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INTERVIEW MIT JUSSI ADLER-OLSEN

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„Ich weiß alles über Frauen!“ Jussi Adler-Olsen über Yoga, seine Kindheit in psychiatrischen Kliniken, Machtmissbrauch, sein Herz für Verrückte und die Prägung durch seine drei Schwestern

Mr. Adler-Olsen, praktizieren Sie Yoga? Zurzeit gehe ich lieber joggen. Aber es gab schon zweimal Phasen in meinem Leben, in denen ich regelmäßig Yoga gemacht habe. Es hat mir geholfen, entspannter und ruhiger zu werden. Dass die Übungen Körper und Geist aufbauen, kann ich also bestätigen.

Betrachten Sie sich als spirituellen Menschen? In gewisser Weise schon. Wir haben doch alle eine spirituelle Seite. Wenn ich eine Sternschnuppe sehe oder einen blinkenden Stern, halte ich natürlich inne und wünsche mir etwas. Ich bin übrigens auch ziemlich abergläubisch.

Wie äußert sich das? Wenn ich Auto fahre und vor mir eine schwarze Katze auftaucht, werde ich unruhig und male mir schreckliche Dinge aus, einen Total-Crash oder so etwas. Ich hasse solche Situationen. Außerdem denke ich immer, dass es schiefläuft, wenn jemand extrem selbstbewusst verkündet, dass er etwas ganz locker schafft.

In Ihrem Roman „Verheißung“ passieren Verbrechen in einer transzendentalen Organisation. Haben Sie sich durch eigene Erfahrungen zu diesem Plot inspirieren lassen? Nein. Meine einzige Verbindung zur esoterischen Szene besteht darin, ihr im Fernsehen zuzugucken.

Wie meinen Sie das? Mehrere Monate pro Jahr lebe ich mit meiner Frau in Barcelona. In unserer dortigen Wohnung können wir keine anspruchsvollen Programme empfangen, vor allem spätabends und nachts nicht. Also gucke ich manchmal schrägen Moderatoren zu, die Tarotkarten legen und ihren Zuschauern voller Überzeugung sofortige Heilung versprechen. Ein Kanal wendet sich direkt an Homosexuelle und bietet ihnen an, sie von ihrem angeblich sündhaften Lebensstil zu erlösen. Auf einem anderen Kanal tut ein sehr schwuler Moderator genau das Gegenteil: Er hilft seinen Zuschauern, homosexuelle Partner zu finden. Auch Schamanen, Pendelexperten und viele andere esoterische Anbieter treten auf. Um 3 Uhr nachts glauben die Leute alles.

Sie nicht? Nein. Aber ich mache mich darüber nicht lustig. Ich respektiere, dass einsame oder kranke Menschen Hilfe und Rat suchen und einen vielleicht sehr speziellen Glauben entwickeln. Wenn dieser ihnen Freude und Entlastung bringt, ist das völlig okay. Mein aktueller Roman soll keinesfalls die spirituelle Szene pauschal in ein schlechtes Licht rücken. Ich beschreibe darin allerdings, wie Sinn suchende Leute mit esoterischen Telefonhotlines abgezockt werden. Seitdem Spiritualität ein so großes Geschäft geworden ist, gibt es natürlich auch dort schwarze Schafe, über die ich schreiben wollte. Besonders perfide am Machtmissbrauch im Esoterikumfeld ist, dass Menschen darunter leiden, die sowieso schon schwach sind. Sie hoffen darauf, dass sich etwas in ihrem Leben ändert, sie suchen Hilfe und vertrauen sich anderen an – und genau dann werden sie auch noch ausgenutzt.

Sehen Sie sich eigentlich als sozialkritischen Autor? Und wie! Ich habe den Drang, darüber zu schreiben, was mich stört, vor allem, wenn es um Menschenrechtsverletzungen oder soziale Ungerechtigkeit geht. Mit meinen Büchern spreche ich zwar bewusst die breite Masse an, aber ich möchte diese Gelegenheit für den Transport wichtiger Themen nutzen. Was in Politik und Gesellschaft falsch läuft, fließt in meine Plots ganz bewusst mit ein. Aber nie mit erhobenem Zeigefinger! Ich nutze Spannung und Humor, um nicht in die Oberlehrer-Falle zu tappen.

