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Оглавление2 Die Beschaffungsfunktion
Aufgrund knapper Ressourcen und permanentem Kostendruck muss auch im Beschaffungsmanagement die Generierung von Werten als Zielsetzung vorangestellt werden. Aufgrund der steigenden Anteile des zugekauften Materials, lässt sich hier die Bedeutung und die Zielsetzung der Beschaffung ersehen. Aufgabe der Entscheidungsträger in der Beschaffung ist es, das optimale Vorprodukt einzukaufen, um einen möglichst hohen Qualitätsstandard der Eigenfertigung zu günstigen Konditionen erreichen zu können.
2.1 Bedeutung und Ziele
Die Kosten für die Beschaffung der Vorprodukte müssen wertschaffend in die eigenen Endprodukte einfließen. An dieser Stelle kommt der Wirtschaftlichkeitsbedingung ein wichtiger Stellenwert zu: Verkauft werden kann nur das, was der Absatzmarkt mit der vorgegebenen Preisstellung auch aufnehmen kann. Zudem muss auch ein Wert für das eigene Unternehmen geschaffen werden. Spätestens seit dem Buchtitel »Milliardengrab Einkauf«6 wissen wir, dass im Beschaffungsbereich noch viele Potenziale nicht ausgeschöpft sind.
Damit ist auch der Rahmen für das Beschaffungsmanagement festgelegt: Es müssen Vorprodukte beschafft werden, die in ihrer Qualität vom Absatzmarkt akzeptiert werden und die auch zu marktfähigen Preisen und akzeptablen Terminen verfügbar sind. Strategisch motivierte Einflussnahme auf den Beschaffungsprozess unter Berücksichtigung der Beschaffungsmärkte soll weiterhin eine Nachhaltigkeit der Aktionen bzw. eine langfristige Optimierung der Beschaffungsfunktion gewährleisten. Daraus resultieren im Ergebnis die Sicherung und Erhaltung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit7.
Diese genannten Faktoren müssen unter Einbeziehung von strategischen Vorüberlegungen so verknüpft werden, dass ein dem Unternehmenszweck dienliches Ergebnis erreicht werden kann. Ferner sind dabei die Wechselwirkungen mit dem eigenen Vertrieb zu berücksichtigen. Dies lässt sich durch die Prozessintegration gewährleisten.
Die unternehmerische Beschaffungsfunktion gehört neben der Produktion und dem Absatz zu den drei unternehmerischen Grundfunktionen. Die Beschaffung umfasst »sämtliche unternehmens- und marktbezogenen Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Objekte verfügbar zu machen«.8
Die Beschaffung bildet eine Schnittstelle zwischen Unternehmen und den Beschaffungsmärkten. Ihre Ziele, werden aus den unternehmerischen Zielen abgeleitet:
• Kostenziel: Reduzierung der Einkaufskosten und Total Cost of Ownership (TCO)
• Qualitätsziel: Zusicherung der angemessenen Qualität der spezifizierten Beschaffungsteile
• Sicherheitsziel: Reduzierung des Beschaffungsrisikos
• Flexibilitätsziel: Erhöhung der Beschaffungsflexibilität
Die Materialkosten haben einen direkten Einfluss auf die Gesamtprofitabilität, deswegen wird dem Kostenziel eine sehr hohe Bedeutung zugemessen. Ein einfaches Rechenexempel zeigt: Schon eine Materialkostenreduktion um 3 Prozent bewirkt dieselbe Gewinnerhöhung wie bei einer 60-prozentigen Umsatzsteigerung.9 Um eine gegenseitige negative Beeinflussung zu vermeiden, muss das Kostenziel im Zusammenhang mit anderen Unternehmenszielen betrachtet werden.
Die angemessene Qualität der Zukaufsteile bildet das zweitwichtigste Beschaffungsziel. Das Qualitätsziel steht allerdings in einem gewissen Konflikt zu dem Kostenziel. Die Aufgabe der Beschaffung besteht darin, einen bestmöglichen Kompromiss zwischen den beiden Zielen zu finden. Weitere Zielobjekte finden sich bei Hofbauer.10 Eine sichere Materialversorgung ist die Voraussetzung für eine unterbrechungsfreie Produktion, deswegen stellt eine Reduzierung des Beschaffungsrisikos ebenfalls ein wichtiges Ziel dar.
Als weiteres Beschaffungsziel ist die Erhöhung der Beschaffungsflexibilität anzusehen. Sie dient einer Absicherung von Handlungsalternativen im Fall einer Produktions- oder Technologieänderung.
