Читать книгу Im Eifer deines Dieners - Gernot Gottwals - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеIm Polizeipräsidium hatte der Erkennungsdienst schon alles vorbereitet. Der russische Priester hatte das gesamte Programm zu durchlaufen: Fotos von allen Seiten, Fingerabdrücke, Tonaufnahmen und einen DNA-Abstrich. Wer einmal ins Visier der Fahnder geraten war, der konnte sich den schematischen Ritualen dieser Prozedur nicht entziehen. Gregoriew empfand die sterile Atmosphäre der weißen Büro- und Laborräume im Polizeipräsidium als reinen Alptraum. Er war an andere, an geistliche Rituale in erhabenen und geweihten Hallen gewohnt. Zudem waren die ersten Resultate der Untersuchungen niederschmetternd. Vor allem, was die Sicherung der Körperspuren und den Vergleich der Fotoaufnahmen mit den Beschreibungen der Zeugen betraf.
Im Nebenzimmer wartete bereits Kriminalhauptkommissar Heinz Sawinsky auf die Vernehmung des Tatverdächtigen. Ein großgewachsener und hagerer Mann Mitte fünfzig, der nun als ergraute Eminenz den ebenfalls ergrauten und bärtigen Priester prüfend musterte. Sawinsky war der perfekte Stratege am Schreibtisch: Er verwaltete die Dienst- und Einsatzpläne, organisierte die Großangriffe nach Absprache mit dem Polizeipräsidenten und seinen zugeteilten Beamten. Er stimmte die Großeinsätze mit den Kriminalteams anderer Städte ab und er war auch stets der erste Ansprechpartner für Politik und Presse. Auch Neubürger wie Gregoriew wussten bereits vom Hörensagen: Wenn Sawinsky an einem Verhör persönlich teilnahm, dann hatten sie es bis in die Riege der Hauptverdächtigen geschafft.
„Guten Tag, Herr Gregoriew, mein Name ist Sawinsky. Sie wissen, weshalb Sie hier sind? Herr Pokroff wird Ihnen jetzt noch einmal die genauen Tatvorwürfe und Ihre Rechte vorlesen.“ Was Pokroff prompt umsetzte, wenn auch nur in einer verkürzten Version. Denn so versteinert und teilnahmslos, wie der Priester dasaß, hatte es wenig Sinn, ihn mit juristischen Klauseln zu bombardieren.
Pokroff versuchte danach, in seiner Vernehmung behutsam, aber doch sehr bestimmt nachzuhaken. Was gar nicht einfach war: Welche Fragen sollte er selbst stellen und welche seinem Vorgesetzten überlassen? Wie beim Militär verlangte die Hierarchie der Dienstgerade auch bei der Polizei nach ungeschriebenen Regeln.
„Herr Gregoriew, das hat doch so alles keinen Sinn. Sie sollten uns jetzt ganz genau sagen, wo Sie gestern Abend zur Tatzeit waren und wie sich die ganze Sache zugetragen hat.“ Der Kommissar blickte dem Geistlichen eindringlich ins Gesicht, studierte seine etwas nervöse Miene, die vor dem Hintergrund der schweren Vorwürfe, die man gegen ihn erhob, mittlerweile vergleichsweise gleichgültig wirkte. „Es sieht für Sie leider gar nicht gut aus. Es gibt erste Ergebnisse der Spurensicherung. Man hat Ihre Fingerabdrücke auf einem abgesplitterten Flaschenhals direkt neben der Leiche gefunden. Er muss zu der Flasche gehören, mit der der Direktor erschlagen wurde. Sie hatten ein Motiv, und Ihre Drohungen vom vorherigen Tag können mehrere Zeugen bestätigen.“
„Ich sagte doch bereits, dass ich am Abend in dem Bistro nahe der Galluswarte war und überhaupt nicht mehr in die Nähe des Museums gekommen bin“, versuchte sich Gregoriew zu verteidigen. Sawinsky signalisierte Pokroff mit einem unmissverständlichem Blick, dass er nun die Befragung übernehmen wollte. „Wie Sie verstehen werden, fällt es mir und meinem Kollegen äußerst schwer, die Glaubwürdigkeit eines Geistlichen anzuzweifeln. Wenn aber Ihre Aussagen wahr sind, wie bitte sind dann Ihre Fingerabdrücke auf den Flaschenhals gekommen?“
„Das muss ein Irrtum sein. Vielleicht ist Ihnen ein Fehler unterlaufen. Das kann doch auch der Polizei mal passieren“, meinte Gregoriew ratlos.
