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Das klare Leuchten des Frühsommers hob sich über die Nebelschleier. Ein Regenfall hatte die Luft in der letzten Nacht mit Frische erfüllt, vom Hügel strich der kühle Atem des Waldes auf die Felder hinab. Meister Josef war wie so oft als Erster erwacht, war in die Stiefel gestiegen und hatte seine Weste übergestreift. Danach war er hinausgegangen, um die ersten Töne des Tages zu erlauschen. Sein Land, sein Grund und Boden, die taunassen Grashalme und die morgendlichen Rufe der Sommervögel, Jahrzehnte hatte er hier auf dem Bachleithenhof gearbeitet und nicht die Schönheit des Landes gekannt, erst jetzt auf seine alten Tage sah er, lauschte er, spürte er die Felder, die Bäume, die Kraft des Bodens und den Sinn des Lebens. Josef Lehner würde bald seinen siebzigsten Geburtstag begehen, er hatte viele Jahrzehnte in stummer Pflichterfüllung und verborgener Resignation den Frondienst des Alltags verrichtet, hatte gemacht, was man ihm gesagt, ihm aufgetragen hatte. Zuerst seine Mutter, später der Lehrer, eine Jugend lang der niemals lächelnde Vater und schließlich ein ganzes Eheleben lang die Frau bis zu deren Tod. Josef, das ist zu erledigen, Josef, dies ist zu tun, Josef, so musst du dich verhalten, Josef, jenes sollst du denken. Der Packesel auf dem steilen Bergpfad, der Ackergaul in dem Kummet, der Ochs vor dem Pflug. Ein Leben in fremder Arbeit.

Meister Josef blickte einer auffliegenden Kohlmeise hinterher, sah sie im Morgenlicht verschwinden. Er streifte seine Stiefel ab, tat barfuß ein paar Schritte im noch kühlen Gras, dann trat er an den Komposthaufen heran und sog tief dessen Duft ein. Heute, ja, heute würde er die Arbeit beginnen. Ein zufriedenes Lächeln legte sich in sein sonnengebräuntes, gefurchtes Gesicht. Zum Glück hatte er noch die Kraft für diese Arbeit, zum Glück hatte sie ihn rechtzeitig gerettet. Voller Wärme, Zuneigung und Respekt dachte er an jene Frau, die ihn in einer Nacht verzaubert hatte, die ihn mit ihren Tänzen und Gesängen, mit ihren Gebeten, mit ihrer unsäglichen Weisheit und ihrem uferlosen Wissen geheilt und gerettet hatte. Es war nicht lange her, erst ein paar Jahre, aber diese Jahre hatten ihn für über sechzig Jahre Knechtschaft und Unterdrückung entschädigt. Er hatte die Wahrheit erst als alter Witwer kennengelernt, die Schönheit erst im Spätherbst seines Lebens gesehen, aber er war voller Zuversicht und Freude, weil dies doch noch geschehen war. Der Tod hatte nie viel Schrecken auf ihn ausgeübt, und manchmal hatte er sich nichts sehnlicher als den Tod gewünscht, doch nun erst war der Tod eine Würde, die zu erringen er jederzeit dankbar war, denn er hatte das Leben gesehen.

Heute also würde er den Komposthaufen umstechen, würde er die fruchtbare, lebendige Erde hervorschaufeln, würde er damit die Beete für das Wintergemüse anlegen. Meister Josef griff zur Mistgabel und stieg mit bloßen Füßen und aufgekrempelten Hosenbeinen auf die mannshohe, mehrere Meter lange Kompostmiete. Ja, seit sie ihm den Weg gewiesen hatte, war es ihm ein Leichtes die Natur zu fühlen. Die Energie des Komposthaufens perlte über seine Haut wie ein warmer Schauer im Sommerregen. Er hatte seine Heimat gefunden, und seine Heimat war der Kompost, war die Brutstätte der Natur, war die Quelle des Lebens. Seit die Kompostverwertung produktiv lief, waren die Erträge der Gemüsebeete gut. Niemand mehr in der Siedlung musste im Winter hungern, niemand musste in den Supermarkt laufen und Gemüse zweifelhafter Qualität kaufen, alles, was seine neue Familie benötigte, wuchs auf den Feldern. Seinen Feldern, seinem Grund und seinem Boden.

