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ZUFLUCHT NEHMEN

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Bevor wir uns hinsetzen und mit der Sadhana beginnen,­ sollten wir das Zimmer putzen und einen Altar mit Darstellungen von Buddhas Körper, Rede und Geist errichten. Insbesondere sollten wir Bilder von unserem spirituellen Meister, Eroberer Vajradhara, Buddha Shakyamuni und Je Tsongkhapa aufstellen. Vor diesen sollten wir mindestens eine Reihe von Darbringungen einschließlich vier Schalen Wasser anordnen. Diese werden später erklärt. Dann sollten wir uns in bequemer Haltung auf ein Meditationskissen oder einen Stuhl setzen und mit der Sadhana beginnen.

Zu Beginn sollten wir sicherstellen, dass unser Geist ruhig, friedvoll und frei von begrifflichen Ablenkungen ist. Je Tsongkhapa schrieb einst einen Text, in dem er tibetischen Meditierenden eine Reihe von Fragen stellte. Später schrieb der erste Panchen Lama Antworten auf diese Fragen. Eine von Je Tsongkhapas Fragen lautete: «Was ist das Wichtigste zu Beginn einer Meditationssitzung?» Der Panchen Lama antwortete, dass wir damit beginnen sollten, unseren Geist zu untersuchen. Manchmal wird allein schon die gewissenhafte Untersuchung unseres Geistes unsere Ablenkungen befrieden. Zu Beginn ist unser Geist sehr auf äußere Phänomene gerichtet und wir sind mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigt. Richten wir unsere Aufmerksamkeit aber nach innen, um unseren Geist zu untersuchen, so ist es möglich, dass diese begrifflichen Ablenkungen aufhören.

Wir sollten eine Weile ruhig dasitzen und beobachten, welche Geistesarten auftauchen. Sind es reine, tugendhafte Geistesarten, dann können wir gleich mit der Sadhana beginnen. Sind es jedoch nichttugendhafte oder weltliche Geistesarten, dann sollten wir zuerst Atemmeditation üben, um sie zu beseitigen. Alle Geistesarten hängen von inneren Winden ab. Reine Geistesarten hängen von reinen Winden ab und unreine Geistesarten von unreinen Winden. Beseitigen wir unsere unreinen Winde, so befrieden wir ganz natürlich unsere unreinen begrifflichen Geistesarten und erzeugen wir danach reine innere Winde, so erzeugen wir ganz natürlich reine Geistesarten. Deshalb beginnen wir damit, uns vorzustellen, dass alle unsere unreinen Geistesarten und unreinen Winde die Form von dunklem, schwarzem Rauch annehmen. Mit dem starken Wunsch, sie zu überwinden, atmen wir sanft durch unsere Nasenlöcher aus. Dabei stellen wir uns vor, dass all dieser schwarze Rauch aus der Tiefe unserer Lunge aufsteigt, durch unsere Nasenlöcher austritt und in den Raum verschwindet. Wir fühlen uns innerlich vollkommen gereinigt. Nun atmen wir langsam ein und stellen uns vor, dass wir alle Segnungen der Buddhas und Bodhisattvas in Form von reinem, weißem Licht einatmen. Dieses weiße Licht erfüllt unseren Körper und Geist und wir fühlen uns vollkommen rein. Wir wiederholen dies zweimal, dreimal oder öfter, bis unser Geist rein, glücklich und einsgerichtet ist und die begrifflichen Ablenkungen vollständig befriedet sind.