Pokroffs Gesicht lief rot an. „Na, das wird ja immer schöner. Uns soll also ein Fehler unterlaufen sein? Ich sage Ihnen mal etwas, Hochwürden. Unsere Kollegen von der Spurensicherung arbeiten routiniert und zuverlässig und sie sind entsprechend ausgerüstet“, insistierte er. „Das sind wir nämlich unseren Steuerzahlern schuldig. So ein grober Fehler kann da gar nicht passieren. Sie müssen also Klotzhofer vor dem Museum getroffen und ziemlich schnell und heftig mit ihm gestritten haben. Das hat auch unsere Zeugin beobachtet. Und dann haben Sie ziemlich bald die Kontrolle über sich verloren. Das kommt ja bei Ihnen wohl öfter mal vor.“
Pokroff erntete einen strengen und warnenden Blick von Sawinsky, denn er war gerade im Begriff, selbst die Kontrolle über sich zu verlieren.
„Glauben Sie mir, ich bin sonst ein ruhiger und entspannter Mensch“, fuhr Gregoriew fort. „Aber so wie manche unseren Glauben und unser religiöses Empfinden mit Füßen treten, muss man sich einfach energisch zur Wehr setzen. Das ist einfach derart abscheulich, wie unsere heiligen Ikonen für den profanen Kapitalismus geopfert werden!“ Gregoriew zitterte, ja bebte förmlich bei diesen Worten, bevor er sich krampfhaft zur Beherrschung zwang.
Pokroff und Sawinsky starrten den Priester verständnislos an. Warum musste er immerzu seine Gefühle mit Staatsund Religionstheorien vermischen?
„Aber das hat mit dem Tod von Klotzhofer nicht das Geringste zu tun. Gut, ich wollte den Direktor in der Tat noch mal treffen und für den Skandal mit den Ikonen zur Rede stellen.“ Gregoriew steigerte sich in seine diffuse Verteidigungsrede hinein, seine Gesichtszüge wurden für einen Moment unruhig. Doch dann fasste er sich wieder, blickte unsicher an die Decke. „Aber dann ist mir der Termin mit dem Mädchen dazwischengekommen. Diese Angelegenheit hatte natürlich Vorrang. Ich bin schließlich Seelsorger.“ Der innere Kampf zwischen einem Eiferer des Herrn und einem guten und zuverlässigen Hirten, der das Vertrauen seiner Schäfchen auf sich zieht, schien in eine Sackgasse zu führen. Nun half nur noch ein strenger und stoischer Gesichtsausdruck.
„Das arme unbekannte Mädchen, das Ihnen im günstigsten Fall sogar noch so etwas wie ein Alibi verschaffen könnte. Aber Sie wollen uns ja noch nicht einmal ihren Namen nennen. Oder etwa doch?“ Pokroff wollte dem eisernen Priester noch eine letzte Chance geben.
„Nein. Und ich habe Ihnen auch erklärt, warum.“
„Nein, das haben Sie nicht. Warum ist denn das Mädchen in so schrecklicher Gefahr?“
„Das hängt mit ihrem Aufenthalt zusammen. Mit ihrem Visum, das bald abläuft. Ich musste sie trösten und ihr helfen, eine Beraterin suchen. Aber ich kann Ihnen die Identität des Mädchens wirklich nicht preisgeben. Wir helfen den Mädchen mit unserer Gemeinde und einer externen Beraterin. Aber alles muss absolut diskret bleiben.“
„Und wie heißt die Beraterin?“, hakte Pokroff noch einmal nach.
