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Vorwort zur Neuausgabe 2021

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Kaum eine Branche hat die Irrtümer heutiger Ökonomie so sehr verinnerlicht wie das Bauwesen. Kaum eine trägt deshalb so viel zur Zerstörung von Natur, Landschaft und Klima bei. Wie kommt das?

Alle Evolution hat mit der Zeit stets immer höhere Vielfalt geschaffen: Die Naturevolution schuf in Jahrmilliarden aus der ursprünglich toten Materie unseres Planeten die Wunder des Lebens, die Vielfalt der Arten und Landschaften, der Klimazonen und Wetterereignisse, die grandiose Einmaligkeit unseres Planeten im Sonnensystem, die unfassbare Unendlichkeit der Milliarden Galaxien und des Alls. Die Kulturevolution schuf dann in Jahrzehntausenden die Wunder der Erkenntnisse, der Sprachen, der Musik, der bildenden Künste und der Architektur. Selbst vorübergehende erd- und kulturgeschichtliche Rückschläge mündeten letzten Endes immer in einer Erhöhung der Vielfalt. Dieser Entwicklung wurde vor 200 Jahren ein jähes Ende gesetzt: Mit der Industrialisierung wurde zwar einerseits der Umfang der gedanklichen, technischen und zivilisatorischen Möglichkeiten explosionsartig erhöht. Gleichzeitig wurde aber der Grundstein für eine Katastrophe gelegt: durch den Zugriff auf die fossilen Energien verließ unsere Erde zum ersten Mal in ihrer Geschichte das sogenannte »Sonnenlimit«: in 200 Jahren wurden energetische Potentiale verbraucht, die die Natur in hunderten von Millionen Jahren aufgebaut hatte. Jetzt wurden plötzlich genau die Rücklagen verbraucht, die notwendig gewesen wären, um den bisherigen Aufbau von Vielfalt fortzusetzen. Ohne den Kohlenstoff, der unverbrauchbar in Jahrmillionen in Graphit und Gestein gespeichert wurde, hätten wir uns längst klimatisch ins Vorkarbon zurück katapultiert.

Durch den Zugriff auf die fossilen Brennstoffe war Entwicklung von nun an immer ein Spiel zwischen Evolution und Gegenevolution: Alle Materie und Energie, die nicht durch Sonnenenergie und ihre Ableger Wasser-, Wind- und Körperkraft bewegt wurde, landete in ewiger, unumkehrbarer Vermischung und Unverfügbarkeit, in Abfall und Müll. »Entropie« nannte der Physiker Clausius vor 150 Jahren diesen Vorgang. Die Ökonomie hat diese physikalische Dramatik bis heute nicht richtig erkannt und nennt sie stolz »Globalisierung«. Auf diese Weise haben wir heute eine Globalisierung der Wirtschaft und eine Nationalisierung und Regionalisierung der Politik, den ewigen, Weltkriege zeugenden Wettbewerb von sogenannten »Großmächten«. Wir brauchten aber das genaue Gegenteil: eine Regionalisierung der Wirtschaft und eine demokratisch organisierte Weltverfassung und -regierung.

Der für Globus, Klima und Bauen katastrophalste Trick der Ökonomen besteht darin, nicht das Wachstum des Produktbestands und damit des Wohlstands als »Wachstum« zu definieren, sondern vielmehr das Wachstum der Produktion. Ein Beispiel aus dem Städtebau: Wenn die Bauproduktion einer Stadt von 100 000 Einwohnern jährlich 4000 Wohnungen beträgt, also gleich bleibt und nicht wächst, nennen die Ökonomen das »Nullwachstum«. Dieser Begriff ist grob irreführend: Denn der Wohnungsbestand der Stadt wächst ja dramatisch weiter, nämlich um 4000 Wohnungen oder 4 % pro Jahr. Nach 25 Jahren hat er sich verdoppelt. Von »Wachstum« sprechen die Ökonomen dagegen erst, wenn nicht nur der Bestand jedes Jahr um 4 % wächst, sondern die Wohnungsproduktion. Dann wächst der Bestand aber bereits »exponentiell«, d. h. nach 25 Jahren auf 267 000 Wohnungen, nach 50 Jahren auf 711 000 und nach hundert Jahren auf 1,896 Millionen. Kein Wunder, wie unsere Landschaften dann aussehen. Auch die gebetsmühlenhafte Behauptung, Wohlstand steige nur bei Wachstum, verfängt also nicht. In Entwicklungsländern mit geringer Produktion ist Produktionswachstum sicher erforderlich. Kein Ökonom hat aber bisher überzeugend erklären können, weshalb in wohlhabenden, hochindustrialisierten Ländern jedes Jahr mehr produziert werden muss als im Vorjahr, um den Wohlstand zu erhalten. Warum der Globus unbedingt mit exponentiell gesteigertem Tempo zerstört werden muss, und nicht bloß mit linearem.