Wir üben die Atemmeditation zu Beginn einer Sadhana, um unreine Geistesarten zu überwinden und unseren Geist in einen neutralen Zustand zu versetzen. Ausgehend von diesem neutralen Zustand können wir dann mühelos einen tugendhaften Geisteszustand erzeugen. Wenn wir nicht zuerst unsere unreinen begrifflichen Geistesarten befrieden, wird es uns sehr schwerfallen, reine Geistesarten zu erzeugen. Wollen wir zum Beispiel einen farbigen Stoff färben, wird es schwierig sein, die gewünschte Färbung zu erreichen, wenn wir den Stoff nicht vorher bleichen. Unseren Geist durch Atemmeditation zu befrieden ist dasselbe wie einen Stoff zu bleichen. Atemmeditation ist sehr hilfreich, wenn wir sie in dieser Weise als Vorbereitung für eher praktische Arten der Meditation nutzen, doch wenn wir die Atemmeditation zu unserer Hauptpraxis machen, werden wir keine anhaltenden Ergebnisse erzielen. Es mag sein, dass wir vorübergehend unseren Geist befrieden und ein gewisses Maß an innerem Frieden erlangen. Doch üben wir anschließend keine der praktischen Meditationen über die Stufen des Pfades wie die Meditationen über Entsagung, Mitgefühl, Bodhichitta oder Leerheit, so werden wir nie irgendwelche anhaltenden Veränderungen in unserem Geist hervorbringen, sondern gewöhnliche Wesen bleiben, die ständig anfällig für Leiden sind.

Sobald wir unseren Geist in einen ruhigen und neutralen Zustand versetzt haben, müssen wir einen besonders tugendhaften Geisteszustand erzeugen. Dies geschieht in Verbindung mit dem ersten Vers der Sadhana:

Mit einem vollkommen reinen Geist großer Tugend

Nehmen ich und alle fühlenden Mutterwesen so unermesslich wie der Raum

Von jetzt an, bis wir die Essenz der Erleuchtung erlangen,

Zuflucht zum Guru und den Drei kostbaren Juwelen.

Dieser Vers enthüllt die Ursachen der Zufluchtnahme, die Art und Weise der Zufluchtnahme und die Zufluchtsobjekte. Die Ursachen der Zufluchtnahme werden in der ersten Zeile aufgezeigt. Im Allgemeinen sind dies Entsagung, großes Mitgefühl und Vertrauen in den Guru und die Drei Juwelen. Da Darbringung an den spirituellen Meister eine Praxis des Höchsten Yoga Tantra ist, ist es besonders wichtig, die zweite Ursache zu betonen, großes Mitgefühl.

Wir beginnen damit, kurz den Geist der Entsagung zu erzeugen, indem wir uns an die Fehler Samsaras erinnern. Wir müssen fest davon überzeugt sein, dass die sogenannten Vergnügen Samsaras durch und durch täuschend sind und letztendlich nur zu noch mehr Leiden führen. Fällt uns das schwer, dann sollten wir kurz über den Tod nachdenken. Ganz gleich wie viele vorübergehende Freuden wir in diesem Leben erfahren, früher oder später müssen wir sterben. Zu jener Zeit sind all die Freuden dieses Lebens bedeutungslos, sie werden nur vage Erinnerungen sein, wie ein schöner Traum, der vorbei ist. Das Einzige, was zum Zeitpunkt des Todes übrigbleibt, sind die Folgen unserer eigenen Handlungen. Und das Einzige, was wir mitnehmen können, sind diese karmischen Prägungen. Haben wir dieses Leben dazu genutzt, tugendhaftes Karma zu erschaffen, so werden wir im nächsten Leben Glück erfahren. Haben wir aber negatives Karma erschaffen, werden wir Leiden erfahren müssen, da wir in einem der niederen Bereiche wiedergeboren werden. Außerdem werden wir, falls wir nicht in diesem Leben Befreiung erlangen, weiterhin unkontrolliert in Samsara wiedergeboren, wo es kein wahres Glück, sondern nur Leiden und Unzufriedenheit gibt. Darüber sollten wir nachdenken und versuchen, Furcht vor den Leiden Samsaras im Allgemeinen und den niederen Bereichen im Besonderen zu erzeugen. In dieser Weise erzeugen wir einen Geist der Entsagung.

