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3 Spezielle strategische Aufgaben der Beschaffung

Die Beschaffung lässt sich bezüglich ihrer Aufgaben in operative und strategische Bereiche einteilen.25

Die operative Beschaffung dient der Umsetzung der strategischen Vorgaben. Sie befasst sich mit folgenden Tätigkeiten, welche aber stets in die Gesamtstrategie passen müssen:

• Bedarfsklärung

• Anfragen, operative Lieferantenauswahl, Bestellungen, Materialabrufe

• Überwachung von Termin-, Mengen- und Qualitätsvorgaben

• Wareneingang, Einlagerung und Rechnungsprüfung

• Disposition und Prognosen

• Datenpflege in Einkaufssystemen u. v. m.

Die strategische Beschaffung26 bildet den Rahmen für das operative Geschäft und bestimmt die Handlungsrichtung. Ihr Ziel ist, die Versorgungssicherheit eines Unternehmens zu gewährleisten. Diesem Ziel werden andere folgende Tätigkeiten zugeordnet:

• Entwicklung und Realisierung von Beschaffungsstrategien

• Aufdeckung und Nutzung von externen Potenzialen

• Bereitstellung von neuen Technologien und Innovationen

• Zielorientiertes Beziehungsmanagement zu Lieferanten

• Strategische und operative Bedarfs- und Beschaffungsprogrammanalyse

• Make-or-Buy-Entscheidungen

• Optimierung der Gesamtkosten und Risikoreduktion

• Denken und Handeln in durchgängigen Prozessketten

Spezielle Aktivitäten des strategischen Beschaffungsmanagements wie Advanced Procurement, Cost Engineering und Risikomanagement werden in den folgenden Unterpunkten etwas ausführlicher erläutert.

3.1 Advanced Procurement

Im Sinne des Advanced Procurement werden die Lieferanten eng in die Serienentwicklung des OEM eingebunden.27 Die Produkte können nur dann optimal für die zukünftige Fertigung bei den Lieferanten ausgelegt werden, wenn deren Produktionswissen rechtzeitig im Produktentstehungsprozess (PEP) Berücksichtigung findet. Zu oft werden Produkte entwickelt und funktional getestet, ohne die anschließende Umsetzbarkeit in der Produktion zu bewerten. Unternehmen, welche die Möglichkeiten der frühzeitigen Material- und Lieferantentscheidungen nicht nutzen, können die strategischen Vorteile nicht nutzen. Es ist ein Umdenken vom reaktiven zum proaktiven Beschaffungsmanagement erforderlich. Die Beschaffung hat in dieser Phase die Aufgabe, eine enge Abstimmung mit dem Beschaffungsmarkt sicherzustellen. Neben dem Risiko unglückliche Weichenstellungen für die nachfolgende Produktion zu stellen, muss nun besonders auf das Änderungsmanagement geachtet werden. Technische Abweichungen vom ursprünglichen Lastenheft oder unklare Formulierungen können schnell zu unkontrollierbaren Mehrungen führen. Diese Mehrungen beeinflussen direkt die Produktrendite und schlagen maßgeblich auf das zukünftige Unternehmensergebnis durch. Die Beschaffung gewährleistet in dieser Phase nicht nur ein stringentes Lieferantenmanagement, sondern wirkt auch als internes Regulativ. Um die Produktrendite nicht zu gefährden, müssen also auch Optimierungen bzw. komplexitätsreduzierende Lösungen gefunden werden, die Kostenreduzierungen ermöglichen.

3.2 Cost Engineering

Eine Schlüsselmethode, Prozesse analytisch zu bewerten und Optimierungen abzuleiten sowie ein effizientes Änderungsmanagement zu betreiben, ist das Cost Engineering. Preise werden also nicht auf dem »Basar« verhandelt, sondern »Bottom-up« kostenanalytisch bewertet. Damit geht man den Kostentreibern und deren Ursachen auf den Grund. Cost Engineering soll Transparenz schaffen, Handlungsoptionen ermöglichen und eine Balance zwischen Funktionen und Werten sowie Kosten und Preisen ermöglichen.

Grundsätzlich lässt sich jedes komplexe Produkt durch die folgenden 3 M beschreiben: Mensch, Maschine und Material. Dabei ist eine Menge Erfahrung und technische Kompetenz erforderlich, um ein noch nicht existierendes Produkt allein aufgrund von Zeichnungen und Daten aus einem Lastenheft zu kalkulieren. Von besonderer Bedeutung sind die von Seiten des Lieferanten benötigten Maschinen und die damit verbunden Investitionen sowie die zukünftig benötigten Zykluszeiten. Nach dem Produktionsbeginn (Start of Production, SOP) lassen sich zwar die Zykluszeiten in der bestehenden Fertigung messen, allerdings wird eine Anpassung der Fertigung dann sehr aufwändig.

Die Maschinenbelegungszeiten und Fertigungszeiten müssen bereits in einer frühen Phase vor dem SOP ermittelt werden. Hierfür gibt es unterschiedliche Ansätze, die jedoch alle eine fundierte Fertigungskompetenz auch in der Beschaffung erfordern:

• Methods of Time Measurement (REFA MTM)

• Virtuelle Fabrik, Prozessoptimierungen

• Erfahrungswerte aus Vorgängerprodukten

• Physikalisch-technische Zusammenhänge

• Digitaler Zwilling28 u. v. m.