2.2 Die Veränderung der Rolle der Beschaffung
Die betriebswirtschaftliche Beschaffungsfunktion wurde in der Vergangenheit als eine Art Unterstützungsfunktion gesehen, die zur Erfüllung anderer Unternehmensfunktionen diente. Seit Ende der 1980er Jahren, als das Wettbewerbspotential der Beschaffung erkannt wurde, unterliegt sie einem ständigen Wandel. Diese Änderung ist insbesondere auf die zunehmende Fokussierung auf Kernkompetenzen und die daraus resultierende Reduktion der Fertigungs-, Forschungs- und Entwicklungstiefe zurückzuführen. Anstatt Komponenten selbst zu entwickeln und zu fertigen, werden diese zunehmend extern von Unternehmen bezogen, die sie am wirtschaftlichsten herstellen können. Damit nimmt die Beschaffung zunehmend die Rolle eines Wertgenerators und Innovationstreibers11 ein.
Abb. 1: Veränderung der Rolle der Beschaffungsfunktion im Zeitablauf
Die Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der unternehmerischen Beschaffungsfunktion in den letzten 50 Jahren. War zunächst die Ausgangsfunktion die Sicherstellung der Versorgung der Produktion, so musste sich der operative Einkauf vorrangig darum kümmern. Mit dem Aufkommen von weiteren Anbietern ging es hauptsächlich um den günstigsten Preis. In der nächsten Stufe zwangen steigende Anforderungen und höhere Komplexität die Unternehmen dazu, intern rationeller zu arbeiten und straffer zu organisieren. Damit war der Schritt weg vom operativen Einkauf und hin zu einer umfassenderen Beschaffungsfunktion12 gemacht. Ein weiterer Schritt war dann folgerichtig, dass der Fokus auf das Lieferantenmanagement gerichtet wurde. Hier geht es um die systematische Suche, das Halten und den Ausbau von wertschöpfenden Lieferantenbeziehungen. Aktuell befindet sich die Beschaffung auf dem Sprung zum Netzwerkmanagement, in dem agile Partnerschaften13 im Netzwerk hocheffiziente Wertschöpfung in Sinne von Industrie 4.0 vorantreiben. Aus dieser Wertgestaltungsfunktion lässt sich auch die Forderung ableiten, die Beschaffung als Primäraktivität einzuordnen.14 Abbildung 2 stellt die Entwicklung der Inhalte der Beschaffung dar.15
Abb. 2: Die Entwicklung der Beschaffungsinhalte vom Kostenoptimierer zum Wertgestalter
Der Weg der Beschaffung über das Lieferantenmanagement hinaus in Richtung Netzwerkmanagement ist vorgezeichnet und eine logische Folge der Entwicklung.16 Mit zunehmender Einbindung in die Wertschöpfung werden Tier-Strukturen (Leistungsbündelung) und Outsourcing (Lösungsbündelung) immer mehr an Bedeutung gewinnen. In Folge dessen wird die Auswahl der einzubindenden Lieferanten im Lieferantenscouting, der ersten Phase des Lieferantenmanagements immer wichtiger. In Abbildung 3 ist diese Entwicklung dargestellt.
Der Trend bei Originalherstellern (OEM) und deren Zulieferern geht bereits in Richtung Leistungs- und Lösungsbündelung. Dadurch entstehen große, komplexe Liefernetzwerke, welche im großen Maße den Unternehmenserfolg beeinflussen und von der Beschaffung gesteuert werden.17 Entsprechend steigt der Stellenwert eines effektiven und strategisch ausgerichteten Lieferantenmanagements.
Die Bedeutung der betrieblichen Beschaffungsfunktion für die Wertschöpfung eines modernen Industrieunternehmens lässt sich quantitativ vor allem anhand des
Abb. 3: Entwicklung der Beschaffung zum Netzwerkmanager18
Kostenanteils des zugekauften Materials verdeutlichen. Der Materialaufwand ist mit 50-80 Prozent der bedeutendste Kostenfaktor eines Unternehmens und damit stellt die betriebliche Beschaffungsfunktion folglich einen ausschlaggebenden Faktor für den Unternehmenserfolg dar.