Wir entwickeln Entsagung, indem wir über unser eigenes Leiden nachdenken. Richten wir dann unsere Aufmerk­samkeit auf das Leiden der anderen, so entwickeln wir ganz natürlich Mitgefühl. Wir sollten denken:

Ich bin nur einer, andere aber sind zahllos. Alle diese unzähligen Lebewesen waren in früheren Leben meine gütigen Mütter. Sie alle sind in diesem Teufelskreis aus unkontrolliertem Tod und Wiedergeburt gefangen und erfahren Leiden, Leben für Leben.

Wir denken in dieser Weise nach, bis wir das Leiden anderer nicht länger ertragen können. Dann fassen wir den festen Entschluss, alles zu tun, was getan werden muss, um sie von ihrem Leiden zu befreien. Dies ist der Geist des großen Mitgefühls.

Ohne diese Motivation aufzugeben, überlegen wir dann, wie wir fühlende Mutterwesen von ihren Leiden befreien können. Wir erkennen, dass nur der Guru und die Drei Juwelen die Kraft haben, uns zu beschützen. In dieser Weise erzeugen wir den Geist des Vertrauens, die dritte Ursache der Zufluchtnahme.

Im Urtext heißt es «Mit einem vollkommen reinen Geist großer Tugend». Hier bezieht sich «Geist großer Tugend» in erster Linie auf die Motivation des großen Mitgefühls, verbunden mit dem Vertrauen in den Guru und die Drei Juwelen. Die Worte «vollkommen rein» weisen darauf hin, dass diese Motivation frei von Festhalten am Selbst und Selbstwertschätzung ist. Alle tugendhaften Geistesarten und tugendhaften Handlungen sind in gewissem Maße rein. Vollkommen rein aber sind sie nur dann, wenn sie völlig frei von Verunreinigung durch das Festhalten am Selbst und Selbstwertschätzung sind. Buddha sagte, uns mit einem Geist in Tugend zu üben, der durch das Festhalten am Selbst oder Selbstwertschätzung verunreinigt ist, ist wie eine köstliche Speise zu essen, die mit Gift versetzt wurde. Würden wir eine solche Speise essen, so wäre das anfänglich eine angenehme Erfahrung, die aber bald von Leiden abgelöst würde, sobald das Gift zu wirken beginnt. In gleicher Weise ist die Auswirkung von verunreinigter Tugend eine Wiedergeburt als Mensch oder Gott in einem der höheren Bereiche Samsaras und obwohl die anfängliche Auswirkung glücklich ist, ist die langfristige Auswirkung all das Leiden und Elend einer erneuten Wiedergeburt in Samsara. Dieser Punkt wird von Chandrakirti im zweiten Kapitel des Leitfaden zum Mittleren Weg erklärt.

Die nächsten beiden Zeilen des Urtextes enthüllen, wie wir Zuflucht nehmen. Wir nehmen nicht nur Zuflucht, weil wir uns selbst schützen wollen, sondern um alle fühlenden Wesen von ihrem Leiden zu befreien. Wir stellen uns vor, dass wir von allen fühlenden Mutterwesen umgeben sind, einer riesigen Versammlung so weit wie der Raum, und führen sie dann in die Praxis der Zufluchtnahme. Weil es glückverheißend ist, stellen wir uns vor, dass alle diese Wesen eine menschliche Form haben. Wir erinnern uns jedoch mit Mitgefühl daran, dass in Wirklichkeit jedes von ihnen immer noch die Leiden seines jeweiligen Bereichs erlebt. Außerdem nehmen wir kontinuierlich Zuflucht, nicht nur für kurze Zeit, sondern bis wir und alle anderen Lebewesen die Essenz der großen Erleuchtung erlangt haben. Indem wir so denken, werden wir unsere Praxis der Zufluchtnahme vertiefen. Andernfalls werden wir vielleicht nur an Zuflucht denken, wenn wir in offensichtlichen Schwierigkeiten sind, uns in guten Zeiten aber von Selbstgefälligkeit überwältigen lassen und nichts dagegen tun, dass unsere Zuflucht degeneriert.

