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10 – Eine Bootstour

Jo hatte den Investor auf seinem Handy angerufen und ihn über ihre zufällige Anwesenheit am Bodensee informiert.

Der Mann war sehr guter Dinge und lud die ganze Reisegesellschaft spontan zum Abendessen ein. Man könnte ja dann auch noch ein wenig über das anstehende Geschäft sprechen. Bevor er sich verabschiedete, kam ihm eine noch bessere Idee.

„Sagen Sie“, fragte er gedehnt, wahrscheinlich um die Spannung zu steigern, „haben Sie das Gelände eigentlich schon einmal vom See aus betrachtet?“

„Nein“, antwortete Jo, „das haben wir noch nicht. Wir sind ja auch erst heute hier angekommen!“

„Was halten Sie denn von einer Bootstour auf dem See?“, schlug der Verkäufer aus heiterem Himmel vor. „Ich zeige Ihnen die unbeschreiblich einzigartige Lage des Projektes vom See aus! Wie wäre es?“, fragte er unverzüglich.

„Das wäre sicherlich interessant zu sehen“, gab Jo ehrlicherweise zu.

„Alles klar“, freute sich der Händler, „sagen wir in einer Stunde im Bregenzer Hafen? Früher schaffe ich es nicht, mein Boot zu holen! Sie müssen dann aber auf die rechte Seite kommen, nicht da, wo die Passagierschiffe anlegen!“ Jo war einverstanden und bestätigte den Termin. Die Teenies und Swetlana sahen Jo fragend an und er sagte zu ihnen:

„Mädels holt die Bikinis raus, wir machen gleich noch eine Bootstour!“ Die Damen waren begeistert und Jo erinnerte seine holde Weiblichkeit daran, dass es nach Einbruch der Nacht am Wasser immer sehr kühl wurde und sie dementsprechend etwas zum Nachlegen in Bezug auf ihre Kleidung mitnehmen sollten. Dann begab sich das Quartett ins Hotel und suchte passende Outfits aus den Koffern. Jo grinste wieder vor sich hin, denn er hatte seine Sachen in zehn Minuten startklar, die Mädels hielten noch einen großen Kriegsrat ab.

„Ich bin unten, Kaffee trinken, wenn Ihr mich sucht“, verabschiedete er sich für den Moment und schob noch hinterher: „Denkt bitte dran, in jetzt einer dreiviertel Stunde sollen wir am Hafen sein, also bitte zeitig!“ Damit überließ er das Trio ihren Koffern und ging.

Tatsächlich kamen die drei nach rekordverdächtigen dreißig Minuten schon fix und fertig, topgestylt und mit kleinen Taschen bewaffnet, ins Restaurant. Die Damen drehten sich vor Jo einmal elegant und er nickte zufrieden. Dann war es auch schon Zeit zum Aufbruch, denn der Weg bis in den Hafen dauerte etwa zehn Minuten.

Sie waren noch nicht ganz bei den Sportbooten angekommen, da sahen sie eine ziemlich große Yacht in den räumlich doch eher begrenzten Sportboothafen einfahren. Der Verkäufer stand am Bug und winkte. Während sich Jo und die Damen wunderten, wer denn die Yacht steuern würde, drehte das Boot elegant und wurde routiniert von einem Skipper rückwärts an einem freien Platz angelegt. Deshalb konnte der Herr von Welt auch vorne auf dem Bug posieren. Ein zweites Besatzungsmitglied befestigte das Boot mit einer Leine am Steg und sie stiegen ein. Der Typ trug tatsächlich immer noch seinen Anzug, schwarze Lackschuhe auf einem weißen Boot und eine alberne Kapitänsmütze. Jo brannte die Frage auf der Zunge, ob er die Mütze auf der letzten Kirmes selbst geschossen hätte oder ob sie im Charterpreis mit inklusive war. Aber er biss sich auf die Lippe und schluckte die Frage herunter.

„Willkommen an Bord!“, posaunte der verhinderte Seemann. Man nahm Platz, einen kleinen angebotenen Drink und die Fahrt begann. Sie verließen den Hafen und fuhren langsam an der berühmten Seebühne der Bregenzer Festspiele vorbei.

„Waren Sie schon einmal hier zur Vorstellung auf der Seebühne?“, fragte der Möchte-gerne-Kapitän begeistert und fuhr direkt fort, ohne eine Antwort abzuwarten, „das müssen Sie unbedingt einmal erlebt haben. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen und Ihren Damen gleich morgen ein paar Karten besorgen?“ Offensichtlich schien Geld hier keine Rolle zu spielen oder aber er verfügte über ganz hervorragende Kontakte, um hier Ermäßigung zu bekommen.

„Herzlichen Dank“, antwortete Jo leicht lächelnd, „aber wir sind hier seit Jahren Gäste. Immer wenn ein neues Stück inszeniert wird, versuche ich nach Möglichkeit zur Premiere anwesend zu sein.“ Die Fahrt ging weiter und sie steuerten in die Mitte des Bodensees hinaus, um so eine bessere Sicht auf das Ufergelände zu haben. Nach kurzer Fahrt stoppten die Maschinen und das Boot wurde so gedreht, dass die Fahrgäste bequem im Sitzen den Erklärungen des Verkäufers folgen konnten. Die Lage des beschriebenen Geländes war, vom See her betrachtet, wirklich hervorragend. Aber da war ja noch der kleine schwarze Fleck auf der Karte des Modells auf der Anlegermesse gewesen. Darüber verlor der eifrige Verkäufer kein Wort. Stattdessen versuchte er erneut, Jo die möglichen Rechenmodelle und die zu erwartenden Renditen anzupreisen.