„Für sie gilt das gleiche. Sie ist eine Vertrauensfrau und hat bis vor kurzem in der Ausländerbehörde in Höchst gearbeitet. Sie kennt sich mit der Genehmigung von Aufenthalten und der Verlängerung von Visa bestens aus. Ich habe sie nur aus einem Verzeichnis herausgesucht und ein allererstes Telefongespräch geführt. Für den direkten Kontakt sind unser Sekretariat und unser Gemeindevorstand zuständig.“
Der Kommissar war mit seiner Geduld am Ende. Er hatte keine Lust mehr, sich diese Erklärungen noch länger anzuhören. „Also, jetzt hören Sie aber auf. Es gibt diese Beraterin ebenso wenig wie das arme und angeblich so hilfsbedürftige Mädchen. Das haben Sie sich doch alles nur ausgedacht. Sie haben Klotzhofer vor dem Museum abgepasst und wieder laut mit ihm über diese Bilder gestritten. Aber Klotzhofer ist stur geblieben, weil Sie ihm angesichts der fachmännischen Gutachten auch gar nichts anlasten können. Im Hinterhof in der Ludwigstraße ist Ihnen der Geduldsfaden gerissen, und Sie haben nach der Flasche gegriffen. Stimmt’s oder hab ich Recht?“ Noch bevor der verstörte Priester antworten konnte, sah der Hauptkommissar seinen Moment gekommen, auf die Diplomatie zu setzen. „Herr Gregoriew, wenn Sie sich geständig und kooperativ zeigen und sich der Fall so zugetragen hat, wie es Herr Pokroff zu Recht vermutet, dann haben Sie gute Chancen, dass Ihre Tat als Totschlag im Affekt beurteilt wird“, versuchte sich Sawinsky einzuschalten. „Dann können Sie nach ein paar Jahren wieder draußen sein. Aber wenn Sie stur und abweisend bleiben, geben Sie eher das Bild eines kalten und uneinsichtigen Mörders ab. Und dann wird der Staatsanwalt auf lebenslänglich plädieren.“
„Ich war nicht am Museum. Glauben Sie mir bitte, ich war wirklich nicht dort.“ Nun sah der Priester den Kommissar und den Staatsanwalt doch mit einer um Verständnis flehenden Miene an. „Es kommt mir nicht auf meine Person an, selbst wenn Sie mich für einige Zeit einsperren. Aber in der Gemeinde werde ich doch gebraucht, weil ich einigen Menschen dringend helfen muss.“
„Ich glaube eher, dass Ihnen langsam nicht mehr zu helfen ist“, entgegnete Pokroff scharf. „Aber mal ganz unabhängig davon: Was ist nun eigentlich so schlimm daran, diese Ikonen hier auszustellen, wenn sie im Heimatland keine Verwendung mehr finden?“
„Das stimmt so nicht. Diese Ikonen sind damals unter Lenin und Stalin geraubt worden. Doch manche der Kirchen, in die sie einst gehörten, stehen noch immer oder wieder nach erfolgreicher Rekonstruktion. Denen muss man sie zurückgeben. Oder es gibt andere Kirchen, die sich freuen würden, weil man dort kein Geld hat, um Ikonen zu restaurieren oder neue in Auftrag zu geben. Doch stattdessen präsentiert man diese wichtigen Zeugnisse christlichen Glaubens hier wie Luxusgüter, um damit Geld zu machen. Jeder Respekt vor unserer Religion und Kultur geht dabei verloren. Unser christliches orthodoxes Erbe wird regelrecht mit den Füßen getreten. So etwas darf einfach nicht sein.“
„Darüber kann man wohl verschiedener Ansicht sein. Aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, leitende Direktoren in der Öffentlichkeit zu beschimpfen und anzudrohen, spätabends mit ihnen abzurechnen. Das haben nun gleich mehrere Mitarbeiter des Museums mitbekommen. Sie haben also ein Motiv. Und für den Abend stehen neben den Fingerabdrücken zwei weitere Zeugen gegen Sie, die Sie am oder in der Nähe des Tatortes gesehen haben.“ Pokroff blickte hinüber zu Sawinsky, der zustimmend und bestärkend nickte.
