Читать книгу Eiszeit! Warum Eishockey der geilste Sport der Welt ist - Günther Klein - Страница 8
ОглавлениеWEN ICH BEWUNDERTE – MEINE IDOLE
Meine Ausbildung als Eishockeyspieler habe ich in Landshut genossen. Eine Stadt, die man wegen ihres großen historischen Fests, der Landshuter Hochzeit, kennt. Mehr aber noch dadurch, dass sie ein Zentrum des Eishockeys war. Die guten Zeiten liegen lange zurück, 1970 und 1983 wurde der EVL Deutscher Meister. Bis in die 90er-Jahre hinein war er ein Spitzenklub in Deutschland. 1999 wurde seine Lizenz an den US-Entertainmentkonzern Anschutz verkauft, der ein Team in München aufbaute, die Barons, und 2002 nach Hamburg weiterzog, wo er die Barone als Freezers weiterspielen ließ. Landshut versuchte einen Neuaufbau, kam aber nie mehr höher als bis zur zweiten Liga und spielte zuletzt in der dritten. Doch die Geschichte des EVL ist und bleibt großartig. In meiner Karriere haben mich Figuren aus der Landshuter Historie angetrieben.
So um 1986 herum setzt meine bewusste Wahrnehmung ein. Alois Schloder war ein ganz großer Name des Landshuter Eishockey. Ich kannte ihn als Leiter des Sportamts, über ihn als Spieler kann ich nicht mehr so viel sagen. Ich weiß, dass er gegen Ende seiner Karriere vom Stürmer zum Verteidiger wurde und dabei immer noch überragend war. Klaus „Butzi“ Auhuber war bundesweit für seine Härte berühmt. Ein kerniger niederbayerischer Abwehrmann, mit dem sich keiner anlegen wollte. Erich Kühnhackl ist letztlich der Name gewesen, der in Landshut über allem stand, weil er so viele Punkte gemacht hat.
Aus der Nationalmannschaft waren meine drei Spieler, an denen ich mich orientierte, die langjährigen Verteidiger Udo Kießling, der zum Ausklang seiner Laufbahn in Landshut spielte, Harold Kreis in Mannheim und Andi Niederberger in Düsseldorf. Es waren aber auch die Importspieler, die in der Liga beim EV Landshut für Furore sorgten und mich beeindruckten. Sehr lange Dany Naud, der nachher Trainer wurde. Er war als Spieler überragend, ein eher kleiner, ruhiger Verteidiger, der das Spiel von der blauen Linie weg organsierte. Oder Venci Sebek, der einen wahnsinnigen Schuss hatte. Sein Schläger war so aufgebogen, dass er sich damit auch hätte am Rücken kratzen können. Das ging über die Regeln für das Material hinaus, doch wir machten es ihm nach. Man kopierte alles, die guten wie die schlechten Sachen.
Wenn am Freitagabend die Spiele waren, schaute ich genau hin: Wie machen die Stars sich warm? Und mein Interesse galt nicht nur dem EVL, sondern auch den Cracks der Gegner. Wenn Harold Kreis mit Mannheim kam oder Andi Niederberger, der gefühlt fast nie vom Eis ging mit seiner Bärenkondition. Ich habe deren Trockentraining neben der zweiten Eisfläche beobachtet und mich vor unseren Nachwuchsspielen dann an den exakt gleichen Stellen aufgewärmt.
Um Kontakt zu meinen Stars habe ich mich nicht bemüht. Das mag Leute erstaunen, wenn sie mich heute aus dem Fernsehen kennen und mich für umtriebig und lustig halten. Ich suche mit wenigen Menschen das Gespräch, dafür bin ich zu scheu. Ich bin eher das staring kid, das Kind, das mit offenem Mund staunend danebensteht. Ich brauche eine gewisse Wohlfühlatmosphäre, muss den anderen kennen, um aufzublühen und zu sein, wie ich bin. Sitze ich an einem Zehnertisch mit neun Leuten, die ich nicht kenne, werde ich wahrscheinlich an diesem Abend heimgehen und mit keinem gesprochen haben. Kenne ich die neun Leute jedoch, werde ich den Tisch den ganzen Abend lang unterhalten haben, ob die neun das nun wollten oder nicht.
Aber ich habe in Landshut auch aus der vorsichtigen Distanz, die ich einhielt, ein paar Ausrüstungsgegenstände abgestaubt. Als ich sechs, sieben war, stand ich mit den anderen dort, wo die Spieler aufs und vom Eis gehen. Wir bettelten um Schläger, die damals noch aus Holz und nicht wie heute aus Carbon und noch viel weniger wert waren. Die Profis haben sich auch gefreut, wenn wir Interesse an ihnen zeigten. Vor Ehrfurcht habe ich mich aber nicht mal getraut, den erbeuteten Schläger, der für mich natürlich viel zu lang war, zuhause abzusägen. Ich habe ihn einfach nur hingestellt und behandelt wie eine Reliquie. Bis ich bei den Mitspielern im Nachwuchs beobachten konnte, dass sie mit diesen Schlägern, nachdem sie sie verkürzt hatten, auch spielten.
