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Jörg Weigand: Eine beispielhafte Karriere
Der Werdegang des Bestsellerautors Thomas R. P. Mielke
Ein Vorwort
Der 1995 verstorbene Verleger Gustav H. Lübbe war angestellter Kulturredakteur einer Regionalzeitung, als er 1953 den Sprung ins Wasser wagte: Er kaufte den Miniverlag Bastei von seiner bis dato recht glücklosen Besitzerin und etablierte sich mit seinem Neustart bald darauf in Bergisch Gladbach. Dass sein neues Unternehmen Unterhaltungsromane im Format Romanheft vertrieb, das von Bürgertum wie Feuilleton mit verächtlichem Naserümpfen angesehen wurde, berührte ihn nicht. Wichtig war ihm, dass er wusste, was er wollte.
So in etwa äußerte sich der Verleger Lübbe mir gegenüber, als ich ihn im Frühjahr 1976 für die Fachzeitschrift »Medien- & Sexual-Pädagogik« interviewte. Und er vertrat folgende These: Das Romanheft hat durchaus seine Berechtigung, bringt es doch Teile der Bevölkerung zum Lesen, die sich ansonsten nichts weiter als die Boulevardpresse zu Gemüte führen würden. Der Leser bzw. die Leserin von Romanheften – gleich ob Western, Krimi oder Liebes- oder Arztroman – hat die Chance, sich »hinaufzulesen«. Genau dafür hat Bastei zusätzlich zu seinen Heftromanen noch Taschenbücher. Und der Sprung von dort zu anderen Taschenbuchreihen bzw. auch ins Hardcover ist dann nicht nur möglich, sondern eher wahrscheinlich.
Der Verleger Lübbe vertrat nicht nur mir gegenüber diese Ansicht: Wie ich heute weiß, war das seine offizielle Meinung gegenüber jedermann, die er vehement und argumentativ durchaus nachvollziehbar vertrat. Und was er über die Leser sagte, ist ebenso deutlich verfolgbar bei vielen Autoren, von Irene Rodrian über Horst Bosetzky bis Wolfgang Hohlbein und Jörg Kastner sowie vielen weiteren: Sie hatten die Möglichkeit, im Romanheft zu üben, d. h. Schreibroutine zu erwerben, und in der Folge auf dem allgemeinen Buchmarkt Karriere zu machen.
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist auch unser Jubilar Thomas R. P. Mielke, dessen Anfänge als Schriftsteller und weiterer Werdegang geradezu beispielhaft diesen Weg aufzeigen:
Es begann mit Leihbüchern, jenen Schmökern auf dickem Papier, von denen der am 12. März 1940 in Detmold geborene spätere Bestsellerautor exakt fünf Titel in den Jahren 1960/61 veröffentlichte: einen Science-Fiction-Roman sowie vier Agentenreißer, von denen zwei vereinzelte SF-Elemente enthielten.
Der junge Autor war offensichtlich mit den Möglichkeiten des Leihbuchs nicht zufrieden: bei vollem Umfang ein vergleichsweise mäßiges Honorar. Da lockte der Romanheftmarkt, gab es doch zur damaligen Zeit zumindest sechs Verlage, deren Reihen und Serien einem fleißigen Schreiber Lohn für seine Mühe versprachen: Bastei (Bergisch Gladbach), Kelter (Hamburg), Lehning (Hannover), Marken (Köln), Moewig (München), Pabel (Rastatt) und Zauberkreis (Rastatt). Der Vorteil, Romanhefte zu schreiben, bestand darin: Man akzeptierte kürzere Manuskripte und bot dazu besseres Honorar als bei den Leihbuchverlagen. Es spricht für den Geschäftssinn des jungen Autors, dass er dies erkannte.
Ab 1966 erschienen von Thomas R. P. Mielke in rascher Folge bei den Verlagen Kelter und Zauberkreis eine große Anzahl von SF-, Kriminal- bzw. Spionage- sowie Horrorromanen. Der Autor schrieb unter folgenden (Verlags-) Pseudonymen: Cliff Corner, Bert Floormann, Henry Ghost, John Taylor sowie seinem persönlichen Decknamen »Marcus T. Orban«. Allein unter letzterem Pseudonym veröffentlichte Mielke im Zauberkreis-Verlag über dreißig Titel, die zum Teil in der gleichen Reihe »Z-Science-Fiction« nachgedruckt wurden. Einzelne Titel kamen später auch noch einmal auf den Markt – als Taschenbuch bzw. sogar als Hardcover (Das Beste, Bastei-Lübbe, Schneekluth).
