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Wer improvisiert, braucht dafür nicht nur Gründe, sondern auch einen Auslöser

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Während technische Abläufe so gestaltet werden, dass eine Störung möglichst zum Stillstand des Geräts oder der Anlage führt (v. Neumann, 1967), bemühen sich lebendige Kommunikations- oder Handlungsprozesse darum, dass sich Störungen, Fehler, Irrtümer oder Missverständnisse harmlos auswirken, sodass der Handlungsprozess nicht völlig zusammenbricht, im Fluss bleibt und damit die ursprünglichen Absichten beziehungsweise initialen Wünsche oder Bedürfnisse weiter verfolgt werden können – wenn auch nicht wie geplant. Unabhängig davon, was die Ursachen dafür gewesen sein mögen, warum ein real erreichter Zustand nicht mit den Erwartungen übereinstimmt, lässt sich zufälliges oder chaotisches Weiterhandeln äusserst selten beobachten, ein Sichdurchwursteln schon eher und häufiger improvisiertes Handeln.

Wenn improvisiertes Handeln nicht Selbstzweck ist – was es im Jazz durchaus sein kann (s. den Beitrag von Kuhn, S. 154) – dann braucht es einen Auslöser. Nehmen wir an, eine Dozentin hat in einer bestimmten, gut geplanten Lehreinheit vorgesehen, dass sie von einer Studentin in wichtigen, ebenfalls geplanten und eingeübten Passagen, unterstützt wird. Nehmen wir nun weiter an, dass die Studentin am Unterrichtstag nicht kommt, weil sie krank ist, aber leider keine Ersatzperson eingeplant war: «Die Stunde verschieben, oder improvisieren?» ist dann die Frage. Wer diese Frage mit improvisierendem Handeln beantwortet, kann durchaus erleben: «Nicht gescheitert bin ich, weil ich improvisierte.» Improvisation ist also mehr als eine Verlegenheitslösung, sondern eine Form von Handlungsvermögen, die durch ein nicht antizipiertes kritisches Ereignis ausgelöst wird und zum Erfolg führen kann. Der Geltungsbereich improvisierenden Handelns beginnt demnach dort, wo ein noch so rational geplanter Vorgang zu seinem vorläufigen Ende gekommen ist und wo relatives Scheitern[6] seinen Ausgang nehmen könnte.

Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle noch, dass wir – für alltägliches oder berufliches Handeln – davon ausgehen, dass nur, wer umfassend geplant beziehungsweise sich gut vorbereitet hat, auch auf sein improvisierendes Handlungsvermögen zurückgreifen kann – ohne Garantieanspruch, wie beim rational-planvollen Vorgehen auch.

Wenn nun sowohl auf den Auslöser beziehungsweise auf die Gründe für das improvisierende Handeln und damit auch auf den Geltungsbereich hingewiesen wurde, kann noch ein Gedanke bezüglich der Konsequenzen geglückter Improvisation angefügt werden. Der geglückten Improvisationserfahrung sollte nicht ein Planungspessimismus folgen; es gilt vielmehr, «unrealistischen Planungsoptimismus» zu überwinden. Nicht nur Märchenfiguren unterliegen dem «Rumpelstilzchen-Effekt»[7]: Auch menschliche Planerinnen und Planer entwerfen technische oder organisatorische Pläne, bei denen meist der jeweils günstigste Verlauf unterstellt wird und Unwägbarkeiten (Friktionen) nicht bedacht werden (Strohschneider & von der Weth, 2002). Dieser Gedanke ist nicht neu. So findet sich in Kants «Prolegomena» (Kant, 1795, S. 4–10) eine wahrlich planungspessimistische und in Vergessenheit geratene Sentenz:

Pläne machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische

Geistesbeschäftigung,

dadurch man sich nie ein Ansehen von schöpferischem Genie gibt,

in dem man fordert, was man selbst nicht leisten kann,

tadelt, was man doch nicht besser machen kann,

und vorschlägt, wovon man selbst nicht weiss, wo es zu finden ist.

Mit allem rechnen (E-Book)

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