Читать книгу Jenseits des Spessarts - Günter Huth - Страница 7

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Der Prozess wegen des Ehrenmordes an einer jungen Araberin, die sich weigerte, einen ihr von den Eltern zugeteilten Ehemann zu heiraten, war gerade zu Ende gegangen. Der Bruder des Opfers glaubte, die Ehre der Familie reinwaschen zu müssen, indem er seine Schwester erschoss.

Nach der Urteilsverkündung, 15 Jahre Freiheitsstrafe wegen Totschlags, begab sich Oberstaatsanwalt Dr. Haenisch in sein Dienstzimmer. Er bedauerte zwar, dass das Schwurgericht bei seiner Entscheidung nicht von Mord ausgegangen war, aber die Anklage war tatsächlich auf etwas tönernen Füßen gestanden und man hatte sie deshalb auf Totschlag reduziert. Es war heute sein letzter Prozess in seiner Eigenschaft als Oberstaatsanwalt gewesen. Übermorgen würde er aus der Hand des Ministerpräsidenten seine Ernennungsurkunde zum Staatssekretär im Innenministerium erhalten. Nach der letzten Landtagswahl hatte ihn der alte und jetzt wiedergewählte Innenminister überraschenderweise gefragt, ob er sich vorstellen könne, für dieses Amt zur Verfügung zu stehen. Ihm schwebe vor, ihn als erfahrenen Juristen bei der Bekämpfung der bandenmäßigen Schwerkriminalität einzusetzen, die sich in den letzten Jahren im Grenzbereich des hessischen und fränkischen Spessarts breitgemacht hatte. Er sollte, mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet, der Hydra die Köpfe abschlagen. Nach einiger Bedenkzeit stimmte er zu.

Jetzt musste er nach Bamberg fahren, um aus den Händen der Generalstaatsanwältin Yasmin Römer seine Entlassungsurkunde entgegenzunehmen. Dr. Haenisch hängte seine schwarze Robe in den Schrank. Fast zärtlich fuhr er mit den Fingerspitzen über den samtigen Stoff. Sie hatte ihm viele Jahre treu gedient und nach außen die ihm mit dem Amt zugewachsene Autorität verkörpert.

Wenige Minuten später fuhr er seinen zweisitzigen Sportwagen aus der Tiefgarage des Strafjustizzentrums. Auf der A 7 benötigte er eine knappe Stunde, dann betätigte er die Sprechanlage an der beschrankten Hofeinfahrt des Oberlandesgerichts Bamberg, in dem auch die Generalstaatsanwaltschaft ihren Sitz hatte. Wenig später klopfte er am Vorzimmer der Generalstaatsanwaltschaft und trat ein.

„Grüß Gott, die Frau Generalstaatsanwältin erwartet mich.“

Der junge Beamte im Vorzimmer kannte ihn natürlich. „Grüß Gott, Herr Dr. Haenisch, ich gebe nur kurz Bescheid.“ Er klopfte an eine doppelte Verbindungstür, dann trat er ein. „Herr Dr. Haenisch ist da“, hörte er ihn sagen.

„Ach, schön, er soll doch bitte reinkommen“, hörte er die vertraute, leicht rauchige Stimme von Dr. Yasmin Römer, seit gut zwei Jahren Generalstaatsanwältin im Oberlandesgerichtsbezirk Bamberg. Als Frau in diesem Amt war sie ein Novum in Bayern. Der Beamte ließ den Besucher ein und fragte ihn im Vorübergehen: „Möchten Sie einen Kaffee?“

„Sehr gerne“, erwiderte er, dann wandte er sich der Frau zu, die sich hinter einem ausladenden Schreibtisch erhoben hatte und auf ihn zukam: „Frau Generalstaatsanwältin, vielen herzlichen Dank, dass Sie heute noch den Termin möglich gemacht haben.“

Sie hörten, wie die Tür von außen geschlossen wurde. Schlagartig veränderte sich ihr Verhalten.

