er ihr die Beine absägen, sagte Toma aus. Doch Sardi leugnete.

Schlussendlich gestand auch er. Die Truhe habe er nach der Tat mit der Gondel in die Nähe der Fondamenta Nove gebracht. Dort gibt es eine Stelle, die von ortskundigen Spaziergängern gemieden wird. Aber das ist eine eigene Geschichte.

Beim Palazzo Contarini dal Zaffo habe er die Truhe versenkt. Dort leben Gespenster, das weiß man. Ein Teil des Renaissancepalastes hatte sich den Ruf erworben, das Casino degli spiriti zu sein, ein Geisterschloss. Man hörte um Mitternacht fröhliches Lachen aus den verlassenen Mauern, konnte Feststimmung erkennen – wiedererstandene Tote schauten aus den Fenstern. Man mauerte die Fenster zu, zuerst eines, dann alle. Der Ruf blieb. Die Furcht wuchs.

Und so bot sich die Stelle für den Abschied von der Truhe geradezu an. Lang blieb sie nicht dort. Am 8. Mai verfing sich das Fischernetz des Luigi Robelli in irgendeinem Hindernis und ließ sich nicht mehr in die Höhe ziehen. Die beiden Söhne des Fischers tauchten in den Kanal, um es freizubekommen, und entdeckten die Truhe. Neugierig und hoffnungsfroh hievten sie sie mit viel Mühe an Land, freuten sich auf einen verborgenen Schatz – und fanden eine zersägte Frauenleiche. Merkwürdigerweise hatten ihr die Täter den Schmuck gelassen, Ohrclips, Ehering, einen Brillanten am Finger.

Am 11. Mai veranstaltete man eine Trauerfeier für die Tote, in der Basilica von Santi Giovanni e Paolo erschienen auch ihr Sohn, die Schwester und die venezianische Freundin. Wohl aus schlechtem Gewissen, wenn das auch nicht notwendig war, folgten der Gondel mit dem Sarg an die einhundert Gondolieri durch die Kanäle zum Bahnhof. Im Familiengrab in Ceneda fand die Ermordete ihre letzte Ruhe.

Im Juni 1947 wurden die beiden Täter zu langen Zuchthausstrafen verurteilt. Vor der Hinrichtung retteten sie die gerade in diesen Wochen geänderten Gesetze, die Abschaffung der Todesstrafe.

Dem Gondoliere Sardi wurde partieller Irrsinn bescheinigt. Er verbrachte viele Jahre in einer Heilanstalt in Reggio Emilia und kam erst 1973 aus dem Irrenhaus. 1980 wurde er wieder straffällig – er hatte ohne jedes Motiv einen Polizisten mit einem Eisenrohr erschlagen. Er plädierte auf Schuldlosigkeit, mit völlig zerrüttetem Geist starb er 1983 in der Zelle.

Mörderisches Venedig

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