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Franz Schröpf: Mike Parnell – ein Talent wird erkennbar

Thomas R. P. Mielke und sein Erstling »Unternehmen Dämmerung«


Der Bus kam schräg auf Parnell zu. Seine Reifen schabten den Schmutz von der Kante des Rinnsteins. Die farblosen Gesichter hinter den Scheiben sahen unbeteiligt geradeaus. Niemand interessierte sich für die zusteigenden Fahrgäste. (S. 3)

Doch dann kommt es zu einem folgenschweren Unfall:

Urplötzlich verwandelte sich das hohe Singen des Busses in schrilles Kreischen. Aus einer Nebenstraße schoss ein rotes Sportgiro direkt in die Hauptstraße hinein. Noch ehe Parnell begriffen hatte, stand der Fahrer des Busses auf den Bremsen. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es Parnell, als würde er keinen Laut mehr hören, doch dann war es zu spät.

Die Masse des großen Wagens prallte gegen das Sportgiro, das wie ein roter Blitz frontal gegen ihn knallte. Ein vielstimmiger Schrei vermischte sich mit dem Quietschen der Reifen und dem Klirren der Scheiben.

Parnell wurde von der Wucht des Aufpralls gegen die massive Frontscheibe geschleudert, die seinem schweren Körper nicht standhielt und in Tausende winziger Fragmente zersprang. Seine Finger glitten über scharfe Glaskanten und verbogenes Metall. Dann wurde er herumgeworfen und landete mit einem Krach in den Trümmern des Sportgiros. Jemand schrie lang und laut. Parnell schloss den Mund und merkte, dass er selbst geschrien hatte.

Er wollte sich erheben, doch da kam die Dunkelheit wie eine Springflut über ihn, hüllte ihn ein, saugte das Bewusstsein aus seinem Körper. (S. 3)

Die Erinnerung kommt wieder: Er heißt Parnell und ist Kommandant einer Jägerstaffel, im Einsatz gegen die Gelben, die Bande unfairer Mondgesichter. Oder doch nicht? Schwebt eine Maschine wirklich so schwerelos? Kommt das Pochen tatsächlich von Maschinengewehreinschlägen? Spiralen, strahlende Reflexe tanzen vor seinen Augen.

In diesem Moment sah er das Ende. Es war der Punkt, an dem sich die Spiralen vereinigten, der Punkt, wo sie in ein anderes Universum hinüberwechselten. Es war der Punkt an sich, Endpunkt und Beginn eines neuen Raum-Zeit-Kontinuums.

Parnell sah den Punkt und wusste, dass er da nicht mit hinüber durfte. Er spannte seinen Geist bis zum Übermenschlichen an, um der Spirale, die nun strahlend hell leuchtete, zu entrinnen. Er näherte sich fast mit Lichtgeschwindigkeit dem Knotenpunkt. Es war ihm klar, dass es einen gewaltigen Schock geben würde. Doch das war zur Not zu ertragen. Er wusste, dass es seine letzte Chance war. Rasend schnell näherte sich der Übergang. Es war höchste Zeit, denn er befand sich dicht vor dem Schnittpunkt. (S. 5)

Aber nein, dahin will er nicht, und mit einer riesigen geistigen Anstrengung sammelt er seine letzten Kräfte – und ist wieder unter den Lebenden.

Wie ein leichter milchiger Nebel schwebte LE zwischen den Polen des Aufladers. Es spürte, dass die Energie der Kraftstation immer schwächer wurde. Nicht mehr lange und sie würden ohne Aufladen auskommen müssen.

Das Wesen LE materialisierte sich und platschte mit seinem weichen Fuß auf den pyrogenen Bodenbelag. Vor ihm lag das Wesen SA fast völlig zusammengesunken. Die beiden Wesen sahen sich aus ihren einzigen Augen an.

»Nun? Es scheint zu Ende zu gehen«, meinte SA resignierend.

»Ich habe dir gleich gesagt, dass wir schon zu alt sind. Wir können uns nicht mehr verjüngen. Es wird Zeit, dass wir abgelöst werden.«

»Aber wer sollte uns denn ablösen«, stöhnte LE und presste einen seiner Tentakel auf den weichen Leib. »Ich kann nicht mehr«, sagte es mit einem Ausdruck ohnmächtigen Schmerzes. Es war etwas von bitterer Hoffnungslosigkeit in den Gebärden des Wesens,

»Wir haben versagt«, meinte das Wesen SA. »Wir gaben den Menschen zu viel Freiheit, doch nun, ich kann es kaum aussprechen: Wir werden keine Erben haben! Der Schatz unseres unendlichen Wissens wird in alle Winde verstreut werden. Vielleicht wird hier und da im Weltenraum etwas unserer Errungenschaften hervortreten, doch dann wird sich niemand an uns erinnern. Das ist das Ende einer einst mächtigen und großen Zivilisation.« (S. 5 f.)