Gregoriew zuckte verständnislos mit den Achseln. Derweil schaute Pokroff auf das Display seines Handys: Dort war gerade eine SMS seiner Kollegin Christiane Bechstein eingegangen. Eine Nachricht, die einen weiteren Zeugen ankündigte, der den unglückseligen Priester nun noch zusätzlich belastete.
„Meine Kollegin konnte den Pförtner Riestermann inzwischen bei sich zuhause antreffen. Der hat natürlich frei, da er gestern Nachtdienst hatte. Aber auch Riestermann kann sich genau an Sie erinnern. Er hat Sie mehrere Minuten auf der Straße vor dem Museum beobachtet, während er darauf wartete, dass Klotzhofer aus seinem Büro herunterkam, um sich mit Ihnen zu treffen. Was haben Sie dazu zu sagen?“ Klotzhofer hoffte, den Priester nun endlich aus der Reserve locken zu können.
„Ich bin an diesem Abend überhaupt nicht in die Nähe des Museums gekommen, wie oft soll ich das noch sagen. So glauben Sie mir doch bitte. Abgesehen davon kenne ich die dortigen Pförtner von meinen wenigen vorherigen Besuchen so gut wie nicht. Und schon gar nicht namentlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von denen mich so gut in Erinnerung hat, dass er mich erkennen würde, wenn ich denn tatsächlich dort gewesen wäre. Schon deshalb muss hier ein Irrtum vorliegen.“ Gregoriew glaubte, einen rettenden Strohhalm gefunden zu haben. Ein Pförtner, der ihn tagsüber gerade mal ein paar Sekunden lang gesehen hatte, schien unglaubwürdig, wenn er behauptete, ihn bei Nacht und Nebel identifizieren zu können.
„Hören Sie auf, Sie verstricken sich immer tiefer in Widersprüche. Wir werden bis morgen versuchen, eine Gegenüberstellung zu organisieren. Da sie aber offenbar kein Alibi und erst recht keinen Entlastungszeugen aufbieten können, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie vorläufig festzunehmen. Sie werden bald dem Haftrichter vorgeführt. Aber der wird die Sache vermutlich genauso sehen wie ich auch.“
Gregoriew blickte die beiden Kommissare ratlos an. „Gut, aber bis dahin darf ich mir doch wenigstens einen Anwalt besorgen, nicht wahr?“
„Dieses Recht steht Ihnen selbstverständlich jederzeit zu.“
Als Gregoriew abgeführt wurde, blickte er sich nur noch einmal kurz um und nahm seinen Mut zusammen. „Ich bin sicher, Herr Kommissar, dass sich das alles bald aufklären wird. Ich bin unschuldig.“ Dann schwieg er. Der Termin beim Haftrichter am Nachmittag des folgenden Tages war so gut wie vorgezeichnet. Der Richter würde sich die verhaltenen Erklärungen und Unschuldsbeteuerungen des Priesters einige Zeit lang anhören, um dann aber erwartungsgemäß die Entscheidung des Hauptkommissars zu bestätigen. Der russische Anwalt der Gemeinde, den Gregoriew zwischenzeitlich aus seiner Kanzlei am Liebfrauenberg bestellen konnte, musste angesichts der fatalistischen Haltung seines Mandanten mit jeglicher Verteidigungsstrategie scheitern. Was auch tatsächlich so kommen sollte. Die Beweislage gegen seinen Mandanten schien einfach zu erdrückend.