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B Prozessorientiertes Beschaffungsmanagement

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Durch das Zeitalter der Diskontinuitäten und deren Bewältigung mit immer anspruchsvolleren Strategien haben sich auch die Anforderungen an das Beschaffungsmanagement gewandelt. Dabei befindet sich das Unternehmen in einem Spannungsfeld zwischen einem komplexer werdenden und sehr intensiven Wettbewerb einerseits und andererseits Kunden, die höchste Anforderungen stellen. Diesen Herausforderungen haben sich alle Unternehmen zu stellen.

Dynamische Märkte und somit auch Beschaffungsmärkte erfordern dynamische Anpassungen. Die traditionellen Organisationskonzepte66 der Unternehmen sind nur noch ungenügend geeignet, die Anforderungen von volatilen, schnelllebigen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Märkten zu erfüllen. Starre Hierarchien, zentrale Entscheidungsbefugnisse sowie langsame Informations- und Kommunikationswege behindern effektive und effiziente Abläufe.

Im Vordergrund der modernen Unternehmensführung stehen die Kunden- und Wertorientierung. Diese Zielsetzungen lassen sich aber nicht allein durch Rationalisierung und Produktivitätsprogramme erreichen, vielmehr ist eine ganzheitliche Sicht auf alle Einflussvariablen und Erfolgsfaktoren erforderlich. Dabei steht nicht nur der Einstandspreis und die Produktqualität im Vordergrund, sondern vielmehr muss die Qualität aller Geschäftsprozesse auf das übergeordnete Ziel ausgerichtet sein.

In diesem Teil B wird der prozessorientierte Ansatz des integrierten Beschaffungsmanagements als Referenzmodell vorgestellt. In einem geschlossenen Kreislauf werden in elf Phasen die wesentlichen Aufgabengebiete der Beschaffung systematisch aufeinander abgestimmt. Dabei können die im Teil A vorgestellten übergreifenden Themengebiete über die gesamte Prozesskette integriert werden. Unter Berücksichtigung der in Kapitel A 5 formulierten Anforderungen wird durch die Prozessorientierung eine in sich schlüssige und zielführende Vorgehensweise sichergestellt. Mit diesem Referenzmodell soll ein Überblick über die Zusammenhänge und eine Orientierung für Beschaffungsmanager gegeben werden.

Durch die Prozessorientierung soll bei allen Beteiligten die Transparenz für die Zusammenhänge erhöht werden, um Effektivität und Effizienz zu fördern. Der Gesamtprozess kann dadurch zielorientiert geführt und auf wertschöpfende Aktivitäten konzentriert werden. Somit können nicht nur Zeit- und Kostenvorteile erzielt werden, vielmehr wird durch diese Vorgehensweise auch die konsequente Orientierung an der definierten Strategie sichergestellt.

Zur Umsetzung tragen der Beschaffungsmanager als Process Owner, das Steuerungsteam und die Process Teams bei. Zur kontinuierlichen Verbesserung sind Prozess-Audits und das Prozess-Benchmarking unabdingbare Hilfsmittel.

Die Vorteile einer konsequenten Prozessorientierung67 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

• Prozessverantwortung ganzheitlich in einer Hand,

• Verringerung gegenseitiger Abhängigkeiten und Schnittstellen,

• Reduktion von Koordinationsaufwand und schnittstellenbedingten Fehlern,

• Erweiterung der Aufgabenbereiche und Eigenverantwortung, dadurch höhere Motivation,

• Konzentration auf wertschöpfende Aktivitäten durch konsequente Kundenorientierung,

• Verbesserung durch Fokussierung auf Kunden statt auf Bereichsegoismen.

Der Input für den Beschaffungsmanagementprozess ist die aus der übergeordneten Unternehmensstrategie abgeleitete Beschaffungsstrategie. Diese gibt die strategische Richtung vor und stößt den Beschaffungsmanagementprozess an. Dieser Prozess ist kein einmaliger Vorgang, sondern zielt auf kontinuierlichen Durchlauf und permanente Optimierung ab. Damit diese Dynamik der selbstlernenden Optimierung zum Ausdruck gebracht wird, erfolgt die Darstellung als geschlossener Kreislauf ( Abb. 11).

In den einzelnen Phasen sind die Hauptaktivitäten enthalten. Das Ergebnis jeder Phase wird jeweils an die nachfolgende Phase weitergegeben. Der Output einer vorangehenden Prozessphase geht dann als Input in die jeweils nächste Phase ein.

