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Karla Weigand: Eliten

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Das Treffen war absolut geheim. Aus gegebenem Anlass war über die in einem armseligen Kaff in der Eifel stattfindende Zusammenkunft nichts in den Medien verbreitet worden.

Der Grund dafür lag nicht darin, dass es sich bei den Teilnehmern um Mitglieder krimineller Banden gehandelt hätte, die ihre jeweiligen Territorien neu abstecken mussten; und mitnichten waren es Umstürzler, denen der demokratisch-freiheitliche Kurs der Regierung nicht passte: Keiner der Damen und Herren (Verhältnis sechs zu sechs) plante ein Attentat, die Aushebelung von irgendwelchen missliebigen Gesetzen oder sonst etwas Verwerfliches.

Wozu dann die Geheimniskrämerei?

Die Geladenen mittleren Alters, unauffällig gekleidet – die Ladys hatten auf Schmuck verzichtet – trafen in ganz gewöhnlichen Automobilen ein, einige hatten sich sogar zu Fahrgemeinschaften zusammengetan. So trafen sie an einem schönen Spätfrühlingstag des Jahres 2084 in XYhausen ein. Der Name der Ortschaft tut hier nichts zur Sache.

»Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, dass Sie den Weg hierher nicht gescheut haben.

Dank unseren Spitzennavigationsgeräten, die nichts mehr mit den störanfälligen ›Navis‹ seligen Angedenkens gemein haben, die einen auch schon mal in einem See landen ließen, kann heutzutage auch noch das letzte Kuhdorf ohne Schwierigkeiten aufgespürt werden!«

Der Redner war bemüht, seinen Vortrag ein wenig aufgelockert zu gestalten.

»Gerade die relative Abgeschiedenheit von XYhausen war vor dreißig Jahren für die damals Verantwortlichen ausschlaggebend, die Traute zu haben, hier in der Eifel diese erfolgreiche Institution ins Leben zu rufen!

Abgeschieden, äußerlich – von der Größe abgesehen – unauffällig und bescheiden wirkend, erfüllt diese segensreiche Anstalt heute mehr denn je ihren Zweck. Allerdings klagen die Betreiber seit Jahren über Platzmangel. Diesem abzuhelfen, indem wir uns um Finanzierungsmodelle kümmern, werden wir uns in den nächsten zwei Tagen nach Kräften bemühen.

Unser Projekt soll schließlich nicht zum Stillstand kommen oder gar daran scheitern, dass für die jugendlichen Bewohner zu wenig Platz vorhanden wäre, nicht wahr?«

Der Sprecher erntete beifälliges Nicken der übrigen elf Anwesenden. Alle vertraten die Meinung, einen weiteren An- und Ausbau werde man mit links hinbekommen; Geld war schließlich in den verschiedenen Töpfen genug vorhanden.

»Derzeit besuchen dreihundertfünfzig Sechs- bis Neunzehnjährige unsere exklusive Ausbildungsstätte«, fuhr der Referent fort, ein etwa fünfzigjähriger, sehr gepflegt und durchtrainiert erscheinender Mann im dunkelgrauen Businessanzug.

Der Minister der Bundesregierung, denn um einen solchen handelte es sich, hatte sich dem bislang noch nicht ausgerotteten Krawattenzwang, dem er leider in seinem Arbeitsalltag immer noch unterlag, dadurch entzogen, dass er einen hellblauen Seidenrolli gewählt hatte.

Auch die anderen fünf männlichen Tagungsteilnehmer waren leger gekleidet; der eine, der mit »Kulturstrick« aufgetaucht war, hatte diesen nach einem kurzen Rundumblick im Tagungssaal unauffällig in einer Sakkotasche verschwinden lassen. Der Annahme, er sei ein Spießer, wollte er keine Nahrung geben.

Auch die Damen, dezent geschminkt und eher schlicht frisiert, hatten auf spektakuläres Outfit verzichtet. »Nur nicht auffallen«, lautete die Devise der Anwesenden.

Allen gemeinsam war eine bemerkenswert schlanke Figur. Über eine solche verfügten mittlerweile alle »guten Staatsbürger«. Es war selbstverständlich, sich bei der Nahrungsaufnahme zu disziplinieren. Fettleibigkeit erzeugte Krankheiten, belastete demzufolge die Krankenkassen und war daher als »unsozial« geächtet.

Abweichungen vom Body-Mass-Index galten in höchstem Maße als unfein, ja abstoßend und zeugten nach allgemeinem Verständnis von großer Disziplinlosigkeit, ja galten in gewissem Maße auch als aufmüpfig und widersetzlich gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen.

Wer fett war, galt als jemand, der sich willentlich außerhalb der Gesellschaft stellte, und wurde als »unsicherer Kantonist« in Sachen Staatstreue und Loyalität gegenüber dessen Organen betrachtet. Das ging so weit, dass Eltern, die ihre Kinder zu »Moppeln« heranfütterten, mit Geldstrafen sanktioniert und von allen schief angesehen wurden.

Speckrollen und Bauchwülste fanden sich hauptsächlich bei »Underdogs« und bei gefährlichen Individuen; wobei Letztere im besonderen Fokus des Inlandsgeheimdienstes standen.

»Vor weit mehr als hundert Jahren«, fuhr der Minister fort, »hat die katholische Kirche den ursprünglichen, ehrwürdigen Bau, in dem wir uns heute befinden, und der einst als Kloster eine Schar von Mönchen beherbergt hatte, zu einem Heim für unliebsame Früchte sexueller Ausrutscher von Geistlichen und ihren Haushälterinnen umfunktioniert. In den Pfarrhäusern konnte und wollte man diese aus naheliegenden Gründen nicht aufziehen …

Ein halbes Jahrhundert lang leistete dieses Heim gute Dienste. Die unehelichen Kinder waren aus dem Blickfeld der Gläubigen verschwunden – so, als gäbe es sie gar nicht und ›Zucht und Ordnung‹ waren nach außen wiederhergestellt.