Vor Ihrer Karriere als Autor waren Sie Gitarrist, Verleger, Komponist, Redakteur, Friedensaktivist und Filmwissenschaftler. Zuvor haben Sie Medizin, Soziologie und Filmwissenschaft studiert. Wie kam es zu diesem permanenten Jobwechsel? Das liegt daran, dass ich mir schon früh vorgenommen habe, nur das zu tun, was mir Spaß macht. Und auch nur so lange, wie ich Lust dazu hatte.

Haben Ihre Eltern Sie darin unterstützt? Ja, absolut. Als ich 16 war, nahm mich mein Vater zur Seite und meinte: „Junge, du hast so viele fantastische Talente. Versprich mir bitte, dass du sie alle in deinem Leben ausprobierst und immer nur das tust, was dir wirklich Freude bereitet. Folge deinem Herzen!“

In der Generation Ihres Vaters war so eine Einstellung eine große Ausnahme. Allerdings! Aber mein Vater war Psychiater und ein Meister der Empathie. Er erkannte nicht nur bei mir, wo die Fähigkeiten und Talente eines Menschen lagen. Als Leiter mehrerer psychiatrischer Einrichtungen gehörte das zu seinem Job. Er kümmerte sich um die Patienten und wir Kinder der Angestellten haben auf dem Gelände dieser „Irrenanstalten“, wie sie in den 50er- und 60er-Jahren genannt wurden, gespielt. Meist lagen die Kliniken weitab von Städten in wunderschöner Natur, da gab es Fjorde und Wälder, wir hatten viel Platz und jede Menge Spaß.

Klingt nach einer unbeschwerten Kindheit. Ja, durchaus. Aber Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich in diesen Kliniken alles gesehen habe.

Was denn? Ich sah schreiende und tobende Patienten, verrückt simulierende Mörder und verschlagene Pädophile. Beim Spielen im Wald entdeckte ich Insassen, die sich an Bäumen erhängt hatten. Als gefährlich eingestufte Insassen wurden damals wie Tiere in offenen Käfigen gefangen gehalten. Sie waren kaum bekleidet, Männer und Frauen wurden getrennt eingesperrt. Doch ich war mehr interessiert als schockiert: Manchmal schlich ich mich in die Behandlungszimmer und versteckte mich dort. So konnte ich zusehen, wie mit Elektroschocks behandelt wurde. Durch ein Dachfenster habe ich mit anderen Jungs sogar regelmäßig bei Autopsien zugeschaut.

Das hört sich unglaublich an. Heute wäre es ein Skandal, ja. Aber damals war das ganz normal. Als ich „Einer flog über das Kuckucksnest“ erstmals im Kino sah, lachte ich. Denn es war harmlos gegen das, was ich gesehen hatte und was wirklich passierte.

Hat Ihnen Ihr Vater nicht verboten, in den Kliniken herumzustreunen? Nein, im Gegenteil. Er wollte nie die Wirklichkeit vor mir verstecken und hat mich auf diese Situationen gut vorbereitet. Er schärfte mir auch immer wieder ein, dass die Patienten einmal ein ganz normales Leben geführt hatten und nur durch schlimme Ereignisse so „verrückt“ wurden. Das Verständnis für Menschen abseits der Norm prägt mich bis heute.

Inwiefern? Ich habe ein Herz für Verrückte und Unangepasste. In meinem Freundeskreis befinden sich einige, die ein bisschen schräg sind.

Haben die Klinikerlebnisse Spuren bei Ihnen hinterlassen? Überhaupt nicht. Aber seit dieser Zeit bin ich sehr sensibel gegenüber jeglichem Machtmissbrauch. Schon damals ist mir aufgefallen, wie unmenschlich und autoritär manche Ärzte mit ihren Patienten umgingen. Zwei Mediziner sind mir besonders im Gedächtnis geblieben: Sie rasierten sich Glatzen und tranken demonstrativ rohe Eier – das war eine ganz widerliche Zurschaustellung von Macht und Männlichkeit.

