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INTERVIEW MIT ARNE DAHL

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„Nie mehr Hass und Mauern“ Arne Dahl über die ungewisse Zukunft Europas, den Kampf seiner Protagonisten für Anstand und Moral, die Vorteile des Krimigenres und seine Entwicklung zum Experten für komplexe Plots

Mr. Dahl, bezahlen Sie lieber in Euro oder mit schwedischen Kronen? Mir ist der Euro lieber. Es ist auch wirklich etwas albern, Teil Europas und Mitglied der EU zu sein, aber nicht der Währungsunion beizutreten.

Die Mehrheit der Schweden scheint anderer Meinung zu sein. Ja, es gab dieses Referendum gegen den Euro. Aber so ist das nun einmal in einer Demokratie. Die daraus resultierenden Fragen sind allerdings sehr interessant: Wie lange ist dieses Referendum gültig? Wie viel muss in der Welt passieren, damit diese demokratische Entscheidung überholt ist? Diese Fragen gehen bis an die Grenzen des Demokratieverständnisses und ich bin gespannt, wie lange Schweden noch in dieser Außenseiter-Rolle bleibt.

Betrachten Sie sich als typischen Europäer? Ich bin mir nicht sicher. Gibt es so ein Lebewesen überhaupt? In mehr als einer Hinsicht bin ich ein typischer Schwede: Ich halte mich für ziemlich bodenständig, und mich kann nichts so leicht umhauen. Außerdem mag ich keine Hierarchien und friere nicht leicht. Als Intellektueller fühle ich mich allerdings sehr europäisch. Literatur aus Deutschland, England, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Dänemark und den Niederlanden hat mich viel mehr geprägt als Bücher aus dem etwas isolierten und beschützten Schweden. Insofern bin ich ein schwedischer Europäer, kein europäischer Schwede.

Wie fühlen Sie sich als Intellektueller im Thrillergenre? Sehr gut! Dieses Genre erfüllt einige der dunkelsten, aber ursprünglichsten menschlichen Bedürfnisse. Viel wichtiger noch: Seit einigen Jahren ist es möglich, auch mit Thrillern und Kriminalromanen anspruchsvolle Literatur zu transportieren. Das Problem der Hochkultur ist, dass sie oft noch immer versucht, innerhalb der traditionellen Grenzen zu bleiben. Doch diese Grenzen existieren heute nicht mehr. Hochqualitatives taucht nicht mehr nur dort auf, wo man es vermutet, und die Bereitschaft der Menschen, sich mit anspruchsvoller Kunst zu beschäftigen, reicht inzwischen bis in die Welt der TV-Serien, Filme und Cartoons. Was heute als Hochkultur gilt, kann schlecht sein. Und was als niedrigere Form gilt, kann gut sein. Das gilt auch für Thriller.

Welche konkreten Vorteile bietet Ihnen und Ihren Lesern dieses Genre im Vergleich zur sogenannten ernsthaften Literatur? Thriller ermöglichen es, tiefer in kriminelle Figuren und Netzwerke einzutauchen als sonst. Polizisten und Kriminologen agieren an Orten, an die man normalerweise nicht kommt. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Genre ein Gefühl für einige der Extreme des menschlichen Verhaltens geben kann – das notwendig ist, um so viel wie möglich über die menschliche Natur, die Freiheit der Menschen und den Zustand der Menschheit zu wissen.

Hat die Popularität von Krimis und Thrillern auch etwas mit dem Wunsch nach Abenteuern und Aufregung zu tun? Ja, dieses Genre versorgt uns mit einem Gefühl von Spannung und Aufregung, das wir heutzutage einfach nicht mehr täglich um uns haben – zum Glück! Aber das Verlangen danach oder ein gewisser Reiz kann durchaus noch in unseren Genen stecken, nach Millionen von viel zu aufregenden Jahren. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass Thriller und Krimis einige zwar dunkle, aber essenzielle menschliche Bedürfnisse erfüllen.

Können Sie bei Ihren Lesern ein Bewusstsein für politische und gesellschaftliche Themen schaffen? Mit dieser Frage habe ich einige Zeit gerungen. Bedeutet die Tatsache, dass ein Schriftsteller in einem populären Genre schreibt, automatisch, dass seine Texte sich in schnell vergessene Unterhaltung verwandeln? Und falls das so ist, findet Unterhaltung immer ohne ernsthafte Hintergründe statt? Meine Antwort ist ein lautes Nein! Selbstverständlich kann man nicht ein echter Politiker oder Moralist sein, wenn man Literatur verfasst – die ästhetischen Fragen kommen immer zuerst. Aber ich bin davon überzeugt: Wenn man gut und aufregend genug schreibt, werden Fragmente ungelöster Fragen und Gedanken in den Blutbahnen der Leser herumreisen und irgendwann einmal auftauchen, wenn er oder sie es am wenigsten erwartet. Dickköpfig, wie ich bin, bestehe ich auch darauf, über Themen zu schreiben, die mich interessieren. Und hoffentlich denken meine Leser darüber genauso wie ich.