„Christian, du solltest es nicht übertreiben.“ Sie ging auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen ihrer Highheels und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

„Yasmin, das muss sein. Schließlich erwartet dein Vorzimmerzerberus von mir als kleinem Oberstaatsanwalt, dass ich mich angemessen devot verhalte.“ Sie warf ihm eine Grimasse zu und stach ihm mit dem Zeigefinger spielerisch in den Bauch.

Als es an die Tür klopfte, machte er automatisch einen Schritt rückwärts. Der junge Mann brachte den Kaffee auf einem Tablett und stellte es auf einem mit Intarsien ausgelegten Beistelltisch ab. Zucker, Milch und kleine Gebäckstücke lagen dabei. Mit kurzem Gruß verschwand er wieder.

„Ein ganz schön knackiges Bürschchen hast du dir da vor die Tür gesetzt“, bemerkte Haenisch und grinste.

„Moment, den Jungen habe ich vor kurzem von der Personalverwaltung zugewiesen bekommen, weil seine Vorgängerin sich aus Karrieregründen versetzen ließ.“

Sie ging zum Tisch und schenkte ihrem Besucher Kaffee ein. „Das ist heute also dein offizieller Abschiedsbesuch“, stellte sie fest. „Du bekommst von mir deine Entlassungsurkunde – und das war’s dann …“ Sie klang plötzlich fast ein wenig wehmütig.

„Na ja, das ist halt der offizielle Gang der Dinge“, gab er zurück. „Aber das heißt ja nicht, dass wir uns nicht mehr sehen können. Bei der Aufgabe, die mich zukünftig erwartet, werde ich wohl nicht in München residieren.“

Sie gab zwei Stück Zucker in seinen Kaffee und rührte langsam für ihn um. Dabei sah sie ihn ernst an.

„Dir ist klar, welch gefährliche Aufgabe dir der Minister da angetragen hat?“

Er nahm einen Schluck Kaffee, dann erwiderte er: „Hinter diesem Auftrag steht ein komplexes Projekt, das dem Innenminister sehr am Herzen liegt. Die kriminellen Aktivitäten der arabischen Familienclans haben sich jetzt auch nach Bayern und Hessen verlagert. Vermutlich durch die Flüchtlingsströme der vergangenen Jahre, die teilweise unkontrolliert über die Grenze gekommen sind. Es sind zwei Familien, die in den letzten beiden Jahren vermehrt durch Gewalt aufgefallen sind. Sie verweigern die Anerkennung unseres Rechtssystems und glauben, eine Parallelgesellschaft aufbauen zu können.“ Er nahm sie wieder in den Arm. „Aber wem erzähle ich das. – Wie sieht es heute nach dem ganzen offiziellen Brimborium aus? Hast du heute Abend Zeit?“

Sie lächelte ihn an. „Selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass du heute Nacht bei mir bleibst. Wer weiß, wann wir wieder einmal so eine Gelegenheit haben.“

Sie ging zum Schreibtisch und nahm eine mit weißblauen Rauten bedruckte Mappe in die Hand, auf der in der Mitte das farbige bayerische Staatswappen zu erkennen war.

„Ich schlage vor, wir bringen es hinter uns“, erklärte sie, wieder sachlich werdend.

Dr. Haenisch nickte und stellte seine Kaffeetasse ab.

Sie griff zum Telefon und sprach mit ihrem Vorzimmer. Wenig später klopfte es an die Verbindungstür und der junge Beamte öffnete, um den Präsidenten des Oberlandesgerichts anzukündigen. In dessen direktem Gefolge betraten einige Staatsanwälte und Richter das Dienstzimmer. Sie begrüßten sich gegenseitig, dann formierten sie sich um den Schreibtisch der Generalstaatsanwältin. Währenddessen öffnete im Hintergrund der Vorzimmerbeamte eine Flasche Sekt. Nachdem die Generalstaatsanwältin ein paar wohlgesetzte Sätze gesprochen hatte, überreichte sie Dr. Christian Haenisch seine Entlassungsurkunde als Oberstaatsanwalt und gratulierte ihm gleichzeitig zu seiner bevorstehenden Ernennung zum Staatssekretär. Haenisch dankte kurz, dann gab es Sekt und etwas Smalltalk, bis sich die Gäste nacheinander verabschiedeten. Nachdem alle gegangen waren, brachte die Generalstaatsanwältin Dr. Haenisch zu ihrer zweiten Tür, die ihr einen direkten Zugang zum Flur ermöglichte, ohne über das Vorzimmer gehen zu müssen. Sie legte ihre Hand auf die Türklinke und gab ihm einen weiteren Kuss.

