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Carla saß schon in der Bar, als Simon ankam. Sie erwartete ihn an einem Fenstertisch in ihrer dunkelblauen, gut geschnittenen Uniform, in der sie noch schmaler wirkte, als sie ohnehin war, einen Espresso und eine Flasche Wasser vor sich. »Buongiorno Simone, danke, dass Sie sofort gekommen sind. Ich hoffe, Sie hatten nichts Wichtigeres vor?«

Simon würde Carla nicht von Luisa erzählen, die Polizistin wusste von ihr und die beiden Frauen waren sich schon einige Male begegnet. Aber dass Luisa in Ronco war, behielt er lieber für sich, auch wenn das ein kleiner Verrat an ihr war. »Nein, nein, das ist schon in Ordnung«, sagte er. »Was haben Sie denn schon herausbekommen? Die Nonne vom Strand ist also tatsächlich eine Deutsche?«

»Ja, wir mussten gar nicht lange suchen, das Kloster hatte sie schon als vermisst gemeldet. Sie hieß dort Suor Teresa, aber mit richtigem Namen Leonie Hofmann. Und sie war erst seit ein paar Monaten auf der Insel.«

»Und wo war sie vorher?«

»In Bayern, auch bei den Benediktinerinnen. Aber ursprünglich kommt sie aus München. Sie ist gerade mal zwanzig Jahre alt geworden.«

Carla unterbrach sich, trank einen Schluck Wasser. Simon fragte sich, ob der Tod der jungen Frau die Polizistin berührte. Bei ihr wusste man das nie so genau. Ganz anders als seine gefühlsbetonte, extrovertierte Luisa, behielt Carla ihre Empfindungen stets für sich, sprach fast nie von sich, ließ nichts von dem heraus, was in ihrem Inneren vorging. Sie nahm noch einen Schluck Espresso, schaute Simon an, und als er schwieg, fuhr sie fort. »Sie ist jedenfalls ermordet worden, das steht jetzt wie gesagt fest, mit einem Schlag auf den Hinterkopf. Wie schon vermutet, muss die Tatwaffe tatsächlich ein flacher Holzgegenstand gewesen sein, sagt die Gerichtsmedizin.«

»Und wann?«

»Wie es aussieht, am Abend vorher. Als sie gestern Morgen gefunden wurde, war sie etwa zehn bis zwölf Stunden tot. Außer der Wunde am Kopf gibt es noch ein paar Spuren von Gewalt an ihrem Körper, nichts besonders Auffälliges, ein paar blaue Flecke. Es sieht so aus, als ob jemand sie geschlagen hat. Und sie war übrigens noch Jungfrau.«

»Und was ist mit DNA-Spuren?«

»Das Ergebnis steht noch aus. Aber mit etwas Glück könnten wir noch etwas finden. Im Wasser war sie maximal ein bis zwei Stunden, das reicht nicht, um alle Spuren abzuwaschen.«

»Und das Boot?«

»Sie war damit unterwegs, das steht fest, aber da bleibt trotzdem eine Unklarheit, wir können nur vermuten, was passiert ist. Vielleicht hat der Täter«, Carla machte eine kleine Pause, »oder die Täterin, denn es könnte natürlich auch eine Frau gewesen sein – also vielleicht hat diese Person sie da hineingelegt und auf den See hinausbefördert. Und irgendwann ist sie bei dem Wellengang gekentert und im Wasser gelandet. Um sechs Uhr morgens haben wir sie dann ja an dem Strand gefunden.«

»Wie eigentlich?«

»Ein Mann, der dort schon frühmorgens immer seinen Hund ausführt, hat sie entdeckt und uns alarmiert. Der hat dort direkt neben dem Strand ein Haus. Stefano hat mit ihm gesprochen, der Mann ist vollkommen unverdächtig.«

»Und wem gehört das Boot, wissen Sie das schon?«

»Auch einem Deutschen. Das war ja anhand der Immatrikulationsplakette leicht herauszubekommen. Stefano hat auch mit dem schon gesprochen, also telefoniert, und der Mann hat bestätigt, dass es sein Boot ist. Er kommt übrigens auch aus München und hat ein Haus auf der Insel. Vielleicht ist das ja kein Zufall und er kannte die Tote womöglich. Könnte also mit der Sache etwas zu tun haben.«

»Und wo ist er zurzeit?«

»Auf der Insel, den will ich mir nachher natürlich mal genauer ansehen. Wir schauen bei ihm vorbei, nachdem wir im Kloster waren. Stefano sagt, dass er nicht gerade perfekt Italienisch spricht. Also gut, dass Sie dabei sind, das ist ja quasi ein Landsmann von Ihnen.« Sie sah Simon lächelnd an. »Auch wenn Sie ja ein halber Italiener sind, wenn nicht inzwischen sogar ein ganzer …«

War das ein Kompliment? Simon war sich nicht ganz sicher.