Unsere Nachwuchskabine war nicht weit weg von der Kabine der ersten Mannschaft und von deren Massageraum. Da war eine Holztür, sie stand nach dem Training meist offen. Wir standen dort und haben reingeschaut, konnten alles hören und haben versucht, so viel von diesem geheimnisvollen Raum, den wir nicht betreten durften, mitzubekommen. Irgendwann kam dann jemand und machte die Tür zu, weil die Erwachsenen halt auch mal was bereden wollten, was wahrscheinlich nicht ganz jugendfrei war.
Es war ein Vorteil des heimeligen EV Landshut, der damaligen Zeit und des Eishockeys insgesamt, dass Nähe zugelassen wurde. Wir hatten nie das Gefühl, dass wir die Landshuter Koryphäen nerven würden. Die sind nicht einfach achtlos an uns vorbeigegangen, sondern haben uns einen Klaps auf den Kopf gegeben oder die Mütze ins Gesicht gezogen. Sie wussten: Auch diese Kleinen sind Eishockeyspieler.
Nahbarkeit wird auch in der NHL gepflegt. Ganze Schulklassen dürfen beim Training dabei sein und Fotos machen. Wenn ein NHL-Star einem Kind seinen Schläger in die Hand drückt, hat das nichts Inszeniertes.
Ob ich selbst jemals ein Idol für andere war? Ich weiß es nicht. Es gab Leute, die einen Schläger oder irgendwas von mir wollten. Doch ist man dadurch schon einer, an dem junge Spieler sich orientieren, dessen Verhalten sie analysieren, um für sich einen Mehrwert, eine Inspiration zu gewinnen?
Eine lustige Geschichte dazu: Mit mir spielte Christoph Gawlik in der Nationalmannschaft, er ist elf Jahre jünger als ich. Vor einem seiner ersten Länderspiele saßen wir zusammen, da fragte er: „Goldi, weißt du noch, wie du damals mit der Nationalmannschaft in Deggendorf gespielt hast?“ Ich war verwundert, ich konnte mir einzelne Spiele und wo sie gewesen waren, nicht merken. Ja, in Degendorf mag ich mal ein Länderspiel gehabt haben. Gawlik fragte: „Und weißt du noch, wie ihr mit Kindern eingelaufen seid? Jeder Spieler hat ein Kind an die Hand gekriegt. Ich war dein Kind.“ Alle am Tisch lachten. Und ich wusste, dass ich alt geworden war.
Es war ein Moment, in dem ich feststellte: Egal, welche Rolle man in der Nationalmannschaft spielt, man schaut zu dir auf. Doch ich denke, man nimmt das selbst nicht so wahr oder denkt darüber nach, ob man nun ein Idol ist oder nicht.
Was ich allerdings festgestellt habe, ist das veränderte Interesse der Kinder. Es richtet sich im Eishockey inzwischen vorrangig auf die NHL. Ein Moritz Seider, der 2018/19 als 17-Jähriger seine erste DEL-Saison bei den Adlern Mannheim spielte, mit 18 seine erste WM hinter sich brachte und Ende Juni in der ersten Draft-Runde an sechster Position von den Detroit Red Wings gezogen wurde, erzählte mir: Unter den Zehn- bis Zwölfjährigen seiner Generation war das große Thema in der Kabine die NHL.
Mich hat mehr die Nationalmannschaft fasziniert. Mich hat die Aussicht angetrieben, bei einer WM mal gegen die Russen spielen zu können, für die ich früher aufgeblieben war, um sie im Fernsehen spielen zu sehen. Bei der Weltmeisterschaft maßen sich die Großen untereinander. Mein Bestreben war es, in Deutschland in die Position zu kommen, das auch tun zu können. Es ging nicht darum, genauso zu sein wie jemand anderer, sondern auf die Spieler zu achten, die etwas besonders gut können.
Als ich im Eishockey aufwuchs, waren die russischen Stars das Nonplusultra. Man sah sie eben jedes Jahr bei der Weltmeisterschaft. Heute ist das Eishockeyangebot viel breiter geworden, die NHL ist jetzt verfügbar. Ein Connor McDavid, der die Sportart mit seiner Geschwindigkeit neu erfunden hat, ein Leon Draisaitl, der als Deutscher drüben groß herausgekommen ist, sind omnipräsent. Ihre Leistungen können ganz anders in Szene gesetzt werden, als es vor 30 Jahren der Fall war. Die Klubs selbst clippen die Tore auf ihren Social-Media-Kanälen, feiern die Treffer mit vorbereitetem Material und bauen so einen Starkult auf. So wird der Spieler, der seinen Klub trug und in seiner Stadt eine Berühmtheit war, zum Weltstar erhoben.