Der Output des gesamten Cycles ist die Wertschaffung für das Unternehmen. Wesentliche Indikatoren hierfür sind neben den erzielten Gewinnen bzw. Deckungsbeiträgen die daraus resultierende Steigerung des Unternehmenswertes und die ebenso unabdingbare Erhöhung der Kundenzufriedenheit, was sich in einer entsprechenden Entwicklung der Customer-Lifetime-Values niederschlägt.

Für den ersten Überblick lässt sich das Beschaffungsmanagement in vier Hauptphasen einteilen. Dies sind die Planung, die Auswahl, die Abwicklung und das Monitoring. Der Fokus liegt im zeitlichen Prozessablauf in der Markt-, Kunden und Wertorientierung.


Abb. 11: Beschaffungsmanagement-Cycle

Die unternehmerischen Aufgaben im Allgemeinen und auch die Beschaffungsaufgaben im Besonderen umfassen eine Vielzahl von Aktivitäten, die – herausgelöst betrachtet – augenscheinlich nur wenig miteinander zu tun haben und in ihrer verdichteten Form als wenig komplex erscheinen mögen. Holistisch betrachtet gibt es aber doch sehr viele Interdependenzen mit hoher Komplexität. Zur Verdeutlichung dieser Problematik wird dieser Sachverhalt exemplarisch an der Aufgabe »Auftragsabwicklung« vereinfacht herausgestellt.


Abb. 12: Auftragsabwicklung in vereinfachter Darstellung

Wie Abbildung 12 zeigt, wird die »Auftragsabwicklung« in drei Schritte zerlegt. Der »Auftragseingang« fungiert hierbei als Inputfaktor, während der »Warenausgang« als der Output dargestellt ist. Der Vorgang »Auftragsbearbeitung« ist als Schnittstelle zwischen diesen beiden Komponenten angesiedelt. Betrachtet man die einzelnen Schritte in der entsprechenden Abfolge, so kann die Auftragsbearbeitung als mehrstufiger Prozess angesehen werden. Ein Prozess ist die inhaltlich abgeschlossene, zeitliche und sachlogische Folge von Aktivitäten, die zur Bearbeitung eines prozessprägenden betriebswirtschaftlichen Vorganges notwendig sind. Abbildung 12 ist daher sinngemäß eine Zerlegung in Teilprozesse, welche zur Durchführung des Hauptprozesses »Auftragsbearbeitung« benötigt werden.

Das Prozessmanagement rückt die Geschäftsprozesse in den Mittelpunkt der Betrachtungs- und Vorgehensweise und erkennt so ihren maßgeblichen Beitrag zur Leistungserstellung und für den Unternehmenserfolg an. Ein Kernprozess ist ein Prozess, dessen Aktivitäten einen direkten Bezug zur Leistungserstellung und Wertschaffung eines Unternehmens haben. Die unterstützenden Aktivitäten68 sind aus Kundensicht allerdings nicht wertschaffend; sie werden jedoch benötigt, um die Kernprozesse durchzuführen.

Dieser Definition folgend, sind Tätigkeiten aus den Bereichen Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Service als Kernprozesse zu bezeichnen, währenddessen Bereiche wie Controlling oder Personalwesen den Supportprozessen zugeordnet werden müssen.

Diese funktionsbereichsübergreifende Sichtweise muss aufgrund der Komplexität prozessorientiert gemanagt werden. Um Schnittstellenproblemen vorzubeugen, ist daher die systematische Zerlegung aller relevanten Prozessschritte sinnvoll. Anhand einer solchen Darstellung werden die Geschäftsprozesse mit all ihren Teil- und Unterprozessen dargestellt. Mit Hilfe unterschiedlicher Werkzeuge und Methoden sowie dem Einsatz geeigneter Techniken ist es möglich, diese Abläufe systematisch zu strukturieren und über Input- und Output-Beziehungen miteinander zu verbinden. Die Ergebnisse sind leicht analysierbare Abhängigkeiten, die helfen können, die Schwachstellen innerhalb von Prozessen zu erkennen bzw. sie zu reduzieren oder gar auszuschließen.

Abbildung 12 erlaubt in dieser Form allerdings nur bedingt Rückschlüsse auf entsprechende Tätigkeiten, welche innerhalb der Teilprozesse anfallen. Zwar mögen die gewählten Schlagwörter an sich schon bestimmte Aufgabenfelder implizieren, jedoch dürfte sich – je nach branchenspezifischen Eigenheiten – eventuell eine Vielzahl von weiteren Tätigkeiten als wichtig herausstellen.