Carla schaute auf die Uhr. »Wir müssen los. Ich habe ein Treffen mit der Äbtissin des Klosters vereinbart, und die wird vermutlich nicht ewig auf uns warten«, sagte sie und erhob sich schon. »Stefano erwartet uns mit dem Boot am Hafen und bringt uns rüber auf die Insel.«

Wie überall weihnachtete es auch in Omegna heftig. Ein Christbaum auf einer Plattform mitten im Wasser streckte sich hoch in den Himmel, dicht an dicht geschmückt mit roten und silbernen Leuchtkugeln, die bei Dunkelheit in hellem Glanz erstrahlen würden. Auch die Uferpromenade war lichterbehangen. Zur Ortsmitte hin mündete sie auf einen baumbestandenen Platz, wo donnerstags immer der Markt stattfand und zu dieser Jahreszeit eine Eisbahn aufgebaut war, auf der sich Mädchen und Jungen drängten und ihre Runden drehten, ganz Kleine und Größere, die einen noch wackelig auf den Kufen, die anderen schwungvoll und ein bisschen großspurig.

Das Polizeiboot lag nicht weit entfernt an einem der Holzstege. Simon erkannte schon von weitem Stefano, den Carabiniere, der die Absperrung am Strand gesichert hatte. Jetzt saß er betont lässig am Steuer, eine Sonnenbrille auf der Nase, die ganz zu dem schnittigen Boot passte, sprang aber sofort auf, als Carla sich näherte. Er wollte seiner Chefin ins Boot helfen, die das jedoch sehr bestimmt ablehnte. Mit einem sportlichen Satz hüpfte sie an Deck und ließ sich auf der vorderen Bank nieder.

Von Simon nahm Stefano keine Notiz, aber ein zweiter Carabiniere empfing ihn immerhin mit einem Lächeln, als er sich zu ihm ins Heck setzte. Stefano zündete den Motor mit einer wichtigtuerischen Geste, mit der sich schon ankündigte, was er bei dem bevorstehenden Ritt über den See aus dem Boot herausholen würde. Noch aber lagen sie am Steg, und der Motor blubberte nur verhalten vor sich hin.

Auf ein Zeichen Stefanos löste der Carabiniere neben Simon die Leinen, sie legten ab und fuhren langsam auf den See hinaus, immer noch mit blubberndem Motor, knapp an dem geschmückten Baum auf der Plattform vorbei. Kaum hatten sie die erste Reihe gelber Bojen erreicht, die die Hafengrenze markierten, gab Stefano Gas. Das Boot bäumte sich auf, senkte sich dann sofort wieder, und sie sausten über das Wasser, gewaltige Heckwellen hinter sich lassend.

Die Isola San Giulio war gut acht Kilometer entfernt, wofür sie keine zehn Minuten benötigen würden. Simon lehnte sich auf seiner Bank zurück, streckte die Beine aus und genoss die Fahrt über den See und den Blick auf die Insel, die schnell immer näher kam. Rundum dicht bebaut ragte sie aus dem Wasser auf, wie stets dominiert vom Kloster und dem Glockenturm der Basilika. Und doch sah sie nie gleich aus, wechselte jeden Tag ihr Gesicht. Mal, wenn die Sonne schien, lag sie heiter wie ein buntes Schiff im blauen See, mal verschwamm sie düster und nebelverhangen im Dunst, dann wieder, nachts, wenn sie angestrahlt war, stand sie trutzig im Wasser und erinnerte an eine Burg. Jetzt schimmerte sie hell und einladend in der Wintersonne.

