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DIE KRAFT DES BEDAUERNS
ОглавлениеDer erste Schritt zur Reinigung der Auswirkungen unserer negativen Handlungen besteht darin, sich einzugestehen, daß sie wirklich negativ und schädlich waren. Dieses aufrichtige Eingeständnis der Fehler, die wir sowohl uns selbst gegenüber als auch gegenüber anderen begangen haben, erlaubt es, den Vernichtungsprozeß dieser Negativität zu beginnen. Somit ist es zu Beginn notwendig, starkes Bedauern für die schädlichen Handlungen zu entwickeln, die unter dem Einfluß eines verblendeten Geisteszustandes begangen wurden. Im folgenden längeren Abschnitt aus dem Leitfaden nimmt Shantideva den Standpunkt eines spirituellen Suchers ein, der das Ausmaß und die Schwere seiner Nichttugend zutiefst erkannt hat.
Mit aufrichtigem Bedauern für all meine vergangene Nichttugend falte ich meine Hände und flehe diejenigen an, die Großes Mitgefühl besitzen: alle Buddhas und Höheren Bodhisattvas, die in den zehn Richtungen verweilen. Seit anfangsloser Zeit, in diesem und in vergangenen Leben, bin ich blind gewesen gegenüber dem Gesetz von Handlungen und Wirkungen, und habe persönlich viele nichttugendhafte Handlungen begangen und auch andere dazu verleitet. Überwältigt von irreführender Unwissenheit, habe ich mich sogar an den nichttugendhaften Handlungen anderer erfreut; aber jetzt habe ich alle diese Handlungen als Fehler erkannt und bekenne sie alle aus der Tiefe meines Herzens in Eurer Gegenwart, o Beschützer. [27-29]
Welche schädlichen Handlungen ich auch immer mit meinem von Verblendungen gestörten Geist gegenüber dem Verdienstfeld, den Drei Juwelen, meinen Eltern, meinem Spirituellen Meister und anderen begangen habe, wie auch alle anderen Fehler meines verunreinigten Geistes: heute bekenne ich sie offen vor den Befreiern der Welt. [30-31]
Wenn ich sterbe, ohne mich von dieser großen Negativität gereinigt zu haben, werde ich zweifellos unvorstellbares Leiden erfahren. Ich bete zu Euch: Beschützt mich schnell vor allen diesen Ängsten. Es gibt noch mehr Gründe, warum ich rasch Euren Schutz suche: Die Dauer meines Lebens ist völlig ungewiß, und für den unberechenbaren Herrn des Todes macht es keinen Unterschied, ob ich meine Nichttugend bekannt habe oder nicht. Er wird mich plötzlich überfallen, ohne darauf zu warten, daß ich die Arbeit, die ich begonnen habe, vollenden kann, und auch ohne Rücksicht darauf, ob ich krank oder gesund bin. 0 Beschützer, bitte befreit mich von allen diesen Todesängsten! [32-33]
Während meines Lebens habe ich nicht verstanden, daß meine Verwandten, mein Körper, mein Reichtum, mein Besitz und alles andere zurückbleiben werden, und daß ich ohne all dies von dieser Welt zum nächsten Leben gehen werde. Aus meiner Unwissenheit heraus beging ich meinen Verwandten und Freunden zuliebe viel Nichttugendhaftes, und ich tat viel Negatives, als ich versuchte, meine Feinde zu vernichten. Jetzt erkenne ich die Dummheit solcher Handlungen und bedaure meine vergangenen Taten zutiefst. Ich verstehe jetzt, daß meine Feinde, meine Verwandten und Freunde und auch ich selbst schließlich sterben und wie zu nichts werden. Ähnlich werden mein Reichtum, mein Besitz und alles andere zu nichts. Die Vergnügen und das Glück, das wir in einem Traum erleben, werden nach dem Erwachen zu einer schwachen Erinnerung. Genauso werden die Vergnügen dieses Lebens zur Zeit des Todes nicht mehr als eine Erinnerung sein. Was immer vergangen ist, wird nicht wieder gesehen oder erfahren werden. [34-36]