Wollten Sie nie in die Politik gehen, um für Ihre Überzeugungen zu kämpfen? Nein. Das wäre überhaupt nichts für mich. Ich könnte nie ein Parteiprogramm abnicken und mich nach dem Massengeschmack oder Meinungsumfragen richten. Zwar wuchs ich in einer wohlhabenden Familie auf und lernte, wie man sich benimmt, was man anzieht, dass man sich anpasst und stets interessiert sein soll – wenn es danach ginge, wäre ich ein guter Politiker. Aber ich bin eben auch ein Sohn der 68er, ein Hippie, ein Rock ’n’ Roller. Autoritäten und Hierarchien kann ich nicht ausstehen.

Wie gehen Sie mit Ihrer eigenen Macht als Bestsellerautor um? Ich mag Macht, wenn sie gut gehandhabt wird. Macht ist sogar sehr wichtig, um die Welt in einem positiven Sinne zu verändern. Ich selbst genieße den Einfluss, den ich als Autor habe, und gehe sehr verantwortungsvoll damit um. Meinen Lesern und allen, die mit meinen Büchern zu tun haben, versuche ich immer auf Augenhöhe zu begegnen; ich bin nicht besser als sie, und ich bin auch kein Blender. Wer seine Macht dazu nutzt, um Schwächere zu demütigen oder egoistische Ziele zu verfolgen, den verachte ich.

Ihre Protagonisten kommen regelmäßig in gefährliche Situationen und haben Angst. Wovor fürchten Sie sich selbst? Vor gar nichts.

Das ist nicht Ihr Ernst. Doch. Ich bin ein völlig angstfreier Mensch.

Sie fürchten nicht den Tod? Überhaupt nicht. Kummer bereitet mir nur der Gedanke, dass ein Mensch aus meinem engsten Umfeld stirbt. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich ziehe es natürlich vor, zu leben.

Wie ist es mit Spinnen, Schlangen, engen Räumen oder Aufzügen? Fehlanzeige. Das lässt mich alles kalt. Ich war mal im Dschungel – all diese giftigen Tiere konnten mir keinen Schrecken einjagen. Ein Klaustrophobiker bin ich zum Glück auch nicht.

Stellen Sie sich vor, Sie verlieren von heute auf morgen Ihren Erfolg, Ihr Vermögen. Schreckt Sie das nicht ab? Nein. Ich hätte kein Problem damit, ein ganz normales, bescheidenes Leben zu führen. Erst vor Kurzem habe ich mit meiner Frau darüber gesprochen. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir uns dann einfach auf eine kleine Insel zurückziehen würden und in der Lage wären, mit sehr wenig auszukommen.

Manche Männer fürchten starke Frauen – Sie auch? Nein. Grundsätzlich würde ich zwar sagen, dass es gefährlich und dumm ist, keine Angst vor Frauen zu haben, aber ich habe trotzdem keine. Vielleicht liegt es daran, dass ich alles über Frauen weiß.

Wie bitte? Ich kenne alle Geheimnisse der Frauen, wirklich alle.

Das müssen Sie erklären. Ich bin mit drei älteren Schwestern aufgewachsen. Die jüngste von ihnen ist vier Jahre älter als ich, die größte 14 Jahre älter. Und genauso unterschiedlich wie ihr Alter waren und sind ihr Aussehen und ihre Interessen. Von klein auf sprangen also drei Mädchen, später drei junge Frauen, um mich herum. Ich habe ihnen dabei zugehört, wie sie sich über ihre Menstruationsprobleme unterhalten haben, und bekam mit, was sie von Zungenküssen und der Missionarsstellung halten. Ich sah zu, wenn sie neue BHs und Slips anprobierten, über das Wachstum ihrer Brüste sprachen oder Parfüms testeten. Manchmal habe ich mehr erfahren, als ich wollte. Und vieles habe ich erst Jahre später verstanden.

