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Kapitel 12

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Es waren schon zwei Monate vergangen seit dem Balaton Urlaub, und nichts rührte sich. Hartmann glaubte schon, dass sich die Angelegenheit erledigt hatte. Eigentlich schade, dachte er, während er an einem Auto herumschraubte.

Hartmann war in den letzten Monaten förmlich aufgeblüht. Er trug nun die Haare länger und hatte sich auf Dagmars Drängen hin eine Nickelbrille besorgt, was bei der geringen Auswahl in der DDR kein leichtes Unterfangen war. Die alte glanzlose Hornbrille verschwand in den Tiefen der Wohnzimmeranrichte. Die gemeinsame Wohnung in der Kommandantenstraße im Stadtteil Lichterfelde war eine helle Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung mit vielen bunten Möbelstücken, die Dagmar zum Teil selbst bepinselt hat. Ihr Lieblingsmotiv waren Sonnenblumen, die wirklich überall zu sehen waren und in jeder Form auftraten. Als Aufkleber von Pril, die sie von einem Bekannten aus dem Westen bekommen hatte, oder als künstliche Blume, die sie selbst gebastelt hat.

Als er abends von der Arbeit nach Hause kam und die Post aus dem Briefkasten nahm, lag ein Brief von einem ihm nicht bekannten Absender aus dem Westen darin. Hartmann erstarrte. Dann schaute er sich um, ob er beobachtet wurde, und als er das ausschließen konnte, stieg er hastig die Treppen zu seiner Wohnung hoch. Dort angekommen ging er ins spärliche Wohnzimmer zu der Anrichte und holte aus einer Schublade, in der er seine alte Briefmarkensammlung verstaut hatte, eine Lupe. Wie gut, dass ich die alten Sachen nicht weggeworfen oder verschenkt habe, dachte er sich, während er sich auf dem Sofa positionierte, um unter optimalen Lichtbedingungen den Klebeverschluss des Briefes zu inspizieren. Der war schon einmal offen, dachte er. Unter Gegenlicht war ein ganz dünner Klebstofffilm zu sehen.

Wie in Trance schaute Hartmann auf die Rückseite und las den Absender.

Wolfgang Wiegand

Mehringdamm 27

1000 Berlin 36

Bundesrepublik Deutschland


Mit zitternden Händen griff Hartmann zum Brieföffner. Nach zwei Versuchen fuhr die Klinge in den Schlitz und öffnete den Brief. Atemlos zog er das Schreiben heraus und begann zu lesen.


Lieber Heinz,

ich hoffe, es geht Dir gut. Bei uns ist es im Moment sehr turbulent. Wie Du ja weißt, geht es Tante Klara immer schlechter, und wir befürchten, Sie in ein Pflegeheim bringen zu müssen. Sie ist nur noch bettlägerig, und Susanne hat so langsam nicht mehr die Kraft, die tägliche Pflege zu übernehmen. Die Kinder leiden genauso darunter. Naja, ich werde Dich auf dem Laufenden halten. Was macht das Briefmarken sammeln? Ich habe Dir extra eine ganz neue auf den Brief geklebt. Ich hoffe, die hast Du noch nicht. Melde Dich mal wieder. Mit lieben Gruß von allen

Dein Wolfgang


Hartmann stand auf und ging mit weichen Knien ins Bad. Er drehte den Wasserhahn auf und benetzte sich das Gesicht.

Lieber Heinz. Das Stichwort. Es geht los. Hartmann zitterte.

Reiß dich zusammen, dachte er. Er ist verschlüsselt. Du musst ihn entschlüsseln. Es ist ganz einfach. Siegfried hat es dir genau erklärt. Es ist Geheimpapier.

Hartmann kehrte ins Wohnzimmer zurück und nahm sich einen Bleistift und ein Blatt Papier aus der Schublade seiner Wohnzimmeranrichte. Dann holte er aus der Küche das Codebuch, das er aus dem hohlen Frühstücksbrettchen nahm, das bei den anderen Frühstücksbrettchen im Küchenschrank stand. Er ging ins Wohnzimmer zurück und setzte sich an den Tisch, um mit der Entschlüsselung zu beginnen.

Der Absender hatte zuerst mit einem leeren Kugelschreiber eine Zahlen- und Buchstabenfolge auf das leere Blatt Papier geschrieben. Dann hat er mit normaler Tinte den Brief geschrieben. Hartmann musste jetzt mit dem Bleistift das Blatt schraffieren, um die Abdrücke und somit den zu dechiffrierenden Text zu erkennen.