Simon war schon Hunderte Male auf sie zugefahren, aber immer wieder überwältigte ihn ihr Anblick. Zwischen all dem verwitterten Stein, den lichten Fassaden der Palazzi, den Arkaden, schmiedeeisernen Balkonen und blassblauen Fensterläden wuchsen sattgrüne Zypressen und Kastanienbäume in die Höhe. Es war ein Postkartenanblick, tausendmal gesehen und abgebildet, von unten und von oben, vom See oder aus der Luft, aber dennoch verbrauchte er sich nicht.

Stefano fuhr kurz vor der Insel noch schwungvoll eine letzte Kurve, drosselte dann den Motor, und sie machten an dem langen Holzsteg fest, an dem auch die Verkehrsschiffe anlegten. Carla und Simon sprangen fast gleichzeitig an Land. Die beiden Carabinieri wollten sich ihnen anschließen, aber Carla stoppte sie in einem brüsken Ton, den Simon gar nicht an ihr kannte. »Fahren Sie zurück nach Omegna, Stefano. Ich melde mich, wenn wir hier fertig sind und wieder abgeholt werden wollen.«

Sie liefen schweigend nebeneinander her, eine Treppe hoch, durch einen Torbogen vorbei am Eingang zur Basilika und an dem Inselshop, der einst eine Taverne war und in dem nun Postkarten, Drucke, kleinere Antiquitäten und allerlei Krimskrams verkauft wurden. Schließlich kamen sie auf einen schmalen, mit runden Steinen gepflasterten Pfad, die Via del Silenzio, den Weg der Stille, der um die kleine Insel herumlief.

Carla blieb an einer niedrigen Mauer stehen. »Einen Moment haben wir noch, Simone. Den hat Stefano gerade für uns herausgefahren.« Sie grinste, nahm ihre Sonnenbrille ab, setzte sich mit lang ausgestreckten Beinen auf die Mauer, zündete sich eine Zigarette an, hielt Simon das Päckchen hin.

»Nein, danke. Seit wann rauchen Sie denn? Ich habe Sie noch nie mit einer Zigarette gesehen.«

»Ein kleiner Rückfall. Mir ist im Augenblick danach.«

Diesen Ton kannte Simon. Er erlaubte keine Rückfragen. Schweigend setzte er sich neben sie.

Sie nahm einen tiefen Zug. »Ich habe Ihnen doch von meinem Kollegen erzählt, oder? Der vor ein paar Monaten in Frankfurt spurlos verschwunden ist.«

»Der bei der Sanitärmesse war? Um Raubkopien aufzuspüren? Wegen dem ich bei der Polizei in Frankfurt nachgehakt habe, weil er auf einmal verschwunden war?«

Sie nickte. »Ja, genau. Sie haben ja wohl seitdem nichts mehr aus Frankfurt gehört?«

»Nein, mein Bekannter, der für Vermisstensachen zuständige Kommissar, wollte sich melden, wenn er etwas Neues von Ihrem Kollegen erfährt. Das hat er aber bisher nicht getan.«

Sie zog wieder an ihrer Zigarette. »Aber ich habe schlechte Nachrichten. Es hat nämlich jetzt jemand in Mexiko mit seiner Kreditkarte bezahlt. Das weiß ich von meinen italienischen Kollegen.«

»Was heißt jemand?«

»Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass er das selbst war. Ich vermute, dass man ihm etwas angetan hat. Er war kein Typ, der sich korrumpieren lässt, dann verschwindet und sich einen Lenz in Acapulco macht.«

»War?«

»Ja, Sie haben richtig gehört. Ich glaube nicht mehr, dass er noch lebt. Ich hätte von ihm gehört.«

»Soll ich noch mal in Frankfurt nachfragen?«

»Ja, das wäre gut, auch wenn es wahrscheinlich nichts bringt.« Carla wich seinem Blick aus. »Sorry, die Sache nimmt mich ziemlich mit.« Hastig drückte sie ihre Zigarette auf der Mauer aus und warf sie mit Schwung weg. »Basta, genug davon.« Sie schaute auf ihre Uhr, tippte mit dem Finger darauf. »Es wird auch Zeit, wir müssen los.« Mit einem Ruck richtete sie sich auf. »Gleich treffen wir übrigens eine, die nichts so schnell umwirft.«

»Die Äbtissin?«, fragte Simon.

»Haben Sie schon mal von ihr gehört?«

»Nein. Ich sagte Ihnen ja schon, dass ich mit Religion nicht viel am Hut habe.«

»Dann machen Sie sich mal auf eine Offenbarung gefasst.«

Isola Mortale

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