Vor dreißig Jahren erfolgte dann erneut eine Umwidmung des Gebäudes, nämlich in ein ›Internat für speziell zu fördernde Schüler‹.

Was hatte man sich jetzt darunter vorzustellen? Handelte es sich bei diesen Kindern und Jugendlichen um solche, die der Volksmund als ›schwachsinnig‹ bezeichnete? Sollten die Ärmsten hier einen Sonderunterricht genießen, der auf ihre eklatanten Lernschwächen und geistigen Defizite, die selbst die so beliebte ›Inklusion aller‹ überforderte, im Besonderen einging und sie bestmöglich förderte, um ihnen als Erwachsene eine einigermaßen akzeptable Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen?

Die Dorfbewohner von XYhausen jedenfalls nahmen das an, nachdem sie mit der Überraschung konfrontiert worden waren, von jetzt auf gleich ihre inzwischen vertrauten ›Pfarrerbastarde‹ zu verlieren. Der Ausdruck klang nicht gerade liebevoll, war aber längst nicht mehr böse gemeint gewesen. Mittlerweile hatten ihn die Heimbewohner selbst benutzt, sobald sie sich im Ort vorstellten …

Man konnte damals zuletzt sogar den Eindruck gewinnen, die solchermaßen stigmatisierten Jugendlichen habe eine gewisse Art von Stolz erfüllt: Immerhin waren sie der ›normalen‹ Liebe von Männern und Frauen entsprungen!

In Zeiten, in denen man den Eindruck hatte gewinnen können – und wie böse Zungen auch nicht müde wurden, zu verbreiten –, die katholische Kirche sei, des Pflichtzölibats wegen, ein willkommenes Sammelbecken für Schwule, sowie ein praktisches Auffanglager für Pädophile und Päderasten, waren ›Pfarrerbankerte‹ in ihrer Wertigkeit doch um etliche Stufen höher anzusiedeln! Im Übrigen sahen das die Einwohner von XYhausen genauso.

Warum sollte also das Heim nicht mehr weitergeführt werden?

Tatsache war, dass es im Laufe der Jahrzehnte immer weniger dieser ›Sündenkinder‹ gab. Ob es daran lag, dass die katholische Geistlichkeit, die sich nach wie vor ans völlig widernatürliche Zölibat halten musste, mittlerweile gelernt hatte, Kondome zu benutzen, oder die Pfarrersköchinnen die Pille nahmen oder sonstige Verhütungsmaßnahmen anwandten – oder dass es fast nur noch schwule Kleriker gab?«

Den meisten Zuhörern war das mit den »Sündenkindern« völlig neu gewesen. Darüber war offenbar vonseiten der katholischen Kirche sehr effizient der Mantel des Schweigens gebreitet worden …

»Tatsache war, meine Damen und Herren: Das riesige Gebäude war auf einmal leer gestanden und die Kirche bemühte sich, es loszuwerden, ehe es jahrelang nutzlos vor sich hingammelte und trotzdem eine Unmenge Kosten für Heizung und Instandhaltung verschlang.

Die Suche nach einem zahlungskräftigen Käufer gestaltete sich aufgrund der Lage nicht ganz einfach, aber auf einmal gab es gleich zwei Interessenten zur selben Zeit: Ein Pekinger »Maschinenbaubetrieb«, der erneut irgendwelche unnützen Roboter entwickelte, und die Bundesregierung. Letztere war es dann auch, die den Zuschlag für das Objekt ›in der Pampa‹ bekam.

Dass man den Bau als Internat und Bildungseinrichtung für Schüler nutzte, lag eigentlich aufgrund der räumlichen Aufteilung, sowie der gut ausgestatteten Sporteinrichtungen auf der Hand. Bloß welche das sein sollten, darüber kursierten nur wilde Gerüchte.

Die Kinder und Jugendlichen lebten zu Anfang weitgehend abgeschottet von der Dorfbevölkerung. Aber Handwerker und Lieferanten, die notgedrungen mit den Zöglingen in Berührung kamen, berichteten den neugierigen Dörflern, dass es sich keineswegs um ›geistig Defizitäre‹ handelte.

Hm. Hatte man es vielleicht mit Schwererziehbaren zu tun? So argwöhnten daraufhin besonders Ängstliche. Waren die Jungen und Mädchen womöglich gefährlich für die Allgemeinheit? Müsste man künftig abends die Haustüren sorgfältig verschließen und sich zum Schutz Wachhunde anschaffen? Dass man die Betreffenden quasi kasernierte, sprach jedenfalls dafür …

Ehe es von der furchtsamen Bevölkerung zu größeren Protestveranstaltungen und damit zu unliebsamem Aufsehen kam, lockerte die Internatsleitung die ›Residenzpflicht‹ der Kinder und Jugendlichen ein wenig. Am Wochenende etwa durften sie für einige Stunden ins Dorf hinunter gehen und manche freundeten sich sogar mit der Dorfjugend an, wurden in die Familien eingeladen und richteten gemeinsame Fußballturniere aus.

