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B wie BILDUNG
ОглавлениеOder: „Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Und wo, verdammt, sind meine Schlüssel?“ (Billy Cristal)
Was ist Bildung? Dieser Frage ist Bischof Zsifkovics in einem offenen Gespräch mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Burgenland nachgegangen. In einer Zeit, in der Bildung vielfach mit Ausbildung gleichgesetzt wird, jungen Menschen vorgefertigte Antworten aufgepfropft und sie für das herrschende Wirtschaftssystem „gestreamt“ werden, während ihre Individualität und ihre Talente allzu oft nivelliert werden, plädiert er für eine Bildung hin zur Freiheit. Das Ziel: Zurechtzukommen mit den großen und kleinen Fragen des Lebens.
Die verschiedensten Bildungsinstitutionen verwenden gerne ein Wort, um das keiner von uns herumkommt: „Zukunft“ – und bieten „Zukunftsforen“, „Zukunftswerkstätten“ an, wollen „fit für die Zukunft“ machen und ähnliches. Dies nicht ganz zu Unrecht, denn das bedeutungsschwere Wort „Zukunft“ ist untrennbar gekoppelt an ein zweites Wort: „Bildung“. Ein gebildeter Mensch hat immer eine Zukunft – das ist meine tiefe Überzeugung. Aber wird die Zukunft unseres Landes, unseres Kontinents, unseres Kulturkreises auch über genügend gebildete Menschen verfügen? Ich habe hier manchmal meine Zweifel.
Was ist Bildung überhaupt? Das Wort ist ein sprachlich, kulturell und historisch bedingter Begriff. Seine Bedeutung ist mehr als komplex. Je nach persönlicher Ausrichtung, je nach individuellem Standpunkt und Interessenlage variieren die Ansichten darüber, was unter „Bildung“ verstanden werden sollte, erheblich. Dazu kommt, dass jede Aussage über den Begriff „Bildung“ unweigerlich vom Bildungsgrad dessen abhängt, der darüber spricht. Frei nach dem großen Monsignore Otto Mauer: „Kunst ist das, was gebildete Menschen dafür halten!“ So könnte man auch für die Bildung sagen: „Bildung ist das, was gebildete Leute dafür halten!“
Als Theologe und Kirchenmann möchte ich keinem vorenthalten, dass der schöne Begriff „Bildung“ von dem mittelalterlichen Denker und Mystiker Meister Eckhart in die deutsche Sprache eingeführt wurde. Bildung bedeutete für ihn das „Erlernen von Gelassenheit“; es war für ihn etwas, das den ganzen Menschen betrifft, und es wurde von ihm als „Gottessache“ angesehen, „damit der Mensch Gott ähnlich werde“ – so schrieb er wörtlich. Das nenne ich eine anspruchsvolle Bildungspolitik und einen anspruchsvollen Begriff von Bildung – nämlich ein Arbeiten an sich selbst, „damit der Mensch“, damit unsere Kinder, unsere Jugendlichen und wir selbst „Gott ähnlich“ werden.
Doch kommen wir zunächst wieder auf die Normalebene. Bildung ist ein Menschenrecht und die Grundlage für ein geglücktes Leben. Sie hilft uns Menschen, uns in einer sich ständig verändernden Welt zurechtzufinden und unseren Platz in der Gesellschaft zu finden. Aus der Perspektive eines christlichen Welt- und Menschenbildes geht es im Bereich Bildung und Schule um die Weitergabe von wesentlichem Wissen für eine erfüllte Lebensgestaltung und um die Entfaltung des ganzen Menschen. Die katholische Kirche investiert daher schon von ihrem Welt- und Menschenbild her in ganzheitliche Bildung der Menschen aller Altersstufen – und im Speziellen in die religiöse Bildung im Rahmen des Religionsunterrichts.
Die vielfältigen kirchlichen Formen dieses ganzheitlichen Bildungsinputs in die Gesellschaft allein in Österreich sind beachtlich: Etwa 70.000 Schülerinnen und Schüler besuchen in unserem Land eine konfessionelle Schule, 770.000 besuchen den katholischen Religionsunterricht und rund 900.000 Erwachsene nehmen jährlich die Angebote der Katholischen Erwachsenenbildung wahr. Rund 70 Prozent der konfessionellen Privatschulen sind Ordensschulen, die von knapp 50.000 Schülerinnen und Schülern besucht werden. Dazu kommen vier pädagogische Hochschulen der Kirche in Österreich, an denen insgesamt etwa 2100 Studierende ihre Erstausbildung absolvieren; weiters trägt die Kirche Mitverantwortung für die vier katholisch-theologischen Fakultäten in Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg sowie für private theologische Universitäten und Hochschulen, an denen etwas mehr als 3000 Studierende inskribiert sind. Eine theologische „Breitenbildung“ wollen darüber hinaus österreichweit tätige Einrichtungen wie die „Theologischen Kurse“ vermitteln. In Kooperation mit dem „Forum katholischer Erwachsenenbildung“ und dem Unterrichtsministerium haben die „Theologischen Kurse“ etwa das äußerst erfolgreiche Programm „Basisinfo Christentum“ ins Leben gerufen, das für Christen, aber auch für Andersglaubende einen idealen Einstiegspunkt in die christliche Glaubenswelt bietet.
