Читать книгу Isola Mortale - Giulia Conti - Страница 9

7

Оглавление

Selten hatte Simon so bequem gesessen. Die Ledersofas von Max Huber sahen sündhaft teuer aus, waren aber ohne Zweifel ihr Geld wert. Wie der Arbeitsraum der Äbtissin im Kloster war der große Wohnraum des Deutschen zum See hin verglast, und Simon konnte von seinem Platz aus beobachten, wie sich im Verlauf des Nachmittags nach und nach die Dämmerung über das Wasser legte, es erst silbrig, dann rosa, schließlich immer dunkler färbte. Zwei Motorboote fuhren in hohem Tempo über den See und kamen auf die Insel zu. Simon erkannte das der Carabinieri, das bestimmt wieder Stefano lenkte, das zweite musste das der Spurensicherung sein. Simon machte Carla ein Zeichen, aber sie hatte die beiden Boote schon bemerkt und nickte ihm zu.

Max Hubers riesiger und lichtdurchfluteter Wohnraum strahlte Luxus aus, aber auf den ersten Blick herrschte einfach Chaos. Der Terrakottaboden war übersät mit Kunstbänden und Zeitschriften, auf einem Sekretär stapelten sich Bücher, und vor Simon auf einem niedrigen Tisch standen ein paar Weingläser mit roten, etwas verkrusteten Resten und eine Schale mit Grissini, wahrscheinlich Überbleibsel des Vorabends. Mitten im Raum zog eine Skulptur aus grob gearbeiteter Bronze den Blick auf sich, ein Mann mit schmalen Gliedern, die Arme in die Höhe gestreckt, als wollte er einen Ball fangen. Die fließende Figur erinnerte an Giacometti, und womöglich stammte sie tatsächlich von ihm, dachte Simon. In einem offenen Kamin loderten ein paar Holzscheite vor sich hin, und an den Wänden hingen großformatige Bilder, Vögel in grellen Farben und kubistischen Formen; auch den Papagei aus dem Garten meinte Simon auf einem von ihnen wiederzuerkennen. Weiter hinten stand raumgreifend vor einer getäfelten Wand ein Billardtisch mit gedrechselten Holzfüßen, die bunten Bälle noch auf dem grünen Filz verteilt, als sei gerade eben eine Partie gespielt worden. Sonst sah Simon an den Wänden nur Bücher, Bücher, Bücher.

Huber war wie ausgewechselt, seit er Carla erblickt hatte. Erst in diesem Moment begriff er wohl, dass der Maresciallo eine Frau war, half ihr zuvorkommend aus der blauen Winterjacke, geleitete sie in den Wohnraum und verwickelte sie in seinem gebrochenen Italienisch in eine Plauderei. Dann servierte er Espresso und saß ihnen nun in einem asymmetrisch geschwungenen Sessel aus stahlgrauem Samt gegenüber.

Simon schwieg und beobachtete den Deutschen. Erst jetzt sah er, dass unter dessen rechtem Auge ein dunkler Schatten lag, es konnte auch ein blauer Fleck sein. Ohne seine Wachsjacke, in dunklem Hemd und maßgeschneidertem Jackett, wirkte er gar nicht mehr so massig. Wenig erinnerte an die robuste Person, die ihn im Garten mit einem Gewehr bedroht hatte. Galant war dieser Huber, dachte Simon, auch wenn das mal wieder so ein überholter Begriff war, der ihm da in den Sinn kam. Sein Italienisch war wirklich nicht sehr gut, immer wieder suchte er nach den richtigen Worten, was er jedoch mit seinem gewinnenden bayerischen Akzent geschickt überspielte.

Seine ganze Aufmerksamkeit galt Carla, die neben Simon auf dem Sofa nah am Kamin saß und inzwischen auch noch ihre Uniformjacke abgelegt hatte. Aber die Polizistin reagierte kühl auf Hubers routinierten Charme, für den sie generell nicht sehr empfänglich war. Vermutlich, spekulierte Simon, war das der Grund, warum er, der Uncharmante, ihr sympathisch war. Huber gegenüber wirkte sie jedenfalls fast abweisend, ging jetzt auf seine Plauderei nicht mehr ein, sondern kam wie stets ohne Umschweife zur Sache. »Sie leben hier auf der Insel, Signor Huber?«

»Nein, ich bin eigentlich in München zu Hause, aber ich verbringe hier am See so viel Zeit, wie es eben geht.«

»Sie wissen, was passiert ist und warum wir hier sind?«

»Ja, natürlich. Sie würden sich zwar wundern, was auf dieser winzigen Insel alles geschieht, wovon man nichts erfährt. Aber ja, selbstverständlich habe ich mitbekommen, dass Leonie ermordet worden ist.« Er rückte sich in seinem Sessel zurecht, schlug mit einer entschlossenen Bewegung die Beine übereinander, griff zu einem Zigarillo und hielt Carla und Simon die Packung hin. Als sie beide ablehnten, entzündete er seines und nahm einen tiefen Zug.