In der kurzen Spanne dieses Lebens sind schon viele Freunde und Feinde gestorben und werden nicht wieder erscheinen. Die unerträglich schlechten Resultate jedoch, die aus den schädlichen Handlungen gewachsen sind, die ich wegen dieser Freunde und Feinde begangen habe, stehen mir drohend vor Augen. Da mir weder bewußt war, daß ich tatsächlich sterben werde, noch, daß der Zeitpunkt meines Todes völlig ungewiß ist, noch, daß mir nichts außer Dharma helfen kann, wenn ich sterbe, habe ich aus Unwissenheit, Anhaftung und Wut heraus so viel Negatives getan. Mit tiefem Bedauern bekenne ich dies alles offen vor Euch. [37-38]
Tag und Nacht, Augenblick für Augenblick, ob ich sitze, gehe, esse oder rede, zerrinnt dieses Leben. Dieser Vorgang kann nicht aufgehalten und mein Leben nicht verlängert werden. Da dies so ist, gibt es irgendeinen Grund zu der Annahme, daß der Tod nicht zu mir kommen wird? Und wie wird dieser Tod sein? [39]
Ich habe meine nichttugendhaften Handlungen noch nicht bekannt und die Praxis des Dharmas ignoriert, und plötzlich wird der Herr des Todes herabstürzen. Wenn ich auf meinem Sterbebett liege, bin ich von einem Kreis von Verwandten und Freunden umgeben, und doch muß ich allein schweres Leiden ertragen und Angst haben, mich von meinem Leben zu trennen. Wenn mich die furchteinflößenden Boten des Herrn des Todes aufsuchen, was für einen Nutzen haben dann diese Verwandten und Freunde? Wenn ich Verdienste angesammelt, Zuflucht genommen, meine moralische Disziplin rein gehalten und andere Tugend praktiziert hätte, wäre dies mein Schutz. Aber es waren genau diese Dinge, die ich ignoriert habe, und nun fühle ich tiefstes Bedauern und Angst. 0 Beschützer, die schrecklichen Leiden der drei niederen Bereiche vergessend, habe ich diesem vergänglichen Leben zuliebe einen ganzen Berg von Nichttugend begangen! Groß ist mein Bedauern. [40-42]
Angst steigt im Gefangenen auf, wenn er von den Behörden ergriffen und zur Folter abgeführt wird, sein Mund wird trocken und er erbleicht. Seine Augen treten hervor und seine ganze Erscheinung verändert sich. Wenn solche Angst aufgrund der Qualen entsteht, die Menschen verursachen, muß man dann noch vom Schrecken sprechen, der entsteht, wenn nichtmenschliche Boten mich packen und ich von Todesangst gelähmt bin? Völlig hilflos, wird mein Elend maßlos sein. [43-44]
Allein der Anblick der Handlanger des Herrn des Todes wird großen Schrecken und Schmerzensschreie auslösen. Mit weit aufgerissenen Augen werde ich in allen vier Richtungen Ausschau halten nach jemandem, der mir Zuflucht gibt. Aber ohne irgendwo eine Quelle der Zuflucht zu entdecken, werde ich in Schwermut und Verzweiflung gehüllt werden. Was soll ich tun, völlig schutzlos und unerträglichem Leiden ausgesetzt? Jetzt, von genau diesem Moment an, muß ich alle Ursachen aufgeben, die zu solch höllischen Erfahrungen führen können. [45-46]
Ohne das starke Gefühl von Bedauern, das Shantideva oben so eindrucksvoll illustrierte, werden wir nicht fähig sein, unsere Nichttugend zu reinigen. Im allgemeinen fühlen wir jedoch nicht das geringste Bedauern für unsere vergangenen schädlichen Handlungen. Warum? Weil wir nicht vollständig erkennen, daß die Früchte dieser Handlungen nichts als Leiden sein werden. Solange wir gegenüber der kausalen Beziehung zwischen verblendeten, unheilsamen Handlungen und den daraus resultierenden Erfahrungen von Leiden blind bleiben, werden wir unseren fehlgeleiteten Lebensstil weder aufgeben noch bedauern. Wir werden nicht nur unfähig sein, die Wirkungen vergangener Negativität zu reinigen, sondern werden damit fortfahren, die Ursachen für noch weiteres zukünftiges Leiden zu schaffen.