Das Ganze war und blieb aber eine Einbahnstraße: Umgekehrt war es nämlich nicht erlaubt, dass die Dorfkinder einen Gegenbesuch unternahmen …

Auffallend waren die guten, ja exzellenten Manieren der jungen ›Burgbewohner‹, wie man sie in XYhausen nannte. Sie grüßten jedermann, lärmten nicht ungebührlich, tranken kaum Alkohol, stritten sich so gut wie nie mit den Einheimischen, machten nichts kaputt – und falls doch, geschah es aus Versehen und nicht aus Übermut oder mit Absicht; sie entschuldigten sich umgehend und sorgten für Wiedergutmachung.

Bürgermeister, Gemeinderat und Bewohner von XYhausen waren nicht nur beruhigt, sondern im Laufe der Zeit geradezu begeistert von den wohlgesitteten Insassen des Internats, über das die Leitung schließlich, um das dauernde Gerede abzuwürgen, das Gerücht streute, es handele sich bei den jungen Leuten um ›Waisenkinder‹. Eine Behauptung, die widerspruchslos angenommen wurde.

›Drum erzählen die auch nie was über ihre Eltern und ihre Familien!‹, verlautete im Dorfwirtshaus. ›Die meisten verraten noch nicht mal, wo genau sie geboren sind!‹, kritisierte einer der Stammtischbrüder.

›Vielleicht wissen es die armen Würmer auch gar nicht!‹, gab darauf einer vom Stamme der sogenannten ›Gutmenschen‹ zu bedenken. Und dabei beließ man es.«


»Wie schon beim letzten Mal angemerkt, wird demnächst das Gebäude tatsächlich aus allen Nähten platzen«, fuhr der Referent fort. »Wie ich vermelden darf, werden wir nämlich neuen und kräftigen Zuzug aus den einzelnen Bundesländern erhalten! Das hat mir die Frau Bundeskanzlerin definitiv zugesagt und mich – und damit Sie alle – ihrer großen Zufriedenheit mit unserem Projekt versichert, meine Damen und Herren! Auch, dass wir es über drei Jahrzehnte verstanden haben, dieses Projekt vor den Augen einer vermutlich missgünstigen, weil verständnislosen Öffentlichkeit wirksam zu verbergen, indem wir es so grandios getarnt haben, findet ihren ungeteilten Beifall.

Unsere Regierungschefin gab ihrer Hoffnung Ausdruck, das möge auch so bleiben, denn die Aufgaben, vor denen wir als Bundesrepublik stehen, sind ja keineswegs kleiner geworden und die Probleme mit USA, Russland und China sind für alle Europäer und damit auch besonders für uns eine permanente Herausforderung!

Wir werden uns nur behaupten können, wenn wir geistige Eliten heranziehen und fördern – und zwar so viele wie irgend möglich! Kein Talent darf unentdeckt verloren gehen – das können wir uns schlichtweg als Land ohne Bodenschätze – außer ein bisschen Kohle, die aus Umweltschutzgründen sowieso keiner mehr will – nicht leisten.

Und, meine Freunde, das wollen wir auch nicht! Zum Glück ist es unseren Vätern vor dreißig Jahren gelungen, das Ruder gerade noch rechtzeitig herumzureißen, um der wachsenden Verblödung unserer Kinder und Jugendlichen zumindest partiell entgegenzutreten! Und zwar dergestalt, dass wir die anspruchs- und niveaulosen Lehrpläne, die wir vor allem linken Spinnern und sonstigen ›Heilsbringern‹ zu verdanken hatten, anstandslos der ›großen Masse‹ der Bevölkerung überlassen haben und für unsere lernwilligen und intelligenten Schüler ganz andere, den Geist tatsächlich fordernde Pläne auf den Tisch gelegt – und für die damals relativ wenigen Kinder auch durchgesetzt haben!

Sie erinnern sich sicher noch, was ein deutsches Abitur vor drei Jahrzehnten wert gewesen ist? Nichts, verglichen mit den Leistungen und dem Kenntnisstand von jungen Menschen anderer relevanter Staaten!

Selbst Länder Afrikas und Asiens, die man vor fünfzig, sechzig Jahren noch als ›Entwicklungsländer‹ eingestuft hat, hatten uns, was Wissen und Fertigkeiten junger Leute anbelangte, zu diesem Zeitpunkt bereits überflügelt. Hochschulprofessoren schlugen regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie mit den ›Leistungen‹ dieser Studienanfänger konfrontiert wurden.

Ja, meine lieben Mitstreiter, den Rückwärtsgang einzuschalten, um den Rutsch in den Abgrund aufzuhalten und noch rechtzeitig umzusteuern in eine Gesellschaft, die wusste, dass ihre einzigen Ressourcen in den Köpfen ihrer einzelnen Mitglieder liegen, die weiß Gott nicht nur aus Hilfsarbeitern oder Hartz-IV-Empfängern bestehen sollten, sondern die imstande waren, im großen Weltkonzert ein wichtiges Instrument zu spielen – das war nicht einfach!

Sie alle haben es noch erlebt und Sie haben auch daran mitgearbeitet, damit es klappte. Vielen Dank dafür!

All denen, die bestrebt gewesen sind, das intellektuelle Niveau unserer Kinder beständig zu senken und dabei die Kapazitäten ihrer Gehirne auf dem unheiligen Altar der sogenannten ›Inklusion‹ zu opfern bereit waren, haben wir, der andauernden Querelen und der dümmlichen Argumente, man dürfe Kinder nicht ›überfordern‹ und ›keinen zurücklassen‹, überdrüssig, ihnen sozusagen ›das Feld überlassen‹, auf dem sie sich seither darum bemühen dürfen, einen großen Teil der Kinder sich in einer angeblichen ›Wohlfühloase‹ der permanenten geistigen Unterforderung, nur ihren ›eigentlichen kindlichen Interessen‹ folgend, zu suhlen.«

Der Referent erntete zustimmendes Murmeln, Kopfnicken und vereinzelt war Klatschen zu hören.

