Читать книгу Isola Mortale - Giulia Conti - Страница 10
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ОглавлениеStefano erwartete sie mit laufendem Motor am Anlegesteg. Er informierte Carla kurz, dass die Spurensicherung ihre Arbeit inzwischen erledigt hatte und schon wieder abgefahren war.
»Das scheint tatsächlich der Tatort zu sein«, sagte er, »jedenfalls sieht alles danach aus. Sie haben noch mehr Blutspuren gefunden, aber keine Tatwaffe. An dem Strand, da, wo auch das Boot von dem Huber lag, also das, mit dem die Nonne unterwegs war, liegt noch ein Boot. Das haben Sie bestimmt auch bemerkt, so ein buntes mit einem kleinen Außenborder. Und bei dem fehlt eines der beiden Holzruder. Das könnte die Tatwaffe gewesen sein, aber sie ist unauffindbar«, berichtete Stefano weiter.
»Und wem gehört das Boot?«, fragte Carla.
»Einem Priester, der hier um die Ecke neben dem Kloster wohnt. Padre Ferrante. Ich war schon bei ihm, ein netter älterer Herr. Er hat mir bestätigt, dass er das eine Ruder vermisst. Das sei ihm heute Morgen aufgefallen. Er selbst habe das Boot zum letzten Mal einen Tag vor dem Mord an Leonie benutzt. Da seien beide Ruder noch da gewesen, an der Halterung fixiert, wie immer, hat er gesagt.«
»Und am Abend des Mordes?«, fragte Carla.
»Da hat er es nicht benutzt. Er hat schon mittags das Schiffstaxi genommen, sagt er, um nach Pettenasco zu kommen, weil ja der Sturm vorhergesagt war. Der Padre hält da immer die Messe für die Nonnen. Und weil es so gestürmt hat, ist er gleich dageblieben, hat an der Abendvesper teilgenommen und dort auch übernachtet. Ich überprüfe das natürlich noch.«
»Und haben Sie schon gecheckt, wer alles an diesem Nachmittag auf der Insel war?«
»Ich habe mit den Kapitänen der Taxiboote gesprochen. Die haben gegen Mittag die letzten Besucher von der Insel nach Orta zurückgebracht. Französische Touristen. Die sind da noch im Hotel, wenn Sie wollen, kann ich die auch noch befragen. Aber später ist kein Boot mehr gefahren. Es ging ja nichts mehr, weil es so gestürmt hat. Von den Leuten, die auf der Insel ein Haus haben, war außer dem Deutschen wohl keiner da, das sagen jedenfalls die Leute von den Schiffstaxis.«
Stefano war sichtlich stolz auf seine Ermittlungsergebnisse und darauf, dass er alle Fragen seiner Chefin beantworten konnte. Auch der Bericht der Spurensicherung würde nicht lange auf sich warten lassen, ergänzte er noch, warf die Leine, gab Gas und nahm Kurs auf Omegna.
»Sollen wir Sie mit nach Omegna nehmen, Simone? Da steht doch Ihr Auto?«, fragte Carla.
Simon überlegte einen Moment. Es zog ihn jetzt schnell zu Luisa. Sein Versprechen, dass er bald zurück sein würde, hatte er nicht annähernd halten können. »Nein«, antwortete er schließlich, »setzen Sie mich bitte in Ronco ab. Ich komme dann schon irgendwie an mein Auto.«
Es war eine helle Vollmondnacht, aber Stefano fuhr dennoch langsam zurück, hielt sich an die eigenen Vorschriften. Trotzdem hätten sie fast einen Schwan überfahren. Er war aus Holz, Teil einer Krippe, wie es sie überall rund um den See zur Weihnachtszeit gab. Simon hatte gerade einen vorweihnachtlichen Artikel in Il Giorno zu diesem Thema gelesen. Krippe oder Christbaum, war aus dem Text zu erfahren, das war ein Kampf zweier Linien. In Norditalien war er unentschieden ausgegangen, in friedlicher Koexistenz geendet. Der Süden war Krippenland, dort gehörte sie seit jeher unabdingbar zur Weihnachtstradition, war mal aus Holz, mal aus Styropor, aus Gips oder Plastik, oft bunt bemalt und manchmal sogar vivente. Dann war es ein Krippenspiel, das an den Weihnachtstagen aufgeführt wurde.
In Pettenasco auf der östlichen Seeseite hatte man in diesem Jahr eine presepe sul lago installiert, eine Wasserkrippe, mit Maria und Joseph und dem Jesuskind in einer kleinen Hütte, einer Palme, einem Engel, einem Kamel und den drei Königen, alles in weißen Schattenrissen auf einer Holzplattform, die von mehreren Schwänen umkreist war.
Einer der Vögel hatte sich offenbar selbstständig gemacht, war weit hinaus auf den See getrieben. Carla, die sich auf der Rückfahrt zu Simon ins Heck gesetzt hatte, machte Stefano ein Zeichen, damit er noch langsamer fuhr, fischte das hölzerne Tier mit ihrer rechten Hand aus dem See, nahm es an Bord.
»Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass jemand die Nonne überfallen hat, um an die Bücher heranzukommen«, wandte sie sich nachdenklich an Simon, nachdem das Boot wieder Fahrt aufgenommen hatte. »Es war ja niemand mehr auf der Insel, jedenfalls soweit Stefano das überprüfen konnte.«
»Ja, und außer der Äbtissin scheint auch gar niemand davon gewusst zu haben«, ergänzte Simon.
»Aber der Huber könnte tatsächlich unser Mann sein. Das halte ich für wahrscheinlicher, als dass jemand sie wegen der Bücher überfallen hat. Jedenfalls bin ich sehr gespannt, was die DNA-Probe von ihm ergibt und was die Spurensicherung herausgefunden hat. Ich schätze mal, wir werden fündig. Und dann werde ich mir einen Beschluss für eine Hausdurchsuchung bei diesem Huber holen.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass er der Täter ist.«
»Ist das ein Bauchgefühl? Das wäre ja mal was ganz Neues bei Ihnen, Simone. Sonst zählen doch für Sie immer nur Fakten.«
»Und die sprechen gegen ihn. Trotzdem …«
»Warten wir mal ab, was bei der Probe herauskommt, und dann sehen wir weiter. Inzwischen könnten Sie sich vielleicht noch anderweitig nützlich machen, ginge das?«
»Womit?«
»Mich interessiert, was unsere Nonne in München gemacht hat. Sie und auch ihre Mutter. Vielleicht können Sie da mal ein bisschen recherchieren. Ich habe nämlich auch ein Bauchgefühl und das sagt mir, dass es da einen Zusammenhang geben könnte.«
Sie hatten die Linie der gelben Bojen vor Ronco erreicht, Stefano drosselte den Motor, und sie fuhren sehr langsam auf das Ufer zu. Vom Wasser aus gesehen hätte man die den Hang hinaufwachsenden, eng beieinanderliegenden Häuser für ein Gebirgsdorf halten können, aber auf halber Höhe vor der angestrahlten Dorfkirche zauberte eine hohe Palme den Süden in das Ortsbild. An der Uferpromenade und der kleinen Piazza leuchteten gelb die Straßenlaternen, auch oben im Dorf gab es hier und da ein erleuchtetes Fenster, aber die Ferienhäuser in der ersten Reihe waren wie gewohnt alle dunkel; nur in Simons Haus brannte in allen Fenstern Licht.
»Haben Sie Besuch?«, fragte Carla erstaunt.
»Ja, Luisa ist da. Meine Freundin aus Frankfurt. Sie kennen sie ja.«
»Davon haben Sie mir gar nichts gesagt. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Ihre Zeit nicht so strapaziert.«
»Ist schon in Ordnung«, antwortete Simon. Carla sah ihn von der Seite an, als ob sie erwartete, dass er noch mehr dazu sagte. Er dachte, dass von Strapaze keine Rede gewesen sein konnte, im Gegenteil, aber das behielt er für sich.
Im Grunde verstand er sich selbst nicht. Was war das mit Carla? War er verliebt in sie? Simon war kein homme à femmes wie dieser Max Huber, im Gegenteil, Affären interessierten ihn nicht, obwohl er durchaus hin und wieder die Gelegenheit dazu gehabt hätte.
Ihm fiel ein Gespräch mit Nicola ein. Als sie zuletzt bei ihm in Ronco noch einmal kurz zu Besuch war, um ein paar Sachen zu holen, vor gut drei Monaten, ihre Vorlesungen hatten gerade begonnen, hatte sie ihm von ihren ersten neuen Bekanntschaften in Turin erzählt, Leuten, die in der Nachbarwohnung lebten und die sie wohl faszinierend fand. »Die sind polyamor«, hatte sie gesagt, und er hatte nicht verstanden, was sie meinte und sie fragend angesehen.
»Monogam kennst du aber«, hatte sie lachend geantwortet, und als er nickte, dazugesetzt: »Das bist du und das sind die nicht.«
»Sie haben also Sex mit mehreren? Und das funktioniert?«
»Nein, sie lieben mehrere Menschen«, hatte Nicola erwidert und geseufzt, als ob er ohnehin zu beschränkt sei – und er interpretierte das als zu alt –, um das zu begreifen.
War er polyamor? Er mochte Carla, und er liebte Luisa. Nein, so einfach war es nicht, das wusste er.
Mit tuckerndem Motor legten sie am Steg an, Stefano fixierte das Polizeiboot mit einer Leine an einer Klampe und machte Simon ein Zeichen, der daraufhin aufsprang, sich kurz verabschiedete und eilig aus dem Boot stieg. »Ich schaue mal, was ich über Leonie und ihre Mutter herauskriege und melde mich dann wieder bei Ihnen«, sagte er noch. Carla nickte, und schnellen Schritts machte Simon sich auf den Weg über die Uferpromenade zu seinem Haus und zu Luisa. Nach ein paar Metern drehte er sich aber doch noch einmal zu Carla um. Sie saß noch im Boot, das noch immer tuckernd am Steg lag, und schaute ihm versonnen nach.