Sol 4 war von einem Kometen getroffen worden, der fast das ganze Leben auf diesem Planeten ausgelöscht und die Oberfläche unbewohnbar gemacht hatte.

Eigentlich wollten die uralten Bewohner von Sol 4 den Menschen ihr gesamtes Wissen als Vermächtnis übergeben. Aber konnte man es diesen Menschen anvertrauen, die als einzige Lebewesen des Universums sich selbst zerfleischten? Nein, da war es besser, sie durch fliegende Robotscheiben einzudämmen und sie daran zu hindern, von ihrem Planeten aus in den Weltraum vorzustoßen und dort ihr grausiges Werk fortzusetzen.

Nacheinander steckte LE seine Tentakel in die glühende Öffnung der Maschine. Der Desintegrator spie eine kurze Stichflamme durch den Raum. Dann war es vorbei. Die weichlichen Reste des Marswesens lösten sich auf in einer Wolke süßlichen Rauches. (S. 7)

Eine andere Lösung weiß LE für sich nicht mehr; SA muss die große Mission allein weiterführen.

Parnell ist mittlerweile völlig gesundet und wartet als ACC-Mann – area control centre – auf seinen nächsten Einsatz bei Nato-1. An einer Bar hat er eine unheimliche Begegnung:

Da hob der Mann den Kopf und sah Parnell an. Parnell erschrak vor diesen Augen. Es gab nichts, vor dem sich ein Marine des Jahres 1977 mehr fürchtete als vor diesen Augen. Sie waren schmal und schlitzförmig. Ein »Gelber«, durchzuckte es Parnell. (S. 9)

Ein Unbekannter stellt den Kontakt mit Parnell her: Er soll Broch 0951 anrufen, von dem er wiederum angewiesen wird, sich ins »Andromeda« zu begeben und nach Conister zu fragen, der ihm Informationen über Victor Oscar Romeo geben würde. Als Parnell feststellt, dass während seines Krankenhausaufenthalts bei ihm eingebrochen wurde und die Unterlagen seines Freundes Orwell, mit denen dieser ein wichtiges Patent anmelden wollte, gestohlen worden waren, ist für Parnell klar, dass hier der Feind am Werk ist.

In der Bar wird er hinterhältig niedergeschlagen und vor den Chef der Gangster geschleppt:

Jetzt erst merkte Parnell, dass zwei der Männer mongoloid waren. Ihre leicht gelbliche Hautfarbe war geschickt überschminkt. Auf dem Tisch lagen Sonnenbrillen, die sie in der Öffentlichkeit trugen, um nicht aufzufallen. Er war entsetzt, dass es anscheinend doch eine recht starke Unterwanderung der freien Welt gab. Nach dem Saharakrieg hatten sich alle Völker zusammengeschlossen, um gegen die Machtgier der Gelben einzuschreiten. Seit einigen Jahren befand man sich im Kriegszustand. Zwar war nie eine Kriegserklärung abgegeben worden, doch war es mehr als ein kalter Krieg. Täglich ereigneten sich Überfälle auf bedeutende Führer der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens. So war es auch nicht verwunderlich, wenn das FBI stets auf der Jagd nach Angehörigen der gelben Rasse war. Und dennoch trieben sie sich überall herum. Sie waren der Schrecken der Großstädte, das Schreckgespenst der Kinder, die heimliche Furcht der Erwachsenen. (S. 13)

Parnell ahnt, was ihm bevorsteht: Man will ihn foltern, bis er alle Informationen über VOR preisgibt. Gleichzeitig erfährt er, dass der Orkan Pepsy alias Yellow Rose, der gerade die Vereinigten Staaten von Süd nach Nord verwüstet, das Werk der Gelben ist, die offenbar im Jahr 1977 technisch schon so weit fortgeschritten sind, dass sie das Wetter beeinflussen können.

