Читать книгу Von A bis Z - Ägidius Zsifkovics - Страница 5
Vorwort des Herausgebers
ОглавлениеO my God, take this alphabet,
and put it together how you will.
(William S. Walsh, Handy-Book
of Literary Curiosities, 1892)
Die christliche Verkündigung ist in die Jahre gekommen. Nachdem das Christentum mit seiner zivilisatorischen Kraft jahrhundertelang die Sphären des Denkens und Fühlens in Europa versorgt hat, empfindet der Durchschnittskatholik heute viele kirchliche Erscheinungsformen als weltfremd und kann mit dem Glaubensvokabular aus dem Sprachmuseum nichts mehr anfangen. Das Alphabet des christlichen Glaubens, das in Stein gehauen an und in den großen Kathedralen jährlich von Millionen Touristen fotografiert wird, wird von den meisten Menschen nicht mehr verstanden. Es wird nicht mehr als lebendiger Teil ihres Lebens gefühlt, ist verschüttet von kulturellem Vergessen und überlagert von Schichten aus Halbwissen und Vorurteil, die nicht so problemlos mit Sandstrahldüsen zu entfernen sind wie die Ablagerungen an der Fassade des Wiener Stephansdomes.
Und trotzdem: Der Mensch mit seinen Wünschen, Sehnsüchten und Begierden, seinen Problemen, Beschwerden und Leiden ist immer noch der Gleiche wie vor 2000 Jahren. Es ist noch immer der Mensch, dem sich der Gott der Christen zuwenden will, denn das Zentralereignis des christlichen Glaubens besteht genau darin, dass der unendlich ferne Gott die Nähe zum Menschen sucht und sich verständlich macht. Er wird im Weihnachtsereignis selbst Mensch und spricht als Jesus von Nazareth in lebendiger Sprache, in Bildern von Schafen und Weinbergen, zu seinen Artgenossen. Die Institution Kirche, die sich als das Andenken Gottes in der Welt versteht, läuft Gefahr, diese Mutter aller Metamorphosen zu verraten, wenn sie ihre Botschaft in blutleeren Worten zu einem zwar faszinierenden, die Menschen aber kalt lassenden Theoriengebäude werden lässt.
Das Titelbild des vorliegenden Buches zeigt den Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics an den Kolonnaden des Petersplatzes in Rom – vor dem mobilen Getränkeladen eines immigrierten Straßenhändlers. Von hier aus fällt der Blick des Porträtierten auf die gigantische Kuppel über den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus – die Spiegelung in der Brille des Bischofs verrät es. Was im November 2014 als Schnappschuss am geografischen Übergang des Kirchenstaates zum Staat Italien entstand, erweist sich retrospektiv als Positionsbeschreibung nicht nur einer Person, sondern auch einer in Bewegung befindlichen Kirche. Inmitten einer im Umbruch begriffenen Welt der Krisen, Kriege und Konflikte ist dieser Übergang der herausfordernde Ort einer Institution und ihrer Vertreter, die immer mehr zu fühlen beginnen, dass es heute nicht mehr darum geht, in einem herkömmlichen Sinn „Heiden“ zum Christentum zu bekehren. Es geht vielmehr darum, Christen wie Nichtchristen vom Götzendienst wegzubringen. Die Götzen der Gegenwart sind die Gier nach Geld, Macht, Erfolg, Prestige, Genuss, Lust, nach Business und Konsum. Es werden Götter angebetet, die nicht befreien, falsche Götter, vor denen Christus warnte und die in einer globalisierten Welt zur Bedrohung aller Menschen und des Planeten Erde werden. Die Frage ist nicht, ob Gott tot ist, sondern ob der Mensch tot ist in seiner auf einen „Konsumenten“ reduzierten Rolle.
Doch wo, frei nach Hölderlin, das Bedrohliche wächst, wächst auch das Rettende: Unter dem Druck der Weltereignisse erhält die Katholische Kirche nun die Chance, sich kulturell zu entschlacken und den Kern ihrer Botschaft in den Mittelpunkt zu rücken, das Wort Christi von der Liebe, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit. „Neuevangelisierung“ nennt sich das Programm, mit dem die Kirche sich dem Ernst der Lage in den traditionellen christlichen Ländern, den industriellen Brutstätten der neuen Götzen, stellen will. Inhaltlich initiiert von Papst Johannes Paul II. und wirksam nach außen getragen vom charismatischen Papst Franziskus soll die Gesellschaft das Evangelium der Urkirche neu für sich entdecken.
