Читать книгу Mords-Schuss - Günther Dümler - Страница 10

Über allen Wipfeln ist Ruh

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„So, ich geh jetz dann, die Hedi is wahrscheinlich wie immer pünktlich, besonders wo der Loni scheinbar jetzt doch nicht mitkommt, auf den sie sonst immer wartn muss, weil der hint und vorn nicht fertig wird. Da muss ich mich schon a bissla beeilen.“

Und beiläufig fügte Sandra hinzu:

„Die oberen Fenster kannst ruhig gekippt lassn, wenn du nachher noch fortgehst, wo jetzt endlich wieder einmal die Sonne scheint!“

„Is rechd Schatz, ich geh wahrscheinlich höchstens a bissla naus in Gardn und richd widder alles aweng auf, was der bläide Dauerregn umgschmissn hodd. Vielleichd fahri aa nochher a bissler Fahrrad, schießli hodd mer ….“

Den Rest hörte Sandra Grillenberger schon nicht mehr. Sie hatte bereits die Haustür hinter sich zugeschlagen und war zu ihrem Treffen mit der Hedwig Wolf in den Goldenen Adler, dem einzigen und besten Wirtshaus am Platz, aufgebrochen.

Walter dachte gar nicht daran, in den Garten zu gehen. Er hatte etwas völlig Andres vor, etwas, von dem seine Frau nichts wissen musste. Fahrrad fahren würde er, das war nicht gelogen, aber bestimmt nicht weil er nach der langen Regenzeit endlich wieder die warme und freundlich scheinende Sonne genießen wollte. Gott sei Dank hatte Sandra nicht darauf bestanden, dass er zu ihrem monatlichen Treffen mit den Wolfs mitging. Der Loni war schließlich auch nicht dabei, was sollte er dann mit den beiden Frauen. So konnten sie doch auch über Themen reden, in die sie ihre Männer sowieso nicht einweihen würden. Das hatte die Sandra dann auch irgendwann geschluckt. Es ging alles viel leichter, als er es sich vorgestellt hatte.

Er schob sein Tourenfahrrad aus dem Schuppen, öffnete die Gartentür und schwang sich in den Sattel. Jetzt, wo er darüber nachdachte, befielen ihn ernsthafte Zweifel, ob es richtig war, sich auf ein heimliches Treffen einzulassen. Nur aufgrund eines anonymen Anrufes, bei dem der Mann am anderen Ende seinen Namen verschwiegen und mit verstellter Stimme gesprochen hatte. Wie durch einen blechernen Trichter hatte sie geklungen. Aber der unbekannte Anrufer wusste alles, wirklich alles, bis ins kleinste Detail. Er musste unbedingt herausfinden, was da vor sich ging. Er konnte es sich nicht leisten, dass nach so vielen Jahren des Schweigens die ganze Geschichte doch noch ans Tageslicht kam. Er war schließlich Beamter und eine Indiskretion in dieser Sache konnte ihn nicht nur seine Pension sondern auch die Zukunft seiner Familie kosten.

Bis zum vereinbarten Treffpunkt war es nicht weit, höchstens vier bis fünf Kilometer hatte er von seinem Einfamilienhaus am Ortsrand von Röthenbach aus zu fahren. Es gab kaum Steigungen, so dass er flott vorankam. Kräftig trat er in die Pedale. Er hatte keinen Blick für die reizvolle Landschaft. Ständig gingen ihm die damaligen Ereignisse immer wieder durch den Kopf. Es war wahrscheinlich der schönste Tag in seinem jungen Leben gewesen, nicht einmal die Hochzeit, ein Jahr später mit seiner Sandra, konnte da mithalten. Nicht, dass er seine Sandra nicht aufrichtig lieben würde, aber es verblasste einfach alles gegen dieses tolle Erlebnis, den Aufstieg in allerletzter Minute geschafft zu haben. Und er war maßgeblich daran beteiligt. Nie würde er dieses unbeschreibliche Glücksgefühl vergessen, wie er dem gegnerischen Spieler den Ball abgeluchst und diesen schier unglaublichen Traumpass nach vorne gespielt hatte, von dem noch ganze Fußballgenerationen der Röthenbacher Eintracht erzählen würden, genau in den Lauf von seinem Freund Loni, der kurz und bündig zum 2:1-Siegtor abschloss. Es war ein Tor, wie es einfach nur der Loni erzielen konnte, trocken und humorlos zugeschlagen, ohne eine Spur von Nervenflattern. Aber so war der Loni halt, auch außerhalb des Fußballplatzes. Wenn sich ihm eine Chance bot, dann schlug er eiskalt zu.

Sie hatten den Sieg gleich nach dem Spiel ausgiebig begossen, solange bis der Wirt sie alle nach Hause geschickt hatte, um seinerseits eine große Aufstiegsfeier vorzubereiten. Am Abend sollten sie alle wiederkommen, mit ihren Frauen und Freundinnen, ausgelassen wollten sie tanzen und so richtig die Sau rauslassen. Das wohlverdiente Freibier würde in Strömen fließen.

