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Die Skizze vom Gesicht des Toten, gesehen bei Nacht und Morgendämmerung und im Licht einer tanzenden Stablaterne, gesehen von einem scharfsichtigen Maler aus etwa fünfundzwanzig Metern Entfernung. Die zweite Skizze: Gesicht eines der Männer, die ihn auf die Schienen gelegt hatten.

»Kopieren, bitte.«

Der Assistent, ein Kilo Papiere unter dem Arm, legte den Stapel ab, legte die Skizze darauf, klemmte sich den Haufen wieder unter den Arm und ging.

»Viel ist es ja noch nicht«, sagte der Mann vom BKA.

»Immerhin genug, um Sie einzuschalten.« Die Stimme des Hauptkommissars enthielt eine Andeutung von Ressentiment, gemischt mit Stolz auf die selbstverständlich, wenn auch ungern, erfüllte Informationspflicht gegenüber der höheren Instanz.

»Erstaunliche Augen, dieser Krollmann«, sagte das BKA.

»Mhm«, sagte die Bonner Kripo.

»Also, wenn die zweite Skizze, die von einem der Täter, so genau ist wie die vom Opfer, dann müßten wir den Mann bald erwischen können. Mir ist nur schleierhaft, was die Mullahs mit der Sache zu tun haben sollen.«

»Er stand auf der Abschußliste. Da muß man mit allem rechnen.«

Der Mann vom BKA nickte und zündete sich die nächste Zigarette an.

»Aber ohne Krollmanns Aussage ...«, sagte der Hauptkommissar.

»Ich weiß. Dann war’s nur ein Betrunkener, der über die Gleise stolpert und von einem Zug erfaßt wird. Vielleicht hätte man routinemäßig Fingerabdrücke oder so etwas ...«

»Vermutlich nicht. Wir hätten wahrscheinlich eine Autopsie machen lassen. Der Junge war randvoll, bis zur Halskrause. Drei komma acht Promille, schätzen die Mediziner. Alkoholvergiftung. Desorientiert. Unfall.«

»Immerhin. Die Hände waren noch halbwegs heil. Hm. Also eine iranische Abschußliste.«

Der Hauptkommissar verzog das Gesicht. Er mochte »Persisch« und »Persien« lieber; er fühlte sich auch keineswegs verpflichtet, alle Staaten der Welt in der jeweiligen Landessprache zu erwähnen – Tschung-hua statt China zu sagen oder gar Pyi-Daung-Su Socialist Thammada Myanma Naingng-an-Daw statt Burma. »Ja«, sagte er. »Abgebrochener Student. Zeitweilig Mitglied der hiesigen Volksmudschahedin. Hat gegen Khomeini geredet, geschrieben und demonstriert. Einmal vor der Botschaft in Godesberg. Dabei, wenn nicht früher, ist er aus dem Gebäude fotografiert worden. Die Liste haben wir von ein paar persischen Krawallbrüdern aus Mainz. Deshalb haben wir das BKA informiert.«

»Es ehrt Sie.« Kein Sarkasmus. »Trotzdem ... ich weiß nicht. Seit anderthalb Jahren keine politische Aktivität, dafür ein kleiner Diebstahl, der ihm nicht nachgewiesen werden konnte. Fingerabdrücke, Zeugen, vielleicht nur zufällige Anwesenheit und Berührung des gestohlenen Wagens im Vorübergehen. Haben wir wirklich keine andere Möglichkeit?«

»Als was?«

»Als in Teheran nachzufragen, ob die vielleicht ... Ich meine, gibt es keine andere denkbare Ursache für diese – na ja, Exekution?«

Der Hauptkommissar breitete die Arme aus. »Spekulieren können wir lange. Mich macht nur eins stutzig. Die Lage.«

»Welche? Die von diesem Kaff? Voll- wie war das?«

»Volmershoven. Nein. Oder ja, die auch. Dieser Ahmed hat zuletzt wohl in Bonn gewohnt. Wenn jemand ihn umbringen will, warum dann nicht Gift, Messer, Kugel in Bonn? Ein Stoß vor die U-Bahn? Irgendwas dergleichen? Wieso ausgerechnet da draußen, auf dieser Bummelbahnstrecke? Und vor allem: Wieso mit den Füßen zum Zug?«

»Wollen Sie auf was Bestimmtes hinaus?«

Der Hauptkommissar legte die Hände in den Schoß. »Jein. Aber es hätte doch völlig gereicht, ihn einfach quer über die Schienen zu legen. Mich erinnert das an alte Märchen – spielt im Orient von Karl May oder so. Da wird einer, der mit der Hand gesündigt hat, an der Hand bestraft. Abhacken. Böser Blick – Auge raus ...«

Jemand trat ein, legte einen Aktendeckel auf den Tisch und ging wieder.

»Hier«, sagte der Hauptkommissar, während er den Deckel öffnete, »das sieht doch fast so aus, als ob es Absicht gewesen wäre, daß die Lok diesen Ahmed kastriert, ehe sie ihn zerfetzt.«

Der Mann vom BKA runzelte die Stirn. »Sie denken an Vergeltung für mißbräuchliche Nutzung der eigenen oder fremder Genitalien?«

»Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken wollen ... Ah. Das ist interessant.« Er schob das Blatt über den Tisch.

»Was ist das? ›Eingehende Untersuchungen am Tatort ...‹ Oho. Dann ist unser Ahmed also an den Absätzen und an den Haaren mit einem Sekundenkleber auf die Schienen ... Schwellen ... Jesses.«

»Das heißt«, sagte der Hauptkommissar mit düsterer Befriedigung, »daß die anderen sichergehen wollten, daß er sich, selbst wenn er sich im Vollrausch drehen will, nicht von der Stelle und aus der Spreizstellung bewegen kann.«

Die Tür flog auf; der Assistent stürzte herein, blaß und ohne Papiere. »Die Skizze ...«

»Ja?«

»Sie ist weg.«

Das BKA zweifelte. »Weg?«

Die Kripo staunte. »Einfach so futsch? Ja Mensch, sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«

»Ich ... ich hab den Stapel auf den Kopierer gelegt und bin ... bin mal eben austreten gewesen. Wie ich zurückkomm, ist die Skizze weg. Hat obenauf gelegen. Ich hab den ganzen Gang abgesucht, untern Kopierer gekuckt – nix.«

»Der Kopierer steht im Gang?« Äußerste Mißbilligung seitens des BKA.

»Leider. – Worauf warten Sie noch? Suchen, fragen. Wer war im Gang?«

Der Assistent zupfte an seinem Ohrläppchen. »Das ist es ja. War grade Hochbetrieb. Ein halbes Dutzend von uns, ein paar Sekretärinnen. Streifen, mindestens sieben oder acht. Ein paar Zivile. Und Zivilisten. Und außerdem ein Trupp aus irgend nem Ministerium; da war doch ne Besprechung.«

»Schöne Scheiße.«

Das BKA hob die Brauen. »Na ja, dann müssen wir den guten Maler noch mal behelligen. Hoffentlich erinnert er sich mit Abstand immer noch so gut.«

Die Schattenschneise

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