Hatten Ihre Schwestern nichts dagegen, belauscht zu werden? Denen war total egal, ob ich mit im Zimmer war. Wen kümmert schon der kleine Bruder? Ich hätte auch eine Fliege an der Wand sein können, so wenig hat sie meine Anwesenheit gestört. Diese totale Nähe hat jedenfalls dazu geführt, dass ich schon früh zum Frauenexperten geworden bin.

Stimmt es, dass Sie 1980 ein Mädchen-Jahrbuch herausgegeben haben? Wie peinlich, ja. Ich habe es unter Pseudonym geschrieben.

Was stand darin? Das war ein Kalender für junge Mädchen mit den gleichen Themen, über die meine Schwestern dauernd redeten: Mode, Make-up, Verliebtsein, Horoskope. Unglaublich, wenn ich heute daran denke. Aber ich brauchte damals dringend Geld und habe damit tatsächlich einiges verdient.

Zu Ihren Lesungen kommen jeweils bis zu 2.000 Menschen, die Sie wie einen Rockstar feiern. Wie finden Sie das? Toll! Aber mir ist bewusst, dass ich diesen Wirbel um meine Person gar nicht verdient habe. Jedes meiner Bücher kann man innerhalb weniger Tage lesen; dann bleiben noch mindestens 360 weitere Tage jedes Jahres, in denen wichtigere Dinge passieren. Es gibt so viele Bücher und so viele Autoren – also versuche ich, auf dem Boden zu bleiben. Ich habe großen Respekt vor meinen Lesern und vor allen, die es überhaupt möglich machen, dass ich so erfolgreich bin. Es gibt Bestsellerautoren, die unter einer luxuriösen Glocke fernab der Realität leben – mir kann das nicht passieren.

Wofür geben Sie Ihr Geld aus? Ich brauche keine dicken Autos oder Designerklamotten. Luxus ist für mich, in meinem Keller ein Tonstudio einrichten zu können oder mit meiner Frau drei Monate pro Jahr in unserer Wohnung in Spanien zu verbringen. Einmal habe ich ganz spontan in einem Gitarrenladen eine Gibson GGC gekauft – die sah fast so aus wie die, mit der ich früher in meiner Band spielte. Mir liegt viel daran, dass mit meinen Einkünften sinnvolle Sachen gefördert werden. Ich habe zum Beispiel viel Geld in eine Firma gesteckt, die kleine, billige Häuser mit eigener Energieversorgung entwickelt. An der Nordküste Dänemarks stehen gerade schon die ersten Prototypen. Ich hoffe, dass diese Häuser auch einmal eine Alternative sein können für Wellblechhütten in Südafrika oder Südamerika.

Versteuern Sie Ihre Buchtantiemen in Dänemark? Selbstverständlich. Und das, obwohl ich einen Steuersatz von 67 Prozent habe.

Sie könnten in die Schweiz ziehen oder nach Monaco. Das wäre nichts für mich. Ich unterstütze mit meinem Anteil gerne unsere sozialen Einrichtungen und das Gesundheitssystem. Wenn jeder nur für sich selbst sorgt und die Wohlhabenden wegziehen, bricht die Gesellschaft zusammen.

Brauchen Sie Bodyguards? Nur ganz selten bei großen Auftritten, das organisieren dann aber die Veranstalter. Ansonsten lebe ich meistens ganz normal, in einem ganz normalen dänischen Ort in der Nähe von Kopenhagen. Das ist eine entspannte, ruhige Gegend, in der man mich schon lange kennt: nicht als Bestsellerautor, sondern vor allem als Vater meines Sohnes, der einmal ein guter Fußballer im dortigen Verein war. Ich bin sehr glücklich, dass ich in der Nähe von Freunden und alten Bekannten leben kann, ohne Aufsehen zu erregen.

Der Mörder im Kopf

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