Diese aberwitzige Denkweise der Ökonomen hat fatale Konsequenzen: Es wird nur auf den Anstieg von BIP und Arbeit geschaut und kein Unterschied mehr gemacht zwischen nützlich und schädlich: Alle Fehlentwicklungen wie Krankheiten, Unfälle, Kriege und Naturkatastrophen gehen positiv in das BIP ein und »schaffen Arbeitsplätze«. Das System hält sich durch seine Fehler für unsterblich, obwohl sein Ende unausweichlich ist. Je mehr Arbeit von Maschinen, Computern und Robotern übernommen wird, desto mehr Ersatzbeschäftigung muss stets neu erfunden werden. Diese Koppelung der materiellen Existenz an die Voraussetzung Arbeit, auch an vermeidbare, ist die eigentliche Hauptursache für die Zerstörung von Globus und Klima. Solche vermeidbare und schädliche Arbeit bringt in der Regel sogar mehr Beschäftigung und Profit als dringend notwendige wie Bildung, Pflege, Instandhaltung, Reparatur und Wiederverwendung.

In einer realistischen Ökonomie würde Einsparung normalerweise bedeuten: mehr Rücklagen, mehr Wohlstand, mehr Schonung von Umwelt und Klima. Genau das verhindert aber die heutige Ökonomie hochindustrialisierter Länder, indem sie die materielle Existenz großer Teile der Bevölkerung weiterhin von der Voraussetzung »vermeidbare Arbeit« abhängig macht, wie das Beispiel Bauwirtschaft zeigt: Die Weiterentwicklung wird nicht in planerischer Intelligenz gesucht, nicht in energiegünstiger Kompaktheit, richtiger Himmelsrichtung und entsprechender Mischnutzung, nicht in passiver Solarnutzung, richtigem Sonnenschutz, gedämmten Klappläden für die überwiegende Dunkelheit in kalten Jahreszeiten, nicht in Veränderbarkeit durch Trockenmontage und -demontage, Wiederverwendbarkeit, Mehrfachnutzung oder wenigstens Recycelbarkeit der Teile, nicht in kurzen Wegen, Transportminimierung und damit Regionalisierung. Denn das würde ja alles Einsparung von Arbeit und Profit bedeuten. Die Entwicklung wird vielmehr gesucht im Wachstum der Produktion: in Schaumstoffen, untrennbaren Sandwichverklebungen, in unnötigen Transporten von indischem Marmor für das Bundeskanzleramt in Berlin und rotem schwedischem Sandstein für Bottas Museum in Dortmund, in Wegwerfproduktion, Abriss und Bauschutt. Selbst der Stadtraum wird vom sozialen Begegnungs- und Erlebnisraum zum bloßen Immobilienabfall, zu Müll. Denn das schafft Maximierung von Produktion, Maximierung von Aufwand, Entsorgung, Transport und damit von Arbeit und Profit.

Die falsche Definition von Wachstum ist der Ausgangspunkt der heutigen falschen Ökonomie. Die beharrliche Koppelung des Lebensunterhalts an falsche Arbeit und der daraus folgende ständige Zwang zu deren Beschaffung ist aber für die bereits heute in vollem Gang befindliche Klimakatastrophe bei weitem ausschlaggebender. Besonders zynisch: auch die durch vermeidbare Arbeit verursachten Dürre-, Flut- und Vermüllungs-Katastrophen schaffen wiederum neue Arbeit, die letztlich vermeidbar gewesen wäre. Das System ist »self-fulfilling«.

Günther Moewes, 8. Juli 2021

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