Читать книгу Eiszeit! Warum Eishockey der geilste Sport der Welt ist - Günther Klein - Страница 9
ОглавлениеES WOGT HIN UND HER – FASZINIEREND!
Eishockey ist ein Gefühl, das man sehr früh spürt. Es berührt dich tief, weckt deinen Spieltrieb, wenn du ein Kind bist. Was auf dem Eis passiert, das alleine ist schon faszinierend. Dazu ist es ein Mannschaftssportart, du bist nie allein. Wie in der Schulklasse – nur dass alle cooler sind und das gleiche Hobby haben.
Die Sportart biete unendlich viele Möglichkeiten, sich zu verbessern. Oder wissenschaftlicher ausgedrückt: So viele Metaebenen von Herausforderungen. Du hast einen Puck, mit dem musst du gut umgehen, dafür brauchst du eine saubere Technik. Du musst gut passen können und sauber schießen. Und Schuss bedeutet nicht einfach nur draufzuhauen. Es gibt den Schlagschuss, den Handgelenksschuss, den Rückhandschuss. Dann gibt es den Zweikampf, den Check, die Schlittschuhlauftechnik: vorwärts und rückwärts fahren, übersetzen in beide Richtungen, links herum, rechts herum. Du brauchst Wendigkeit für dieses Spiel in mehreren Dimensionen.
Die Scheibe zu haben, sie zu bewegen, möglichst kreativ, das ist der Spieltrieb, der am Anfang von allem steht. Als Kind bist du aufmerksam und schaust, was die anderen machen. Das bleibt deine ganze Karriere lang so, wenn du auf einem großen Turnier auf einen Superstar triffst, der eine höhere Schnelligkeit und einen viel härteren Schuss hat. Du bewunderst das, studierst es aber auch und überlegst: Was mache ich dagegen?
Das beschäftigt dich, weil es deinen Spieltrieb herausfordert. Wenn du als Profi irgendwann feststellst, dass du nicht mehr zum Eishockeyspielen, sondern zum Eishockeyarbeiten gehst, ist es aus. So habe ich auch aufgehört. Ich kenne keinen Eishockeyprofi, der das, was er tut, als Beruf wahrnimmt. Sondern als Berufung.
Du musst viele Sachen machen, die unangenehm sind. Du musst Selbstdisziplin haben, auf vieles verzichten in deinem Leben. Du hast kein Wochenende und musst nach der Eishockeykarriere erst einmal sozialkompatibel werden. Dein freier Tag war bis dahin dein Leben lang der Montag – wie bei den Friseuren. Du musst danach in einem normalen Leben auch aufhören, dich immer zu battlen, den Wettkampf zu suchen. Es ist auch ein mentales Abtrainieren. Eigentlich solltest du als Profisportler eine psychologische Betreuung bekommen, wenn dieser Lebensabschnitt vorbei ist, so groß ist die Umstellung.
Eishockey ist ein Virus, der in dir drin ist. Die Fans empfinden es ähnlich. Das ist eine schöne Parallele zu uns Spielern. Die, die einmal richtige Fans des Eishockeys waren, werden es ein Leben lang bleiben. Für sie ist es die geilste Sportart der Welt.
Klar, viele Sportarten nehmen das für sich in Anspruch. Aber Eishockey hat etwas Spezielles. Diese Dynamik, die es liefert, diese Komplexität, die es erfordert. Man darf ja nicht vergessen: Du stehst auf Millimeter dünnen Kufen, den Schläger in der Hand, es kommt einer mit gefühlt 40 Stundenkilometer auf dich zu, will dich in die Bande rammen, du musst dich aber gleichzeitig bewegen, die Scheibe abschirmen, einen Spielzug einleiten und dich nicht verletzen. Das alles zusammenzubringen, ist schon anspruchsvoll.
Des Weiteren hat Eishockey auch noch diese Wechsel – nicht nur bei Spielunterbrechungen, sondern meistens fliegend. Hat das Spiel einmal seinen Fluss, bleibt die Geschwindigkeit gleich hoch. Es ist nicht wie im Fußball, wo ein Spieler mal eben stehen bleibt und durchatmen kann, weil er gerade gesprintet ist. Der Eishockeyspieler setzt sich zum Durchatmen auf die Bank, und es kommt einer rein, der wieder frisch ist. Dass auf höchstem Tempo-Niveau ständig was passiert, hat eigentlich keine andere Sportart. In 15 Sekunden kann man beim Eishockey drei Torchancen erleben, abwechselnd auf beiden Seiten des Spielfelds. Im Fußball wird man das nicht erleben.
Unser Spiel wogt hin und her, das ist eine weitere Facette der Faszination. Wie schnell sich im Eishockey etwas ändern kann! Von außen kannst du spüren, fast riechen, ja mit allen Sinnen wahrnehmen, wie ein Tor Schwung in eine Mannschaft bringt. Als Spieler selbst kriegst du es gar nicht mit, aber als Zuschauer merkst du: Da geschieht gerade etwas.