„Das Evangelium ist keine Sitzordnung, sondern Wegweisung! Es muss im wechselnden Alphabet sich stets verändernder kultureller Kontexte stets neu buchstabiert werden“ – das ist einer der am öftesten zitierten Sätze von Ägidius Zsifkovics. Offenheit der Menschen für die Transzendenz könne in seinen Augen nur erwartet werden, wenn die Kirche zur Unbefangenheit gegenüber allen Zonen des Menschlichen fähig ist und dies auch in ihrer Sprache zeigt. Diese Unbefangenheit ist eine hohe menschliche Kunst: Sie hat nichts Verurteilendes, blendet keine Bereiche menschlicher Lebenswirklichkeit aus. Gleichzeitig schafft sie es, diese Bereiche nicht uneingeschränkt zu bejahen und dem prophetischen Widerspruch des Christentums treu zu bleiben. Der Anspruch des Evangeliums an den Menschen ist zu allen Zeiten die Umkehr, nicht der Beifall der Massen.
Dementsprechend ist die Sprache des Bischofs in einer Welt der vielen Lebenswirklichkeiten situationsadäquat und bildhaft. Sie kennt den guten alten jesuitischen Predigtstil – „drei prägnante Punkte sind immer gut, das merken sich die Leute!“ (Zsifkovics) –, setzt auf den erbaulichen Ton christlicher Lebenshilfe und kennt die einfache Sprache des Volkes ebenso wie das akademisch-professorale Idiom und die nüchtern-kritische Analyse gesellschaftlicher wie kirchlicher Zustände. Und sie scheut sich nicht vor zeitgemäßen „Gleichnissen“, von James Bond über Sushi und Fußball bis zu Dating-Plattform und Update.
Sie entspricht einem Bischof, der den unkompliziert-niederschwelligen Umgang mit den Menschen liebt, der auf Pfarrvisitationen mit den Leuten Karten spielt und der die besten Witze über den katholischen Klerus zu erzählen weiß. Dabei trägt Ägidius Zsifkovics das Heilige nie demonstrativ vor sich her, hat es aber stets griffbereit in der Jackentasche, um es bei Bedarf den Menschen anzubieten. Unaufdringlich, unmissionarisch – wie in seiner Buchstabierung des Alphabets in diesem Buch.
Indem es das christliche A bis Z auf der Horizontlinie zeitgemäßer Begrifflichkeiten durchbuchstabiert, will es einen Beitrag leisten zur Verständigung zwischen Kirche und Welt, zum gigantischen Übersetzungsprojekt „Welt-Kirche“ bzw. „Kirche-Welt“. Es will beitragen zur immer wieder notwendigen Erneuerung der Kirche aus sich selbst – zu einer möglichst ungetrübten, unverzerrten Spiegelung der Apostel und des Urchristentums im Auge und im Weltzugang heutiger Menschen – und dabei den überzeitlichen Grundgedanken des Christentums aktualisieren, dass es göttliche Präsenz in der Welt gibt.
Um Glauben, Hoffnung und Liebe in unserer Zeit lebendig zu erhalten, hilft nicht zuletzt die Begegnung mit Kunstwerken. Die Bilder in diesem Buch entstammen dem Zyklus „Wandlung“, den der Künstler Heinz Ebner 2014 als Digitalprojektion für die Pfarre Hernals-Kalvarienbergkirche in Wien geschaffen hat. In den Farben des Regenbogens, der wie das Alphabet ein Synonym für die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit ist, verwebt der Künstler, der mit Bischof Zsifkovics seit gemeinsamen Jugendtagen in Güssing verbunden ist, weltliche und religiöse Bildelemente und lässt – ganz der Intention der Texte folgend – die Präsenz des Göttlichen in der Welt erahnen.
Dominik Orieschnig, im Sommer 2015