Man könnte nun vielleicht sagen, da würden überall spezifisch kirchliche Inhalte vermittelt, da werde sozusagen das eigene religiöse Propaganda-Programm gesendet. Doch das ist ein Irrtum. Zum Konzept allgemeiner Bildung gehört das Nachdenken über die Ziele und Zwecke individuellen und gesellschaftlichen Handelns, das Nachdenken über den Sinn des eigenen Lebens und über die Einheit der Wirklichkeit. Schon Kinder und Jugendliche stellen die großen Fragen der Menschheit wie „Was ist der Mensch?“, „Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens?“, „Was ist gut und was ist böse?“, „Woher kommt das Leid?“, „Was ist der Weg zum wahren Glück?“, „Was kommt nach dem Tod?“ oder „Existiert Gott?“. In unserer pluralistischen Gesellschaft treffen unsere Kinder und Jugendlichen auf unterschiedlichste Antworten, auf religiöse und auf säkulare. Diese letzten Fragen, die zum Menschsein gehören, und die religiöse Pluralität der Antworten bilden eine pädagogische Herausforderung, der sich die Schule im Ganzen und auch die Kirche stellen müssen. Die Bedeutung religiöser Bildung wird ja gerade deshalb auch in der andauernden Debatte zur Schulreform allgemein und ohne ernstzunehmenden Widerspruch anerkannt. Denn die Religion eröffnet einen Zugang zur Wirklichkeit, der durch keinen anderen Modus der Welterfahrung ersetzt werden kann.
Für einen stabilen Menschen braucht es religiöse Bildung und der Ort religiöser Bildung an der Schule ist primär der Religionsunterricht. Die Antworten auf die letzten Fragen des Menschen kann und soll der säkulare und weltanschaulich neutrale Staat nicht selbst geben. Deshalb kooperiert er mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, die für die Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts verantwortlich sind. Und er beschränkt sich darauf, für den Religionsunterricht wie für jedes andere ordentliche Lehrfach die erforderlichen rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen zu gewährleisten. So soll ein konfessionell-profilierter Religionsunterricht junge Menschen zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube befähigen und ihnen die Entwicklung einer gesprächsfähigen Identität ermöglichen. Das schließt die Hinführung zu einer konkret erfahrbaren und anschaulichen religiösen Lebenswelt ebenso ein wie die Erziehung zu Kommunikationsfähigkeit über die eigene regionale Kultur hinaus und zu Anerkennung der Andersheit des anderen. Der konfessionelle Religionsunterricht will zur freien Entscheidung und Herausbildung eines eigenen Standpunktes befähigen und leistet damit etwas Essentielles für die ganze Gesellschaft: Er fördert automatisch auch die Anerkennung des Anderen. Denn tolerant kann nur sein, wer einen eigenen Standpunkt hat. Etwas, das von manchen gesellschaftlichen Gruppierungen gerne übersehen oder bewusst verschwiegen wird, wenn sie in meinungsterroristischer Weise „Toleranz“ für alles und jeden, aber in erster Linie für sich selbst einfordern. Die Weitergabe des christlichen Glaubens kann also wirkungsvoll nur im Dialog mit der vorherrschenden Kultur und in Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und Problemen erfolgen. Deshalb ist der Religionsunterricht in der Schule für die Kirche und für die Zukunft des christlichen Glaubens in unserer Gesellschaft von großer Bedeutung.
So wie ich mich aber in meinen Gedanken nicht darauf beschränkt habe, vom Wert des Religionsunterrichts für die Kirche selbst zu sprechen, sondern auf seine brennende Gesellschaftsrelevanz hingewiesen habe, lässt sich auch der jesuanische Auftrag keinesfalls auf pädagogisch Auszubildende und auf die Schule beschränken. Im Prinzip sind wir alle „Auszubildende“ in der Botschaft Jesu und ist unser ganzes Leben ein lebenslanges Lernen in Sachen Nächstenliebe. Wenn ich also von Schule, von Schülerinnen und Schülern und vom Religionsunterricht spreche, meine ich im Letzten uns alle, die wir noch zu lernen haben.