Читать книгу Die Schattenschneise - Gisbert Haefs - Страница 9
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Оглавление»Lorre ist stinkig. Jemand hat uns gesehen.« Filder sagte es mit beherrschter Stimme und ohne die anderen anzusehen.
»O heilige Scheiße.« Der kleine Mann, den sie Pattex nannten, weil er wundersame Dinge mit Sekundenklebern zustande brachte, blickte von seiner Lektüre auf. Der Express, Ausgabe Bonn, erging sich in blumigen Details über die »Hinrichtung auf den Schienen«. Pattex faßte sich an die Nase, deren Spitze vor Jahren von einem Messer gespalten worden und nur ungern zusammengewachsen war. »Davon steht hier aber nix.«
Filder, lang, unrasiert und mit schmierigen Strähnen, ließ sich auf einen Stuhl plumpsen. Der Raum war staubig und unaufgeräumt; überall einzelne Kleidungsstücke, Zeitungen, leere Bierflaschen, schmutzige Gläser. Es stank nach Schweiß und schalem Zigarettenrauch. Die Aschenbecher quollen über. An der Wand hing, über einer besonders schadhaften Stelle der Tapete, ein billiger Druck von Rembrandts Nachtwache neben Nackedeis aus Playboy und Penthouse.
»Kannste dir aber doch denken.« Filder zündete sich eine Zigarette an und griff nach der Thermoskanne. Der Becher, in den er den Kaffee goß, war seit der letzten Spülung mindestens dreimal benutzt worden.
»Wieso?«
»Mann, haste denn den Mist in dem Käseblatt da nich gelesen? Von wegen Hinrichtung und so. ›Die Polizei geht davon aus‹ und so weiter. Dabei hätte man den eigentlich für nen Besoffenen halten müssen.«
Pattex zuckte mit den Schultern. »Bei Bullen weiß man nie ...«
Der dritte im Raum hatte die Schuhe auf die Tischkante gelegt, schaukelte mit dem Stuhl und reinigte sich die Fingernägel. Dazu benutzte er eine Gabel mit Horngriff. Die an den Lippen schnüffelnde Nase und gewisse Fernsehgewohnheiten hatten ihm den Namen Gonzo eingetragen. Der alte Spitzname Geier war jedoch unvergessen und paßte besser.
»Scheiß drauf. Hat uns eben einer gesehen. Na und?« Er hob den kleinen Finger der Linken, mit besonders langem Nagel, und hielt ihn gegen das Licht, das durch die schmierigen Vorhänge sickerte.
Ettore legte seine Gazzetta dello Sport beiseite. Er war klein und drahtig, trug Hundezahn-Jackett und karierte Hose. Seine Tolle war zu aufmüpfig, um zu schmachten. Das linke Ohrläppchen fehlte. »Was schiefgelaufen.«
»Was schiefgelaufen!« Filder äffte ihn nach. »Kannste wohl sagen, Mann. Und die kriegen bestimmt auch noch raus, wie die Fetzen früher geheißen haben.«
Die Tür, die Filder eben geschlossen hatte, öffnete sich. Der große, breitschultrige Mann mit quadratischem Schädel blickte finster auf die Versammlung. Die weit auseinanderstehenden Froschaugen glitzerten grau.
»Ich hab’s ihnen schon gesagt.« Filder hob die Hand.
Lorre lehnte sich einen Moment an den Türrahmen. Aus dem offenen Kragen des weißen Hemdes quollen melierte Brusthaare, passend zur Struktur des englischen Anzugs. »Ihr seid eine Bande von Idioten. Erst laßt ihr ihn rumbumsen, bis er uns in die Scheiße geritten hat, und dann packt ihr ihn so weg, daß jemand euch dabei beobachten kann.«
Ettore blickte an ihm vorbei. »Herr Ali so gewollt«, sagte er halblaut.
Lorre knurrte irgendwas. »Habt ihr am Ende noch einen von unseren Wagen genommen? Oder von Ali?«
Filder schüttelte den Kopf. »Nee. Wie üblich, Chef.«
Lorre verschränkte die Arme. »Na gut. Aber das muß jetzt schnell bereinigt werden – morgen oder übermorgen, nicht später.«
»Warum nix heute?« Ettore legte die Hände flach auf die Zeitung.
»Heute haben wir andere Probleme.« Er überlegte. »Miete kassieren, in den beiden Bunkern. Das macht Filder. Aber reiß dich am Riemen.«
Filder nickte. Die Quartiere der Gastarbeiter im Bonner Norden waren meistens sein Job.
»Pattex und Ettore. Ihr nehmt den Kombi und fahrt nach Saarlouis. Da ist eine Ami-Lieferung hängengeblieben. Aber laß euch auf nichts ein. Die Einzelheiten hab ich mit denen schon geklärt.«
Ettore nickte; Pattex pfiff leise. »Wieso wir beide? Sonst macht das doch nur einer.«
»Was Größeres. Ziemlich groß. Ich reiß euch den Arsch ab, wenn was schiefgeht. Am liebsten würd ich selber fahren, aber ich hab was anderes zu tun. – Gonzo.«
Der Geier stand auf, legte die Horngabel auf den Tisch und folgte Lorre ins Büro. Die anderen verschwanden durch die Eingangstür.