Eine Haltung des Bedauerns kann nur entstehen, wenn wir die Verbindung zwischen dem Schaden, den wir erzeugen, und dem Schaden, den wir erhalten, erkennen. Wichtig ist jedoch, nicht mißzuverstehen, was es bedeutet, unsere ungeschickten Handlungen zu bedauern. Wir sollten das Leiden, das wir erfahren, nicht als eine von außen kommende Bestrafung für unsere Sünden betrachten. Wir brauchen uns auch nicht schuldig zu fühlen, weil wir meinen, wir hätten irgendeine Autorität oder Macht beleidigt, die nur darauf wartet, sich an uns zu rächen. Wahres Bedauern hat mit solch äußerlichen Haltungen nichts zu tun.
Der Unterschied zwischen einer angemessenen und einer übertriebenen Haltung kann in diesem Zusammenhang folgendermaßen illustriert werden: Die Eltern eines Jungen, die die Gefahren des Feuers kennen, haben ihm verboten, mit Streichhölzern zu spielen. Er tut es trotzdem und verbrennt sich die Finger. Die richtige und nützlichste Reaktion wäre, wenn das Kind seine Unvorsichtigkeit bedauert und aus seiner schmerzhaften Erfahrung lernt, ähnliche Gefahren in der Zukunft zu vermeiden. Eine unverhältnismäßige Reaktion wäre es, wenn das Kind glauben würde, daß es vom Streichholz absichtlich für den Ungehorsam gegenüber seinen Eltern bestraft worden ist. So eine abergläubische Reaktion verwirrt die Situation nur und bringt irrelevante Überlegungen wie z. B. Schuld ins Spiel, die in Wirklichkeit die Fähigkeit des Kindes zu einem intelligenten Umgang mit zukünftigen Gefahrensituationen eher vermindern als verbessern.
Zurück zur richtigen Anwendung der Gegenkräfte. Wir sollten versuchen, eine Haltung des Bedauerns gegenüber unseren ungeschickten, nichttugendhaften Handlungen zu entwickeln, die nicht auf Schuld basiert, sondern eher auf dem klaren Verständnis, daß schädliche Ursachen schädliche Resultate bringen. Die erleuchteten Wesen haben bestimmte Handlungen gerade wegen ihrer schädlichen Wirkungen nichttugendhaft genannt. Wenn wir erkennen, daß wir diese potentiell leidverursachenden Handlungen begingen und noch immer begehen, ist aufrichtiges Bedauern eine völlig natürliche und angemessene Reaktion.
Wie kommt es, daß aus schädlichen Handlungen schädliche Folgen entstehen? Durch die Kraft einer Prägung, die in unserem Geist hinterlassen wird, entsteht das Potential für zukünftiges Leiden. Beispielsweise pflanzt eine Person, die einen Mord begeht, eine sehr starke negative Prägung in ihren Geist, und diese Prägung oder dieser Samen trägt das Potential in sich, den Geist in einen Zustand extremen Leidens zu führen. Solange die Prägung dieser nichttugendhaften Handlung nicht gereinigt ist, wird dieser latente Samen im Geist eingepflanzt bleiben. Seine Kraft schläft, ist aber unvermindert. Wenn die entsprechenden Umstände schließlich zusammentreffen, wird die potentielle Macht dieser Prägungen aktiviert, und der Samen wird als eine Erfahrung extremer Leiden reifen, beispielsweise als Wiedergeburt in einem karmisch erschaffenen Höllenbereich.
Die Situation entspricht der eines dürren Stücks Land, in das vor langer Zeit Samen gesetzt wurden. So lange diese Samen nicht irgendwie zerstört werden, werden sie ihr Potential zum Wachsen bewahren. Sollte der Boden eines Tages genügend bewässert werden, werden diese lange vergessenen Samen zu sprießen beginnen. In gleicher Weise setzen unsere karmischen Handlungen Samen in das Feld unseres Bewußtseins, und wenn wir den entsprechenden Umständen begegnen, werden diese Samen sprießen und ihre karmischen Früchte tragen.