»Ich danke Ihnen, meine verehrten Freunde! Damit kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich betonen, dass wir natürlich nichts gegen die Inklusion körperlich Behinderter haben. Drei Prozent unserer derzeitigen Schüler sind physisch stark eingeschränkt.

Kein Problem bei uns! Wir alle werden uns noch an das großartige Genie Stephen Hawking erinnern, der den alten Lateinerspruch ›mens sana in corpore sano‹ aufs Augenfälligste ad absurdum geführt hat! Lassen Sie mich fortfahren, was die damals ›modernen, überaus humanen‹ Damen und Herren Pädagogen unter ›kindgerechtem Unterricht‹ verstanden haben und immer noch hochhalten:

Hausaufgaben? Eine Zumutung, viel zu stressig und absolut unnötig!

Sprecherziehung? Wozu denn? Es würde die jüngeren und älteren Schüler nur hemmen, sich ungeniert zu äußern, wenn sie sich nicht mehr in ihrem heimischen Dialekt oder ihrem gewohnten Kleinkindersprech ausdrücken dürften!

Außerdem würde man Migranten beleidigen, die noch nicht gut Deutsch können, wenn man sie ›oberlehrerhaft‹ verbessern würde. Was nebenbei gesagt dazu führte, dass die meisten Ausländer besser Deutsch konnten, als die Einheimischen. Aber ich will nicht abschweifen.

Rechtschreibung? Igitt! Wer braucht denn so was? Wir schreiben nach Gehör, frisch, fromm, fröhlich, frei, wie es uns gerade einfällt! Eine Zensur findet auf keinen Fall statt! Später (wann denn, bitte schön?) werden wir dann behutsam versuchen, den Kindern Rechtschreibung samt Groß- und Kleinschreibung (wobei die Großschreiberei eigentlich überflüssig ist!) und die noch lästigere Interpunktion näherzubringen. Also: Diktate: Fehlanzeige.

Aber so wichtig ist das nicht: Wer schreibt denn heute noch? Und wenn, dann ist bloß relevant, dass man noch irgendwie versteht, was gemeint ist!

Letzteres erfüllt meines Erachtens schon fast den Tatbestand eines Verbrechens, meine Damen und Herren! Nämlich an der Intelligenz unserer Nachkommen. Ich weiß, Sie sehen das genauso: Jeder vernunftbegabte Mensch weiß doch, dass Abläufe, die sich einmal verfestigt haben, also auch Fehler, nur sehr schwer, wenn überhaupt, zu revidieren sind. Aber, was soll’s?

Dann schreibt eben Hänschen Müller auch noch als Johann Müller: ›Das haus von mein fatter is gros.‹ Und von Margarete Meier, der Schwester meiner Zugehfrau, konnte ich in einem Beschwerdebrief ans Ordnungsamt lesen: ›Da hund fon meiner nachbarin laufte hinder meiner kaz Her und hat sie woln beisn‹, ganz so, wie sie es als Gretchen in der Schule auch zu Papier bringen durfte, ohne dass so ein besserwisserischer Pädagoge dagegen eingeschritten wäre.

Sei’s drum. Dafür haben die lieben Kinderchen eine schöne Kindheit, ohne Schulstress, ohne Noten: logisch! Und ohne demütigende Konkurrenz mit anderen Schülern. Schon blöd, wenn man merkt, dass andere schlauer sind als man selbst! Dafür: keine Demotivierung! Wovon eigentlich? Und ohne – und das ist am allerwichtigsten – lästige ›Verpflichtungen‹. Was für ein garstiges Wort! Und mit der Schulpflicht soll es auch nicht so genau genommen werden.

Was ist denn schon dabei, fragen die Damen und Herren von der human-fortschrittlichen Lehrerzunft, wenn Susanne mal keinen Bock auf Schule hat und stattdessen lieber mit ihren genauso dümmlich gestrickten Freundinnen irgendwo ›abhängt‹, um einfach mal während der Unterrichtszeit ungestört zu chillen, als sich von ihrer Lehrerin mit den Namen von den Hauptstädten unserer Bundesländer anöden zu lassen? Oder noch schlimmer: Womöglich so eine altmodische Geschichte von einem gewissen Bert Brecht – lebt der noch? Wer ist dieser uncoole Typ denn überhaupt? – lesen zu müssen, wo ›Lesen‹ nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört? Warum überhaupt auf Schüler irgendeinen Zwang ausüben?

Pfui, aber auch! ›Druck erzeugt bloß Gegendruck‹ und gute Pädagogen wissen das selbstverständlich!

›Kinder brauchen Liebe und Verständnis und keine Gebote und schon gar keine Verbote!‹, lautet das Credo aller beschränkten Gutmenschen mit Lehrbefugnis – und von der Sorte gibt's leider viel zu viele. Und sie merken gar nicht, wie sie von den lieben Kleinen an der Nase herumgeführt werden und sich selbst jeglicher Autorität berauben, die sie natürlich ohnehin nur als schlimmes Instrument der Unterdrückung verachten: ›Kinder müssen sich ohne jede Einschränkung entfalten dürfen. Alles andere ist Körperverletzung, wenn nicht gar Vergewaltigung!‹

Dass dann die Gleichung sehr leicht lauten könnte: ›Null Einschränkung ist gleich Beschränktheit‹, weisen sie natürlich weit von sich.