Die Entwicklung eines Autors – soll man es Karriere nennen? – lässt sich bei nicht wenigen in Phasen einteilen. So auch bei Thomas R. P. Mielke, bei dem es sogar etwas wie eine Gliederung gibt:
1. Veröffentlichungen im Leihbuch und im Romanheft (neben SF auch andere Spannungsliteratur [1961–1983]);
2. Science-Fiction von herausragender Güte im Taschenbuch (1980–1986);
3. mythologisch-abenteuerlich-historische bzw. historisch-biografische Romane (ab 1988).
Bei der vielseitigen schriftstellerischen Begabung dieses Autors kann es nicht überraschen, dass sich die einzelnen Phasen überlappen.
Als Mielkes erstes Science-Fiction-Taschenbuch »Grand Orientale 3301« im Jahre 1980 erschien, war seine Arbeit für das Romanheft noch keineswegs abgeschlossen. Doch der Autor strebte ganz offensichtlich nicht nur nach höheren Honoraren (das gewiss auch), sondern vor allem nach mehr Anerkennung – und das war ihm als Taschenbuchveröffentlichung eher erreichbar, denn mochten Texte noch so gut geschrieben und so flüssig lesbar sein, als Romanveröffentlichung wurde ihnen automatisch von gewissen Kritikerseiten ein schmuddeliges Image verpasst.
Mielke dazu (in einem Interview 1984): »Früher hat er [der Autor spricht von sich selbst] versucht, möglichst viele Pseudonyme zu benutzen, weil das, was er geschrieben hat, als ›Schmutz und Schund‹ galt. So hieß das damals, und ›Schundromane‹ zu schreiben, war eben die unterste Stufe der Literatur. Dass man so etwas schrieb, durfte man doch höchstens auf SF-Cons zugeben, und deswegen habe ich die auch ein paarmal besucht, bis ich dann merkte, dass da alle nur von sich selber reden, und dann bin ich nicht mehr hingegangen.«
Der Münchner Wilhelm Heyne Verlag stand in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts bereits hoch in der Gunst der Leser (und der Kritiker); er war sozusagen der Vorzeigeverlag für gehobene Science-Fiction im deutschen Sprachraum. Hier zu erscheinen war gleichbedeutend mit der Verleihung eines Adelstitels im Mittelalter. Mit einem Schlag war der bis dato eher übersehene Autor »jemand«, der aufmerksame Beachtung verdiente.
Freilich, einen umfangreichen Roman zu schreiben, verlangte Zeit, viele lange Monate, in denen zahlreiche Heftromane entstanden wären. Mielke selbst hat bestätigt, dass er zur Niederschrift seines ersten Taschenbuchromans anderthalb Jahre gebraucht hat, »ein Zeitaufwand, den ich normalerweise für zehn oder sogar zwanzig Heftromane ansetze.«
Hier bleibt anzumerken, dass Mielke in jungen Jahren bei Wolf Detlef Rohr in Augsburg hospitiert hat. Der fleißige Romanschreiber, der im Leihbuch neben Science-Fiction und Kriminalthrillern auch Frauenromane (Pseudonyme bislang ungeklärt) veröffentlicht hat, betrieb im bayerischen Schwaben neben der Schreiberei auch noch eine literarische Agentur. Beide Professionen unter einen Hut zu bekommen, verlangte schnelles, marktorientiertes Schreiben – und hier lernte der junge Thomas, was es heißt, am Fließband Unterhaltungsromane zu Papier zu bringen.
Auf den Roman »Grand Orientale 3301«, der Mielke in den Mittelpunkt des Interesses stellte, folgten zwei weitere umfangreiche SF-Titel, die den Erstling qualitätsmäßig überboten: »Der Pflanzen Heiland« (1981) sowie »Das Sakriversum« (1983), in denen der Autor in vollem Umfang die Qualitäten zum Tragen brachte, die ihn in der Folge auszeichneten: originelle Ideen, geschickt platzierte Plots und sorgfältige stilistische Ausarbeitung unter Vermeidung inhaltlicher Längen (Füller).