In vielen Ihrer Romane erwähnen Sie große Denker und Künstler wie Rembrandt, Rilke, Johann Sebastian Bach, Homer und Goethe. Warum? Ich vermute, das hängt mit meinem Hintergrund als Intellektueller zusammen und mit meinem basisdemokratischen Antrieb. Warum sollten die Gedanken und Ideen dieser Meister nur für eine auserwählte Gruppe sein? Reißen wir endlich die Mauern zwischen Hochkultur und Popkultur ein! Kunst ist für jeden da! Das hat für mich auch mit der Grundidee für ein vereinigtes Europa zu tun.

Der Kampf für Anstand und Moral ist das zentrale Thema Ihrer Opcop-Reihe. Wie steht es um diese Werte im heutigen Europa? Die EU startete als Friedensprojekt und war nebenbei auch ein gemeinsames Geschäftsmodell – man tat alles, um einen weiteren großen europäischen Krieg zu verhindern. In den 1980er-Jahren veränderte sich die EU radikal: Die Wirtschaftsleistung war wichtiger als alles andere, wir mussten stärker werden, um mit der Supermacht USA und dem wachsenden China in der globalisierten Welt konkurrieren zu können. Als in den 90ern der Jugoslawienkrieg begann, war klar, dass das Friedensprojekt nur eine Fassade war. Seitdem geht es nur noch ums Geld. Diese Richtung muss sich ändern, wenn wir noch eine Chance haben wollen, das Gesamtprojekt zu retten.

Wie soll das funktionieren? Wir Europäer haben eine Tradition der Intellektualität, Kunst, Freiheit, Demokratie und des Humanismus – das ist unsere Stärke, darauf sollten wir setzen. Darum beneiden uns schließlich alle anderen Länder. Lasst uns sicherstellen, dass dies die fundamentalen Werte bleiben und wir nur auf dieser Basis Geschäfte machen! Das Problem ist allerdings: Unsere Gesellschaft driftet dahin, dass jeder vor allem für sich selbst sorgt. Politiker sind von dieser Tendenz natürlich auch betroffen, und ich bin davon überzeugt, dass sogar die Mehrheit der demokratisch gewählten Politiker zuallererst an ihre eigene Brieftasche denkt.

In Ihrem Roman „Gier“ kämpft eine EU-Kommissarin mutig gegen Korruption und Mauschelei. Ist diese mächtige moralische Frau eine unrealistische Figur? Nein. Es gibt Ausnahmen. Und einige wenige Politiker setzen sich durchaus für die richtige Richtung ein. Ich habe ein paar EU-Politiker kennengelernt – die beschweren sich dauernd darüber, dass das System so träge ist. Alles geht nur langsam voran, und jeder Vorgang muss so viele Hürden überwinden, bevor etwas in Kraft tritt. Wenn eine Person aus dem Machtapparat der EU dies allerdings akzeptieren würde und ihre Macht für etwas Bedeutungsvolles einsetzen würde, wäre das wunderbar! Und es würde funktionieren. Das Problem ist jedoch, dass die Menschen, die an der Macht sind, meist ihre ganze Karriere lang genau das angestrebt haben: an der Macht zu sein. All ihre Visionen haben sie auf dem Weg nach oben verloren, sofern sie je welche hatten. Um Macht als Politiker zu erreichen, muss man oft über Leichen gehen und rücksichtslos sein. Das verringert die humanistische Vision. Macht ist unglücklicherweise fast immer in den falschen Händen.

Existiert in Europa eine Polizeigruppe wie die von Ihnen erfundene Opcop-Einheit? Falls es sie gibt, arbeitet sie im Geheimen. Wir werden es also nie erfahren. Ich glaube, es gibt sie eher nicht. Vor ein paar Jahren sah es noch so aus, als ob man innerhalb Europas gemeinsam das organisierte Verbrechen bekämpfen wollte, ähnlich wie das FBI in den USA. Bei all den aktuellen Spannungen zwischen den europäischen Ländern ist es jedoch unwahrscheinlicher denn je, dass man sich für so eine Zusammenarbeit entscheiden wird.

Sie klingen enttäuscht. In gewisser Weise glaube ich tatsächlich, dass in Zukunft eine starke europäische Ermittlergruppe notwendig wäre, um etwas gegen die Mafia, private „Sicherheitsunternehmen“, stärkere Terroristen-Netzwerke und die Kampfgruppen der Rechtsextremisten zu tun. Aber es gibt eine Art natürlichen Protektionismus innerhalb der nationalen europäischen Polizeieinheiten. Das kann richtig sein, aber auch ein Fehler.