Dass das dann auch bedeutet, dass die Schüler in die Klasse kommen und gehen dürfen, wann sie Lust dazu haben und die meiste Zeit, die sie denn dann tatsächlich im Unterricht körperlich anwesend sind, mit ihrem Smartphone verbringen, ihre ›Likes‹ checken, ihre E-Mails abrufen und natürlich sofort beantworten – dazu reicht der rudimentäre Sprachschatz gerade noch – oder um ›Fake News‹ und Mobbing unters Volk bringen – wen kümmert’s?

Ganz klar: Schule und Unterricht und Lernen werden kolossal überschätzt!

Ich selbst war anlässlich einer Visitation einer ›normalen‹ vierten Grundschulklasse Zeuge, wie eine Schülerin im Hintergrund des Klassenraums auf einer Matratze, sorgfältig zugedeckt, gelegen hat und schlief. ›Die Kleine ist nur müde! Hat wohl vergangene Nacht zu wenig Schlaf bekommen!‹, hat mir die Lehrerin auf meine Sprachlosigkeit und meine ratlosen Blicke wie selbstverständlich erklärt.

Bloß kein Zwang! Das gibt sich alles von selbst. Irgendwann wird sich auch der größte Faulpelz oder Dummkopf zum interessierten Musterschüler entwickeln. Außerdem: Wir brauchen keine ›Eliten‹, die sich überlegen fühlen! Immer schön das Mittelmaß anpeilen!

Diesen Unsinn, meine Freunde, glauben die Pädagogen tatsächlich, die sich nicht Erziehung oder gar Unterrichtung und Belehrung, sondern ›Freiheit für alle, auch und gerade für unsere Schüler!‹ auf ihre Fahnen geheftet haben.

Wenn es nach uns geht, kann es ruhig so bleiben, meine verehrten Anwesenden!

Solange wir in Ruhe unsere geistigen Eliten ausbilden können – in der Tat verbunden mit einem gewissen ›Schulstress‹, mit gesundem Konkurrenzkampf, mit geistigem Kräftemessen, mit Disziplin und Lernwillen – und nicht zu vergessen, mit der Anerkennung ihrer intellektuellen Leistungen durch Lob, gute Zensuren und Empfehlungsschreiben für Eliteuniversitäten – dann, meine Damen und Herren, können wir zufrieden sein und der Entwicklung in unserem Land mit Erleichterung und Zuversicht entgegensehen.

Es wird uns dank engagierter Lehrkräfte und lernwilliger junger Leute weder flächendeckende Verblödung noch Absinken auf ›Underdogniveau‹ drohen. Ich muss das leider so hart formulieren!«

Erneute Zustimmung seiner Zuhörer veranlasste den Referenten, temperamentvoll fortzufahren.

»Alle anderen überlassen wir ruhig ihren geliebten Verdummungsmechanismen, die da lauten: Bloß keine Bücher lesen!

›Lesen gefährdet die Dummheit!‹ Das wusste man schon vor gut neunzig Jahren, als spaßeshalber auf der ›Frankfurter Buchmesse‹ Jutetaschen mit diesem zutreffenden Spruch verteilt wurden.

Rechenaufgaben einfachster Art übernimmt längst irgendeine Rechenapp und Landkartenverständnis oder Stadtplanlesen ist auch vollkommen »out«. Wozu gibt es auch hier die entsprechenden Apps und die tollen Navis? Genauso ist es mit Verkehrszeichen: Wer muss die noch kennen? Wir fahren schließlich autonom.

Und zur Unterhaltung gibt es das gute alte Fernsehen mit seinen vielen schwachsinnigen Programmen! Schon seit Generationen laufen solche Brüller wie etwa ›Kochshows‹, obwohl ›normale‹ Hausmänner und Hausfrauen längst nur noch Fertigzeug in die Mikrowelle stellen.

Serien über angebliche ›Promis‹, ihre Liebesaffären, Trennungen und Versöhnungen oder Berichte über den überflüssigen Nachwuchs irgendwelcher unnützer Adelshäuser genügen den meisten vollkommen. Vielleicht noch hin und wieder ein Tierfilmchen mit niedlichen kleinen Braunbärchen – die Eisbären sind ja mittlerweile in freier Natur ausgestorben – oder, immer noch sehr beliebt, mit Tigerbabys – Letztere auch nur noch in Zoos anzutreffen.

Was immer noch bestens ankommt, sind die nach wie vor ›tollen‹ Geschichten aus dem ›Dschungelcamp‹, bei denen sich ein Mensch mit einigermaßen Verstand nur wünschen kann, diejenigen, die sich freiwillig dorthin begeben und zu Deppen der Nation machen, sollten am besten für immer dortbleiben.

Aber das allerwichtigste Dopingmittel für den Plebs wollen wir natürlich nicht vergessen: KÖNIG FUSSBALL! Er sorgt nicht nur für ein paar Stunden Unterhaltung in vollen Stadien, sondern hauptsächlich für die astronomischen Gehälter der Funktionäre und der Kicker, die dann ihrerseits auf wunderbare Weise ebenfalls zu ›Promis‹ mutieren, selbst wenn gewisse Stars des grünen Rasens kaum ihren Namen schreiben können.

Außerdem ermöglicht Fußball jedes Mal den regen Meinungsaustausch der mündigen Bürger. Hier darf – und soll – jeder nach Herzenslust das Maul aufreißen; hier ist seine ganz individuelle, selbstverständlich faktenbasierte Kompetenz gefragt, hier darf sich jeder voll und ganz ›einbringen‹.

Schließlich leben wir in einer Demokratie, gelle! Und die lebt bekanntlich von der freien Diskussion aller ›Experten‹. Und als solcher fühlt sich zumindest der männliche Teil unserer Bevölkerung – obwohl man auch den weiblichen in dieser Sache nicht unterschätzen darf.

