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INTERVIEW MIT SIMON BECKETT

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„Ich gehe lieber in einen Pub als ins Leichenschauhaus“ Simon Beckett über die Leidenschaft für Leichen, sein Privatleben in Sheffield, seine Hauptfigur David Hunter und den Druck, einen Bestseller schreiben zu müssen

Ihre Hauptfigur, der forensische Anthropologe David Hunter, beschäftigt sich gerne mit Leichen. Teilen Sie diese Leidenschaft? Nein, auf keinen Fall! Ich gehe privat viel lieber in einen Pub als in Leichenschauhäuser oder auf Friedhöfe. Aber als Autor und Journalist finde ich es sehr spannend zu erfahren, was mit uns passiert, nachdem wir gestorben sind. Das ist ein Thema, über das sonst gerne geschwiegen wird – und genau deswegen ist es hochinteressant.

Haben Sie selbst schon einmal eine Leiche gesehen? Sogar mehrere. Das war 2002 auf der Body Farm, einer Forschungseinrichtung der Universität von Tennessee. Dort werden Tote für wissenschaftliche Zwecke vergraben, um die Verwesungsprozesse studieren zu können. Ich war als Beobachter dort, um darüber einen Artikel zu schreiben, und kam so auf die Idee meiner Romanreihe.

Wie haben Sie sich auf diesem Gelände gefühlt? Eigentlich ganz gut. Aber einmal bat mich ein Mitarbeiter, ihm beim Ausgraben einer Leiche zu helfen. Ich zögerte, packte dann aber mit an. Dabei wurde mir schon etwas mulmig.

In „Verwesung“, dem vierten Roman mit David Hunter, schildern Sie zum ersten Mal Details aus seiner Vergangenheit. Warum haben Sie so lange damit gewartet? Das passt zu David: Er ist ein ruhiger, introvertierter Typ, der nicht viel herumerzählt und kaum Privates von sich gibt. Außerdem wollte ich meine Leser neugierig machen und nur eine kleine Fährte auslegen. Bis jetzt wussten sie nur, dass Davids Frau und Tochter vor acht Jahren durch ein schlimmes Unglück starben. Nun erzähle ich im Rückblick, was damals passiert ist.

Wie hat der Verlust seiner Familie den Anthropologen verändert? Vorher war er ein gut gelaunter Familienmensch, danach wurde er zum nachdenklichen Einzelgänger. In „Verwesung“ muss er sich sogar noch einmal mit seiner tragischen Vergangenheit auseinandersetzen, denn ein neuer Fall bringt alle alten Erinnerungen zurück. Das ist natürlich hart für ihn.

David Hunter ist zurückhaltend und zweifelt an sich selbst – das klingt nicht nach einem typischen Thrillerheld. Stimmt. Das war mir auch wichtig. Ein Superheld, der alle Fälle sofort löst, oder ein Außenseiter mit Alkoholproblem und Affären wäre mir wie ein Klischee vorgekommen. Ich wollte einen Mann, der zwar besondere Fähigkeiten hat, aber ganz normal und bescheiden lebt. Das ist realistischer und man kann sich mit ihm viel besser identifizieren.

Ist er Ihnen ähnlich oder Sie ihm? Nein. Das würde meine Frau auch gar nicht zulassen. Natürlich fließen meine Gedanken und Gefühle in David Hunter hinein, aber grundsätzlich sind meine Figuren und Handlungen – von Sachinformationen abgesehen – reine Fiktion.

Jeder Ihrer vier David-Hunter-Thriller spielt an einem anderen Schauplatz: in den Broads, auf der Body Farm, auf der Insel Runa und jetzt in Dartmoor. Welche Rolle spielen diese Orte? Sie sind sehr wichtig, gerade weil der Rest erfunden ist. Diese Schauplätze vermitteln eine bestimmte Stimmung, sie erzeugen Bilder. Das gilt natürlich in „Verwesung“ besonders für die Sümpfe von Dartmoor, in denen Leichen gesucht werden. Reale Orte sorgen für Authentizität und machen einen Roman leichter nachvollziehbar.