Nach ein paar Sekunden war die Struktur sichtbar. Hartmann konnte die Ziffernfolge erkennen und schrieb sie noch einmal ab. Dann nahm er das kleine Codebuch, das ihm Heine gegeben hatte, und schlug es auf. Nach einer Viertelstunde hatte er den Text fertig.


Bitte Informationen über die sowjetische Radaranlage in Pankow sammeln. Antwort bitte in den nächsten 14 Tagen.


Hartmann atmete tief durch. Hier war sie, die erste Aufgabe. Zum Glück kannte er den Standort der Anlage. Bei einigen seiner unzähligen Fototouren rund um Berlin war er oftmals auf militärische Anlagen gestoßen, ohne näheres Interesse daran zu zeigen. Bislang hatte er zugesehen, so schnell wie möglich von dort wegzukommen. Nun ist es umgekehrt, dachte er. Ich muss vorsichtig vorgehen, aber ich habe ja meinen Fotoapparat als Vorwand, wenn mich jemand anspricht. Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke. Ich muss den Zettel verbrennen. Und den Brief ebenfalls.

Bevor er die Papiere verbrannte, notierte er sich die Adresse auf einem Zettel, den er in seinem Portemonnaie steckte. Nun geht es los, dachte er und kaute nervös an einem Fingernagel. Er schaute auf die Uhr.

»Verdammt!«, schrie er auf.

Es war 18.10 Uhr. Er war um 17.30 Uhr mit Dagmar verabredet gewesen.


Hartmann betrat das kleine Café und sah sich um. Er entdeckte Dagmar alleine an einem Tisch. Sie rührte gelangweilt mit einem Löffel in ihrem Kaffee. Er setzte sich ihr gegenüber und nahm ihre Hände in seine.

»Entschuldige bitte«, stammelte Hartmann.

»Ich musste länger machen in der Werkstatt. Irgend so ein hohes Tier von der Partei hatte ein Problem mit seinem Wagen.«

Dagmar sah ihn prüfend an.

»Du bist ganz blass, geht es dir nicht gut, Schnecke? Und schwitzen tust du auch. Naja, ist ja auch noch schön warm draußen.«

Schnecke nannte sie ihn immer. Er musste immer grinsen, weil er sich nicht an diesen Kosenamen gewöhnen konnte. Auch dieses Mal.

»Nein, alles in Ordnung. Es war ein langer Tag. Wollen wir noch rausfahren? Du wolltest mir noch etwas zeigen.«

Dagmar blickte ihn geheimnisvoll an.

»Na klar, ich bin so weit.«

Hartmann stand auf.

»Na dann mal los.«

Sie fuhren mit der S-Bahn Richtung Straußberg. Die Abendsonne in diesem Spätsommer war noch angenehm warm. Dagmar hatte am Morgen einen Korb mit etwas Brot und Wurst, einer Kanne Tee sowie einer Wolldecke gepackt.

Als sie aus der S-Bahn ausstiegen gingen sie Händchen haltend Richtung Ortsausgang. Der Verkehr wurde jetzt deutlich weniger. Es kamen ihnen auch nur noch vereinzelt Passanten entgegen. Irgendwann waren sie ganz alleine auf einem Schotterweg unterwegs. Sie unterhielten sich über den Tag auf der Arbeit. Bald erreichten sie große Felder mit Mais und Getreide.

Dagmar zog Bernd sanft Richtung Maisfeld. Sie gingen ca. 20 Meter in das Feld hinein, bis Dagmar stoppte. Hartmann beobachtete, wie sie die hohen Pflanzen im Umkreis von zwei Metern umknickte und auf den Boden drückte.

»Und wenn ein Bauer kommt?«, fragte Hartmann, während er unsicher auf jedes Geräusch achtete.

»Nicht um diese Zeit. Die essen alle zu Abend.«

Dagmar breitete die Decke aus und fing an, sich auszuziehen. Hartmann betrachtete sie mit neugierigen Blicken.

»Glotz nicht, mach dich auch nackig«, forderte sie ihn lachend auf.

Hartmann zog sich ebenfalls aus, ohne seine Augen von ihr abzuwenden. Dagmar hatte die Zöpfe aufgemacht und schüttelte ihren langen rotblonden Schopf. Einladend legte sie sich auf die Decke und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. Hartmann folgte der Aufforderung und zog sie an sich heran. Dann liebten Sie sich innig und leidenschaftlich.

Im Auftrag des Feindes

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