»Sie waren vorgestern mit ihr verabredet?«, fragte Carla.

»Ja, sie ist hier vorbeigekommen, um ein paar Bücher abzuholen. Wir haben noch einen Tee zusammen getrunken.«

»Wann war das?«

»Gegen 17 Uhr ist sie gekommen und wohl eine Stunde geblieben. Dann hatte sie es auf einmal sehr eilig, als ob sie noch eine Verabredung hätte.«

»Und was war mit den Büchern?«

»Die hat sie mitgenommen.«

»Und was haben Sie danach gemacht?«

»Ich war natürlich hier. So viele andere Möglichkeiten gibt es ja auf der Insel nicht. Die ist ja ziemlich übersichtlich.«

»War noch jemand bei Ihnen?«

»Nein.«

»Sie haben also für den Tatzeitpunkt kein Alibi?«

»Nein, habe ich nicht. Brauche ich aber auch nicht. Ich habe mit ihrem Tod nichts zu tun.«

»Welche Beziehung hatten Sie denn zu Leonie? Kannten Sie sie schon länger? Aus München?«

»Nein, wir sind uns erst hier begegnet. Leider. Hätte ich sie schon vorher kennengelernt, hätte ich ihr diesen Unsinn ausgeredet.«

»Welchen Unsinn?«

»Dass sie Nonne werden wollte.«

»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Welche Beziehung ich zu ihr hatte? Welche Beziehung kann man schon zu einer Nonne haben? Ordensfrauen sind mit Gott verheiratet, ein Jammer, zumindest in ihrem Fall. Leonie war eine wirklich schöne Frau.«

»Aber sie war öfter bei Ihnen?«

»Ja, sie kam manchmal vorbei. Sie wissen ja wohl, dass das ein Schweigekloster ist, in dem sie hier auf der Insel zu Hause war. Und ich glaube, dass sie ganz froh war, mal mit jemandem sprechen zu können. Überhaupt und außerdem in ihrer Muttersprache. Und die Nonnen haben ihr wohl gewisse Freiheiten gelassen.«

»Was waren das für Bücher, die Sie Leonie für das Kloster übergeben haben? Waren die wertvoll?«

»Ja.«

»Wie wertvoll?«

»Es waren mittelalterliche Schriften. Drei Bände. Jeder davon dürfte einige Tausend Euro wert sein.«

»Wenn jemand davon wusste, hätte es sich also lohnen können, Leonie zu überfallen, um an die Bücher heranzukommen?«

»Ja. Aber es ist nicht so einfach, dafür einen Käufer zu finden. Das müssen Sie unter der Hand machen. Aber es gibt natürlich genauso wie bei Kunstwerken Liebhaber, die für so etwas viel Geld zahlen.«

»Wer wusste denn davon, dass Sie ihr die Bücher vorgestern übergeben haben?«

»Ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Außer natürlich mit der Äbtissin. Wer sonst noch im Kloster davon wusste, keine Ahnung.«

»Und Sie schenken dem Kloster einfach mal so Bücher von so großem Wert? Warum? Sie machen nicht gerade den Eindruck eines sehr gläubigen Menschen …«

»Das geht Sie nichts an.«

»Hatten Sie vielleicht eine Schuld zu begleichen?«

»Nein. Und wie gesagt, das geht Sie nichts an. Man muss allerdings nicht gläubig sein, um großen Respekt vor der Leistung dieser Äbtissin zu haben und davor, wie sie den kulturellen Schatz des Klosters pflegt.«

»Kommen wir zu Leonie zurück.« Carla strich sich sichtlich genervt eine Haarsträhne aus der Stirn. An den Mann war schwer heranzukommen. Zu Simons Überraschung fiel das sogar Carla schwer. »Leonie war mit einem Boot auf dem Wasser«, fuhr sie nun fort, »und es sieht so aus, dass das Ihres ist.«

»Ja, das hat mir Ihr Kollege schon am Telefon angedeutet. Ich konnte ihm bestätigen, dass es mein Boot ist.«

