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5.1 Grundlagen der Prozessorientierung
ОглавлениеDie Hauptziele der Prozessorientierung in der Beschaffung sind die Erhöhung der Wertschöpfung, die Verbesserung der Qualität und die Reduzierung von Risiko durch die Definition von Kriterien, die ein Lieferant in den einzelnen Phasen des Beschaffungsprozesses erfüllen muss. Die Markt- und Kundenorientierung muss während des ganzen Beschaffungsprozesses gewährleistet sein, um die Anforderungen des Beschaffungsobjektes sowie die Bedürfnisse Nachfrager zu erfüllen. Mit der Prozessorientierung werden vier generelle Ziele verfolgt39:
• Verkürzung der Durchlaufzeiten,
• Verbesserung der Qualität,
• Senkung der Kosten,
• Zunahme der Innovationsfähigkeit.
Als wesentliche Vorteile einer prozessorientierten Organisationsgestaltung lassen sich folgende Punkte nennen40:
• Die Konzentration auf wertschöpfende Aktivitäten wird durch interne und externe Kundenorientierung gefördert. Im Vordergrund stehen nicht mehr Bereichsegoismen, sondern die jeweiligen internen und externen Kunden.
• Da die Prozesse bereichsübergreifend definiert werden, wird eine Delegation von Verantwortung und Kompetenz für den Prozessablauf als Ganzes auf eine oder mehrere Personen möglich.
• Schnittstellenprobleme durch gegenseitige Abhängigkeiten werden durch die Ausrichtung der Organisation auf die relevanten Prozesse verringert und die Gefahr von Doppelarbeit und schnittstellenbedingten Fehlern nehmen ab.
• Auch lässt sich der erforderliche Koordinationsaufwand minimieren, wodurch den beteiligten Organisationseinheiten mehr Zeit für die eigentliche Problemlösung zur Verfügung steht.
• Ganzheitliche Prozessverantwortung ermöglicht Freiräume für Selbstorganisation und Selbstkontrolle. Als Koordinationsmechanismus dient vornehmlich die Selbstabstimmung der am Prozess Beteiligten. Durch diesen umfassenden Aufgabenbereich und die damit verbundene erhöhte Eigenverantwortung der Mitarbeiter eröffnen sich Kreativitäts- und Motivationspotenziale, wodurch die Möglichkeit anspruchsvoller Zielsetzungen besteht.
• Nicht zuletzt wird durch diese Sichtweise auch die fortlaufende Optimierung der Abläufe eines Unternehmens im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses gefördert.
Für die Umsetzung der Prozessorientierung reicht es nicht, die Abläufe der Teilprozesse in die bestehende Organisationsstruktur hinein zu organisieren.41 Herkömmliche Vorgehensweisen reichen nicht aus für die Gestaltung der Aufbauorganisation durch die Bildung von organisatorischen Einheiten und der Zusammenfassung von Teilaufgaben zu einer formellen Stellenhierarchie. Die Gestaltung der Ablauforganisation erfolgt hierbei nachträglich, indem die Prozesse in die bestehende Aufbaustruktur »hineinorganisiert« werden. Stellenübergreifende Abläufe werden dabei von diesem klassischen Organisationsansatz nicht ausreichend berücksichtigt. Als Folge dieser fehlenden Ausrichtung der Aufbauorganisation auf ganzheitliche Prozesse ergeben sich verschiedene Mängel42:
• Aufgrund der Aufgabenzerlegung in eine Vielzahl von Teilaufgaben (Arbeitsschritten) ergeben sich Steuerungsprobleme, die einen hohen Koordinations- und Regelaufwand nach sich ziehen.
• Abstimmungsschwierigkeiten durch unzureichende Koordination des Informationsflusses und das Ressortdenken der organisatorischen Einheiten führen zu unnötigen Schnittstellen, Doppelarbeiten und Redundanzen. Das wiederum führt zu einer Verringerung der Effizienz im Hinblick auf Ressourcen, Leistung und Führung der Organisation.