„Wir sehen uns bei mir um achtzehn Uhr. Ich werde versuchen, rechtzeitig aus dem Haus zu kommen.“

Wieder alleine, blieb sie mitten im Zimmer stehen und sah nachdenklich durch eines der Fenster hinaus ins Grün eines Baumwipfels. Sie wurde von zwiespältigen Gefühlen erfüllt.

Die Generalstaatsanwältin lebte alleine in einem komfortablen, geräumigen Bungalow am Rande von Bamberg. Dr. Yasmin Römers erste Ehe wurde geschieden, ihr zweiter Ehemann verstarb schon nach drei Jahren an Krebs. Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt erst sechsundvierzig Jahre alt war, beschloss sie zukünftig alleine zu bleiben und sich verstärkt der Karriere zu widmen, was ihr letztlich ja auch erfolgreich gelang. Ihren letzten Ehenamen behielt sie bei. Für die Karriere waren ausländisch klingende Namen nicht immer dienlich.

Sie lernte Christian Haenisch zufällig bei einem Urlaubsaufenthalt an der Nordsee, ein Jahr nach dem Tod ihres letzten Mannes, kennen. Haenisch hatte gerade eine Beziehung beendet und war ebenfalls frei. Als frisch gebackene Referentin des Justizministers lebte sie damals in München. Er arbeitete schon seit Jahren als Richter am Landgericht Aschaffenburg. Die beiden waren sich sofort sympathisch und landeten schließlich ein paar Tage später nach einem feuchtfröhlichen Tanzabend im Bett. Seitdem hatten sie sich, trotz der steilen Karriere von Yasmin, nicht mehr aus den Augen verloren. Obwohl sie später dann als Generalstaatsanwältin seine Vorgesetzte war, kamen sie gelegentlich, wenn es passte, zu unverbindlichen Treffen zusammen. – So wie heute Nacht.

Am nächsten Morgen, nach einem gemeinsamen Frühstück, verabschiedete sich Christian Haenisch herzlich von Yasmin Römer und ging zu seinem Auto, das einige Straßen weiter in einer ruhigen Nebenstraße parkte. Am Haus der Generalstaatsanwältin patrouillierten aus Sicherheitsgründen vermehrt Polizeistreifen, die ein Auge auf davor parkende Fahrzeuge warfen. Er wollte nicht, dass sein Kennzeichen im Protokoll einer Streife auftauchte. Yasmin Römer stand hinter den dichten Gardinen und beobachtete, wie er wegfuhr.

Als sie mitbekam, dass man Haenisch zum Staatssekretär im Innenministerium ernennen wollte, war sie zunächst betroffen. Das war ein gewaltiger Karrieresprung, mit dem er sie überholte. Gewiss, ihre Ernennung zur Generalstaatsanwältin konnte sie als großen persönlichen Erfolg verbuchen, der sie auch zutiefst befriedigte, allerdings sah sie sich noch nicht auf der obersten Sprosse der Karriereleiter. Sie konnte sich durchaus vorstellen, in einem nächsten Schritt in die bayerische Regierung berufen zu werden. Justizministerin Dr. Yasmin Römer klang sehr gut, wie sie fand. Das Problem war nur, dass ihr Haenisch jetzt kräftig Konkurrenz machte. Als Staatssekretär war er Teil der Regierung und vom Staatssekretär zum Minister war nur ein kleiner Sprung. Besonders dann, wenn er seine neue Aufgabe erfolgreich löste. Sie wandte sich vom Fenster ab. Es gab da noch ein paar gefährliche Punkte in ihrer Vita, die sie unbedingt bereinigen musste, weil sie ihre Karriereträume zerstören konnten.

Jenseits des Spessarts

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