In Ihren Thrillern schildern Sie die Abgründe Europas: Menschenhandel, Korruption, Gewalt und Rechtsextremismus. Sind Sie ein Pessimist? Nein. Ich bin grundsätzlich ein optimistisches Wesen und glaube an die Aufklärung. Der Zuwachs an Wissen in der Welt wird weitergehen. Wir werden immer schlauer, besser ausgebildet und dadurch immer empathischer.

Wo liegt dann das Problem? Die Frage ist, welchen Weg die Gesellschaft propagiert: Geht es weiterhin darum, so viel Geld wie möglich zu machen – verbunden mit der Hoffnung, dass ein bisschen davon vom Tisch fällt und die Armen erreicht? Oder werden wir es schaffen, dieses Prinzip in etwas Vernünftigeres umzuwandeln? Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, die die Hälfte der Welt so arm macht, dass sie gefährlich wird? Nein! Lasst uns versuchen, das eine Prozent der Reichen und Mächtigen davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse ist, zu teilen. Der Kapitalismus hat eine zunehmende Zahl von völlig frustrierten Menschen produziert, die um jeden Preis ihre Rache wollen. Ich fürchte, dass rechtsgerichtete Extremisten uns in jene Nationalstaaten zurückschleudern können, die in Europa ein Jahrhundert lang Krieg erzeugt haben. Aggressive Länder, die ein Alleinrecht auf Heimat beanspruchen, sind niemals die Lösung. Deswegen glaube ich an Europa, trotz allem.

In welchem Europa werden Ihre Töchter später einmal leben? Wenn ich mir meine Töchter ansehe, denke ich: nein! Diese Menschen werden nie mehr Mauern zwischen Ländern akzeptieren. Da viele von ihnen anders aussehen und andere Sprachen sprechen, werden sie nie ihre Nachbarn hassen. Sie werden so viel durch die Welt gereist sein, wie es meiner Generation nicht möglich war. Und sie werden Unterschiede als etwas Gutes betrachten. Sie werden verstehen, dass Migration etwas ist, das wir zum Leben brauchen. An Isolation sterben wir.

Sie sind eigentlich Literaturwissenschaftler und schreiben selbst Rezensionen. Was stört Sie an zeitgenössischen Romanen am häufigsten? Oh, das ist eine große Frage! Ich glaube immer noch daran, dass der Roman das Genre der großen Freiheit ist – wo alles, wirklich alles möglich ist. Nicht einmal der Himmel ist dort eine Grenze. Aber Freiheit ist gefährlich.

Warum? Es ist sehr einfach, von den Erwartungen der tonangebenden Leute überrollt zu werden, das gilt sowohl für die Welt der Hochkultur als auch für die der Populärkultur. Statt die Macht der eigenen Vision zu fühlen, beginnt man dem näherzukommen, das von einem erwartet wird. Bei Kriminalromanen stört mich das nicht so sehr, denn die traditionelle Art, sie zu schreiben, ist immer noch sehr stark und es wird darauf geachtet, dass dies so bleibt. Aber es stört mich im Bereich der Hochliteratur.

Was genau gefällt Ihnen nicht? Manchmal lese ich etwas und möchte schreien: Hör auf so zu schreiben, wie man es von dir will! Hör auf so zu schreiben wie alle anderen! Finde deine eigene Stimme, um Himmels willen! Das kostet dich nicht viel, wird etwas dauern, schmerzvoll sein, aber wenn du beharrlich genug bist, wirst du dorthin kommen. Hör auf über deine Schulter zu schauen, da ist niemand, wirklich! Niemand Wichtiges!

Wie schnell haben Sie Ihre Stimme als Arne Dahl gefunden? Das hat einige Zeit gedauert. Irgendwann merkte ich, dass meine ersten Romane, die ich als Jan Arnald geschrieben hatte, zu anspruchsvoll für die Bestsellerlisten waren. Ich strebe auch nach wie vor nicht danach, ganz nach oben zu kommen, aber natürlich habe ich mich beim Tempo und der Dramaturgie an die Genregesetze angepasst. Es war mir allerdings sofort klar, dass Arne Dahl dieses Genre weiterentwickeln würde, dass seine Plots über die üblichen Grenzen hinausgehen und komplexer sein würden. Die Geschichte wird zeigen, ob ich tatsächlich einer von denen war, die das Genre zu etwas Bedeutungsvollerem gemacht haben – oder ob ich einfach nur ein verrückter Sonderling war.

Der Mörder im Kopf

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