Durch das Begehen negativer Handlungen und das Vernachlässigen der Reinigung säen wir in unserem Geist unzählige Samen von ähnlich negativem Potential. Das Reifen solcher Samen ist nicht auf die Erfahrung einer Wiedergeburt in den niederen Bereichen begrenzt. Beispielsweise können wir, weil wir in früheren Leben anderen Lebewesen Schaden zugefügt haben, in diesem Leben viele Krankheiten erfahren. Ebenso kann gegenwärtiges geistiges Leiden und Unglück ein Ergebnis davon sein, andere in der Vergangenheit gestört zu haben. Genauso ist Armut das karmische Ergebnis von Geiz, und ein mißgebildeter oder häßlicher Körper ist die Folge von Wut. Ferner brauchen wir nicht auf zukünftige Leben zu warten, um die Resultate der jetzt begangenen Nichttugend zu erfahren. Wir alle wissen, daß uns Ärger und Gier sofort Unannehmlichkeiten und Unglück bringen können.
Nichttugendhafte Handlungen wie Diebstahl, Verleumdung und Böswilligkeit werden dadurch begangen, daß andere Wesen als Bezugsobjekte oder Opfer dienen. Es gibt jedoch bestimmte geistige Handlungen, die nicht nach außen gerichtet sind, sondern denjenigen, der sie ausübt, direkt betreffen. Solche geistigen Handlungen fallen in die Gruppe, die als Festhalten an falschen und irregeleiteten Sichtweisen bekannt ist, und diese stellen die schwersten und schädlichsten aller negativen Handlungen dar. Wenn wir zum Beispiel an der Meinung festhalten, daß es keine wirksame Zuflucht vor weltlichem Leiden gibt, oder wenn wir Vertrauen in ein unangemessenes Zufluchtsobjekt entwickeln - wie unsere eigenen Verblendungen -‚ oder wenn wir hartnäckig verneinen, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Handlungen und ihren Wirkungen besteht, wird unser Geist fehlgeleitet, und wir hindern uns selbst daran, eine korrekte Sicht der Wirklichkeit zu erlangen. Als Ergebnis wird sich unsere Unwissenheit vergrößern und uns dazu verleiten, immer mehr schädliche Handlungen mit Körper, Rede und Geist zu begehen. Wenn wir uns an diese abergläubischen, wahrheitsverneinenden Sichtweisen klammern, können sehr machtvolle negative Samen in unserem Geist gesät werden. Eine aus solchen Samen entstehende mögliche Auswirkung ist, daß wir große Schwierigkeiten erfahren, wenn wir später versuchen, Dharma zu studieren oder zu meditieren.
Manche Leute haben überhaupt keine Begabung für den Dharma; sie lehnen engstirnig alles ab, was einen spirituellen Geschmack hat. Auch ein solches Verhalten ist das Resultat des Festhaltens an falschen Sichtweisen in vorangegangenen Leben. Außerdem gibt es bestimmte Länder, in die spirituelle Unterweisungen niemals vordringen. Solch eine verbreitete Abwesenheit des Dharmas ist das kollektive Ergebnis vergangener nichttugendhafter Handlungen der Menschen, die jetzt in diesem Land wiedergeboren wurden. Auf diese Weise sind Mißgeschick und Unglück das Ergebnis negativer Neigungen des Geistes, sei es als Erfahrung von Einzelnen oder von Gruppen.
Alle nichttugendhaften Handlungen, ob sie nach innen oder nach außen gerichtet sind, verunreinigen unseren Geist. Wenn wir also Realisationen bezüglich irgendeines Aspektes des Dharmas entwickeln wollen, ist es notwendig, unsere Nichttugend so weit wie möglich zu reinigen. Bevor ein schmutziger Topf als Gefäß für ein köstliches Getränk benutzt werden kann, muß er gründlich gereinigt werden; andernfalls wird das Getränk verunreinigt und damit ungenießbar. Oder anders gesagt, wenn wir unseren Geist nicht von seinen Verunreinigungen befreien, wird der sonnengleiche Bodhichitta nicht in ihm aufgehen können. Wenn es uns andererseits gelingt, unsere Nichttugend zu reinigen und einen großen Schatz an Verdiensten anzusammeln, dann können wir tiefe Realisationen erlangen, sogar von einem solch schwierigen Objekt wie der tiefgründigen Sicht der endgültigen Wirklichkeit (dem Thema des neunten Kapitels), auch ohne ausführliche Dharma-Unterweisungen erhalten zu müssen.