Wie hatten die selbstsüchtigen Söhne geflucht, als er sich von der Kräuterhexe hatte verhexen, sich in ihren Bann hatte schlagen lassen, sogar vor Gericht waren sie gezogen. Die Ehefrau hatte die Erziehung ihrer und seiner Söhne gründlich gemeistert. Vierzig Jahre bittere Ehe, zwei erwachsene Söhne, die ihren Vater verachteten, ihn für verrückt hielten und ihn lieber heute als morgen entmündigen und in eine geschlossene Anstalt sperren lassen wollten, eine Dorfgemeinschaft, die sich von ihrem ehemals geachteten, weil tüchtigen Großbauern in Zorn und Unverständnis abgewendet hatte. Der Lehner Pepi ist im Alter durchgedreht, jetzt sind die Narrischen auf seinem Grundstück, jetzt haben wir diese Bande von Strauchdieben am Hals, du bist schuld, du bist schuld, du bist immer wieder schuld, Pepi, sag, schämst du dich nicht auf deine alten Tag!

Er kannte seine Komposthaufen besser als er jeden Menschen kennen konnte und wollte, er wusste immer genau, wie und wann ein Haufen anzulegen war, welche Zweige, Blätter, Gräser wo und wie aufzuhäufen waren, welche Mengen Tierdung einzuarbeiten waren, wie lange die Haufen reifen mussten, wann der richtige Zeitpunkt war, sie zu öffnen. In ein stummes Gebet versunken, verharrte er fast bis zu den Knien im Kompost steckend, ein Gebet nicht zu dem eitlen Popanz von Gott, den ihm die Großmutter in das Gemüt gedrillt und der Pfarrer mit leeren Floskeln in das Gehirn geleiert hatte, sondern ein Gebet in das helle Licht dieses anhebenden Frühsommertages.

Dann packte er die Mistgabel und mit spielerischer Leichtigkeit hob er die obere Schicht des Haufens ab, grub sich in den warmen, duftenden Kern des Haufens. Käfer und Ameisen, Pilze und Würmer, der Kreislauf des Lebendigen, mikroskopisch kleine Lebewesen, die er nicht sah, aber deren Anwesenheit er spürte, sie alle umfingen ihn, begrüßten ihn wie einen guten, lang erwarteten Freund. Meister Josef spürte nicht die alten Glieder, den schmerzenden Rücken, immer wenn er einen Haufen öffnete, war er wie in Trance, war er in seinem Element, hatte er seinen Platz im Kosmos gefunden. Er arbeitete hart, Schweiß perlte an seiner Stirn und er summte still vor sich hin. Ja, der Zeitpunkt war genau richtig, die dunkle Erde roch gut, feiner Humus, die Grundlage für bestes Gemüse, für ein gesundes Leben bis ins hohe Alter.

Nach einer halben Stunde trat Meister Josef einen Schritt zurück, blickte auf die mittlerweile vollständig geöffnete Kompostmiete und wischte den Schweiß in den Ärmel seines Hemdes. Er war zufrieden. Gute Arbeit, jetzt würden er und sein Freund Ernst, der im Lauf des Vormittages mit dem Werkzeug kommen würde, den Humus aufschaufeln, sieben und zu den Beeten bringen können. Danach würde er sich um alles Weitere kümmern. Josef Lehner öffnete die Feldflasche mit dem kalten Kräutertee und nahm einen kräftigen Schluck.

Er sah den Ort genau vor sich. Eine offene Waldlichtung, fast mannshohes Kraut, schwirrende Bienen, ein bunter Schmetterling zwischen den durch die Baumkronen brechenden Sonnenstrahlen, ein Duft von Sommer und feuchtem Lehmboden. Gelbe Blüten. Und er hatte alles geschluckt. Meister Josef fiel auf die Knie und griff an sein Herz. Der Trank war so stark. Wer konnte solch Elixier zubereiten? Digitalis grandiflora. Fingerhut. Die Wolken zogen über das Firmament, grüne Schäfchen im gelben Himmel. Der Geschmack des Elixiers war so überaus wohltuend, doch das Herz setzte aus. Er hörte seinen Großvater lachen.

Ich komme, Opa, du hast als einziger mit uns Kindern gelacht, doch nie im Haus, immer nur auf den Feldern oder bei den Obstbäumen, wenn Oma es nicht bemerkte, Opa, ich kann jetzt auch lachen, höre nur, wie ich lache, lache, lache …

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