»Paß auf.« Lorre nahm eine Karte vom Schreibtisch. »Hier habt ihr diesen Unsinn verzapft, stimmt’s?«
Gonzo beugte sich über die Karte. »Volmershoven, ja.«
»Da. Da steht ein altes Bahnwärterhäuschen oder so. In dem Ding wohnt ein Mann. Der hat euch gesehen.«
Gonzo verzog den Mund.
»Er hat euch gesehen, und offenbar hat er gute Augen. Jemand ist mit einer Taschenlampe unvorsichtig gewesen, und einen von euch hat der Typ beschrieben. Nicht nur das. Er hat sogar ne Skizze gemacht. Er ist nämlich Maler.«
Gonzo machte mißbilligende Geräusche, irgendwo tief in der Kehle. Als ob die Welt kein Ort für Maler wäre.
Lorre runzelte die Stirn. »Hör auf zu kollern. Also, die Skizze allein reicht nicht, aber sie ist schlimm genug. Sie wird verschwinden; vielleicht macht aber vorher einer ne Kopie. Muß man mit rechnen. Trotzdem – kritisch wird’s erst, wenn die mit der Skizze oder der Kopie einen von euch identifizieren und zur Gegenüberstellung holen.«
»Wer von uns isses denn?«
»Weiß ich noch nicht. Ist auch egal. Der Mann, dieser Maler, muß verschwinden, klar? Sauberer Schuß oder so. Keine Gegenüberstellung, keine Beweise. Skizze allein reicht nicht.«
»Woher wissen Sie, Chef? Haben Sie einen bei den Bullen?«
Lorre hob eine Braue. »Egal, wo, jedenfalls weiß ich’s. Ich geb dir drei Tage, dann muß das klar sein. Hol dir ne Knarre, die nicht zu uns verfolgt werden kann.«
Gonzo nickte.
Lorre zog eine Schublade seines Schreibtischs halb heraus und entnahm ihr ein Bündel Geldscheine. Er zählte fünf Hunderter ab und schob sie Gonzo hin. »Für Spesen.«
Gonzo nickte.
Lorre wußte nicht genau, woher die Lieferung in Saarlouis stammte, sie mußte aber ziemlich heiß sein. Von einem rudimentär ausgebildeten Mann abzufeuernde Boden-Luft-Projektile des Typs Stinger liegen nicht jeden Tag auf der Landstraße. Der Preis war während des zweiminütigen Telefonats um ein Drittel gefallen; offenbar war alles (die Lieferung enthielt noch mehr, nur erstklassige NATO-Ware) derart heiß, daß die Fingerkuppen des Verkäufers unausgesetzt zischten.
Der Spediteur wußte nicht genau, wohin mit den netten Geräten; aber weder die Unterbringung noch der Weiterverkauf konnten schwierig sein.
Ein Anruf riß ihn aus seinen Grübeleien. Das Telefonmädchen stellte zu ihm durch, da keiner der Speditionskaufleute im Haus war. Jemand wollte umziehen, brauchte einen Kostenvoranschlag, möglichst bis vorgestern. Lorre notierte, stellte ein paar Fragen, vereinbarte einen Besuchstermin für den nächsten Tag, änderte seine Meinung und versprach, gleich selbst vorbeizukommen, wenn es genehm sei. Es war.
Immerhin, dachte er, als er sein Büro verließ, kann man sich als Spediteur ja auch mal wieder um einen Umzug kümmern. Vielleicht bringt es einen auf andere Gedanken.
Er dachte aber, während er zu der angegebenen Adresse fuhr, immer wieder an anderes. Zum Beispiel an Pattex, dessen Gesicht der Maler skizziert hatte; die Beschreibung war eindeutig genug für Lorre, wenn auch – vielleicht – nicht für die Polizei. Pattex bastelte viel, in seiner freien Zeit. Er hatte, soweit Lorre wußte, keine großen Neigungen zu Frauen oder zu Männern; vielleicht war die Verfertigung eines naturgetreuen Kölner Doms aus einer Milliarde Streichhölzern eine verquere Form der Sexualität. Er wußte es nicht, es war ihm auch vollkommen gleichgültig. Er dachte an eine der zahlreichen Meisterleistungen des Klebers – beim Ausräumen einer vermeintlich vorübergehend unbewohnten Villa war plötzlich der Besitzer aufgetaucht; im Schlafanzug. Pattex hatte die Klobrille mit Sekundenkleber überzogen, den Mann gezwungen, die Pyjamahose auf die Knöchel herabzulassen und ihn dann mit einem leichten Stups zum Stuhlgang gebracht. Einem langwierigen Aufenthalt. Der arme Kerl hatte gesessen, bis die Jungs mit dem Ausräumen fertig waren; dann hatte er die Brille aus der Verschraubung an der Schüssel gebrochen und sich zum Telefon begeben. Später wurde er operiert und konnte danach sehr lange nicht sitzen.
Schade um Pattex.