An dieser Stelle ist es vielleicht hilfreich, über die verschiedenen Grade der Nichttugend zu sprechen. Manche Menschen denken, daß die Nichttugend, ein kleines Insekt zu töten, unbedeutend sei, verglichen mit dem Töten eines großen Tieres. Die bloße Größe des Opfers ist jedoch nicht zwangsläufig das wesentliche Kriterium für die Schwere unserer Taten. Der Unterschied zwischen großer und kleiner Nichttugend wird durch die wechselseitigen Beziehungen von vier Faktoren bestimmt: Objekt, Zeit, Handlung und Geist. Das schwerste nichttugendhafte Karma wird verursacht, wenn das Objekt unserer nichttugendhaften Handlung ehrwürdig und es wert ist, respektiert zu werden. Solche Objekte sind unter anderem Wesen von heiligem Charakter wie ein Buddha, ein Bodhisattva, ein Arhat (jemand, der persönliche Befreiung erlangt hat), ein Sangha-Mitglied, ein Lehrer oder unsere Eltern. Bezüglich der Zeit steigt die Schwere der nichttugendhaften Handlung, wenn sie an Tagen begangen wird, die für religiöse oder spirituelle Belange oder für das Ablegen von Gelübden bestimmt sind. Die Art, wie die nichttugendhafte Handlung ausgeführt wird, beeinflußt ebenfalls ihre Schwere. Ein anderes Wesen langsam zu töten und ihm große Schmerzen zuzufügen ist beispielsweise eine schwerwiegendere Handlung, als ihm kurz und schmerzlos das Leben zu nehmen. Letztlich bestimmt in hohem Maße auch der Geisteszustand, mit dem wir eine nichttugendhafte Handlung ausführen, die Schwere der Folgen, die aus der Handlung entstehen. Ein Geist, der sehr stark durch Wut motiviert ist und sich an Handlungen erfreut, die andere verletzen, ist ein außerordentlich böser Geist, und die angesammelte Nichttugend ist dementsprechend groß. Je mehr dieser vier negativen Merkmale in einer Handlung enthalten sind, um so schädlicher wird die angesammelte Nichttugend sein.
Wie zuvor erklärt, werden Handlungen nichttugendhaft oder unwissend genannt, wenn sie zu zukünftigem Leiden führen. Es gibt drei verschiedene Auswirkungen, die die möglichen leidvollen Resultate einer bestimmten nichttugendhaften Handlung bilden. Die erste, die vollständig gereifte Auswirkung einer Handlung, ist die Art der zukünftigen Wiedergeburt, in die wir durch das Reifen des Samens geworfen wurden, den wir durch diese Handlung gesät haben. Wenn wir beispielsweise jemanden töten und die vier Bedingungen von Objekt, Zeit, Handlung und Geist entsprechend schwer sind, können wir eventuell in einem Höllenbereich wiedergeboren werden. Je weniger schwer diese Bedingungen sind, um so «höher» der Bereich, in dem wir wiedergeboren werden. Das zweite Resultat einer nichttugendhaften Handlung ist als Auswirkung bekannt, die der Ursache ähnlich ist. Die spezifischen Qualen eines Lebens voller Krankheiten und der grausame und sadistische Charakter eines Kindes sind Beispiele für die zweite Art von Auswirkung, die aus der nichttugendhaften Handlung eines Mordes folgt. Die letzte Auswirkung unserer nichttugendhaften Handlungen ist schließlich die Umweltauswirkung. Der Ort, an dem wir unser Leben verbringen müssen, wird als Resultat unserer in unserem Geist getragenen Neigung zu töten, sehr ungastlich, karg und gefährlich sein, sei es, daß wir in einem der drei niederen Bereiche wiedergeboren werden oder wieder eine menschliche Wiedergeburt erlangen. Die gleichen drei Arten von Auswirkungen gelten auch für alle anderen nichttugendhaften Handlungen.