Die letzte Zeile dieses Verses enthüllt die Zufluchtsobjekte, den Guru und die Drei Juwelen. In Darbringung an den spirituellen Meister ist das Hauptzufluchtsobjekt Je Tsongkhapa, die Vereinigung von drei heiligen Wesen, oder Lama Losang Tubwang Dorjechang. Deshalb visualisieren wir in dieser Sadhana unseren spirituellen Meister als Je Tsongkhapa, mit Buddha Shakyamuni in seinem Herzen und Eroberer Vajradhara in dessen Herzen. Warum machen wir das? Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Erstens brauchen wir eine allgemeine Visualisierung unseres spirituellen Meisters. Es ist möglich, dass ein Praktizierender mehrere spirituelle Meister hat. Hätten wir keine allgemeine Visualisierung, so bräuchten wir für jeden spirituellen Meister einen eigenen Guru Yoga. Das würde jedoch zeigen, dass wir die Natur des Gurus völlig missverstanden haben. Wenn wir eine allgemeine Visualisierung haben, müssen wir uns außerdem bei einer Guru Yoga Gruppenpraxis nicht entscheiden, wessen Guru wir visualisieren sollen, da wir alle unseren spirituellen Meister als Lama Losang Tubwang Dorjechang visualisieren.

Zweitens visualisieren wir unseren spirituellen Meister als Lama Losang Tubwang Dorjechang, weil es wesentlich ist, unseren Wurzelguru als von der gleichen Natur wie alle Buddhas zu betrachten, wenn wir tantrische Verwirklichungen erlangen möchten. Wenn wir Lama Losang Tubwang Dorjechang visualisieren, denken wir nicht, dass sich vier verschiedene Wesen vor uns befinden – unser spiritueller Meister, Je Tsongkhapa, Buddha Shakyamuni und Eroberer Vajradhara –, sondern nur ein Wesen, das vier verschiedene Aspekte hat. In Wirklichkeit haben sie alle die gleiche Natur. Eroberer Vajradhara ist Buddhas subtiler Freudenkörper. Er erscheint nur hochverwirklichten Bodhisattvas direkt, denen er tantrische Unterweisungen gibt. Um den weniger vom Glück Begünstigen helfen zu können, manifestierte Eroberer Vajradhara eine besser sichtbare Form als Buddha Shakyamuni, der ein Aspekt des Emanationskörpers ist. Buddha Shakyamuni gab unzähligen Wesen dieser Welt umfassende Sutra Unterweisungen. Es gibt zwei Arten von Emanationskörpern, einen erhabenen Emanationskörper und einen Emanationskörper, der als gewöhnliches Wesen erscheint. Buddha Shakyamuni ist ein erhabener Emanationskörper. Zwar konnten ihn gewöhnliche Wesen sehen und Unterweisungen von ihm erhalten, doch dazu brauchten sie außerordentliches Glück. Verglichen mit den Wesen in diesen unreinen Zeiten waren diejenigen sehr vom Glück begünstigt, die im goldenen Zeitalter geboren wurden, als Buddha Shakyamuni tatsächlich lehrte. Als die Zeiten immer unreiner wurden und das Glück fühlender Wesen abnahm, musste Buddha Shakyamuni eine andere Form als Emanationskörper manifestieren, die als gewöhnliches Wesen erschien. Dies tat er, indem er sich als Je Tsongkhapa manifestierte. Deshalb erschien Je Tsongkhapa zwar in einer gewöhnlichen Form als tibetischer Mönch, doch wir können sicher sein, dass er in Wirklichkeit die gleiche Natur ist wie Buddha Shakyamuni, der selbst die gleiche Natur ist wie Eroberer Vajradhara. Tatsächlich wird Je Tsongkhapa oft als «zweiter Eroberer» bezeichnet. Später, als die Zeiten noch unreiner wurden, manifestierte sich Je Tsongkhapa wieder als gewöhnliches Wesen, dieses Mal im Aspekt unseres spirituellen Meisters.

