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Jörg Weigand: Vorbereitung für größere Aufgaben

Thomas R. P. Mielke und seine Spionage-Leihbücher


Es gibt Legenden, die halten sich hartnäckig – auch in der Science-Fiction-Szene. Zum Beispiel:

In der Adventszeit des Jahres 1960 schickte der zwanzigjährige Thomas Mielke, ein begeisterter Science-Fiction-Leser, sein erstes Manuskript an einen Verlag. Wie so gut wie jeder Enthusiast der damaligen Jahre, träumte er davon, ein berühmter und – natürlich – erfolgreicher Autor zu werden. Seine Wahl war auf die Verlagsgruppe Zimmermann in Balve gefallen, einen Spezialisten für Unterhaltungsromane aller Genres, die in gewerblichen Leihbüchereien ausgeliehen wurden.

Einem Gerücht zufolge, das sich hartnäckig in der Szene der vielbelesenen SF-Fans hält, soll der junge Autor – schließlich war Vorweihnachtszeit – seiner Manuskriptsendung einen mit Lametta geschmückten Tannenzweig beigelegt haben. Ein weiteres Gerücht will wissen, dass der (heute unbekannte) Lektor so gerührt über diese Geste war, dass er das Manuskript zur Veröffentlichung annahm.

Einiges an diesen »Ondits« ist richtig, eine Menge allerdings auch nicht. Thomas Mielke selbst ist nicht sicher über die zeitliche Abfolge und die genauen Umstände, wie es zur Veröffentlichung seines Erstlings »Unternehmen Dämmerung« gekommen ist. Wer übrigens Genaueres über den Inhalt dieses Schmökers (Mielkes eigene Bezeichnung dafür) wissen will, sei auf den Beitrag von Franz Schröpf in diesem Band verwiesen.

In seiner Mail vom 4. August 2019 schreibt Mielke: »So dürftig ich mich heute erinnere, habe ich ›Unternehmen Dämmerung‹ in den Jahren 1957/58 (also mit siebzehn, achtzehn) geschrieben und das Manuskript Ende 1958 zu Weihnachten in Weihnachtspapier verpackt und mit einem Tannenzweig belegt an den Zimmermann-Verlag geschickt.

Am 01.12.1958 habe ich in der ersten Freiwilligen Kompanie vom 1. LW-[=Luftwaffen]-Ausbildungs-Regiment in Husum angefangen und dabei statt eisigen Wintermärschen und blöder Grundausbildung sehr angenehme Indoor-Zeiten für das Ausmalen – z. B. mit Raumschiffen – der Kasernenflure verbracht. 1959 kamen zweimal die Technische Schule 1 der Luftwaffe in Kaufbeuren, die LW-Sprachschule und, da ich ja kein Abi hatte, ein Uffz-[Unteroffiziers]-Lehrgang dazu. Ich will’s nicht beschwören, aber es kann sein, dass ich das Manuskript erst beim Heimaturlaub zu Weihnachten 1959 abgeschickt habe. Denn erst im Februar 1960 ist das Agenturangebot von Heinz Bingenheimer von TRANSGALAXIS belegbar.«

In Bingenheimers Angebot vom 15. Februar 1960 heißt es: »Ich hatte Gelegenheit, Ihre Arbeit ›Unternehmen Dämmerung‹ zu lesen und war davon gut beeindruckt. Falls Sie mögen, würde ich Ihnen einen Agenturvertrag unterbreiten, um diese und evtl. folgende Arbeiten bei entsprechenden Verlagen zur Veröffentlichung zu bringen. Ich würde allerdings ein Pseudonym empfehlen, da die Verleger allgemein neuen deutschen Autorennamen (außer ein paar wenigen eingeführten Namen wie Scheer etc.) skeptisch gegenüberstehen.«

Der Vertrag mit Zimmermann in Balve datiert nur wenige Tage später als Bingenheimers Angebot, nämlich vom 24. Februar 1960.

In einer weiteren Mail vom selben Tage hatte Mielke noch angemerkt: »Wann das Ding erschienen ist, kann ich nicht mehr sagen. Sicherheitshalber würde ich 1961 annehmen.«

In eine einigermaßen verständliche Ordnung gebracht, hieße das wohl:


Geschrieben 1957/58.

Abgeschickt direkt an den Verlag in Balve wohl erst Adventszeit 1959.