Ich will fairerweise nicht verhehlen, meine lieben Freunde, dass auch ich gelegentlich der Faszination des Fußballs unterliege, falls ein Topspiel geboten wird, und auch ich mich ›schlauer‹ Kommentare nicht immer zu enthalten vermag.

An ihren Gesichtern sehe ich, meine Herren, dass es Ihnen hin und wieder genauso ergeht. Es steckt eben immer noch in uns drin!

Während ›das Volk‹ über Twitter ergötzt, verwundert oder aufgeregt kommentiert, dass irgendein BWB, meine Abkürzung für ›Busenwunderbambi‹, sich von ihrem Mann scheiden lässt, den langjährigen Liebhaber endlich heiratet oder in den Wind schießt, drei Kinder adoptiert oder eine Konkurrentin ohrfeigt, erfreuen wir, meine Herrschaften, uns lieber an der Nachricht, dass heute erneut drei ehemalige Absolventen unseres Elitegymnasiums für den Nobelpreis in Medizin, Physik und Chemie nominiert – und ausgezeichnet worden sind!«

Angenehm überrascht, jedoch nicht allzu sehr – schließlich war man an Erfolg gewöhnt – verliehen die Zuhörer ihrem Respekt durch Akklamation Ausdruck.

»Ferner darf ich verkünden, meine Freunde, dass Professor Doktor Julian Ebersbacher, ein weiterer Ehemaliger unserer Institution, mit seinen Mitstreitern kurz davor steht, in Fachkreisen mit einer wahren Sensation von sich reden zu machen!«

Oha, das klang ja verheißungsvoll.

Jeder im Raum wusste selbstverständlich darüber Bescheid, woran Professor Ebersbacher seit geraumer Zeit forschte: Es ging darum, die »Raum-Zeit-Schranke« zu überwinden, um es einer kleinen Gruppe von Auserwählten zu ermöglichen, »auszuwandern«.

Als Ziel hatte man den kleinen Planeten »Epsylon-CX 743« ausgewählt, weil dort nach neuesten Erkenntnissen die Überlebenschancen für Menschen am ehesten gewährleistet waren. Es gab genügend Wasser und eine ausreichende Sauerstoffhülle. Licht war geradezu im Übermaß vorhanden – man würde Filter installieren müssen, um die auf der Erde herrschende Tag-Nacht-Situation zu simulieren.

»Die Durchschnittstemperatur hat Ebersbacher für den Tag auf immerhin dreiundzwanzig und für nachts auf plus drei oder vier Grad Celsius berechnet. Also, meine Freunde, alles im Lot!«, fuhr der Referent fort. »Damit kann man sehr gut leben. Der Obst- und Gemüseanbau, der Nutzpflanzenanbau überhaupt sowie die Viehhaltung ist damit ebenfalls gewährleistet.

Auf Letzteres legen wir von Anfang an großen Wert. Wie Sie wissen, sind wir Menschen keine reinen Pflanzenfresser – das weiß jeder, der das menschliche Gebiss und den menschlichen Verdauungsapparat kennt.

Jeder, der unfreiwillig, etwa aus Gesundheitsgründen, auch auf mäßigen Fleischverzehr verzichten muss, genießt unser aufrichtiges Bedauern. Wer sich freiwillig dem Veganismus unterwirft, wird von uns nicht für voll genommen! Hätten unsere Vorfahren kein tierisches Eiweiß zu sich genommen, wäre unsere Gehirnentwicklung wahrscheinlich irgendwo bei den Gorillas oder Schimpansen stecken geblieben! Wobei man von Letzteren weiß, dass sie nicht selten kleinere Affenarten und andere Säugetiere verspeisen.«

Leises Kichern im Raum veranlasste den Vortragenden zu einem kleinen Scherz: »Sie lachen, meine Damen und Herren! Aber schauen Sie doch beim ›gemeinen Volk‹ mal genauer hin! Nach etlichen Generationen, die von ihren Müttern streng vegan aufgezogen worden sind, finden sich überproportional viele, die sich tatsächlich intellektuell nicht mehr allzu weit von unseren Uraltvorderen, die noch auf Bäumen hausten, unterscheiden! Ich weiß«, schränkte er ein, »das klang jetzt sehr hochmütig.

Aber, meine Lieben, seien wir doch einmal ehrlich: Schon zur Zeit der alten Babylonier, Ägypter, Griechen, Römer und sonstigen Kulturvölkern war man sich des Unterschieds zwischen den einzelnen Menschen bewusst: Die einen bildeten die Oberschicht und die anderen den Plebs. Solange die Oberschicht dafür sorgte, dass das ›Volk‹ zufrieden war, ging alles gut: ›Brot und Spiele!‹ Das reichte.

Mittlerweile ist die Unterschicht um einiges anspruchsvoller in ihren Forderungen geworden. Möglichst viel Alkohol, Freiheit für Drogen, allzeit ein voller Bauch – Hauptsache viel, süß, fettig und billig – eine schwachsinnige Unterhaltungsindustrie, folgenloser Sex für alle, überall und jederzeit und das Wichtigste nicht zu vergessen: bloß keinerlei Stress für den Denkapparat!

Jede Anstrengung der kleinen grauen Zellen gilt es zu vermeiden, denn Stress ist ja so ungesund! Das sagen sie einem doch immer im Fernsehen; also muss es wahr sein!