Wenn wir so denken, werden wir keine Schwierigkeiten haben, Lama Losang Tubwang Dorjechang als ein Wesen mit vier verschiedenen Aspekten zu betrachten. Jedes Mal wenn wir unseren spirituellen Meister sehen, werden wir ihn sofort als Eroberer Vajradhara, Buddha Shakyamuni und Je Tsongkhapa erkennen. Und jedes Mal wenn wir an Eroberer Vajradhara, Buddha Shakyamuni oder Je Tsongkhapa denken, werden wir sofort an unseren spirituellen Meister denken. Dies ist eine sehr tiefgründige Erfahrung. Wenn wir sie erlangen, werden wir leicht die Erfahrungen großer Praktizierender wie Naropa und Milarepa verstehen und keinerlei Schwierigkeiten haben, Verwirklichungen des Höchsten Yoga Tantra zu erlangen.

Wie visualisieren wir die Zufluchtsobjekte? Im Raume vor uns visualisieren wir einen riesigen juwelenbesetzten Thron, gestützt von acht Schneelöwen. In dessen Mitte befindet sich ein viel kleinerer Thron von der gleichen Art. Auf diesem Thron, auf einem Sitz aus Lotos, Mond und Sonne, visualisieren wir unseren Wurzelguru im Aspekt Lama Losang Tubwang Dorjechangs. Er ist im Aspekt eines vollordinierten Mönchs und trägt den goldenen Hut eines Pandits. Seine rechte Hand ist in der Mudra des Dharmalehrens und seine linke Hand, in der Mudra meditativen Gleichgewichts, hält eine mit drei Nektaren gefüllte juwelenbesetzte Schale. Zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand hält er den Stiel einer Upala Blume, die auf der Höhe seines rechten Ohrs erblüht. Darauf steht ein flammendes Weisheitsschwert, ähnlich dem, das Manjushri hält. Seine linke Hand hält den Stiel einer Upala Blume, die auf der Höhe seines linken Ohrs erblüht. Darauf ruht die Kadam Emanationsschrift.

Die Handmudras von Lama Losang Tubwang Dorjechang haben große Bedeutung. Seine linke Hand symbolisiert, dass sich sein Geist, der Wahrheitskörper, niemals aus dem meditativen Gleichgewicht bewegt, sondern immer mit Leerheit vermischt bleibt, so wie Wasser, das mit Wasser vermischt ist. Seine rechte Hand weist darauf hin, dass er Handlungen der nachfolgenden Erlangung wie das Geben von Dharma Unterweisungen vollbringen kann, ohne sich aus der Meditation über Leerheit zu erheben. Dies ist eine einzigartige Eigenschaft von Buddhas. Selbst hoch­verwirklichte Bodhisattvas können keine Handlungen der nachfolgenden Erlangung vollbringen, während sie im meditativen Gleichgewicht sind. Wenn sie in Meditation sind und endgültige Wahrheit, Leerheit, ihrem Geist direkt erscheint, können sie keine konventionellen Wahrheiten erkennen und deshalb keine Handlungen vollbringen wie Unter­weisungen zu geben. Auf der anderen Seite erscheint Leerheit ihrem Geist nicht länger direkt, sobald sie sich aus der Meditation erheben und konventionelle Wahrheiten direkt erkennen. Buddhas dagegen können beide Wahrheiten gleichzeitig erkennen, weil sie die Vorstellung, die die zwei Wahrheiten für unterschiedliche Wesenheiten hält, vollständig aufgegeben haben. Ihr Geist verwirklicht direkt und gleichzeitig alle Objekte des Wissens. Deshalb können sie mit anderen sprechen und ihnen Unterweisungen geben, ohne dass ihr Geist den Zustand der einsgerichteten Versenkung in Leerheit aufgibt.