Parnell, obwohl von dem Unfall noch geschwächt, stürzt sich auf die Gangster – und verliert das Bewusstsein. Er wurde durch eine Gasbombe von drei FBI-Agenten gerettet, sodass er in einem Flugzeug mit Kurs kanadische Grenze erwacht. Die Allersympathischsten sind die FBIler allerdings auch nicht, findet jedenfalls Parnell:

Der Schönstimmige brach in gurrendes Gelächter aus.

»Er denkt, haha – hätten Sie nicht eher daran denken können, dass gerade die Fähigkeit zu denken Sie vor einigen Unannehmlichkeiten bewahrt hätte? Ja, da staunen Sie! Wenn Mister Quaker und ich nicht gerade im ›Andromeda‹ gewesen wären, wo wir die überaus interessante Aufgabe hatten, Sie ein wenig zu beobachten, dann hätten Sie Ihr Spielchen mit den Gelben nicht so angenehm über die Runden gebracht. Danken Sie Mister Quaker, wenn er in letzter Sekunde ein winziges Gasbömbchen in den Gang warf. Er meinte nämlich, wir würden Sie noch gebrauchen können, und außerdem …«

»Halt den Mund, Süßer, soviel wollte Mister Parnell gar nicht wissen. Aber wenn es Sie beruhigt, kann ich Ihnen verraten, dass Sie in der einmaligen Situation sind, mit drei braven Leuten vom FBI, die für Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen, als einziger Fluggast der Staaten dicht an der kanadischen Grenze entlang zu gondeln.«

»Und wohin wollen Sie mich bringen?«

»Ist doch Staatsgeheimnis«, sang der Schönstimmige.

»Na, dann nicht«, resignierte Parnell. »Soll schon vorgekommen sein, dass jemand ’ne Faust im Gesicht gefunden hat, aber vielleicht überlege ich mir das noch.«

Der Schönstimmige schnappte nach Luft. »Das schlägt dem Fass die Krone mitten ins Gesicht.« (S. 15 f.)


Rekapitulieren wir die Handlung der ersten fünfzehn Seiten:

Parnell betritt einen Bus, dessen Insassen durch ihre Teilnahmslosigkeit Zeugnis für den bedauerlichen Zustand der künftigen Welt abgeben.

Ein Autounfall lässt ihn das Bewusstsein verlieren.

Parnell hat Halluzinationen, die in ein psychedelisches Nahtoderlebnis münden, wobei er nur knapp vor dem Tor in die nächste Welt zurückweicht.

Uralte Marsianer beklagen nicht nur ihr eigenes trauriges Schicksal, sondern auch die Grausamkeit der Erdenmenschen gegeneinander.

Die Gelben verwüsten Nordamerika mit einem Tornado, ohne als Urheber enttarnt zu werden.

Parnell wird von den Gelben entführt und mit Folter bedroht, aber von überaus unsympathischen FBI-Agenten, einer davon möglicherweise schwul, gerettet und mit unbekanntem Ziel fortgebracht.

Doch das ist erst der Auftakt zu einer unglaublich dramatischen und ebenso fantastischen Handlung, aus der Parnell am Ende als Erbe des marsianischen Wissens mit einer Flugscheibe, begleitet von seinem Freund Mike Trapp, in die Weiten des Weltalls entschwebt.

So bizarr »Unternehmen Dämmerung« auch teilweise ist, so deutlich kann man schon an einzelnen Passagen – etwa die ausgezeichnet geschilderten Halluzinationen nach dem Unfall – spüren, dass hier ein Science-Fiction-Autor am Werk ist, der über ein deutlich größeres Talent verfügt als die Masse seiner Kollegen und der nur noch einiger Erfahrung bedarf, um seine späteren großen Romane schreiben zu können.

Parnells machohaftes Auftreten und das Gruseln vor der Gelben Gefahr scheinen aus heutiger Sicht etwas kurios, waren aber in den frühen Sechzigerjahren gängige Kost in der Unterhaltungsliteratur.

Der Held des Romans, Parnell, hat keinen Vornamen, aber wenn man den seines besten Freundes Mike Trapp hinzunimmt, ist das Pseudonym »Mike Parnell« für diesen Roman fertig.

Für die Lektüre lag mir leider das originale Leihbuch von 1961 aus dem Verlag Widukind/Gebrüder Zimmer nicht vor. Aber das Zauberkreis-Taschenheft verspricht auf der Titelseite, es handle sich um eine »ungekürzte Ausgabe«.


Mike Parnell [Thomas Rudolf Peter Mielke]:

Unternehmen Dämmerung.

Zauberkreis Exklusiv Band 107, 128 S.

Rastatt/Baden: Zauberkreis, 1961.

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