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2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns

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Im schulischen Alltag ist Mehrsprachigkeit zum Regelfall geworden. Es gibt kaum noch Lernende, die in einem rein einsprachigen Umfeld aufgewachsen sind. Dies ist auf die zunehmende Migration und Transmigration zurückzuführen, aber auch darauf, dass sich verschiedenste Formen der Mehrsprachigkeit im Alltag allein durch die Nutzung der neuen Medien ergeben. Die Schülerpopulation ist mehr denn je heterogen, multikulturell und daher auch mehrsprachig. Es lassen sich zwei Ebenen der Mehrsprachigkeit herauskristallisieren: Eine durch die Globalisierung und Migration bedingte Mehrsprachigkeit der gesamten Gesellschaft. Hier kann Schule sich den veränderten Umständen anpassen, indem streng einsprachige Gewohnheiten aufgegeben werden. Die gesamte Schulgemeinschaft kann mehrsprachig gestaltet werden, indem alle vorhandenen Sprachen als Bereicherung in den Schulalltag eingebracht werden. Wichtige Anregungen, wie die Schule als Haus des mehrsprachigen Lernens umgestaltet werden kann, geben Schader und Baur/Hufeisen (Schader 2000; Baur & Hufeisen 2011).

Von der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit zu unterscheiden ist die individuelle Mehrsprachigkeit. Redevielfalt oder Heteroglossie sind Begrifflichkeiten, die seit Bachtin (Bachtin 1997; Busch 2013, 2011; vgl. hierzu auch Wandruszka 1979) kennzeichnend geworden sind. Die Prinzipien der Multidiskursivität, die unterschiedliche soziokulturelle Welten in den Diskurs einbringt, der Vielstimmigkeit des sprachlichen Ausdrucks, die eine Perspektivenvielfalt ermöglicht und schließlich der Sprachenvielfalt, im Sinne einer soziokulturellen Differenzierung, zählen zu den entscheidenden Faktoren sprachlichen Handelns (vgl. Busch 2013: 10). Dadurch entstehen vielfältige Möglichkeiten der sprachlichen Gestaltung und der Wahrnehmung der mehrsprachigen Lebenswelt (Bachtin, 1986: 163).

Für die Schule bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass von der Problematisierung der Mehrsprachigkeit übergegangen werden muss zu einem Denken, das die gesellschaftliche und individuelle Sprachenvielfalt als Potential und Bereicherung anerkennt. Lernende, die armuts- oder kriegsbedingt aus ihren Herkunftsländern geflüchtet sind, beherrschen neben der Schulsprache Deutsch und L2 Englisch bzw. Italienisch weitere Sprachen zumindest funktionell, da sie zuhause gesprochen werden. Diese Sprachen finden an den Schulen aufgrund ihres geringen sozialen Prestiges kaum Anerkennung und drängen ihre Sprecher an den Rand. Die unterschwellige Anerkennung der prestigereichsten Sprachvarietät als einzige legitime Sprache, so Bourdieu, führt zum Identifikationsdrang mit der kulturell und wirtschaftlich führenden Schicht (Bourdieu 1991: 40 und 50). Randgruppen verstummen dabei, finden weder Ausdruck noch Wertschätzung für ihre Sprache und Kultur und verlieren dadurch auch ihren Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit. Ein mehrsprachiger Unterricht hat die Aufgabe, hier entgegenzuwirken und durch die Anerkennung und Wertschätzung von Diversität neue Voraussetzungen für das schulische Handeln und Lernen zu schaffen.

Wenn von mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen die Rede ist, wird nicht zuletzt wegen der brennenden bildungspolitischen Aktualität meistens auf durch Migration bedingte Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer und den damit einhergehenden Problematiken des DaF- und DaZ-Unterrichts sowie des sprachsensiblen Fachunterrichtes Bezug genommen (vgl. Busch 2011; Bausch et al. 2005; Vetter 2015; López-Gopar et al. 2013; Krifka et al. 2014; Krumm 2004; Schader 2000; Shohamy 2006). Der Versuch, Integration über einen potenzierten DaF/DaZ-Unterricht zu bewerkstelligen, berücksichtigt einen sicherlich sehr wichtigen soziokulturellen Aspekt, indem die Voraussetzung für Integration über die Vermittlung sprachlicher Fertigkeiten ermöglicht wird. Es werden aber viele andere Aspekte transkultureller Vermittlung und transkulturellen Verständnisses nötig sein, um Mehrsprachigkeit und Transkulturalität in einer Schule der Inklusion zu verwirklichen.

Shohamy (2006) stellt sich in diesem Sinne eine Schule vor, in der Lernende ihre mehrsprachigen Kompetenzen konstruktiv in den Schulalltag einbringen können und auch das Recht haben, diese weiter zu entwickeln, um ein höheres Kompetenzniveau zu erreichen. Andererseits muss den Ansprüchen einsprachig aufgewachsener Lernenden Rechnung getragen werden, nicht nur mehrere Sprachen, sondern auch mehrsprachige Kompetenzen im Schulalltag erwerben zu können. Denn werden diese mehrsprachigen Kompetenzen nicht nachdrücklich gefördert, gehen sie da, wo bereits vorhanden, durch Sprachreibung verloren oder werden einfach verdrängt und unterdrückt. (Shohamy 2006: 174). Dies führt, wie bereits erwähnt, zu einem Gefühl der Marginalisierung bei mehrsprachig aufgewachsenen Schülerinnen, wie auch aus den Untersuchungen der vorliegenden Studie hervorgeht, wo sich Schülerinnen aus ladinischen Gebieten mit ihrer Herkunftskultur und Sprache nicht in den Unterricht und den schulischen Alltag einbringen können und folglich in Teilen ihrer Persönlichkeit starke Einschränkungen und ein Gefühl des Nicht-Wahrgenommen-Werdens erfahren.