Eine vermutete enge Zusammenarbeit (Lektoratstätigkeit?) zwischen Verlag und Bingenheimer (auch) als Agentur vorausgesetzt, wurde das Manuskript wohl vom Verlag zu Bingenheimer nach Friedrichsdorf im Taunus zur Begutachtung/Lektorierung geschickt.

Darauf erfolgte das Angebot durch Bingenheimer an den jungen Autor.

Es folgte der Verlagsvertrag.

Erscheinungstermin, folgt man dem Autor, war (Anfang) 1961.


In der ersten, hier zitierten Mail, schrieb Mielke weiter: »Bingenheimer, den ich bereits beim Con mit WE [= Walter Ernsting] und Jesco [von Puttkamer] in Bad Homburg [sogenannter »Biggercon«, 14.–16. September 1957] kennengelernt hatte, hat mir eine Serie von vier Spionage-Leihbüchern vermittelt, die alle etwas mit Ost-West, dem US-Projekt Mercury, Geheimdienst à la Bond und erdgebundener SF zu tun hatten.«

War »Unternehmen Dämmerung« eigentlich ein reines Fanprodukt, so könnte man diese vier Spionagetitel durchaus schon als Einstieg in die Profiarbeit ansehen. Aber eben nur als Einstieg. Man merkt bei der Lektüre schnell, dass da ein – wenn auch durchaus begabter – Anfänger am Werk ist, dessen Fähigkeiten zur lesefreundlichen und aktionsreichen Schilderung zumindest partiell immer wieder aufscheinen.

Der erste Roman »Wo Namen tödlich sind« wie auch der zweite »Rote Sichel über Beirut« sind konventionelle Spionagegeschichten, die vor allem deswegen auffallen, weil Spionage gemeinhin im Leihbuch kaum eine Rolle spielt. Im Gegensatz etwa zu Frankreich, wo der Spionagethriller sich durchaus neben dem normalen Kriminalroman behaupten konnte und kann, konnte sich das Agentenmilieu als Themenkreis weder im Romanheft noch im Leihbuch durchsetzen. Insofern war allein diese Themenwahl ein Faktum, das auf den Autor aufmerksam machte.

Da Mielke seinen Erstling als Science-Fiction zur Welt brachte, verwundert es wenig, dass er auch im Spionageumfeld SF-Elemente verwendete, genauer: in den Bänden drei und vier.

»Achtung Sperrzone« beschäftigt sich mit den Bemühungen der US-Amerikaner, im Wettlauf mit der Sowjetunion den ersten Menschen ins Weltall, genauer: in eine Erdumlaufbahn zu bringen. Man kann durchaus der Meinung sein, dass eine so zeitnahe Schilderung keineswegs Science-Fiction genannt werden kann, schließlich startete Gagarin am 12. April 1961 zu seinem Flug. Andererseits ist wahrscheinlich der Roman ein halbes Jahr zuvor oder noch früher geschrieben worden. Vielleicht stuft ihn der Autor persönlich als sozusagen gegenwartsbezogene SF ein.

Was den Roman in Hinblick auf das spätere Schreiben interessant macht, sind einzelne Stellen, wo ein gewisses Maß an ironischem Humor hervorlugt, der später auch in Mielkes »Marcus T. Orban«-Romanen (SF-Reihe des Zauberkreis-Verlages, Rastatt) immer wieder erkennbar wurde.


Zwei Polizisten saßen hinter ihren Schreibtischen. Einer las Zeitung, der andere schlief mit offenen Augen.

»Good evening«, sagte Old William laut. Sie rührten sich nicht. Wahrscheinlich hatten sie ihn nicht einmal bemerkt.

Burkley schlurfte auf die Barriere zu, hinter der die Schreibtische standen.

»Schönen guten Abend, die Herren!«

Noch immer machte keiner der beiden Cops Anstalten, ihn zu bemerken. Aber da waren sie an den Falschen geraten!

Er nahm vorsichtig die Dienstpistole des Zeitungslesers und knöpfte die Tasche auf. Die peinlich gut geölte »Zimmerflak« wies immerhin das beachtliche Kaliber von 0,45 Inches auf. So leise wie möglich lud er durch. Dann war eine Patrone im Lauf der 1919 A1.

Er drückte ab. Dann brach alles zusammen! Der Zeitungsleser hatte nur noch einen kleinen Fetzen in der Hand. Krachend fuhr das Geschoss neben ihm in die Wand. Ein faustgroßes Loch gähnte neben seiner rechten Schulter.