Lama Losang Tubwang Dorjechangs Mudras haben auch andere Bedeutungen. Seine rechte Hand weist darauf hin, dass wir zuerst Dharma Unterweisungen hören und über ihre Bedeutung nachdenken sollten. Und seine linke Hand weist darauf hin, dass wir dann über die Bedeutungen meditieren sollten, die wir verstanden haben. In dieser Weise werden wir von den vier Maras befreit. Die Freiheit vom Mara der Verblendungen, vom Mara der verunreinigten Anhäufungen und vom Mara des unkontrollierten Todes wird durch die drei Nektare in der juwelenbesetzten Schale symbolisiert, die er in seiner linken Hand hält. Die Freiheit von den Devaputra Maras wird durch die Mudra des meditativen Gleichgewichts selbst symbolisiert. So weisen diese Mudras sowohl darauf hin, dass Lama Losang Tubwang Dorjechang frei von den vier Maras ist, als auch darauf, dass wir selbst diese Freiheit erlangen können, wenn wir uns auf ihn verlassen.

In jeder der vier Himmelsrichtungen rund um Lama Losang Tubwang Dorjechang ist ein weiterer Thron. Auf dem Thron zu seiner Rechten sitzt Maitreya, umgeben von allen Gurus der Überlieferungslinie der Stufen des weiten Pfades wie Asanga und Vasubandhu. Auf dem Thron zu seiner Linken sitzt Manjushri, umgeben von allen Gurus der Überlieferungslinie der Stufen des tiefgründigen Pfades wie Nagarjuna und Chandrakirti. Auf dem Thron hinter ihm sitzt Eroberer Vajradhara, umgeben von allen Gurus der Überlieferungslinie des Geheimen Mantra wie Tilopa und Naropa. Und auf dem Thron vor ihm sitzt unser gegenwärtiger Wurzelguru in seinem üblichen Aspekt, umgeben von allen anderen spirituellen Meistern, von denen wir in diesem Leben Unterweisungen erhalten haben und die derselben Überlieferungslinie angehören und dieselbe Sicht teilen wie unser Wurzelguru. Oberhalb von Lama Losang Tubwang Dorjechang sind alle Gurus der Überlieferungslinie des Vajrayana Mahamudra, einer über dem anderen sitzend. Ganz oben ist Eroberer Vajradhara und unter ihm erscheinen alle anderen Liniengurus im Aspekt von Manjushri. Rund um diese fünf Gruppen von Gurus sind alle anderen Zufluchtsobjekte: die Gottheiten der vier Klassen des Tantra, Buddhas, Bodhisattvas, Hörer Emanationen, Alleinige Eroberer Emanationen, Helden, Heldinnen und Dharma Beschützer.

In dieser Visualisierung sind Lama Losang Tubwang Dorjechang, die fünf Gruppen der Liniengurus, die tantrischen Gottheiten und die Sutra Buddhas die Buddha Juwelen und die Bodhisattvas, Hörer Emanationen, Alleinige Eroberer Emanationen, Helden, Heldinnen und Dharma Beschützer die Sangha Juwelen. Das Geisteskontinuum jedes dieser Wesen hat besondere Verwirklichungen wie die direkte Verwirklichung der Leerheit sowie die dauerhaften Beendigungen von Verblendungen, Leiden, Samsara und wahrer Erscheinung. Alle diese Verwirklichungen und wahren Beendigungen sind Dharma Juwelen.

Anfangs sollten wir nicht versuchen alle Zufluchtsobjekte klar zu visualisieren, sondern mit einem groben geistigen Bild von ihnen zufrieden sein. Versuchen wir es zu sehr, wird wahrscheinlich gar kein Bild erscheinen. Wenn wir heilige Wesen visualisieren, ist die feste Überzeugung, dass sie in subtilen Formen tatsächlich im Raume vor uns erscheinen, das Wichtigste.