Daher ist es eines der übergeordneten Ziele des mehrsprachigen Unterrichts, die klare Grenzziehung zwischen den Sprachen, so wie sie für den traditionellen Fremdsprachenunterricht eine Selbstverständlichkeit ist, aufzuheben. Das Konstrukt des Native Speaker als im Fremdsprachenunterricht anzustrebendes und doch nie zu erreichendes Ideal wird dadurch hinfällig und es öffnen sich neue Räume, in denen Sprachen(n) in Kontakt zueinander treten können und dürfen. In diesen Räumen ist auch Platz für Verschmelzungen und hybride Formen, für Sprachvermischung und all jene Formen des mehrsprachigen Diskurses, die sich je nach Kommunikationszweck und -situation strategisch einsetzen lassen bzw. unbewusst das Gespräch steuern und die eine Bereicherung der Kommunikation darstellen. Dies bringt einen realistischeren Umgang mit Sprache mit sich, der die alten Ideale der Sprachreinheit und Sprachkorrektheit hinter sich lässt und auf den Alltagsgebrauch schaut, in dem diese nur bedingt einen Platz finden (ibid.: 173).

Die Verwendung mehrerer Codes innerhalb einer Sprache, aber auch zwischen verschiedenen Sprachen führt hin zu einer multimodalen Didaktik, die auch die Mehrsprachigkeit in sich eingliedern muss, aus dem einfachen Grund, dass die Auseinandersetzung mit realen lebensweltlichen Problemstellungen nur mehrsprachig sein kann. Will man kritische Texterschließungskompetenzen im Unterricht fördern und es den Schülern ermöglichen, zwischen den Zeilen des gesellschaftlichen Diskurses zu lesen, dann kann man nicht umhin, mit Texten aus verschiedenen Sprachen zu arbeiten, denn der gesellschaftliche Diskurs ist nicht nur multimodal, sondern auch mehrsprachig. Daher kann die Förderung einer rein einsprachigen Texterschließungskompetenz im Unterricht genauso als eine Abstraktion von der Realität angesehen werden wie die Abgrenzung der Sprachen voneinander. Der mehrsprachigkeitsdidaktische Ansatz, wie er in dieser Studie präsentiert wird, gibt eine operationalisierbare Antwort auf dieses Desiderat, denn es werden der mehrsprachige mündliche und schriftliche Diskurs als lebensweltlich real anerkannt, in den Unterricht aufgenommen und in seinem didaktischen Potential umrissen.

Es geht hier auch darum, den Begriff der Multiliteracies, wie ihn die New London Group (Cazden: 2000) definiert hat, in den Unterricht aufzunehmen, wodurch in diesem Zusammenhang als logische Schlussfolgerung der mehrsprachige Diskurs in den Mittelpunkt gerückt wird (vgl. dazu House 2007: 92). Hier hinken jedoch die schulischen Institutionen den realen Anforderungen der Gesellschaft hinterher, sie bereiten die Lernenden nur unzulänglich auf die Anforderungen einer mehrsprachigen, globalisierten und transkulturellen Gesellschaft vor. Mehrsprachige Sprachhandlungskompetenzen sind die Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs geworden. Das Erkennen kultur- und sprachspezifischer Merkmale von Textsorten sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene ist Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis und somit ein erster, wichtiger Schritt in Richtung transkultureller Verständigung und Toleranz (vgl. Hufeisen 2007).

Die bislang unternommenen Versuche, Mehrsprachigkeit in den Unterricht miteinzubringen, wie zum Beispiel mittels Interkomprehension, auf die noch im folgenden Kapitel genauer eingegangen wird, scheitern daran, dass Mehrsprachigkeit ausschließlich auf der lexikalischen und manchmal grammatischer Ebene behandelt wird. Es wird versäumt, den notwendigen Folgeschritt zu unternehmen, nämlich von der lexiko-grammatischen Ebene auf die Ebene der Genres zu wechseln und die Mehrsprachigkeit in der Klasse in Zusammenhang zu bringen mit der intra- und transkulturellen lebensweltlichen Mehrsprachigkeit, die dem Individuum, der die Ebene der ausschließlich grammatischen oder lexikalischen Korrektheit überwindet und neue Bedeutungs- und Lebensräume eröffnet.

Diese Studie versteht sich daher nicht primär als Versuch, das Problem der migrationsbedingten Sprachenvielfalt auf pädagogisch-didaktischer Ebene durch die verstärkte Vermittlung von Sprachkompetenzen in der Bildungssprache zu lösen. Es handelt sich vielmehr um einen neuen Ansatz mit dem Ziel, die bislang ausgearbeiteten Formen der Mehrsprachigkeitsdidaktik durch ein Konzept des holistischen Sprachenlernens zu ergänzen und zu erweitern, das durch seine Ausrichtung neue, bislang nicht berücksichtigte Ressourcen des mehrsprachigen Lernens mobilisiert und dadurch u.a. auch neue Formen des Lernens (Savoir apprendre) im Unterricht ermöglicht. Die Modellierung einer MKK (Mehrsprachige Kommunikative Kompetenz) wird dabei zentrales Anliegen sein, da durch sie alle am Bildungsprozess Beteiligten teilhaben am Integrations- und Inklusionsprozess – jeder mit seiner ganz persönlichen (Sprach)-Biographie und seinen individuellen Voraussetzungen.

Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit

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