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Der linke Blinker

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Wer kennt das nicht? Man ist im Auto unterwegs zu einem Freund, zum Supermarkt oder zur Arbeit.

Plötzlich kommt man versehentlich an den linken Blinker und merkt, dass man ihn betätigt hat. Jeder von uns tut nun, was die natürlichste Sache der Welt ist. Man folgt dem Fahrtrichtungswechselanzeiger und biegt links ab. Wie oft kommt das vor!

Solche Geschichten passieren praktisch dauernd, und auch die von Dr. Georg Haslbach ist einfach nur typisch.

Dr. Georg Haslbach ist wohlangesehener Leiter einer Mädchenrealschule in Beilngries, einer Kleinstadt nördlich von Ingolstadt. Er ist völlig unbescholten, verheiratet, Vater einer adoleszenten, aber ansonsten anständigen Tochter, Metronomstarter im Kirchenchor, zweiter Kollektensammler während der Messe, einer der ewigen, sympathischen Nachzügler im örtlichen Wanderverein – ein Mann wie Du und ich.

Abends sitzt er bei einem Glas Kirschlimonade und liest den Donaukurier, während draußen der Löwenzahn schläft. Es ist seine große Leidenschaft – das Züchten von Löwenzahn. Sein Garten ist zur Blütezeit ein lodernd gelber Teppich aus Löwenzahn.

Und wenn endlich die Samenzeit kommt, und Millionen Löwenzahnmonde kniehoch in seinem Garten stehen, jederzeit bereit, beim geringsten Windhauch in einer gigantischen Wolke aufzufliegen, dann klopft Georgs Herz. Und natürlich klopfen sie dann an seine Tür, die Nachbarn und Mäher englischer Monorasen.

Aber hat Dr. Georg Haslbach sonst Feinde? Nein, wer würde ihn nicht schätzen, diesen mustergültigen Vorsitzenden des Beilngrieser Rotkehlchenschutzvereins, ein Jugendvorbild, der Schwarm von allen Schulmädchen und deren Müttern.

Eines Freitagmorgens war Georg wie gewohnt in seinem roten Opel auf dem Weg zur Schule. Er würde fünf Klassen in Rechtschreibung und Geschichte unterrichten und anschließend einer Lehrerkonferenz vorsitzen. Links und rechts auf den Gehsteigen pilgerten Scharen von Schulkindern. Neben sich auf dem Beifahrersitz hatte Georg seine Schulmappe und sein Pausebrot.

Plötzlich vernahm er ein Ping Ping Ping – er war an den linken Blinker gekommen. Ordnungsgemäß hielt er sich am Mittelstreifen, ließ den Gegenverkehr passieren und bog bei der nächsten Gelegenheit links ab. Den Schildern folgend kam er auf die Autobahn nach Süden. Er tankte noch bei Ingolstadt, füllte einen Lottoschein aus und fuhr in Richtung München. Die Radiosender meldeten freie Fahrt. Georg rollte über die bayerische Schotterebene und durch das Voralpenland gen Traunstein, wo er einen Imbiß nahm.

Bei Salzburg reiste er nach Österreich ein. An Kloster Melk vorbei kam er nach Linz. Er folgte der Autobahn weiter Richtung Wien. Dort übernachtete er irgendwo, machte einen kleinen Morgenspaziergang und sich dann auf den Weg zurück. Georg genoß noch eine kleine Bootsfahrt auf dem Mondsee und war am Sonntagabend wieder zuhause am Fernseher. Er sah die Lottozahlen nach, wo er 6 Richtige hatte, die aber wahrscheinlich nicht gültig waren, da er versehentlich noch eine siebte Zahl angekreuzt hatte.

Eine absolut normale, alltägliche Sache, werden Sie sagen, und völlig problemlos, vorausgesetzt, man hat eine Kreditkarte und schwachen Bartwuchs. Ich weiß, immer wieder kommt das vor, jeden Tag und überall.

Ich würde jetzt auch nicht weitererzählen, höchstens, um ein bisschen schlechtes Licht auf Georgs Ehefrau Ilse zu knipsen. Unterzog sie Georg doch tatsächlich einer regelrechten Inquisition. Dazu zwang sie ihn, mit ihr auf den Speicher zu gehen.

Auf kantigen Holzscheiten vor ihr kniend, sollte er beantworten, woher die langen blonden Haare kämen, die sie auf dem Rücksitz des Opels entdeckt hatte. Was soll denn das, schließlich verhängte Georg seine Nummernschilder nicht, als er die 21-jährige Haushaltshilfe aus Ingolstadt beim Tanken ansprach. Und sie würde ihn schon ausfindig machen, sollte sie wirklich von dem kleinen Aufenthalt in die Donau-Auen schwanger werden!

Wieso geht seine Frau auch ans Telefon, wenn so ein schmieriger Ferrari-Vermieter aus Wien anruft und monieren möchte, die Ledersitze seien von Schampus völlig versaut, und er würde dies Georgs Kreditkarte nachbelasten. Und dies käme auf den Miettarif drauf. Ledersitze bekommen so schnell keine Flecken, und die schwarze Koks-Dealerin aus Kuba mit den blauen Kontaktlinsen konnte mit dem Stöckelschuh auch nicht die Türverkleidung zerrissen haben, schließlich hatte sie da schon gar keine mehr an.

Und dieser typische Blick einer argwöhnischen Gattin, bloß weil die Spätnachrichten im Fernsehen melden, der Hotelgroßbrand in Wien sei von einem deutschen Touristen aus Beilngries verursacht worden.

Wer ist dann so weiblich neugierig und macht die Haustür auf und lässt mitternachts noch die Polizei herein, die den roten Opel mit dem Kennzeichen, das er nun mal hat, sehen möchte, dessen Fahrer auf der Autobahn am Irschenberg einen Tanklastzug über die Böschung gedrängt habe?

Und am Montagmorgen kauft sie sich wieder diese üble Boulevardzeitung, in der so ein Sensationsreporter schreibt, der Türsteher eines Salzburger Stripteaselokals sei von einem deutschen Schuldirektor mit einem Fausthieb niedergestreckt worden. Zu den Tätlichkeiten wäre es gekommen, nachdem der Türsteher, ein Zweimeter-Brocken mit dem Künstlernamen Schwacko Bub, wiederholt Kommas an den falschen Stellen gesprochen hatte.

ESCAPER Stories / Band 1

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