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Die Berufung
ОглавлениеWährend Obama diese persönliche Krise durchmachte, befanden sich auch die Vereinigten Staaten an einem beunruhigenden Punkt in ihrer Geschichte. Es waren die Jahre Reagans, mit all ihren Politik- und Finanzskandalen. Die Atmosphäre im gesamten Land war von Konformismus durchdrungen, angefangen beim Parlament.
Ein Anruf aus Chicago im Jahr 1984 sollte diesen Moment des Stillstands in Barack Obamas Leben durchbrechen. Er wurde von einem Sozialarbeiter der Calumet Community Religious Conference kontaktiert, einer Organisation, die mit 28 Kirchen unterschiedlicher Denominationen zusammenarbeitet: mit der katholischen, baptistischen und methodistischen Kirche und mit der United Church of Christ. Auf diese protestantische Denomination werden wir später noch genauer eingehen. Wichtig ist, dass dieser Zusammenschluss der Kirchen ihn darum bat, in einem der heruntergekommensten Viertel der Stadt, der South Side, als community organizer zu arbeiten (d. h. als Sozialarbeiter, aber auf höherem politischen Niveau). In diesem Viertel lebten hauptsächlich Schwarze, fast am Rande der Gesellschaft. Es war genau die South Side, von der Regina ihm am Occidental College erzählt hatte.
Seine Arbeit – oder besser gesagt, seine Herkulesaufgabe – bestand darin, Afroamerikaner dazu zu motivieren, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dies wiederum bedeutete, Projekte ins Leben zu rufen, soziale Reformen durchzusetzen, die katastrophalen Zustände an den Schulen zu verbessern, die Jugendlichen miteinzubeziehen und sie dazu zu bewegen, sich ernsthaft für ihr Viertel zu engagieren.
Barack Obama, der tatkräftige Unterstützung von Wilbur Milton, dem Diakon der katholischen Gemeinde, sowie von einigen Pastoren und vielen Frauen erhielt, stürzte sich sofort in die Stadtteilarbeit, doch was er dort erlebte, war ziemlich frustrierend. Die South Side befand sich in einem erbärmlichen Zustand: Die Hälfte der Kinder hatte noch nie ihren Vater gesehen und zudem waren die meisten Mütter fast selbst noch Kinder. Alkohol, Drogen und Gewalt waren an der Tagesordnung. Alle Initiativen, die Obama ins Leben rufen wollte, drohten aufgrund der Passivität der Bevölkerung, die sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte, im Sand zu verlaufen. Doch auch die zynischen Politiker Chicagos, die nur darauf bedacht waren, die Stimmen der Schwarzen zu erhalten und selten die Versprechen einhielten, die ihnen Obama bei den lebhaften und überfüllten Bürgerversammlungen entlocken konnte, waren ihm keine große Hilfe.
Trotz allem war die afroamerikanische Community nun zu seiner „spirituellen Heimat“ geworden und dieses Gefühl der Zugehörigkeit wurde nach dem verfrühten Tod seines Vaters in Kenia immer stärker. Obama sah sich als „Sohn Afrikas“ und dieser weit entfernte Vater war für ihn zu einer Heldenfigur geworden: „Es war das Bild meines Vaters (...), in das ich all die Eigenschaften packte, die ich selbst anstrebte: die Eigenschaften von Martin Luther King und Malcolm X, Walter Du Bois und Nelson Mandela.“17 Doch dieser Mythos war nun in sich zusammengebrochen.
Das einzige, was ihn tröstete, war, den spirituellen, kulturellen, sozialen und politischen Wert der schwarzen Kirchen jedweder Denomination zu entdecken. Die Pastoren spendeten den Menschen nicht nur Trost; sie regten sie auch dazu an, zu handeln ohne sich entmutigen zu lassen. Sie waren die besten „Community organizers“. Die ganze Sache hatte nur einen Haken: Obama kannte die Bibel sehr gut und er handelte als Christ – aber er bezeichnete sich nicht als solchen. Er war auch nicht getauft. Die Pastoren gaben nicht auf: „Hast du noch nichts von der Frohen Botschaft gehört?“ (damit war die Botschaft Jesu Christi gemeint). Doch er wich ihnen aus. Irgendwann riss Pastor Philips der Geduldsfaden und er sagte zu ihm: „Versuch es mal bei der Trinity United Church of Christ – die haben einen hervorragenden Prediger. Vielleicht kann der dich überzeugen.“