Ein Jugendlicher, der sich für Eishockey interessiert, der Eishockey spielt, kann sich nun aussuchen, was er cool findet: den grandiosen Torhüter, den Torjäger, den umsichtigen Passgeber, auch den harten Arbeiter. Klar, dass Kinder sich ihre Vorbilder in der NHL suchen.
Man mag einwenden, dass der größte Star, den das Eishockey je hatte, einer von früher war. Alle kannten ihn: Wayne Gretzky, The Great One. Bei der WM tauchte er nur einmal auf, 1982 als ganz junger Spieler. Mit Kanada gewann er Bronze und wurde zum Topscorer des Turniers. Seinen Mythos begründete er durch seine Leistungen in der NHL, vor allem mit den Edmonton Oilers. Er punktete ohne Ende. Die Zahlen und die Geschichten, die sich um ihn rankten, sorgten für die Magie. Auch die Aussagen von denen, die ihn hatten spielen sehen und behaupteten, Gretzky wisse früher als seine Gegner, was die als Nächstes machen würden. Doch es war damals unmöglich, aussagekräftiges Bildmaterial über ihn aufzutreiben, es sei denn, es schwappten ein paar Highlight-Videos rüber. Heute hingegen: Schießt Alexander Ovechkin, einer der aktuellen Superstars, ein Tor, kann man es ein paar Minuten später überall auf der Welt abrufen. Wir wissen, dass Ovechkin über seinen mächtigen und präzisen Schuss kommt, Connor McDavid über sein Tempo, Patrick Kane über die Kunst seiner Hände, mit dem Stock umzugehen. Wir haben tiefere Detailkenntnis. Über Gretzky hieß es noch: Er kann alles.
Wayne Gretzky, geboren 1961, ist in Nordamerika übrigens nicht mehr so präsent, weil viele aufregende Spieler nachgekommen sind, die das Eishockey in eine andere Richtung zogen, es schneller und athletischer machten, es technisch auf ein neues Niveau hoben. Gretzky ist also nicht mehr die Leitfigur, was das Spielerische betrifft, darin haben ihn andere abgelöst. Aber er bleibt natürlich ein Held und der Name unserer Sportart.
Vielleicht ist „Held“ ein guter Alternativbegriff zu „Vorbild“. Helden waren in Deutschland lange die Nationalspieler der Generation Kühnhackl/Schloder, die 1976 die olympische Bronzemedaille gewannen. Heldengeschichten hört man auch gerne. Doch daraus sollte immer auch eine neue Generation Helden entstehen. In Deutschland hatten wir halt eine lange Zeit, in der das nicht geschah, das Spiel sich aber massiv veränderte. Umso glücklicher können wir darüber sein, dass es diese Olympiamannschaft von 2018 und ihren Silber-Erfolg gab. Das wird für neuen Nachschub an Spielern sorgen.
Fünf Fragen an Leon Draisaitl, deutscher NHL-Star
Was ist auf dem Eis der größte Unterschied zwischen NHL und Europa?
Dass die Eisfläche in Nordamerika kleiner und das Spiel dadurch automatisch ein bisschen schneller und aggressiver ist.
Was ist die wichtigste Fähigkeit, die man benötigt, um sich in der NHL durchzubeißen?
Der Wille, sich jeden Tag mit den Besten zu messen. In der NHL laufen die Topspieler der Welt auf, deshalb will man es dort nach ganz oben schaffen.
Was ist der Schlüssel zu 50 Toren in einer Saison?
Ich habe viel an meinem Abschluss gearbeitet, um effektiver und unberechenbarer zu werden. Natürlich braucht man dazu auch Mitspieler, die einen in Szene setzen können.
In der DEL sind sich Spieler und Fans relativ nahe. Welche Distanz herrscht in der NHL?
Es ist, glaube ich, relativ ähnlich. Wir versuchen natürlich auch, die Nähe der Fans zu suchen.
Hättest Du, seit Du drüben bist, den jeweiligen Stanley-Cup-Sieger von Saison oder Play-offs richtig getippt? Oder hättest Du Dich, wie andere Experten auch, getäuscht?
Man kann es vor der Saison wirklich nie sagen, weil es so viele gute Mannschaften gibt. Die NHL ist jedes Jahr aufs Neue eine Wundertüte.