Doch dann kam alles anders. Hätte er nur die Margit, seine jüngere Schwester gleich mit nach Hause genommen, dann wäre das alles nicht passiert. Aber er hatte sich auf Ralf, deren Freund und Mitspieler in der Meistermannschaft verlassen und der elende Mistkerl hatte versagt.

Sie waren mit Lonis altem Diesel unterwegs, er und der Wolfn Loni. Ihre Sportsachen wollten sie heimbringen, sich ein bisschen hinlegen und dann seine damalige Freundin Sandra und Lonis junge Ehefrau Hedwig abholen und es anschließend im Vereinsheim so richtig krachen lassen. Stattdessen krachte es auf der Heimfahrt. Nur noch einen einzigen winzigen Kilometer, dann wären sie auf dem Wolfhof und in Sicherheit gewesen. Sie hatten in dem alten Mercedes aus vollem Hals gesungen und gelacht. „Mendocino! Mendocino. Ich fahre jeden Tag nach Mendocino!“ Und sie hätten es sicher auch trotz des bereits reichlich geflossenen Alkohols geschafft, wenn nicht der Loni urplötzlich davon angefangen hätte, dass die Margit heute ganz sicher auch auf ihre Kosten kommen würde. Erst hatte er den Loni nicht verstanden, denn die war bei Ralf doch gut aufgehoben und dass die beiden heute noch, wie Loni es nannte, auf ihre Kosten kommen würden, daran hatte er nichts auszusetzen gehabt. Doch dann geriet die Sache völlig außer Kontrolle.

„Wieso denn der Ralf?“ hatte der Loni auf einmal gefragt, „der is doch glei hinder uns naus und hamm, abber die Margit, äih Kumbl, dee hodd nou erschd richdich lousgleechd, dee hosd bis aufn Bargbladds naus nu schäggern hörn.“

Und dann passierte es im Bruchteil von Sekunden. Walter wollte, dass der Loni auf der Stelle umkehrt, um die Margit zu holen. Der aber lachte nur wie verrückt und fuhr einfach weiter.

„Etz lass hald deiner glann Schwester aa amal a Freid, dee hodds voll drauf, äih, so wäi dee ausschaud schbilld dee scho lang nimmer blouß mit ihrer Barbiebubbm.“

Vielleicht wäre es auch dann noch gut gegangen, hätte er, Walter, daraufhin nicht ins Lenkrad gegriffen um den Freund zum Umkehren zu zwingen. Sie hatten so sehr miteinander zu tun und der erhöhte Alkoholpegel tat sein Übriges, so dass sie den Aufprall erst bemerkten, als das kleine Mädchen bereits vom Kotflügel erfasst und weggeschleudert worden war. Für die sechsjährige Sabrina Wimmer kam jede Hilfe zu spät.

So war das damals gewesen. Sie hatten nicht einmal angehalten. Der Loni hatte den Wagen zunächst daheim in der Scheune versteckt und ihn erst zwei Tage später, im Schutz der Dunkelheit zu einem befreundeten Mechaniker in einen über fünfzig Kilometer weit entfernten Ort gebracht. Den hilfreichen Freund kannte er noch aus seiner Bundeswehrzeit. Damals hatten die zwei das ein oder andere Mal gewaltig über die Stränge geschlagen und da beide über eine außerordentliche Portion Bauernschläue verfügten und schon immer den Mund halten konnten, waren sie trotzdem immer wieder ungeschoren davon gekommen. Natürlich hatte er auch ihm nichts von den tödlichen Unfallfolgen erzählt. Das wäre dem alten Kameraden vielleicht dann doch zu heikel gewesen. Angeblich hatte der Loni die Delle schon auf dem Parkplatz des Vereinsheims beim Ausparken in den Wagen gefahren. Eine nichtsnutzige Birke stand ihm im Weg. Dass er nicht mehr nüchtern war, gab er bereitwillig zu. Das war kein Problem. Im Gegenteil. Es hatte dem alten Kumpel nur ein anerkennendes Lachen entlockt. Ohne dieses Eingeständnis wäre es auch schwer zu verstehen gewesen, warum er den Mercedes nicht zuhause im Dorf reparieren lassen konnte. Um sein Alibi wasserdicht zu machen hatte er tags drauf in aller Frühe sogar mit seinem Traktor den unschuldigen Baum gerammt, so dass auch der misstrauischste Zeitgenosse seiner Version Glauben schenken musste.

Vier Tage nach dem Unfall war das Auto wieder da und von einem Schaden war nichts mehr zu sehen. Selbst seiner Sandra hatte Walter nichts von dem Unfall erzählt. Die Hedwig aber, die musste etwas mitgekriegt haben, denn das Auto stand zwei Tage zerbeult in der Wolf’schen Scheune. Sie hatte aber nie auch nur ein Wort darüber verloren.

Und nun war da dieser anonyme Anrufer, der offensichtlich alles wusste. Nach all den Jahren! Walter Grillenberger zitterten die Knie, als er sein Fahrrad am Waldrand an einen Baumstamm lehnte und das ganz sicher nicht wegen der ungewohnten körperlichen Anstrengung.

Mords-Schuss

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