Abbildung 13 zeigt eine weitere Aufteilung des Teilprozesses »Auftragsbearbeitung« in eine Reihe von weiteren Unterprozessen. Mit Blick auf die Prozessdefinition muss nochmals festgestellt werden, dass die Abwicklung der weiteren Prozesse erst beginnen kann, sobald alle Unterprozesse der vorgelagerten Aufgabenstellung (hier: »Auftragseingang«) abgeschlossen sind.

Bei dieser Vorgehensweise sind alle relevanten Unterprozesse der übrigen Teilaufgaben (hier: »Auftragseingang« und »Warenausgang«) mit ihren jeweiligen


Abb. 13: Unterprozesse des Teilprozesses Auftragsbearbeitung

Anforderungen ebenfalls zu erfassen. Ob und wie weit die Unterprozesse nochmals detailliert zerlegt werden, hängt von der Komplexität der jeweils betrachteten Prozessschritte ab.

Je nach Aufgabenstellung können Geschäftsprozesse für verschiedene Vorgänge gebildet und auf verschiedenen Aggregationsebenen betrachtet werden, wie z. B. für die Gesamtunternehmung, einzelne Sparten- oder Funktionalbereiche. Die Verdichtungsform ist adäquat definierbar. Ausgangspunkt muss immer ein entsprechender Oberbegriff (Unternehmensbegriff) sein, welcher das betrachtete Aufgabenfeld klar umschreibt.

Für das Beispiel wurde die Auftragsabwicklung -unabhängig von einer weiteren Einordnung- dargestellt. Dem Prozessgedanken folgend sind jedoch weitere Kernprozesse wie in Abbildung 14 denkbar, welche den genannten Aufgaben vor- bzw. nachgeschaltet sein können.


Abb. 14: Prinzipdarstellung der erweiterten Auftragsabwicklung

Durch die in Abbildung 14 getätigten Erweiterungen innerhalb der Aufgabenkette nimmt der dargestellte Prozess einen neuen Charakter an. Betrachtet man es nämlich nicht mehr nur aus der Sicht der ursprünglichen Darstellung (Aufgabe »Auftragsabwicklung«), erweitert sich schnell das Aktivitätsspektrum. Mit allen nötigen Schritten – die hier aus Vereinfachungsgründen nicht aufgeführt wurden – lässt sich mit Blick auf den entsprechenden Detaillierungsgrad der gesamte Prozess aus Sicht eines Lieferanten abbilden. Es spielt dabei keine Rolle, welche Unternehmensaufgaben betrachtet werden. Das gleiche Prozedere lässt sich prinzipiell auch auf alle relevanten (seien es nun wertschöpfende oder unterstützende) Tätigkeitsfelder eines Unternehmens anwenden.

Werden alle Tätigkeitsfelder (Beschaffung, Logistik, Vertrieb, Controlling etc.) eines Unternehmens mit entsprechender Aufteilung in einer ablaufgerechten Anordnung koordiniert, so lässt sich das Unternehmensziel der Wertschöpfung als ganzheitlicher Prozess modellieren. Bei einer umfassenden Vorgehensweise ergibt dies unter Umständen ein sehr komplexes Bild. Viele dieser Prozesse lassen sich aufgrund der Organisationsform im ersten Anlauf nicht so richtig zuordnen oder mögen an verschiedenen Stellen als unpassend erscheinen.

Abhilfe kann hierbei durch entsprechendes Business Process Reengineering ( Kap. A 5.1) geschaffen werden. Definierte Geschäftsprozesse werden dabei neu organisiert bzw. über Abteilungsgrenzen hinweg zusammengestellt. Falls erforderlich, werden auch Änderungen in der Organisationsstruktur vorgenommen. Die Prozessorientierung kann vor dem Hintergrund der Digitalisierung als zentrale Maxime der Organisationsentwicklung angesehen werden.

Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend ein Referenzmodell vorgestellt, welches alle Bedingungen aus den bereits behandelten Kapiteln erfüllt. Hierbei wird die strategische Ausrichtung unterstützt und fokussiert, indem jede Phase auch strategisch ausgerichtet wird. Zudem werden alle Prinzipien des Prozessmanagements befolgt, die notwendigen Teilfunktionen integriert, Schnittstellen beachtet und erforderliche Methoden angewendet, um unter Beachtung der externen Gegebenheiten das optimale Ergebnis zu erreichen.

In den Ausführungen werden für den Fall, dass ein neues Beschaffungsgut zugekauft werden soll, alle relevanten Kern- und Unterprozesse einer typischen Beschaffungsaufgabe umfassend abgebildet.

66 Vahs 2019.

67 Vahs 2007, S. 192.

68 Hofbauer und Sangl 2018a.

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