Warum verlegen Sie Ihre Romane eigentlich nie nach Sheffield? Es würde mir schwerfallen, die Stadt objektiv zu beschreiben, da ich sie so gut kenne. Ich weiß schon: Andere Autoren haben mit ihren Heimatstädten nicht so ein Problem. Aber mir ist es lieber, meine Plots woanders zu verwirklichen.

Sie sind in Sheffield geboren und leben inzwischen wieder dort. Was hält Sie in dieser Stadt? Das werde ich immer wieder gefragt, und Sheffield wird in den Medien oft nicht gerade positiv dargestellt. Dabei ist es eine gute Stadt zum Leben und viel grüner, als die meisten Leute glauben – ich meine das natürlich vor allem in Bezug auf Bäume, Parks und Natur und weniger in ökologischer Hinsicht. Ich kenne Sheffield auch ganz anders: Als ich aufwuchs, war es noch total von der Stahlindustrie geprägt. Wie auch immer – ich habe auch woanders gelebt, und doch zieht es mich immer wieder zurück.

Innerhalb von fünf Jahren sind Sie zu Europas erfolgreichstem Krimiautor geworden. Kommt Ihnen das manchmal wie Fiktion vor? Ja, das passiert immer wieder. 2006, als mit „Die Chemie des Todes“ mein erster David-Hunter-Roman herauskam, war ich froh, überhaupt ein Buch veröffentlichen und halbwegs vom Schreiben leben zu können. Dass sich alles so positiv entwickelt hat, ist wie ein Traum und ich bin sehr dankbar dafür.

Wie entstand Ihr erster Roman? Während meiner Zeit in Spanien, als ich dort Englisch unterrichtete, schrieb ich an meinem Manuskript. Es dauerte sechs Jahre, bis es veröffentlicht wurde! Da ich keinen Agenten hatte, schickte ich es selbst an jede Menge Verleger und bekam unzählige Absagen. Irgendwann wurde meine Geschichte dann doch mal aus einem Stapel gezogen – und innerhalb von 48 Stunden hatte ich sowohl einen Buchvertrag als auch einen Agenten. Das war wirklich ein entscheidender Wegweiser für mein Leben.

Mögen Sie Überraschungen? Kommt ganz darauf an. Positive Überraschungen mag ich sehr gerne, wie etwa die Tatsache, dass mein letzter Roman „Der Hof“ auf Anhieb Nummer 1 in Deutschland wurde. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Mit überraschenden negativen Erlebnissen kann ich dagegen nicht so locker umgehen – aber sie gehören genauso zum Leben eines Autors.

Zählt dazu auch, dass Sie drei Jahre für „Der Hof“ gebraucht haben? Ja, das war eine eher unangenehme Erfahrung. Eigentlich hätte ich gerne schon ein Jahr nach meinem letzten Roman „Verwesung“ einen weiteren Band aus der Serie um David Hunter geschrieben. Aber es fiel mir ziemlich schwer. Immer wieder machte ich mich an die Arbeit, doch ich war nie richtig zufrieden und es lief gar nicht rund. Parallel dazu hatte ich dauernd neue Ideen für ein ganz anderes Buch, das ich schon vor etwa sieben Jahren schreiben wollte. Also entschloss ich mich, damit weiterzumachen. Und prompt entstand daraus nach und nach „Der Hof“.

Während dieser Zeit hat Ihnen Ihr Verlag doch sicher Druck gemacht, endlich den neuen Roman abzuliefern. Nein, überhaupt nicht. Ich weiß, dass viele Bestsellerautoren über diesen Druck klagen, pro Jahr ein Buch veröffentlichen zu sollen. Aber man hat mir weder direkt noch indirekt klargemacht, dass ich mich beeilen müsse, es gab auch keine Art von subtiler Erpressung. Das wäre auch kontraproduktiv gewesen. Solange ich nicht wirklich überzeugt von einer neuen Handlung bin, möchte ich sie nicht veröffentlichen. Man kann gute Geschichten nicht erzwingen. Ich selbst habe aber natürlich den Anspruch, in Zukunft wieder schneller zu sein als diesmal.