Schließlich die Play-offs. Es ist eben nicht vorbei nach 52 Spieltagen der Hauptrunde. Es geht weiter, zwei Teams im Dauerduell, bis zu sieben Spiele pro Runde. Bisweilen mit Verlängerung. Wir hatten schon Spiele, die so lange dauerten, dass im Stadion die Essensvorräte ausgingen und die Betreuer an den Nachttankstellen der Umgebung Energieriegel auftreiben mussten. Diese Sportart setzt immer noch einen drauf.
Nochmals der Querverweis zum Fußball: Dort sind die geilsten Spiele die in der K.-o.-Phase der Champions League oder der Weltmeisterschaft. Bei uns im Eishockey hat man sie jedes Jahr im Ligabetrieb. Wo die Dramatik zu fassen ist, die Emotionen rauskommen und du spürst, dass was passiert.
Ein turning point kann eine ganze Serie verändern. Der Wendepunkt kann ein Wechsel sein, ein Fight, ein Schuss, ein Torwart-Save, eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters, ein überstandenes Unterzahlspiel, eine Unterbrechung, weil eine Plexiglasscheibe kaputtgeht. Und du weißt: Auch wenn Zeit von der Uhr runter geht, ist es immer noch machbar, ein Spiel zu drehen.
Als Spieler darfst du dir nie die Frage stellen, ob du noch an eine Wende glaubst. Das wäre die eine Frage zu viel. Klar, es gibt Spiele, irgendwelche Nullzudreis, wo sich eine Mannschaft nicht eintragen kann an der Tafel, wo einfach das Schussglück fehlt. Du machst alles richtig, nur geht der Puck nicht rein oder der Torwart des Gegners holt ihn raus, wie es ihm kein zweites Mal im Leben gelingen wird. Als Trainer würde ich trotzdem meinen Torwart vom Eis nehmen und dafür einen Feldspieler draufschicken, um der Mannschaft einen Anstoß zu geben: Mit fünf gegen fünf haben wir heute kein Tor gemacht, aber in Überzahl, zu sechst, wird es uns gelingen. Klare Botschaft: Ich glaube an euch, Jungs!
Willst du der Mannschaft die Einstellung vermitteln, dass du spielst, um zu siegen und nicht, um zu verlieren, musst du ihr auch bei einem Rückstand ein paar Minuten vor Schluss immer das Gefühl geben, noch etwas machen zu wollen. Du brauchst diese Einstellung im Team und dass die Spieler sie vorleben, nur so wirst du auch das nächste Match drehen können.
Es gibt zur Genüge diese Fälle, dass eine Mannschaft den Torhüter zieht und noch zum Ausgleich kommt. Wenn du bei diesem Versuch zwei Treffer ins leere Netz bekommst – zwei Empty-Net-Goals, so der Fachbegriff – macht das nichts, die ziehst du als Spieler im Kopf ab. Die Sportart gibt dir eine Chance, warum soll man sich ihrer berauben? In der Regel wird der Trainer nicht auf die Eventualität achten, dass das Torverhältnis seinem Team in einer Endabrechnung nach 52 Spielen einmal schaden könnte. Du willst eine Mannschaft nicht dazu bringen, dass sie spekuliert und zu viel nachdenkt, sondern glaubt und handelt.
Was die Faszination Eishockey noch verstärkt, ist die Stimmung in der Halle. Und auch wenn unser Sport mittlerweile vielerorts in Multifunktionsarenen gespielt wird, die nichts mehr zu tun haben mit den alten Eishallen, in denen wir Spieler großgeworden sind – sogar in der NHL sind die Zuschauer immer noch ganz nah dran. Man kann in der ersten Reihe sitzen, direkt hinter der Plexiglasscheibe, man muss sogar die Knie einziehen und aufpassen, dass man keinen Schlag auf den Kopf bekommt, wenn zwei Spieler in die Bande krachen und sie – bei den neuen Modellen der „Flexi-Bande“ ist es möglich – zum Schwingen bringen.
Die Hallen sind niedrig, es hallt mehr als in einem Fußballstadion. Ich kann das tatsächlich vergleichen, denn bei der Weltmeisterschaft 2010 in Deutschland wurde das Eröffnungsmatch vor fast 80.000 Zuschauern in der Fußballarena auf Schalke ausgetragen. Ich durfte im Rahmenprogramm bei einem Alt-Herren-Spiel mitmachen, da klangen die „Deutschland“-Rufe zwar gewaltig, kamen aber mit Verzögerung bei uns auf dem Eis an. In der Eishockeyarena ist es viel direkter, manchmal registriert man sogar einen einzelnen Zuruf.