Cost Engineering-Projekte lassen sich in folgende drei Phasen unterteilen: Vorbereitung, Analyse und Verhandlung. Die Vorbereitung soll die geeigneten Projekte identifizieren, welche dann in einem übergreifenden Team durchgeführt werden sollen. Die folgende Analyse mit kostenanalytischen Bewertungen erfolgt von hochspezialisierten Ingenieuren, die in der Lage sind, technische Fragestellungen mit betriebswirtschaftlichen Methoden zu kombinieren. Die abschließende Verhandlung mit dem Lieferanten soll aufgedeckte Kostenreduktionspotenziale zur Umsetzung bringen und gefundene Erkenntnisse für neue Konzepte bereits in die frühe Phase transferieren.

Die bisherigen Ansätze, die Beschaffungsleistung nur an Preis- und Kostenreduzierungen in der Serie zu messen, sind überholt. Der Trend hin zu Kostenvermeidungsstrategien in der frühen Phase wird eine wesentliche Rolle im Lieferantenmanagement spielen.

3.3 Risikomanagement

Neben dem Änderungsmanagement nimmt in der Phase zwischen Nominierung und Start of Production das Riskmanagement29 an Bedeutung zu. Grundsätzlich lassen sich Risiken in kalkulierbare (meist auch versicherbare) und nicht kalkulierbare Risiken einteilen. Zu den kalkulierbaren Risiken gehören Schäden durch Umweltkatastrophen, Feuer etc. Die wesentlichen Schritte des Risikomanagements30 sind:

• Risikoidentifikation

• Risikomessung/-analyse/-bewertung

• Risikosteuerung

• Risikocontrolling

In der Phase der Risikoidentifikation geht es um die Identifizierung von Risiken entlang der Lieferkette mittels Überwachung von latenten Risiken und proaktiven Frühwarnsystemen. Für die Beschaffung gilt es, besonders im Rahmen des Global Sourcings und einer weltweiten Werkeversorgung ein breites Spektrum an Risiken zu identifizieren und abzuwenden. Diese können geografische Risiken (Überschwemmung, Erdbeben etc.) der Lieferantenstandorte, finanzielle Risiken, technische Risiken (neue Fertigungstechnologien) oder Supply Chain Risiken sein. Die Höhe des möglichen Risikos hängt im Beschaffungsmanagement u. a. auch von der Sourcing Strategie ab. Wurde aufgrund technologischer Abhängigkeit oder zur Ausnutzung von Skaleneffekten eine Single Sourcing Strategie (also der Bezug von nur einem Lieferanten) gewählt, so würde eine etwaige Überschwemmung an einem Produktionsstandort mit einer deutlich höheren Auswirkung bewertet, als es bei eine vergleichbaren Multi Sourcing Strategie der Fall wäre. Besonders bei großen Vergabevolumen und einer geplanten langjährigen Zusammenarbeit mit einem Lieferanten ist es elementar wichtig, die wirtschaftliche Situation des zukünftigen Partners zu durchleuchten ( Kap. B 4).

Idealerweise umfasst die Risikomessung, -analyse und -bewertung des Risikos und damit des potenziellen Schadensausmaßes alle Geschäftspartner entlang der Supply Chain. Dem Anspruch dieser gläsernen Supply Chain gerecht zu werden, ist auch in Zeiten von Big Data mit enormem Ressourcenaufwand verbunden. Dabei sollten alle Materialien vom strategischen Lieferanten mit großem Einkaufsvolumen bis hin zu C-Teilen einbezogen werden. Eine einzige Spezialschraube, kann eine Fertigung bei einem Hersteller stilllegen. Die realen Erfahrungen zeigen, dass für die Kritikalität der Lieferkette viele Dimensionen eingebunden werden müssen: Länderbewertungen, logistische Knotenpunkte, Lead Time und Substituierbarkeit.

Die nachfolgende Risikosteuerung beschäftigt sich mit der Risikovermeidung und Risikobegrenzung, Risikoverteilung und -verlagerung, sowie der Risikoüberwälzung und -kompensation. Die Risikovermeidung und -begrenzung haben das Ziel, das Gesamtrisiko des Unternehmens zu begrenzen oder sogar zu senken. Die Vermeidung und Begrenzung erfolgen zum größten Teil durch Setzung von Limits. Ein Beispiel dafür wäre das Preislimit bei Investitionen.

Bei der Risikoverteilung geht es um die Ausnutzung von Diversifikationseffekten, die dann auftreten, wenn die aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen entstehenden Risiken sich gegenseitig kompensieren. Dies wäre der Fall, wenn beispielweise das Unternehmen in mehreren Geschäftsfeldern tätig sein würde oder Währungsrisiken und -chancen aus verschiedenen Ländern kompensieren können.

Durch die Risikoüberwälzung wird per Vertragsabschluss und die Zahlung einer Prämie als Gegenleistung der potenzielle zukünftige Verlust von dem Vertragspartner übernommen. Für die Überwälzung wird meist eine Versicherung abgeschlossen.

Ein professionelles Risikomanagement31 umfasst auch ein stringentes Risikocontrolling. Die Einrichtung und den Betrieb von Risikoberichtssystemen sowie der Risikoaggregation und Auswertung sind unabdingbar, um nachhaltig Risiken zu vermeiden bzw. Risiken für neue Projekte fundiert bewerten und reduzieren zu können.

25 Bundesverband für Materialwirtschaft und Einkauf (BME), 2008, S. 116.

26 Large 2013 und Büsch 2012.

27 Engelhardt und Hofbauer 2017.

28 Hofbauer und Gandhi 2020.

29 Gandhi und Hofbauer, 2015, S. 147.

30 Risk Management Association 2015.

31 Hofbauer, Burghardt und Sangl 2019.

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