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INTERVIEW MIT GIANRICO CAROFIGLIO

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„Verlierer sind interessanter als Gewinner“ Gianrico Carofiglio über seinen Kampf gegen die italienische Mafia, den Helden seiner Kriminalromane sowie seine Arbeit als Staatsanwalt und Politiker

Signore Carofiglio, was antworten Sie, wenn Sie nach Ihrem Beruf gefragt werden? Kommt ganz darauf an. Aber sicher ist: Ich habe auch zu meiner Zeit als aktiver Politiker niemals gleich zu Beginn eines Gespräches erwähnt, dass ich Politiker bin.

Warum? Ich fühlte mich einfach nicht wie ein Politiker. Das passt nicht zu mir, obwohl ich mich sehr für Politik interessiere und diesen Job wirklich gerne gemacht habe. Ich wollte schon immer ein Schriftsteller sein, viel lieber auch als Staatsanwalt – aber trotzdem habe ich diesen Beruf geliebt. Also sagen wir mal, ich bin ein ehemaliger Staatsanwalt, der als Schriftsteller arbeitet und vorübergehend auch Politik gemacht hat.

Wie schaffen Sie es bei diesem Arbeitspensum überhaupt noch, neue Romane und Kurzgeschichten zu verfassen? Das frage ich mich selbst auch manchmal. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich sehr schnell schreibe.

Sowohl in Ihren Krimis als auch in Ihren Standalone-Romanen und Erzählungen schreiben Sie über Menschen am Rande der Gesellschaft. Was reizt Sie daran? Ganz ehrlich: Ich mag Verlierer und ich liebe es, Ihnen in meinen Büchern eine Stimme und ein Gesicht zu geben. Ich schreibe nicht gern direkt über Politik, sondern transportiere meine politischen Themen über Figuren. Diese Menschen aus Randgruppen sind viel netter und interessanter als die sogenannten Gewinner. Unter den Außenseitern kann man wesentlich mehr Menschlichkeit finden – und spannendere Geschichten.

Ihr Serienheld, der Anwalt Guido Guerrieri, ist ebenfalls ein Außenseiter, der gegen Korruption, Vorurteile und Ignoranz kämpft. Wie reagieren Ihre Kollegen bei Gericht darauf? Überraschenderweise sind die Reaktionen fast ausschließlich positiv – womit ich keineswegs gerechnet habe. Es gibt sogar einen Anwaltskollegen in Bari, der ganz stolz überall herumerzählt, dass ich ihn mit meiner Hauptfigur meine – was natürlich nicht stimmt.

Sind Sie selbst Guerrieri ähnlich? Als vor knapp zehn Jahren mein erster Roman mit ihm als Hauptfigur erschien, habe ich die Antwort auf diese Frage noch entschieden verneint. Doch dann merkte ich im Laufe der Zeit, wie gut Guido vor allem bei den Leserinnen ankam. Seitdem stelle ich gerne deutlich unsere Gemeinsamkeiten heraus (lacht). Aber ganz im Ernst: Ich glaube, Guido und ich haben den gleichen Sinn für Humor und die gleiche Selbstironie – wir nehmen uns nicht allzu ernst.

Befanden Sie sich als Anti-Mafia-Staatsanwalt in konkreter Gefahr? Ja, durchaus. Es gab gefährliche Situationen und ich wurde nicht ohne Grund von Bodyguards bewacht. Zehn Jahre lang trug ich auch eine eigene Waffe. Aber diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Ich fühle mich inzwischen total sicher, auch ohne Begleitschutz.

Hat sich Ihr Einsatz im Kampf gegen die Mafia gelohnt? Ja, und das lag sicher nicht an mir allein. Es gab in den vergangenen 20 Jahren einige positive Fortschritte und die Situation heute ist wesentlich besser als in der Vergangenheit.

Was heißt das konkret? In Sizilien ist nur noch einer der wichtigen Mafiabosse auf freiem Fuß, wohingegen es in Kalabrien noch ernste Probleme gibt. Am erfolgreichsten war die Bekämpfung der Mafia in Apulien. Das lag allerdings auch daran, dass die Organisation dort nicht so verwurzelt war wie in Sizilien und überwiegend aus jüngeren Leuten bestand. Die positive Entwicklung bedeutet aber auf gar keinen Fall, dass wir den Schutz und die Aufmerksamkeit verringern dürfen. Ich bin übrigens nach wie vor überzeugt von dem, was der 1992 ermordete Richter Giovanni Falcone gesagt hat: „Die Mafia ist ein menschliches Phänomen, sie hat einen Anfang, und sie wird ein Ende haben.“ In diesem Sinne habe ich mich immer dafür eingesetzt, dass das Ende eintritt, und hoffe weiterhin darauf.

Hat Ihre Arbeit als Staatsanwalt auch Spuren in Ihren Romanen hinterlassen? Auf jeden Fall. Ich habe viele meiner Erfahrungen einfließen lassen, auf ganz unterschiedliche Weise. Das betrifft sowohl meine früheren Anti-Mafia-Recherchen als auch die Prozesse, an denen ich teilgenommen habe.

In Ihren Romanen thematisieren Sie regelmäßig moralische Fragen. Betrachten Sie sich als moralischen Menschen? Ich versuche, das Richtige zu tun, wenn ich wichtige Entscheidungen treffen muss. Aber unglücklicherweise weiß man manchmal nicht, was das Richtige ist.

Die Hauptfigur Ihres aktuellen Romans „Am Abgrund aller Dinge“ hat eine lang anhaltende Schreibblockade. Waren Sie auch einmal in so einer Situation? Ich kenne durchaus Schreibblockaden. Aber nur kurze. Denn mein Rezept dagegen lautet: schreiben! Egal was, Hauptsache, schreiben, selbst wenn es totaler Mist ist. Denn irgendwann hat man wieder eine gute Idee und ist zurück im Spiel.

Wie sah ein typischer Tag des Senatsmitglieds Carofiglio aus? Ich ging morgens ins Parlamentsgebäude und nahm an den Sitzungen des Justizkomitees teil. Anschließend fand am Vormittag die Versammlung statt, in der Gesetze genehmigt wurden. Dort blieb ich bis zum späten Nachmittag oder Abend, diskutierte mit und stimmte natürlich auch ab.

Sind Sie zurzeit noch mit aktueller Politik beschäftigt? Ja, aber nur als Autor. Ich habe gerade ein Sachbuch veröffentlicht, das sich mit der Sprache der Politik beschäftigt. Darin untersuche ich die Zusammenhänge zwischen Worten, Metaphern und Macht. Außerdem beleuchte ich die Verbindung zwischen Klarheit und Demokratie.

2016 wird nach langer Pause wieder ein Kriminalroman mit Guido Guerrieri erscheinen. Haben Sie ihn vermisst? Nein, überhaupt nicht. Das konnte ich gar nicht, denn er ist mir immer präsent, ich werde ja ständig nach ihm gefragt. Soeben schon wieder ... (lacht)

Der Mörder im Kopf

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