Das ursprünglich von Porter19 entwickelte Managementkonzept wurde überarbeitet, nachdem es 35 Jahre lang als Anhaltspunkt für strategische Entscheidungen gedient hat. Die Beschaffung wird nicht mehr nur als unterstützende Sekundäraktivität angesehen, sondern ist zusammen mit dem Innovationsmanagement20 dafür verantwortlich, dass das eigene Unternehmen mit den innovativsten und technologisch ausgereiftesten Vorprodukten und Materialien versorgt werden kann. Aus dieser Wertgestaltungsfunktion lässt sich auch die Forderung ableiten, die Beschaffung aufzuwerten und auch als Primäraktivität einzuordnen.21 In Abbildung 4 wird die Neuausrichtung der Wertkette dargestellt.22
Zusammenfassend kann die Entwicklung von der traditionellen Beschaffung hin zur zukunftsfähigen Beschaffung wie in Abbildung 5 zu ersehen, festgestellt werden.
Abb. 4: Neue Einordnung der Beschaffung in der Wertkette23
Abb. 5: Entwicklung zur zukunftsfähigen Beschaffung
2.3 Begriffe und Abgrenzungen im Beschaffungsmanagement
Die Begriffe, die mit der Beschaffung im Allgemeinen verbunden sind, werden vielfach mehr oder weniger synonym verwendet. So ist häufig von Beschaffung die Rede, wenn das Tätigkeitsfeld des Einkaufs beschrieben werden soll. Die Verwendung des Begriffs Materialwirtschaft umschließt auch alle damit verknüpfbaren Tätigkeiten inklusive der Logistik.
Eine solche Verallgemeinerung mag durchaus Sinn machen, denn alle diese Funktionen beschäftigen sich mit der Bereitstellung von Waren, wobei sich jedoch die Aktivitäten und die Objekte zwischen den Bereichen teilweise überschneiden. Diese Überschneidungen und Abgrenzungen sollen anhand folgender Begriffe deutlich gemacht werden:
• Einkauf: Der Einkauf befasst sich vorwiegend mit operativen, abwickelnden Tätigkeiten wie der Anfragenerstellung, dem Bestellwesen, dem Angebotsvergleich und den Preisverhandlungen.
• Beschaffung: Die Aktivitäten in der Beschaffung gehen noch einen wesentlichen Schritt weiter als im Einkauf, da zusätzlich auch strategische Aspekte unter diesem Begriff mit einbezogen werden. Die Beschaffung bezieht sich unter Berücksichtigung der Beschaffungsmarktsituation auf die Erschließung von Potenzialen und Sicherstellung der Versorgungssicherheit des Unternehmens mit Produkten, die das eigene Unternehmen benötigt, aber nicht selbst herstellen kann.
• Materialwirtschaft: Die Materialwirtschaft beinhaltet den wirtschaftlichen Umgang mit den Waren und umspannt die Lagerbewirtschaftung, den innerbetrieblichen Transport und die Materialversorgung bis zur Bereitstellung in der Fertigung.
• Logistik: Die Logistik befasst sich mit dem physischen Materialfluss (der Warenverfügbarkeit) innerhalb eines Unternehmens sowie zwischen einem Unternehmen und dessen Umwelt, wobei die Funktionen der Raum- und der Zeitüberbrückung durch die Supply Chain im Mittelpunkt stehen.
Im Fokus der folgenden Ausführungen stehen die Tätigkeiten, die sich vornehmlich unter dem Begriff »Beschaffung« bzw. als Untermenge mit »Einkauf« subsumieren lassen, allerdings werden auch Verweise auf Prozesse und Schnittstellen gegeben, die mehr der Materialwirtschaft oder der Logistik zurechenbar sind. Die übergeordnete Zielsetzung ist, die benötigten und beschafften Materialien und Teile im Unternehmen zur Verfügung zu stellen und dazu gehört ein Zusammenwirken all dieser Funktionen24.
6 Kerkhoff 2011
7 Berkenhagen und Vrbica 2007, S. 1
8 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016, S. 13
9 Unter der Annahme, dass der Materialkostenanteil des Unternehmens bei 60 Prozent und die kalkulatorische Renditeerwartung bei 3 Prozent liegt.
10 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016, S. 17.
11 Körber 2019.
12 Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik 2008.
13 Engelhardt und Hofbauer 2017.
14 Hofbauer und Sangl 2018a.
15 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016, S. 3.
16 Berkenhagen und Vrbica 2007.
17 Engelhardt und Hofbauer 2017.
18 Hofbauer und Sangl 2016.
19 Porter 1985.
20 Hofbauer und Wilhelm 2015.
21 Hofbauer und Sangl 2019.
22 Vgl. Porter 2004.
23 Hofbauer und Sangl 2019.
24 Bräkling und Oidtmann 2019.