In diesem Zusammenhang wird oft auch von einer verkrusteten Organisation oder »Strukturkrise« gesprochen, die dazu führt, dass Zeit- und Kostenvorteile nicht realisiert werden können und die Kundenorientierung leidet. Im Zeitalter von Industrie 4.043 ist eine prozessorientierte Organisation gefordert, bei der alle Aktivitäten zur Leistungserstellung miteinander verbunden sind und als übergeordnete Zielsetzung die Kundenanforderungen konsequent berücksichtigt werden.
Die prozessorientierte Gestaltung der Organisation stellt im Gegensatz zu der in der Vergangenheit geprägten und mittlerweile überholten Einteilung in Aufbau- und Ablauforganisation die besonderen Erfordernisse des Betriebsprozessablaufs in den Vordergrund.
Um diese prozessorientierte Organisationsform zu erreichen, ist es erforderlich, ein Business Process Reengineering44 (BPR) durchzuführen. Dabei erfolgt anstelle einer Ausrichtung der Organisation an Funktionen, Abteilungen, Regionen oder dergleichen, eine radikale Reorganisation des Unternehmens entlang von Prozessketten. Dadurch soll eine flexiblere und kreativere Leistungserstellung ermöglicht werden. Durch konsequente ganzheitliche Prozessorientierung soll das Potenzial zur Bewältigung komplexer Aufgabenstellungen erhöht werden. Ganzheitliche Aufgabenzusammenhänge und ein hoher Grad an Teilautonomie ermöglichen eine zielgerichtete und kompetente Einbindung der Mitarbeiter. Als Hauptmerkmale von Business Process Reengineering sind folgende Punkte zu nennen45:
• Ziel-, Kunden- und Prozessfokussierung,
• fundamentales Überdenken aller Aufgaben und Abläufe,
• radikales Redesign aller Strukturen und Verfahrensweisen,
• Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung,
• Quantensprünge der Prozessleistung,
Kurz zusammengefasst versteht man unter Business Process Reengineering also den kompletten Neuanfang, bei dem das herkömmliche in Kästchen und Abteilungen orientierte Organisationsdenken und Managementwissen beiseitegeschoben wird und die Ablauforganisation auf Effizienz getrimmt wird.
»Business reengineering means starting all over, starting from scratch«.46 Eine derartige Reorganisation eines gesamten Unternehmens lässt sich nicht durch sanfte Veränderungen bewerkstelligen, sondern das Unternehmen muss häufig auf radikale Weise aus den eingefahrenen Strukturen in effiziente Prozessabläufe transferiert werden. Ein BPR-Projekt verlangt große Anstrengungen, bindet erhebliche Personalressourcen, erfordert intensive Koordination und unterliegt einem hohen Erfolgsrisiko. Aus diesen Gründen sollte BPR nur bei solchen Vorhaben Anwendung finden, die von hoher strategischer Bedeutung sind und gleichzeitig gravierende Leistungsdefizite aufweisen. Treffen diese beiden Voraussetzungen nicht zu, sollte stattdessen eine kontinuierliche Prozessverbesserung angestrebt werden.
Bei der Neugestaltung des Unternehmens sind folgende Grundideen47 zu berücksichtigen:
• Fundamentales Überdenken: Nichts wird als selbstverständlich erachtet und bereits Bestehendes wird ignoriert, denn Business Reengineering verbietet Annahmen und Vorgaben.
• Radikales Redesign: Wichtige Prozesse des Unternehmens werden von Grund auf neugestaltet und nicht lediglich geringfügig verändert oder verbessert.
• Dramatische Verbesserung: Als Ziel sind nicht geringfügige Leistungsverbesserungen zu setzen, sondern solche von völlig neuer Größenordnung.
• Orientierung an Unternehmensprozessen: Prozessorientierung steht im Mittelpunkt. Gefordert wird die Schaffung durchgängiger und im Idealfall digitalisierter Prozesse ohne Schnittstelle vom Lieferanten bis zum Kunden und damit die Ausrichtung der Unternehmensprozesse auf eine konsequente Kundenorientierung.
Die Erfahrungen mit Business Reengineering in der Praxis sind sehr unterschiedlich und nicht immer werden die angestrebten Ziele erreicht. Dies ist in den häufig auftretenden Anwendungsfehlern begründet. Insgesamt wird jedoch deutlich, dass viele Reengineering-Projekte gerade an einer unzureichenden Managementunterstützung scheitern.