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A wie ANGST

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Oder: Es gibt einen, der dich hört – auch wenn du noch gar nicht um Hilfe schreist.

Versteckt hinter glänzenden Fassaden von Erfolg und Wohlstand ist Angst ein bestimmender Faktor der Lebensgestaltung in der modernen Gesellschaft, für den Versicherungswirtschaft und Psychopharmakologie ein reichhaltiges Angebot bereithalten. Eine Pastoralreise des Bischofs von Eisenstadt zu den Auslandsburgenländern in Kanada veranlasste Ägidius Zsifkovics zu einer Meditation über dieses zentrale menschliche Thema.

Viele Menschen haben Angst. Angst vor Schmerz, Verletzung und Krankheit; Angst vor dem Altwerden und dem Tod; Angst vor Verlust, vor Enttäuschung und Zurückweisung, Angst, nicht dazuzugehören, aber auch Angst vor der großen Liebe, die einen verletzlich machen könnte. Wir haben Angst, dass uns das Geld ausgehen könnte, dass wir unseren Beruf und unsere Ehre verlieren könnten und dass unsere Freunde, wenn es uns so richtig schlecht geht, sich verabschieden könnten. Angst ist eine Farbe unseres Lebens. Schlimmer als der Schmerz ist die Angst davor – das gilt für eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt ebenso wie für die Wechselfälle des Lebens, vor denen die diversen Lebens-, Unfall- und Rechtsschutzversicherungen uns schützen wollen und daher auf unsere wohlwollenden Beitragszahlungen vertrauen dürfen. Doch seien wir ehrlich: „Leben ist immer lebensgefährlich“ (Erich Kästner).

Die große Aufgabe, der sich der Mensch angesichts dieses weitverbreiteten Gefühls stellen muss, ist nicht, sich in Scheinsicherheiten zu flüchten, sondern zu lernen, die grundlegende Unsicherheit seiner Existenz ohne Panik zu ertragen. Menschen, die von einer christlichen Grundhaltung des Glaubens und der Zuversicht getragen sind – und das sind beileibe nicht alle, die einen Taufschein besitzen! –, können zu furchtlosen Menschen werden, die in sich ruhen und das Leben lieben. Solche Menschen haben nicht den weitverbreiteten Mangel an Selbst, der in unserer Gesellschaft so viel Angst erzeugt. Es sind selbstbewusste Menschen, die sogar die Angst, zum Außenseiter zu werden, nicht kennen – eine Angst, die in einer Gesellschaft, die von herrschenden Meinungen und vorgegebenen Trends geprägt ist, bei vielen noch größer ist als die Angst vor dem Tode.

Als ich im Jahr 2013 als Bischof meine burgenländischen Landsleute in den USA und in Kanada besuchte, stießen wir auf einem Parkplatz in Niagara, kurz vor den großen Fällen, auf einen „Inukshuk“ – eine jener überdimensionalen steinernen Figuren der kanadischen Indianer. Solche Figuren, deren Name übersetzt soviel wie „Jener, der einem Menschen gleicht“ bedeutet, erfüllten für die als Nomaden lebenden Inuit lebenswichtige Aufgaben. Diese „Inukshuiit“ (so der Plural) wurden aus herumliegenden, grob behauenen Steinblöcken zusammengesetzt und kennzeichneten für die indianischen Jäger und Sammler besondere Stellen: Orte, an denen ein Inuit etwa seine Waffen zurückgelassen hatte; Verstecke von Lebensmitteln für Frau und Kinder, die dem jagenden Familienoberhaupt in sicherem Abstand folgten; oder auch eine Warnung für andere Stammesmitglieder vor drohender Gefahr. Entlang der Küste markierten die steinernen Giganten oft einen vom Meer her nur schwer zu erkennenden Anlegeplatz für die Kajaks. Oft aber zeigten die Inukshuiit einfach nur die richtige Richtung an. Blickte man durch ihre steinernen Beine hindurch, ergab sich die Blickachse, in deren Verlängerung sich selbst bei Schnee und Nebel die nächste riesige Figur zeigte und so den Weg durch die Einöde wies. Noch heute markieren hunderte solcher Figuren in der kanadischen Wildnis Rucksacktouristen den Weg. Wer ihrer Route folgt, verirrt sich nicht. Der Inukshuk sagt dem Wanderer also „Jemand war schon hier“ oder „Du bist auf dem richtigen Weg“.

Das Faszinosum dieser teils aus vorchristlicher Zeit stammenden Figuren erschließt sich auch dem christlichen Welt- und Menschenbild. Nur das Christentum kennt einen Gott, der nicht in entfernten Sphären bleibt, sondern der sich auf den Weg in die Elementarwelt gemacht hat, nicht nur um den Menschen zu suchen, sondern auch um bei ihm zu sein, den Weg mit ihm zu gehen. Alle Wege, die der Mensch geht oder jemals gehen kann, hat er, der menschgewordene Gott, Jesus Christus, schon durchschritten. Er ist den Menschen – als „jener, der einem Menschen gleicht“ – bereits vorausgegangen, selbst durch die Wirrnisse und Schrecken des Lebens. Niemals sind wir alleine, weder in schönen noch in dunklen Tagen unserer Existenz. Er ist immer schon überall da gewesen, wo der Mensch hinkommt oder hinkommen könnte, um alle Wege zu sich zu führen, damit am Ende alles gut wird. Und dieser menschgewordene Gott ruft uns zu, keine Angst zu haben. Wohl niemand hat dies radikaler auf den Punkt gebracht als der heilige Papst Johannes Paul II. in einer Ansprache im Jahr 1978, am Beginn seines Pontifikats:

„Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst! Christus weiß, was im Innern des Menschen ist. Er allein weiß es!“

Wer den Mut hat, sich diesem „Inukshuk“ anzuvertrauen, wer der Blickachse des menschgewordenen Gottes folgt, verirrt sich nicht. Er ist und bleibt auf dem richtigen Weg. Einem Weg, der zum Ziel führt.

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