Jo winkte aber ab und erklärte: „Also, bei aller Liebe, aber für heute ist das genug an Information.“

„Dann möchte ich Sie alle heute zum Abendessen einladen, wenn Sie noch keine anderen Pläne haben?“, verkündete der Händler. Jo sah seine Damen an und die nickten allseits.

„Damit ist der Vorschlag angenommen“, grinste Jo. Der Gastgeber nickte und rief dem Skipper etwas zu, was Jo nicht verstand. Dann telefonierte er kurz mit seinem Handy in der Kajüte und kam anschließend zu seinen Gästen zurück.

„Ich habe mir erlaubt, Sie in das Restaurant eines Yachtclubs nach Kressbronn einzuladen. Wir sind dort jetzt angemeldet“, verkündete er stolz. Jo nickte nur wohlwollend und Swetlana wollte gerade den Mund öffnen, als sie Jos kaum sichtbares Kopfschütteln wahrnahm.

Die Yacht beschleunigte und nach einer knappen halben Stunde wurde die Geschwindigkeit wieder gedrosselt. Die Damen und Jo verfolgten aufmerksam die Einfahrt in die Marina und das Anlegemanöver der Crew. Der Gastgeber hatte keinen Handschlag getan. Die beiden Teenies wollte auch etwas sagen, aber Jo hatte sie auch mittels kurzem und kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln zum Schweigen gebracht. Das hatten alle drei ganz schnell verstanden. Bei dieser Geste hieß es immer: Später, NICHT JETZT! Sie waren schon gut aufeinander eingespielt, obwohl sie alle noch gar nicht so lange als Team zusammen arbeiteten.

Gemeinsam mit dem Gastgeber ging man von Bord und betrat nach kurzem Fußweg den Yachtclub.

Die Dame am Empfang strahlte, als die Gäste eintraten und sie schaute bei Jo und seinen Damen zweimal hin. Jo hatte die Hand vor dem Mund, hüstelte etwas, legte seinen Zeigefinger verstohlen auf seine Lippen und schaute die Dame am Counter an. Sie hatte schon für eine besonders freudige Begrüßung Luft geholt, wandelte die aber schnell in eine normale freundliche Begrüßung um. Jo nickte ihr zu und zwinkerte mit einem Auge. Die Empfangsdame hatte grandios reagiert. Der Gastgeber des Abends bestellte, was die Karte hergab. Offensichtlich spielte Geld bei ihm wirklich keine Rolle? Während die vier ihren Aperitif schlürften, entschuldigte sich der große Mann von Welt. Als Jo einen kurzen Gang zur Toilette einlegen wollte, um Platz für die angedrohten Köstlichkeiten zu schaffen, entdeckte er den Gastgeber heftig diskutierend mit dem Geschäftsführer des Clubs in einer versteckten Ecke des Lokals. Er konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber allein die Gestik und die Mimik der beiden Personen sprachen Bände. Offensichtlich war wohl doch nicht alles eitel Sonnenschein.

Jo beeilte sich, vor der Rückkehr des Händlers wieder auf seinem Platz zu sitzen.

„Das ist aber alles sehr feudal und nobel hier“, bemerkte Jo und schob anerkennend seine Unterlippe vor.

„Ich möchte Ihnen hiermit einen Eindruck davon vermitteln, wie wir uns unsere Anlage später vorstellen“, prahlte der Verkäufer. Jo tat schwer beeindruckt, denn er hatte zu diesem Zeitpunkt keine Lust auf langatmige Diskussionen mit dem Herrn. Es roch für Jo immer mehr nach faulen Eiern. Also nicht in der Küche, die war ausgezeichnet. Aber nach denen, die der Verkäufer an den Mann bringen wollte. Den restlichen Abend speiste man ganz feudal und ließ sich spätabends von der Motoryacht wieder zurück nach Bregenz in den Hafen fahren. Der redegewaltige Händler lud Jo auch noch für einen der Folgetage in sein Büro ein.

Jo blockte erst einmal ab und schob vor, er müsse noch andere Termine wahrnehmen. Bei Bedarf würde er sich mit dem Verkäufer in Verbindung setzen und sie könnten dann einen neuen Termin vereinbaren. Damit verabschiedeten sie sich und der verhinderte Freizeitkapitän wurde mit der Yacht wieder aus dem Hafen gefahren.

„Was war das denn heute Abend?“ platzte es aus Swetlana heraus, als das Wassergefährt mit Besatzung außer Hör- und Sichtweite war. Auch die beiden Teenager sahen Jo fragend an.

„Das passiert“, grinste Jo, „wenn man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat und auf Biegen und Brechen Punkte sammeln will!“

„Du meinst“, fragte Swetlana und sah ihn in ihrer gewohnt reizenden Art wieder spitzbübisch von der Seite an, „immer kräftig Staub aufwirbeln und den Leuten Sand in die Augen streuen, bis die anderen nichts mehr sehen können?“

„So in etwa“, grinste Jo, „ Du hast das Geschäftsmodell jetzt gerade begriffen!“

„Warum macht der sowas, wenn er doch offensichtlich so dringend Geld braucht?“, fragte Dunja irritiert.

„Das kann ich Dir auch nicht sagen, aber jetzt bin ich mir noch sicherer, dass hier etwas faul ist! Oberfaul, würde ich sogar sagen!“, schloss Jo.

„Ich war ja nur so froh“, beteiligte sich Christina auch an der Unterhaltung, „dass die Empfangsdame vom Yachtclub so super reagiert hat!“

Jo grinste und sagte: „Es braucht ja nicht gleich jeder zu wissen, wo wir Mitglied sind, nicht wahr?“

Den kurzen Weg ins Hotel nutzten die vier, um weitere wilde Mutmaßungen anzustellen.

Dinner am Abgrund

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