Wie Shantideva im oberen Abschnitt betont, entsteht alles Leiden und alle Enttäuschung, die wir in den verschiedenen Bereichen Samsaras erfahren, aus unserer Nichttugend. Wenn wir durch die Kraft solcher Nichttugend als Hund wiedergeboren werden, was können wir dann tun? Fischer mögen heute bereit sein, den Fischen das Leben zu nehmen, aber wie wird es ihnen ergehen, wenn sie morgen selbst als Fische geboren werden? Unsere gegenwärtige menschliche Form besitzt nichts Dauerhaftes, und niemand kann sagen, wann der Tod kommen wird. Es kann sogar heute sein. Wenn wir Bedauern für unsere vergangene Nichttugend empfinden, müssen wir sofort ein Gegenmittel gegen dieses tödliche Gift finden. Alle unsere schlechten Taten müssen jetzt zugegeben werden.
Wir sollten uns davor hüten zu denken, daß wir die Reinigung unserer negativen Handlungen auf einen späteren Zeitpunkt schieben können. Der Tod ist unberechenbar und kann jederzeit vor uns auftauchen. Der Herr des Todes berücksichtigt nicht, ob sein Opfer Nichttugend gereinigt hat oder nicht. Er kann nicht zum Warten gezwungen werden und akzeptiert keine Entschuldigungen. Wenn der Tod sich plötzlich nähert, wird es uns nichts nützen zu sagen: «Ich ernähre eine Familie, du mußt später wiederkommen», oder «Ich bin noch sehr jung, komm in ein paar Jahren wieder», oder «Bitte laß mich noch ein wenig länger leben». Das ist alles vergeblich. Der Herr des Todes ist kompromißlos.
Wenn plötzlicher Wind aufkommt, kann eine Kerze, die groß genug ist um stundenlang zu brennen, schon nach wenigen Minuten erloschen sein. Während ein kranker und alter Mann hartnäckig noch für viele Jahre am Leben festhält, können die jungen Leute um ihn herum einer nach dem anderen sterben. Wir alle werden sterben, und wer kann garantieren, daß der Tod nicht schon morgen kommt oder sogar heute?
In Tibet lebte einmal ein Astrologe, der für seine außergewöhnliche Fähigkeit berühmt war, die Zukunft vorhersagen zu können. Eines Tages beschloß er herauszufinden, wann sein eigenes Leben zu Ende sein würde. Er nahm seine Bücher und Karten heraus und begann seine Berechnungen. Zu seiner Überraschung entdeckte er, daß er just an diesem Tag sterben sollte! «Das ist äußerst seltsam», sagte er zu sich. «Ich möchte wissen, ob ich nicht einen Fehler in meinen Berechnungen gemacht habe. Sicherlich werde ich nicht heute sterben. Ich bin bei bester Gesundheit.» Während er so grübelte, lehnte er sich zurück, zog seinen Pflegebeutel aus der Tasche und begann mit einem nadelähnlichen Stück Metall, das er für diesen Zweck mit sich trug, sein Ohr zu säubern. «Ich frage mich, wo ich den Fehler gemacht habe», dachte er geistesabwesend und fuhr fort, sich in seinem Ohr zu kratzen. Da blies eine plötzliche Windböe das Fenster auf, gegen das er sich gelehnt hatte, und sein Arm wurde dabei so heftig getroffen, daß das Stück Metall durch sein Trommelfell in sein Gehirn gestoßen und er auf der Stelle getötet wurde. Wer kann nun also sicher sein, daß der Tod nicht schon bald kommt?
Im Lichte dieser Unsicherheit müssen wir unsere Nichttugend sofort reinigen. Es gibt viel mehr Umstände, die uns den Tod bringen können, als solche, die unser Leben fördern. Wie können wir voller Zuversicht erwarten, eine normale Lebensspanne leben zu können, während überall um uns herum Menschen durch Unfälle, Krieg und Krankheit sterben? Durch das Nachdenken über die alltäglichen Beispiele, die wir in den Nachrichten finden, sollten wir über die Unsicherheit des Todeszeitpunktes meditieren.