»Haben Sie es ihr überlassen?«

»Nein, ich hatte keine Ahnung. Natürlich hätte ich ihr das Boot gegeben. Aber doch nicht nachts und bei diesem Wetter.«

»Also könnte sie es sich einfach genommen haben?«

»Ich weiß es nicht. Aber wenn Sie sie damit gefunden haben, muss es wohl so gewesen sein. Oder der Mörder hat sie in das Boot verfrachtet, um die Leiche loszuwerden. Ich selbst habe es seit Jahren nicht benutzt. Ich habe ein anderes Boot, eine größere Motorjacht, in meinem Bootshaus. Das Ruderboot liegt schon seit Ewigkeiten an dem öffentlichen Strand nebenan, und es kann sich eigentlich jeder nehmen. Was Leonie manchmal getan hat. Ohne mich zu fragen. Für Spritztouren. Sie war keine perfekte Nonne. Da gab es noch ein wenig, sagen wir mal: Hoffnung.« Er lachte süffisant auf.

»Und das gefiel Ihnen?«

»Nein, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich hatte kein solches Interesse an Leonie, und im Übrigen habe ich es nicht nötig, Frauen hinterherzulaufen.«

Da war zum ersten Mal ein abweisender, ja arroganter Ton in seiner Stimme, und Simon spürte an einer leichten Regung Carlas, dass sie das ebenfalls mit Unmut registrierte.

»Kann es dann nicht doch sein, dass sie Sie zurückgewiesen hat und Sie wollen es nur nicht zugeben? Ein stolzer Mann wie Sie …?«

»Nein, wir hatten nichts miteinander, und ich habe nicht versucht, sie zu verführen. Das meinten Sie ja wohl?«

»Sie sind jedenfalls der Letzte, der mit ihr vor ihrem Tod zu tun hatte. Und sie war in Ihrem Boot unterwegs, tot oder lebendig. Sie haben außerdem für ihren Todeszeitpunkt kein Alibi. Es ist Ihnen wohl klar, dass Sie verdächtig sind, mit ihrem Tod etwas zu tun zu haben.« Carla sah Huber herausfordernd an. Der lächelte leise und schwieg. »Sie haben da ja eine Verletzung am Auge, Signor Huber. Woher haben Sie die?«

»Jetzt machen Sie mal einen Punkt. Ich habe mit Leonies Tod nichts zu tun.« Das war ernst. Max Huber hatte offenbar begriffen, dass etwas für ihn auf dem Spiel stand.

»Und die Verletzung?«

»Geht Sie eigentlich auch nichts an. Aber gut, ich kann einer schönen Frau leider nichts abschlagen. Ich habe mich im Garten an einem Ast gestoßen. Dass es da nicht sehr gepflegt, um nicht zu sagen ein bisschen wild zugeht, davon hat sich Ihr Kollege ja schon ohne mich ein Bild gemacht.«

»Ich muss Sie bitten, sich zu meiner Verfügung zu halten. Sie hatten ja nicht vor, in nächster Zeit nach München zu fahren oder sonst irgendwohin zu verreisen?«

»Nein, ich halte mich sehr gerne stets zu Ihrer Verfügung.« Da war wieder der amüsierte, leicht überhebliche Ton. Max Huber hatte sich gefangen.

»Was tun Sie eigentlich auf der Insel?«, fragte Carla.

Simon war erstaunt, dass sie jetzt noch diese Frage stellte. Das Gespräch hatte sich in den letzten Minuten zu einer handfesten Vernehmung entwickelt. Und nun stimmte sie doch noch einen Plauderton an. War das aufrichtige Neugier oder verfolgte sie einen Plan?

»Carpe diem«, sagte Huber.

»Und was haben Sie in München gemacht, auch carpe diem

»Nein. Den Tag genutzt habe ich da allerdings sehr wohl, nur nicht genossen. Unsere Familie hat dort in den Nachkriegsjahren ein Handelsunternehmen aufgebaut, ziemlich erfolgreich. Da bin ich nach dem Abitur eingestiegen, habe es später ganz von meinen Eltern übernommen, eine Weile geführt, dann in andere Hände gegeben und vor zehn Jahren ganz verkauft.«

Simon wurde ungeduldig. Um Carla zu signalisieren, dass sie langsam zum Ende kommen sollten, griff er zu seinem Espresso und trank ostentativ den letzten, kaum noch vorhandenen Schluck. Sein Blick fiel auf seine durch den Sturz im Garten etwas schmutzigen Finger, und da kam ihm eine Idee. Sollte Carla doch mit diesem verdächtigen Münchner noch eine Weile etwas plaudern. Er würde die Gelegenheit nutzen, um sich ein wenig bei ihm umzusehen. »Könnte ich mir bei Ihnen die Hände waschen?«, fragte er und streckte Max Huber, wie um dieses Anliegen zu unterstreichen, seine Handflächen entgegen.