Wenn alle amerikanischen Raketen so senkrecht in die Luft gegangen wären wie der Cop, der manchmal mit offenen Augen schlief – die Amis wären schon seit zehn Jahren auf dem Mond. (S. 94/95)


Über die stilistischen Mängel dieser Schilderung sei stillschweigend hinweggesehen. Anfängerfehler und – vor allem – mangelndes Lektorat.

Ein total anderes Thema, das sich im Übrigen in den vergangenen Jahrzehnten zunehmender Beliebtheit erfreute, behandelt der letzte und vierte Spionageroman »Verrat war seine letzte Chance« von Roy Marcus: die alles vernichtende, die ultimate Waffe, gegen die es – allem Anschein nach – keine Gegenwaffe gibt. Daraus entwickelt sich die Spannung: so auch in diesem Leihbuch.

Hier ist es das sogenannte BBT, Abkürzung für »British Botilus Toxine«, eine Kombinationswaffe aus chemischen und biologischen Komponenten, die zusätzlich mit einer Miniatombombe in sogenannten Targets eingebaut ist und von der lediglich zwei Exemplare existieren, um die sich die internationalen Geheimdienste streiten. Hauptaustragungsort ist Hongkong mit seinem bunten Völkergemisch. Mir als Sinologen fiel sogleich das bemühte Pidgin-Chinesisch auf, das in dieser hier dargestellten Form eine ganz neue Sprache darstellt und ebenso einem Volk vom Mars zugehörig sein könnte.

Im Vergleich zum Spionageroman Nr. 1, in dem Namen tödlich sind, ist diese Geschichte bereits etwas besser erzählt. Man merkt, dass sich der Autor allmählich eine – wenn auch noch geringe – Schreibroutine erarbeitet hat. Hier flicht der Autor ein Detail ein, die nur SF-Insidern als etwas Besonderes erkennbar ist. Der Held, ein NBC-Reporter, trägt den Namen Gordon Bings; und der Kenner wird aufmerksam. Denn unter »Henry Bings« hatte Heinz Bingenheimer, Mielkes Literaturagent, bereits 1956 den SF-Roman »Welten im Brand« veröffentlicht und ein Jahr später die erste Anthologie mit deutschsprachigen SF-Kurzgeschichten nach 1945 herausgegeben. In dem Sammelwerk finden sich Kurzgeschichten heute so bekannter Autoren wie (in alphabetischer Reihenfolge) Rainer Eisfeld, Walter Ernsting alias Clark Darlton, Jürgen Grasmück alias Jay Grams, Wolfgang Jeschke, Karl Herbert Scheer, Willi Voltz. Kein Zweifel: eine Hommage des Autors an seinen literarischen Agenten.

Thomas R. P. Mielke hat mit »Unternehmen Dämmerung« sowie seinen vier Spionagetiteln einige Übungsstücke vorgelegt, die ihm eine erste Grundlage lieferten für später und ihn letztendlich befähigten, so grandiose Science-Fiction wie »Der Pflanzen Heiland« (1981) und »Das Sakriversum« (1983) zu schreiben, von »Der Tag, als die Mauer brach« (1985) ganz zu schweigen, in dem er ins politische Thema zurückgefunden hatte. Dass es ihm darüber hinaus gelungen ist, sich in der Folge im Bereich des historischen Romans ein internationales Renommee zu erarbeiten, zeigt, dass Autoren sich durchaus von unten (Leihbuch, Romanheft) nach oben (allgemeine Literatur im Hardcover mit Grenzen überschreitender Vermarktung) hinaufschreiben können.

Die Leihbücher waren der erste, sehr bescheidene Anfang; aber wichtig genug, um den Autor zu befähigen, Größeres in Angriff zu nehmen. Was ihm gelungen ist.


Bibliografie

(in der Reihenfolge des Erscheinens)


Roy Marcus: WO NAMEN TÖDLICH SIND … Spionageroman. Balve/Westfalen, Balowa, o. J. (1961), 255 S.

Roy Marcus: ROTE SICHEL ÜBER BEIRUT. Spionageroman. Balve/Westfalen: Balowa, o. J. (1961), 271 S.

Roy Marcus: ACHTUNG SPERRZONE. Spionageroman. Balve/Westfalen: Balowa, o. J. (1961), 271 S.

Roy Marcus: VERRAT WAR SEINE LETZTE CHANCE. Spionageroman. Balve/Westfalen: Balowa, o. J. (1962), 272 S.

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