Heißt das, Sie planen bald wieder einen neuen Hunter-Thriller? Ja. Ich schreibe schon daran. Ich kann auch schon verraten, dass es darin unter anderem um eine in Stacheldraht eingewickelte Leiche gehen wird. Aber bitte erwarten Sie jetzt nicht von mir, dass ich Ihnen den exakten Erscheinungstermin nenne – das kann noch dauern.

„Der Hof“ ist ein sogenannter Standalone, ein Thriller ohne Einbindung in eine Serie. Fällt Ihnen diese Form grundsätzlich leichter? Das ist schwer zu sagen, denn beide Formen haben Vor- und Nachteile. Meine Hunter-Serie lebt davon, dass die Hauptfigur gleich bleibt. Das macht es für mich als Autor leichter, aber es engt auch ein, denn ich kann seinen Charakter ja nicht beliebig verändern. Bei „Der Hof“ fühlte ich mich viel freier, ich konnte ohne Zwänge einfach eine unabhängige Geschichte erzählen und eine neue Figur einführen – das war nach vier Serien-Thrillern mal wieder richtig erfrischend und motivierend. Andererseits freue ich mich jetzt auf den nächsten Hunter-Band. Aus einer eher unangenehmen Überraschung wurde so für mich doch etwas rundum Positives.

Gab es einen bestimmten Grund dafür, dass Sie „Der Hof“ überwiegend in Frankreich angesiedelt haben? Das hat mehrere Ursachen: Zunächst einmal geht es in „Der Hof“ ja um einen Engländer auf der Flucht – die meisten meiner Landsleute würden in so einer Situation wohl zuerst nach Frankreich abhauen, weil es am schnellsten geht. Dazu kam, dass der abgelegene Hof, auf dem dieser Engländer schließlich landet, in meiner Vorstellung immer schon in Frankreich stand. Die Hitze, die Vegetation, die ländliche, isolierte Gegend, das alles passte nicht so gut nach England. Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass ich als Student öfter nach Frankreich gereist bin und dort getrampt habe – das waren tolle Urlaube.

Für Ihre Hauptfigur ist der Aufenthalt allerdings weniger schön. Stimmt. Er verletzt sich, leidet und ist hin- und hergerissen. Denn dieser Hof ist zwar perfekt für ihn, weil er sich dort verstecken kann. Aber er merkt auch, dass die Familie, bei der er dort wohnt, ein dunkles Geheimnis umgibt.

Wie viele Stunden pro Tag haben Sie daran geschrieben? Ich nehme mir in einer Schreibphase immer vor, von 9 Uhr morgens bis 6 Uhr abends zu schreiben. Denn ohne eine gewisse Disziplin geht das nicht, es ist nun einmal Arbeit. Doch es kommt immer wieder einmal etwas dazwischen oder ich werde abgelenkt. Das „9-bis-6-Konzept“ ist also die Theorie, der Rest die Praxis. Wichtig ist für mich, dass ich den Schluss des Romans kenne. Auf dem Weg dahin kann viel spontan passieren oder sich ändern, aber das Ziel der Reise muss feststehen.

Über Ihr Privatleben ist relativ wenig bekannt. Wie verbringen Sie Ihre Freizeit? Als Ausgleich für das Schreiben bewege ich mich gern – ich schwimme und spiele Percussion. Grundsätzlich führe ich ein viel normaleres Leben als meine Figuren. Und mit Leichen habe ich privat sowieso nichts zu tun. Statt mich in Leichenschauhäusern herumzutreiben wie David Hunter, gehe ich lieber mit meiner Frau essen und trinke einen guten Wein dazu.

Welche Krimiautoren mögen Sie selbst am liebsten? Raymond Chandlers Romane mochte ich schon immer, und „The Long Goodbye“ ist in meinen Augen ein Klassiker. Ich mag auch die Travis-McGee-Bücher von John D. MacDonald. Aber mein absoluter Favorit ist eigentlich Peter O’Donnell – seine Modesty-Blaise-Serie ist genial. Unter den zeitgenössischen Krimiautoren steht James Lee Burke für mich an oberster Stelle. Jeder, der glaubt, dass Krimis nicht auch gute Literatur sein können, sollte eines seiner Bücher lesen.

Der Mörder im Kopf

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