»Ja, natürlich. Gleich um die Ecke ist ein Badezimmer.«

Simon passierte einen weiteren großen Raum, zu dem die Tür offen stand. In einer Ecke ein alter Holzschrank, sonst nur Staffeleien, ohne ersichtliche Ordnung und in großer Zahl. Es war ein Atelier. Huber malte offenbar, und wahrscheinlich stammten die Bilder in seinem Wohnraum von ihm. Simon lauschte. Der Mann war weiter in das Gespräch mit Carla vertieft. Er konnte es also wagen, machte einen schnellen Schritt in das Atelier und sah sich genauer um. Die Leinwände auf den Staffeleien waren alle großformatig, die meisten waren Ölgemälde, aber auch ein paar Aquarelle waren darunter.

Simon verstand nichts von Malerei, aber das hier sah nicht nach der Arbeit eines Amateurs aus, die leuchtenden Farben, die Komposition, die Mischung aus realistischer Darstellung und Abstraktion hatten eine Ausstrahlung, die ihn berührte. Es waren Vogelbilder, aber auch ein paar Landschaftsskizzen und Porträts. Ganz hinten im Raum entdeckte Simon an die Wand angelehnt das Bild einer Frau, die ihm bekannt vorkam. Er musste sich beeilen, sonst würde Huber womöglich Verdacht schöpfen. Mit schnellen Schritten war er bei dem Porträt. Eine schöne Frau, lange blonde Haare, dunkelgraue Augen, ein sinnlicher Mund. Leonie Hofmann. Simon hatte keinen Zweifel, es war ihr Porträt, ein sehr realistisches Bild, das ihm weniger gefiel als das, was er sonst auf den Staffeleien sah.

Er griff zu seinem Handy, machte ein Foto, verließ eilig das Atelier, ging noch schnell ins Bad, um sich die Hände zu waschen, damit Huber keinen Verdacht schöpfte. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. In dem ganz in hellem Marmor gefliesten großen Raum gab es zwei Badewannen, beide nebeneinander in den edlen Stein eingemauert, die eine etwas kürzer als die andere, darüber ein opulent gerahmter, riesiger Spiegel. Für wen war die zweite Wanne? Huber schien allein in dem Haus zu leben, von einer Frau an seiner Seite war bisher nicht die Rede gewesen. Er war zweifellos ein attraktiver Mann und wahrscheinlich kein Kind von Traurigkeit, dachte Simon und fragte sich im selben Moment, warum ihm bloß diese idiotische Redewendung einfiel.

Als er in den Wohnraum zurückkehrte, war Huber bereits aufgestanden und sah abwartend zu Carla, die vor ihm in ihrer Tasche kramte. »Signor Huber ist einverstanden, dass ich eine DNA-Probe nehme«, informierte sie Simon, während sie dem Deutschen schon den Wattestab in den Mund steckte.

Die Prozedur war schnell erledigt und Huber wandte sich nun zum ersten Mal doch Simon zu. »Gefällt Ihnen mein Haus?« Er lächelte ironisch. »Sie haben ja die Gelegenheit genutzt, sich auch dort ein wenig umzusehen, nicht wahr?«

»Ich konnte nicht widerstehen, einen Blick auf Ihre Bilder zu werfen«, versuchte Simon sich mit einer Schmeichelei aus der Affäre zu ziehen.

Carla warf ihm einen ihrer funkelnden Blicke zu, sagte aber nichts. War sie wütend oder nur erstaunt, oder lag gar Anerkennung für seinen eigenmächtigen Vorstoß darin? Es war bereits dunkel, als sie Hubers Haus verließen. Den Weg zurück zum Anlegesteg nahmen sie zunächst schweigend, aber auf halber Strecke, etwa in Höhe des Restaurants, in dem sie gegessen hatten, hielt Carla auf einmal inne und sah ihn erwartungsvoll an.

»Und?«

»Was und?«

»Haben Sie etwas entdeckt bei dem Schnösel?«

»Er hat die Nonne gemalt. Ich habe ein Foto von dem Porträt gemacht.«

»Benissimo. Manchmal sind Ihre Alleingänge ja doch für etwas gut, Simone.«

Isola Mortale

Подняться наверх