Denken wir an unsere Familie, unsere Freunde, Verwandten und Landsleute. Wer von ihnen wird in hundert Jahren noch hier sein? Warum begehen wir also den Lebewesen zuliebe, die schon so bald verschwinden werden, soviel Falsches? Dennoch haben wir alle bereits solche nichttugendhaften Handlungen begangen, und wenn wir uns wünschen, für die Zukunft Sicherheit zu gewinnen, müssen wir diese Negativität sofort reinigen. Die Grundlage der Reinigung ist ein Gefühl des Bedauerns. Dieses entsteht, wenn wir über Unbeständigkeit, Tod und die Früchte fehlerhafter Handlungen nachdenken. Wenn drei Leute unabsichtlich vergiftete Nahrung zu sich nehmen und einer von ihnen stirbt und ein zweiter krank wird, was wird die dritte Person denken? Sicherlich wird sie es zutiefst bedauern, das Mahl gegessen zu haben. Genauso sollten wir an die vielen Menschen denken, die negative Taten begangen haben, gestorben sind und sich nun in einem niederen Bereich wiederfinden, wo sie großes Leiden erfahren, und wir sollten uns daran erinnern, daß wir die gleichen unseligen Handlungen auch begangen haben.
Aufgrund starker Anhaftung haben wir um unserer Freunde willen gestohlen und gelogen. Mit großer Wut haben wir unseren Feinden viel Schaden zugefügt. Der Hauptgrund für all das Schädliche, das wir getan haben, ist unsere Unwissenheit um das Gesetz von Handlungen und ihren Auswirkungen. Da wir nicht erkennen, daß Leiden das einzige Ergebnis unserer Handlungen sein wird, beharren wir in ignoranter Weise auf unserem nichttugendhaften Verhalten.
Wie schwer ist es für uns zu verstehen, daß unser Leben auf den Tod zurast und daß es nichts gibt, was wir tun können, um dies zu verhindern. Sekunde für Sekunde zerrinnt unsere Lebenskraft. Anders als Geld, das auf dem Konto bleibt, bis wir es ausgeben, verfließt unsere Lebenszeit stetig. Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Nichttugend zu bekennen und all das zu praktizieren, was tugendhaft ist.
Falls wir nicht beginnen, den von uns angerichteten Schaden zu bedauern und zu reinigen und dadurch unserem Leben eine neue Richtung zu geben, werden wir uns den Weg in eine zukünftige Erfahrung höllischer Existenzzustände ganz sicher auf törichte Weise bahnen. Manche Menschen glauben fest an die Nichtexistenz solcher Bereiche. Sie sagen, daß solche Orte nicht existieren, weil sie sie nicht sehen können. Diese Art von Logik ist lächerlich! Wir könnten ebensogut sagen, daß auch Zukunft und Vergangenheit absolut nichtexistent sind, weil wir das, was morgen passiert, sowie die früheren Zivilisationen, die auf diesem Planeten existiert haben, nicht sehen können. Wir können nicht sagen, daß wir nächsten Monat nicht krank werden, bloß weil wir den Grund der Krankheit jetzt noch nicht sehen können. Selbst ein studierter Mann, der morgen bei einem Autounfall sterben wird, ist unfähig, dies heute vorherzusehen. Deshalb sollten wir uns nicht von falscher Logik beeinflussen lassen, die unkorrekterweise annimmt, daß das, was wir nicht sehen können, auch nicht existiert.
Außerdem, auch wenn wir die Existenz von Höllenbereichen in Frage stellen, wer könnte die Existenz von Erfahrungen bezweifeln, die so grausam sind, daß man sie als «Hölle auf Erden» bezeichnet? Monatelang mit dem tödlichen Schmerz von Krebs zu leben, in Paranoia oder selbstmörderischen Depressionen gefangen zu sein, mit dem Tod durch Feuer konfrontiert zu sein - dies sind nur einige Beispiele höhlenähnlicher Leiden, denen wir auch in unserem menschlichen Bereich begegnen können. Wenn wir solches Leiden vermeiden wollen, müssen wir unsere nichttugendhaften Ursachen reinigen, in denen sie verwurzelt sind, und alle ähnlichen negativen und schädlichen Handlungen in Zukunft unterlassen.