Die Fähigkeit, selbstständig zu denken, zu entscheiden und danach zu handeln, hat man im Laufe der letzten Jahrzehnte den meisten schon ganz schön abtrainiert; man kann den Eindruck gewinnen, dass Gehirnschmalz bei vielen nur noch rudimentär vorhanden ist.

So werden diese von interessierter Seite auch niemals angehalten, etwas zu lesen. Diese Fertigkeit, einen längeren Text zu entziffern und diesen auch noch zu verstehen, ist bei den meisten inzwischen kaum noch vorhanden. Hauptsache, es reicht zum Lesen von Twitter-Nachrichten. Beim Schreiben schaut es – wen wundert's? – ebenfalls traurig aus.

Politik gilt als ›garstig Ding‹ und die Beschäftigung damit wird weitgehend vernachlässigt.

›Die da oben machen ja eh, was sie wollen!‹, dient dabei seit Jahrzehnten schon zur wohlfeilen Entschuldigung. Eine dümmliche Aussage, die deswegen nicht klüger wird, weil man sie beständig weiter tradiert. Obwohl bei Wahlen lediglich ein kleines Kreuz zu machen ist, was eigentlich keine intellektuelle Überforderung darstellen sollte, wird zunehmend auf dieses ›Recht eines freien Bürgers‹ freiwillig verzichtet.

Wenn Sie mich fragen, eine Schande! Und zugleich eine nachträgliche Ohrfeige für all jene, die einst für das allgemeine Wahlrecht auf der Straße demonstriert und nicht selten ihr Leben dafür gelassen haben. Aber das ist eine andere Sache.

Der Masse reicht es, hinterher, wenn die Regierung sich gebildet hat und Sachen beschließt, die dem ›kleinen Mann‹ nicht schmecken, das Maul gewaltig aufzureißen und auf die Straße zu gehen und zu randalieren!

Stichpunkt ›Randale‹, meine verehrten Damen und Herren! Dazu habe ich folgenden Vorschlag zu machen und bitte dafür um Ihre freundliche Unterstützung:

Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass jedem Bürger unseres Landes pro Dekade drei große Demos mit Beleidigungen, Anpöbeleien, Sachbeschädigungen und meinetwegen auch leichten Körperverletzungen von Ordnungshütern und Vollzugsbeamten ausdrücklich gestattet werden!

Ich bin überzeugt, das käme sehr gut an und würde den Glauben an unsere Demokratie bei gewissen Individuen, über deren IQ wir hier nicht weiter diskutieren wollen, enorm stärken und festigen! Und wir möchten doch nichts anderes, als die armen, geistig Minderbemittelten unter uns glücklich zu machen! Ein zufriedener Normalbürger, der sich in seinem Leben nicht groß anstrengen muss und mit fünfzig mit vollen Bezügen in Rente gehen darf, wird kaum auf die Idee kommen, am Bestehen der jetzigen Situation etwas ändern zu wollen. Wobei ich im Übrigen nicht verhehle, dass es mit den vollen Rentenbezügen noch immer nicht recht klappen will. Zeit, dass sich das ändert, damit alle glücklich sind!

Ich registriere Ihre ungläubigen Mienen, meine lieben Anwesenden! Aber sehen Sie es doch einmal so: Die Kohle für alle verdienen doch sowieso wir Gebildeten – und wir sind ja schon lange so klug, die Deppen fürs Nichtstun zu alimentieren! Das ist uns nämlich die Sache wert, dass sie uns in Ruhe unser Ding durchziehen lassen! Dass unsere Kinder lernen und studieren dürfen, um später ihr erworbenes Wissen und ihre mit Fleiß erarbeiteten Kenntnisse nutzbringend – zusammen mit anderen Gelehrten der Welt – anwenden können!

Es ist daher nur mehr als gerecht, dass wir, die wir unser Gehirn noch benutzen, auch vornehmlich in den Genuss der Früchte aller geistigen Anstrengungen, unserer Studien, sowie unserer jeweiligen anspruchsvollen Arbeit, gelangen. Aber wir müssen, um Unruhen jeglicher Art zu vermeiden und störungsfrei agieren zu können, auch die schlichten Gemüter ›anständig‹ leben lassen. Glauben Sie mir: Es ist nur zu unserem eigenen Vorteil!«

Die Mienen der Zuhörer hatten sich längst wieder entspannt. Der Referent hatte ja so recht.

»Meine Freunde, ich sehe mich in der freudigen Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass berechtigte Hoffnung besteht, doch ziemlich bald die Ernte unserer Anstrengungen genießen zu dürfen – auf dem fernen Planeten ›Epsylon CX-743‹. Noch zu unseren Lebzeiten wird es so weit sein!

Die gute alte Erde werden wir dann großzügig den verweichlichten, degenerierten und – ich sage es frank und frei – den dann mit Sicherheit halbverblödeten Erdlingen überlassen.

Wenn diese dann, sobald die Katastrophen über sie hereinbrechen, niemanden mehr haben, der ihnen das Denken abnimmt, werden sie vielleicht erkennen, dass es nicht so verkehrt sein kann, sein Gehirn zu benutzen.

Etwas, das ihnen allerdings in ihrer Beschränktheit schwerfallen wird. Allein, wenn sie sich in ihrem ungezügelten Vermehrungsdrang etwas beschränken würden, wäre schon viel gewonnen! Aber das, meine Freunde, sollen sie dann unter sich ausmachen, sobald magere Zeiten anbrechen, weil Nahrung und andere wichtige Ressourcen nicht mehr für alle ausreichen werden.

