Читать книгу Die Schattenschneise - Gisbert Haefs - Страница 7
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ОглавлениеDie Tochter des Botschafters der Andinischen Republik hielt sich für bestens gestylt und aerodynamisch fast optimal strukturiert. Unter der schmiegsamen Oberfläche steckte ein eiserner Kern – eher sogar stählern; gestählt durch all die Jahre widersprüchlicher Erziehungsversuche. Der Vater hatte es im Guten versucht, wie er meinte; dann ihrer Ansicht nach im Besseren, indem er aufgab. Die Mutter, vor vier Jahren am Arm eines spanischen Architekten entschwunden nach langwierigen Probeläufen mit italienischen Modisten, französischen Pferdezüchtern und mindestens einem amerikanischen Jazztrompeter, hatte solcherlei Verantwortung immer gern und freimütig delegiert, an Ammen, nurses, Gouvernanten, Leiterinnen von Internaten, Direktricen von Pensionaten. Die meisten der Damen, befand Rocío, waren weniger Pädagoginnen als vielmehr katholische Nebelwerfer gewesen. Immerhin, der ständige Wechsel der Bezugspersonen, des Aufenthaltsorts, der Institute und Mitzöglinge hatte ihre Selbständigkeit ebenso gefördert wie ihre generelle Geringschätzung der Erdbevölkerung. Ihr Zynismus war jedoch passiv und äußerte sich nur selten. Meistens hielt man sie für ein besonders apartes, helles, gebildetes und anpassungsfähiges Mädchen.
Ein Teil davon war Routine. Mimikry – Überleben durch äußerliche Anpassung an die Umgebung, ohne jeden inneren Kompromiß. Das polierte Parkett eines Diplomatenempfangs, der Kopilotensitz in der Cessna ihres Vaters, der Asphalt europäischer Landstraßen bei gelegentlichen Ausbrüchen per Anhalter (mit vier Kreditkarten, zur Sicherheit), Bohnerwachs-Schlafsäle in Internaten, Gras am Boden des Pfadfinderzelts, Tanzflächen, Bowlingbahnen, Asche und Bierlachen auf einem Kneipenboden, sie nahm alles mit der gleichen Selbstverständlichkeit, schien immer genau in die Umgebung zu passen und war doch immer sie selbst. Auch hier war es so, in dieser schäbigen Studentenbude im Bonner Norden. Er hieß Carsten; ihre dunkelroten Fingernägel kontrastierten befriedigend mit seiner dunklen Körperbehaarung, und sie haßte sein Laken, das aus irgendeinem widerlichen synthetischen Material bestand. Befriedigung, widerlich, unwichtige Regungen des Moments, der wie alles flüchtig und bedeutungslos war.
Das Tier mit den zwei Rücken. Le jeu de la bête à deux dos. Ihre Gedanken fächerten sich auf, Fetzen mehrerer Sprachen trieben durch ihren Kopf. Sie hörte das zweistimmige Keuchen, wie aus der Ferne, irgendwie unbeteiligt. Bald würde die Faust des Körpers nach ihrem Hirn greifen, sie auslöschen, für flüchtige Momente die Frage wer bin ich zerquetschen, die Leere im Kern des stählernen Kerns mit Betäubung füllen.
Er gab sich Mühe, wie so viele Deutsche. Statements abgeben, statt zu plaudern, Fragen stellen, statt sie für sich zu behalten, Witze auswendig lernen, statt Bonmots zu machen. Die Sinnlosigkeit analysieren, statt sie mit savoir vivre zu umgehen. Alles erklären wollen, statt die Dinge und die Menschen in Ruhe zu lassen. Ruhe lassen. Lassen. Warum sie Rocío heiße? Ein Wallfahrtsort in Andalusien, nuestra Señora del Rocío, die Madonna vom Tau. Madonna. Mühe Mühe Mühe. Er wollte erklären, was Carsten bedeutete, wer Carsten war, wer und was und warum und wie und seit wann Carsten er war oder umgekehrt oder anders. Wenn schon, dann lieber nicht. Die Leere. Rocío, Tau; sie wollte nur gefüllt und benetzt werden. Mühe. Madonna.
»Also der erste Familienname ist vom Vater und der zweite von der Mutter?«
»Ja. Ah, Moment, vom Vater der Mutter. Der Vatername.«
Der junge Mann seufzte. »Ich komme noch dahinter. Langsam.«
Rocío lächelte, hob die Decke, umkreiste mit einem scharfen Nagel seinen Nabel.
»Autsch. Mach weiter.«
»Rocío Villalba Contreras. Villalba nach meinem Vater; er heißt Villalba Narváez. Contreras nach der Mutter.«
Der Junge schloß die Augen und genoß ihre Finger. Halblaut sagte er: »Dann ist also immer der erste Name der eigentliche Familienname.«
»Ja. Francisco Franco Bahamonde heißt Franco. Miguel Cervantes Saavedra heißt Cervantes.«
»Uhhh.« Er seufzte und kicherte gleichzeitig. »Sei vorsichtig mit meinem Sancho. – Dann heißt Lorca also nie Lorca?«
»Er heißt García. Und Márquez heißt nicht Márquez, sondern auch García. Die meisten Spanier heißen García. Wie Schmitz. Oder Müller.«
»Und Andinier?«
»Die heißen nicht alle García. Außerdem sind Namen Schall und Rausch. Oder wie heißt das?«
»Rausch ist gut.«
»Rausch ist besser; am besten der zweite bald nach dem ersten.«
»Ah.«
Er bestand darauf, sie gegen Mitternacht zur U-Bahn nach Godesberg zu bringen, weil sie darauf bestand, im eigenen Bett zu schlafen. Er war schlank und dunkelhaarig wie sie, und in der fast leeren Bahn überlegte sie, daß sie eigentlich ganz gut zusammenpassen würden, daß aber auch ein erfolgreicher erster Abend nicht genug sei, um wirklich darüber nachzudenken.
An der Rheinallee stieg sie aus, Endstation; müde und fröhlich ging sie durch die Nacht. Irgendwann war plötzlich ein dunkler Mercedes neben ihr.
»Verzeihen Sie bitte«, sagte eine höfliche, milde Stimme. »Kennen Sie sich hier aus? Ich suche eine Straße.«
Sie blieb stehen. »Ein bißchen. Welche Straße?«
Er öffnete die Tür. »Famplausenallee oder so ähnlich. Das hat mir jemand aufgeschrieben, und ich kann es nicht richtig lesen.«
Sie lachte. »Famplausenallee gibt es nicht. Kenne ich nicht. Zeigen Sie mal.«
Der Mann trug einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und Krawatte. Kein Grund wegzulaufen. Sie nahm den Zettel, den er ihr reichte und warf einen Blick darauf.
»Ah. Das müßte die Camphausenallee sein. Das ist nicht weit. Da fahren Sie ...«
Die Straße war leer und dunkel. Von hinten legte sich ein Arm um sie, eine Hand preßte ihr ein übelriechendes Tuch auf Mund und Nase. Sie war zu überrascht, um sich ernstlich zu wehren. Chloroform, dachte sie. Da muß noch einer ausgestiegen sein sein sein sein