Nimmt man jemanden das erste Mal zum Eishockey mit, sagt jeder nach zehn Minuten: Was ist denn hier alles los? Zehn Spieler rennen in alle Richtungen, der Puck ist unheimlich schnell unterwegs, es passiert andauernd was. Ein Check, ein Pass, ein Schuss, ein Foul, ein Tor. Und das alles bei guter Stimmung. Ohne Hass. Grundsätzlich herrscht Fairness. Der verletzte Spieler der gegnerischen Mannschaft wird beklatscht, wenn er wieder aufsteht. Es ist Fairness, die der Sport lehrt – trotz seiner Härte. Egal, was in den sechzig oder manchmal mehr Minuten war – man schaut sich in die Augen und reicht sich beim Shakehands die Hand. Diese Haltung überträgt sich auch die Fans. Wir haben kein Gewaltproblem wie der Fußball. In unseren Stadien sieht man immer, dass Fans in unterschiedlichen Vereinsfarben zusammenstehen, ein Bier trinken, sich unterhalten. Diese Stimmung ist großartig, und dafür liebe ich die Eishockeyfans.
Die Regeln des Spiels sind nicht leicht zu durchschauen, das räume ich ein. Neulinge will ich nicht mit den Statuten überfrachten, daher erkläre ich ihnen nur das Abseits und dass man nicht den Puck von vor der roten Linie bis ganz vorne durchschießen kann. Und dass logischerweise Hauen mit dem Schläger, Spucken, Beißen, Kratzen oder Beinstellen verboten ist.
Was die meisten Zuschauer viel mehr beschäftigt als Regel-Detailfragen, ist das Vorgehen beim Wechsel der Spieler. Das werde ich oft gefragt: Woher wissen die Spieler, wann sie aufs Eis müssen und für wen. Und wie lange sie auf dem Eis bleiben.
Manchen erscheint die Zeit, die ein Spieler für einen Wechsel auf dem Eis ist, – „Shift“ lautet der Fachbegriff aus Nordamerika – sehr kurz. Ist sie auch. Doch man kann sicher sein, sie sorgt für hundertprozentige Auslastung. Länger als 30, 40 Sekunden kannst du gar nicht Vollgas geben, danach musst du runter und dich erholen.
Von oben mag es aussehen, dass während ihres Einsatzes alle Spieler durch die Gegend wuseln und keiner wissen würde, was er macht – doch ich kann versichern: Allen Wegen liegt ein Plan zugrunde. Eine Logik. Und der Wechsel ist das einfachste. Jeder weiß über den anderen im Team, was für eine Position der spielt und in welche Reihe er eingeteilt ist. Kommt ein linker Verteidiger der Bande also näher, ist dem nächsten linken Verteidiger bewusst, dass er gleich drankommt. Die Spieler nehmen Augenkontakt auf, und wenn der eine in die Wechselzone kommt, springt der andere über die Bande. Das ist nicht so kompliziert. Und der Trainer, der hinten dran ist, sagt die Reihen auch an, damit nicht so viele Fehler passieren.
Es ist ein besonderes Spiel, betrieben von besonderen Sportlern.
Fünf Fragen an Marc Hindelang, Vizepräsident des Deutschen Eishockey-Bundes
Warum entscheidet man sich, ehrenamtlich bei einem Oberligaklub, bei einem Landeseissportverband und dem DEB zu arbeiten?
Die Präsidentschaft in Lindau ist aus alter Verbundenheit zu meinem Heimatklub zustande gekommen. Automatisch hat man in dieser Funktion mit den Verbänden zu tun, gleichzeitig habe ich als Kommentator der Länderspiele Schnittmengen zum DEB gehabt. Es gab an den Strukturen sicher einiges zu kritisieren. Aber wenn man schon die Innen- und Außenansicht auf mehreren Ebenen hat, sollte man sich auch einbringen.
Was ist das Reizvolle am Eishockey unterhalb der Profiligen?
Es ist die Wurzel. Es hat etwas Urtümliches. Klar ist auch, wo Kommerzialität abwesend ist, fehlt Professionalität. Aber Respekt vor allen, die sich dem Eishockey hingeben
In den untersten Klassen gibt es oft keine verbindliche Ausländerregelung, nur Gentlemen’s Agreements. Was tun, wenn nicht alle Gentlemen sich an die Vereinbarungen halten?
Das sind keine Gentlemen, sondern Egoisten, die ihr Wohl über das der Gemeinschaft der Vereine stellen. Man muss versuchen, die Hürden so hoch zu machen, dass sie nicht nach oben kommen, sondern die im Vorteil sind, die auf den eigenen Nachwuchs setzen.
In welchen Regionen muss Eishockey in der Breite zulegen?
Vor allem im Norden und gerne auch im Osten, wo die Vereine und Verbände aber tapfer kämpfen – schließlich wurden hier jahrzehntelang Strukturen vernachlässigt. Gemessen an der Größe des Bundeslandes müsste auch in Baden-Württemberg mehr passieren.
Wäre Nachwuchseishockey ohne ehrenamtliche Beteiligung überhaupt machbar?
Natürlich nicht. Ehrenamtler sind das Rückgrat unseres Sports – und da schließe ich die Eltern mit ein. Ohne ihr Engagement wären viele unserer Jungs ja gar nicht da, wo sie jetzt sind.