Buddha Shakyamuni und alle gelehrten Pandits, die ihm folgten, besaßen großes Verständnis und Hellsicht. Diese erleuchteten Wesen wiesen die Existenz von Höhlenbereichen und anderen niederen Existenzzuständen durch ihre eigene Erfahrung und viele logische Begründungen nach. Auch wenn wir die Existenz von Höllenbereichen nicht sofort selbst sehen können, sollten wir dafür eine möglichst aufgeschlossene Haltung haben. So wird großer Nutzen entstehen, und zum Zeitpunkt des Todes werden wir keine Angst haben. Wenn wir wirklich auf unser zukünftiges Wohlergehen bedacht sind, ist es das beste, sich der Gefahr zukünftiger Höllenbereiche bewußt zu sein, und dann aus Angst vor diesbezüglichen Leiden das, was nützlich ist, zu praktizieren, alles Nichttugendhafte zu reinigen und den Pfad des Dharmas zu betreten.
In vielen Schriften geht Buddha bezüglich der Leiden in den Höllenbereichen sehr ins Detail. Es war sicher nicht seine Absicht, uns einfach nur zu erschrecken. Ein Buddha hat Großes Mitgefühl und Liebe für alle Lebewesen und wünscht, sie von ihren Leiden zu befreien. Aus diesem Grund erklärte Buddha Shakyamuni die leidvollen Existenzbereiche und gab viele Anweisungen, wie wir es vermeiden können, dort wiedergeboren zu werden. Er lehrte uns das Aufgeben von Nichttugend und das Praktizieren von Tugend nicht deshalb, weil er uns erschrecken, sondern weil er uns glücklich sehen wollte.
Wenn eine Mutter ihren Kindern die Gefahren erklärt, die beim Spielen auf einer belebten Straße drohen, dann tut sie dies nicht, um ihnen Angst zu machen, sondern sie tut dies aus Mitgefühl und aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder und aus einem realistischen Verständnis für die Gefahren dieser Situation. Das gleiche gilt für die Unterweisungen der erleuchteten Wesen. Sie sehen, zu welchen Qualen uns Nichttugend führen wird, und sie berichten uns von dieser Gefahr, damit wir sie vermeiden können. Ohne solche Anweisungen und Warnungen würden wir direkt ins Feuer des Leidens springen. Deshalb ist es wichtig, daß wir richtig gewarnt werden. Wenn wir nicht wissen, daß ein bestimmtes Tier giftig ist, kreuzen wir vielleicht direkt seinen Weg. Aber wer von uns würde sich einer Schlange nähern, von der er weiß, daß ihr Biß tödlich ist?
Vom Standpunkt unserer Dharma-Praxis aus ist es wichtig, daß wir jetzt Angst vor den niederen Bereichen der Wiedergeburt entwickeln und nicht erst zum Zeitpunkt unseres Todes. Die Angst, die uns jetzt vorsichtig handeln läßt, ist hilfreich, aber die Angst, die beim Tod entsteht, ist es ganz und gar nicht. Was nützt es, daß wir unsere Nichttugend bedauern, wenn wir dem Herrn des Todes von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen oder bereits die Qualen der Hölle erleiden? Das einzig Vernünftige, das jetzt zu tun ist, ist das Praktizieren der Methoden, die uns vor zukünftigem Leiden bewahren. Wir sollten unseren Geistesstrom reinigen, bevor die Früchte unserer Nichttugend reifen, denn wenn diese Früchte einmal gereift sind, ist es selbst für einen Buddha zu spät, uns zu helfen. Buddhas beschützen Lebewesen, indem sie sie Dharma lehren und ihnen den Weg zeigen, der fort vom Leiden und hin zur Erleuchtung führt, aber sie sind nicht fähig, Lebewesen vorn Leiden zu erlösen, das diese bereits über sich gebracht haben. Wenn wir unsere Handlungen nicht überwachen, kann selbst ein Buddha nicht viel ausrichten.