Haben wir die Ursachen der Zufluchtnahme erzeugt, die Art der Zufluchtnahme verstanden und die Zufluchtsobjekte visualisiert, dann können wir tatsächlich Zuflucht nehmen, indem wir das Zufluchtsgebet dreimal oder öfter rezitieren, während wir über seine Bedeutung nachdenken. In der Sadhana ist das Zufluchtsgebet auf Sanskrit:

Namo Gurubhä

Namo Buddhaya

Namo Dharmaya

Namo Sanghaya

Das bedeutet: «Ich nehme Zuflucht zu den Gurus. Ich nehme Zuflucht zu den Buddhas. Ich nehme Zuflucht zu den Dharmas. Ich nehme Zuflucht zu den Sanghas». Tibeter rezitieren dieses Gebet oft auf Sanskrit, denn es waren die allerersten Worte des Dharma, die in Tibet gesprochen wurden, und es erinnert sie an die Güte der ursprünglichen indischen Pandits, die den Dharma in ihr Land brachten. Es gab eine Zeit, zu der es in Tibet noch nicht einmal den Klang des Dharma gab. Dann lud der tibetische König Trisong Detsen Padmasambhava und Shantarakshita aus Indien ein, um die Tibeter den Dharma zu lehren. Sie begannen, indem sie versuchten den Tibetern dieses Zufluchtsgebet auf Sanskrit beizubringen. Die Tibeter hatten vorher nie Sanskrit gehört und so machte ihnen die richtige Aussprache anfangs große Mühe, ebenso wie westliche Praktizierende gegenwärtig Schwierigkeiten haben, das Tibetische auszusprechen. Schließlich meisterten sie das Gebet und bis heute schätzen die Tibeter diese kostbaren Worte des Dharma.

In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass Sanskrit lange Zeit wichtiger war als Tibetisch, da es die Sprache war, in der Buddha gelehrt hatte und in der die ursprünglichen Schriften verfasst waren. Mit der Zeit wurden jedoch alle Schriften aus dem Sanskrit ins Tibetische übersetzt. Die Tibeter gingen bei diesen Übersetzungen sehr sorgfältig vor, zogen auf jeder Stufe indische Gelehrte zurate und übersetzten die Texte aus dem Tibetischen zurück ins Sanskrit, um ihre Echtheit zu überprüfen. Schließlich hatten sie über hundert Bände der Lehren Buddhas und mehr als zweihundert Bände unterschiedlicher Kommentare zu diesen Lehren gesammelt und ins Tibetische übersetzt. Diese beiden Sammlungen sind als Kangyur beziehungsweise Tengyur bekannt. Später gingen viele der ursprünglichen Sanskrit Schriften für immer verloren, sodass es die einzige vollständige Sammlung der Schriften heutzutage nur auf Tibetisch gibt. Sollten die tibetischen Schriften verloren gehen, so wird es in dieser Welt keine vollständige Sammlung von Dharma Texten mehr geben. Zudem wurde das reine Sanskrit, in dem die Unterweisungen ursprünglich gegeben wurden, allmählich mit umgangssprachlichen Einflüssen vermischt, sodass es heute nur noch unreine Formen des Sanskrit gibt. Die tibetische Schriftsprache entging jedoch dieser Degeneration. Deshalb kann aus der Sicht des Dharma zu Recht behauptet werden, dass Tibetisch heute wichtiger ist als Sanskrit.

Wie bereits erwähnt ist Darbringung an den spirituellen Meister eine vorbereitende Übung für Vajrayana Mahamudra und wurde in erster Linie als Methode für die Praxis der vierten großen hinführenden Vorbereitung des Guru Yoga zusammengestellt. Wenn wir möchten, können wir aber auch alle vier großen hinführenden Vorbereitungen mit dieser Sadhana ansammeln. In diesem Fall sollten wir an dieser Stelle die erste große hinführende Vorbereitung der Zufluchtnahme ansammeln. Wie das getan wird, wird in den Büchern Freudvoller Weg und Führer ins Dakiniland erklärt. Beide Bücher beinhalten auch eine umfassende Erläuterung der Praxis der Zufluchtnahme.

Große Schatzkammer der Verdienste

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