Es könnte spannend werden, die armen Erdenwürmer von unserer Komfortwarte aus im Auge zu behalten, wie sie sich ohne uns durchschlagen werden: Wie lange das Motto dann noch gelten wird: ›Brot und Spiele für alle!‹

Aber leider, leider ist das noch für eine ganze Weile Zukunftsmusik. Ich bin jedoch befugt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass unser Institut unter den ersten drei vergleichbaren Vorzeigeschulen Europas zur besten gekürt worden ist! In der Weltrangliste stehen wir immerhin auf Rang drei nach China und den USA. Endlich ist es uns gelungen, die Russen zu überflügeln!«

Diese erfreuliche Nachricht löste diskreten Jubel aus. Endlich!

»Die Amis wollen wir auch noch packen«, verkündete der Redner mit einem gewissen Stolz. »Nur mit den Chinesen wird es sehr schwer werden. Deren Ressourcen an geistigem Potenzial scheinen geradezu unerschöpflich zu sein.

Außerdem begünstigt die chinesische Staatsform die geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Anders als etwa in Deutschland oder vergleichbaren westlichen Demokratien müssen sie ihre ›Eliteschulen‹ nicht irgendwo in der Pampa regelrecht verstecken, um nicht den Missmut derjenigen zu erregen, die sich gern in ihrem Stumpfsinn suhlen und das auch für ihren Nachwuchs so beibehalten wollen.

In China wird der Intellektuelle, sofern er sich loyal zum Kommunismus bekennt, gefördert und von jedermann respektiert und sieht sich nicht dem Vorwurf der ›Dummen‹ ausgesetzt, sich einzubilden, ›etwas Besseres zu sein‹ als die geistig dröge Allgemeinheit.

Wir wissen natürlich, meine lieben Freunde, dass wir in der Tat ›etwas Besseres‹ sind – und zu dieser Art berechtigtem Hochmut stehen wir auch! Aber klug, wie wir sind, und weil wir mit unseren Strukturen zurechtkommen müssen – und nicht mit chinesischen –, halten wir nach wie vor den Ball flach, indem wir uns um ›Volksnähe‹ bemühen.

Genauso, wie es früher auch der hohe Adel gemacht hat, der sich nur zu ganz wenigen und sehr speziellen Gelegenheiten mit dem ›Volk‹ gemeingemacht hat und dafür umso mehr verehrt und geliebt worden ist – um vieles mehr, als es eine permanente Anbiederei hätte bewirken können.

Beschließen möchte ich meinen Vortrag mit der Ankündigung, dass wir als Angehörige vom Bundesministerium für Bildung und Erziehung – Gott sei Dank hat man sich teilweise von dem ineffizienten Unding, der sogenannten ›Länderhoheit‹ in Sachen Schule und Bildung verabschiedet – einen kräftigen finanziellen Nachschlag aus einem Sonderfonds erwarten dürfen, gespeist aus Spenden intelligenter, erfolgreicher Männer und Frauen.

Dieser wird es uns erlauben, unsere Schülerzahl im kommenden Trimester um zwanzig Prozent bei den neu Aufzunehmenden gegenüber den Vorjahren zu erhöhen. Ich plädiere dafür, dabei vermehrt diejenigen jungen Menschen im Auge zu haben, die in ihren jüngeren Jahren als unaufmerksam, uninteressiert und untauglich für eine höhere Bildung angesehen wurden.

Ich denke da an den Sohn eines unserer Lieferanten; ein ewiges Sorgenkind, der in der Grundschule wegen ›Faulheit‹ gerade mal so mitkam – und später war’s auch nicht besser. Ein Legastheniker war er und mit Rechnen hatte der Junge auch wenig am Hut.

Seine Eltern, normale Mittelständler, waren am Verzweifeln. Aber siehe da! Kaum war der Knabe sechzehn, legte er ein Lerntempo vor, das einen bloß noch staunen ließ.

Ich setzte mich damals dafür ein, dass er in unserem Internat Aufnahme fand und da legte er erst richtig los. In Nullkommanichts hatte er alle Versäumnisse aufgeholt und vor vier Jahren hat er seinen Doktor in Biochemie gemacht!

Manche sehr intelligenten Kinder entwickeln sich langsamer und brauchen etwas länger, um zu ihrer Höchstform aufzulaufen. Diese Jugendlichen behandeln wir meines Erachtens immer noch zu stiefmütterlich und lassen dadurch allzu oft geistiges Potenzial ungenutzt brachliegen.«

»Hört, hört!«, ertönte es anerkennend und einzelne Zuhörer klatschten.

»Ach, ja! Der Vollständigkeit halber sehe ich mich dazu gezwungen, Sie darüber zu informieren, dass der Ausstoß an ›Abiturienten‹ bei unseren herkömmlichen höheren Schulen erneut um fünf Prozent gestiegen ist. Etwas, worüber die Kultusminister der einzelnen Länder nach eigener Aussage sehr stolz und glücklich sind und die Allgemeinheit wissen lassen, dass es künftig kaum noch möglich sein wird, eine weitere Steigerung zu vermelden!

Lassen wir ihnen den Triumph. Bedeutet er in unseren Augen doch nur, dass das Höchstmaß an Inklusion aller – auch der weniger Begabten, sowie der geistig Minderbemittelten – und die damit verbundene Niveauabsenkung fast erreicht sind! Heureka! Die Damen und Herren Dozenten an den Hochschulen und Universitäten werden ihre helle Freude an diesem ›Studentenmaterial‹ haben.

Aber uns soll das nicht weiter stören und noch weniger beirren! Meine lieben Freunde und Mitstreiter, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Morgen widmen wir uns der künftigen Finanzierung des geplanten Anbaus.«

Seine Ausführungen ernteten donnernden Applaus.

ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG

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