Hier machte sich bemerkbar, wie wichtig die langjährige Übung am Heftroman für diesen Autor war. Thomas R. P. Mielke hat sich freimütig dazu selbst geäußert: »Ich sehe das als reine Lernphase an, ich kann es schließlich nicht wegdiskutieren. Ohne die Schmöker hätte ich das ›Sakriversum‹ nie geschrieben. Wenn diese Erfahrungen, diese Routine und auch dieses Unbehagen über die Routine nicht gewesen wäre, würde mir schreiberisch heute etwas fehlen.«
Diese drei umfangreichen Romane waren nicht nur eine Bereicherung der SF-Produktion beim Heyne-Verlag, sie zeigten auch, dass herausragende Originalität und Qualität deutscher Science-Fiction die erforderliche positive Resonanz beim Publikum fand. Mit anderen Worten: Das waren keinesfalls Ladenhüter. Warum also der verantwortliche SF-Herausgeber bei Heyne, Wolfgang Jeschke, einen sich innerhalb weniger Jahre derart profilierten Autor in seinen Reihen nicht weiter pflegen wollte, bleibt rätselhaft bis unverständlich. Vielleicht war ihm der unerwartete Erfolg des bisherigen »Heftel«-Schreibers unangenehm, dessen Vergangenheit peinlich?
Aufgehängt wurde Mielkes Rausschmiss aus dem Heyne-Programm an einem Manuskript, das der Autor unmittelbar nach dem »Sakriversum« eingereicht hatte: »Der Tag, an dem die Mauer brach« hieß der SF-Polit-Thriller, den Jeschke nicht akzeptierte – etwa, weil ihm das Thema allzu utopisch erschien? Oder aktuell politisch zu »heiß«? Mielke musste den Verlag wechseln; das Buch kam bei Bastei-Lübbe heraus – selten trat eine Voraussage der Science-Fiction so schnell ein, wenngleich der Roman im Jahr des Erscheinens auch bei der Kritik eher als zu spekulativ, ergo unwahrscheinlich beurteilt wurde.
Die Episode als Autor bei Bastei-Lübbe war kurz: Es erschien noch »Die Entführung des Serails« (1986) und ein Sammelband mit Nachdrucken einiger Z-SF-Romane, diesmal unter dem Realnamen. Dann begann Phase 3 in der schriftstellerischen Entwicklung von Thomas R. P. Mielke: Die Geschichte wurde zum beherrschenden Thema.
Im Schneekluth-Verlag hatte Mielke einen interessierten Multiplikator seiner ersten fünf historisch orientierten Romane und Romanbiografien gefunden. Wie schon bei der Science-Fiction, wo sich der Autor als Übergang in die Sortimentsbuchproduktion bewusst anspruchsvollen Themen gestellt hatte, ist auch Phase 3 seiner Autorentätigkeit von großen Namen geprägt: Da geht es um Gilgamesch, Karl den Großen, Karl Martell, Attila den Hunnenkönig. Kein Thema ist zu anspruchsvoll oder thematisch überfrachtet, der Autor stellt sich der Herausforderung. Und hat damit weltweiten Erfolg.
Auffällig dabei: Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen und Kolleginnen belässt er es nicht beim Historisieren. Mielke Verständnis vom historischen Roman verlangt die genaue bis pingelige Recherche. Trotz dieser Detailgenauigkeit zeichnet seine oft sehr umfangreichen Romane eine sehr gute Lesbarkeit aus – denn beides ist wichtig: Genauigkeit und gefälliger Stil. Mielke bietet beides; der Leser dankt es ihm, wie die Auflagenhöhen zeigen.
Da ich kein Spezialist für historische Romane bin, auch wenn im Hause Weigand solche sehr sorgsam geschriebenen Bücher entstehen (geschrieben von meiner Frau Karla), überlasse ich es anderen Kennern der Materie, sich weiter dazu zu äußern.
Was wichtig ist, sei hier noch einmal betont:
Thomas R. P. Mielke ist seinen Weg als Autor vom Romanheft über das anspruchsvolle Taschenbuch bis zum Hardcover zielstrebig gegangen. Und man kann feststellen, dass sich parallel dazu die Qualität seiner Arbeit fast kontinuierlich gesteigert hat.
Thomas R. P. Mielke hat eine beispielhafte Karriere bis hin zum Bestsellerautor hingelegt – ein Vorzeigeautor, dem hier zu seinem achtzigsten Geburtstag von Herzen zu gratulieren ist.