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EINE KÜCHE WANDELT IHR GESICHT. VERÄNDERUNGEN IM LAUF DER GESCHICHTE

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Im Lauf der Geschichte Roms hat sich das Bild, das seine Küche bot, wiederholt sehr verändert.8 Am Anfang hatte ein sehr einfacher, bäuerlicher Lebensunterhalt gestanden, auf den die Moralisten späterer Zeit nostalgisch zurückblickten. So schrieb Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.): „Unsere Groß- und Ururgroßväter, die nach Knoblauch und Zwiebel rochen, verströmten doch noch den Hauch der besten Gesinnung.“ Was diese ältesten Römer mit Knoblauch und Zwiebeln würzten, war ihr täglicher Getreidebrei, die puls. Dazu wurde Gemüse, wie beispielsweise Kohl, Bohnen oder der Grüne Fuchsschwanz (Amaranthus blitum = A. lividus) gegessen, den man nach Art unseres Spinats zubereitete. Fleisch, und das heißt vor allem: Schweinefleisch, war dagegen eher für Festtage reserviert; und Brot gab es anfangs noch gar nicht.9

Als aber Rom über die engen Grenzen seiner Anfänge hinauswuchs und mit Griechen und Karthagern in Kontakt kam, drangen Eigenheiten fremder Küchen in die römische ein. Griechische und karthagische Lebensmittel und Rezepte wurden übernommen; der Speisezettel wurde reicher. Dieser fremde Einfluss führte auch dazu, dass man um 200 v. Chr. – wie der römische Historiker Livius später schrieb – damit anfing, „die Mahlzeiten mit größerer Sorgfalt und größerem Aufwand zuzubereiten. Damals begann der Koch etwas zu gelten, der bei den Alten als der wertloseste Sklave betrachtet und behandelt worden war; und was zuvor eine Dienstleistung dargestellt hatte, das begann man für eine Kunst zu halten“ (Livius 39, 6, 9).10

Was aus dieser kulinarischen Revolution hervorging, waren zwei Veränderungen: die Entstehung einer neuen römischen Ernährungsweise; und zugleich die Geburt der moralistischen römischen Küchenkritik. Deren erster bekannter Vertreter war der Ältere Cato (234–149 v. Chr.), der seinen Zeitgenossen „große Sorge ums Essen, aber große Unbesorgtheit um Tüchtigkeit“ bescheinigte (Cato, Fragm. 264 Schönberger). Doch der Gang der Entwicklung ließ sich weder durch Kritik noch durch staatliche Maßnahmen zur Eindämmung des Luxus aufhalten. Diese und die folgenden Jahrzehnte waren eine Zeit, in der sich in Roms führenden Schichten der Individualismus, das Prestigebedürfnis und das Konkurrenzdenken ausbreiteten. Das musste die Nachfrage nach den Gütern und Leistungen einer gehobenen Küche verstärken; und dadurch wurde Unternehmergeist geweckt, der die Qualität des kulinarischen Angebots erweiterte. Zum Beispiel begründete Licinius Crassus Murena um das Jahr 100 v. Chr. die Mode, edle Speisefische in Salzwasserbassins zu halten; und Sergius Orata legte um die gleiche Zeit einen Austernpark an. Nachdem Hortensius auch das Essen von Pfauen in Mode gebracht hatte, begann Aufidius Lurco um das Jahr 67 mit der Pfauen-Mast; Fulvius Lippinus führte um 50 die Schneckenmast ein; und etwa gleichzeitig wurde das Verfahren der Feigenmast bei Gänsen üblich.11


Abb. 5 Seite aus einer der beiden ältesten Handschriften des sogenannten Apiciuskochbuchs: aus der Handschrift „E“, 9. Jh. Zu lesen ist darauf ein Rezept für conditum paradoxum = „wunderbaren Würzwein“ (Rez. 1 André). New York Academy of Medicine.


Abb. 6 Herd und Backrohr in der Küche der Mysterienvilla in Pompeji.

Überaus wichtig war auch, dass der Seehandel seit der zweiten Hälfte des 2. vorchristlichen Jhs. aus den Häfen der Levante exotische, fernöstliche Gewürze beschaffte. Nach der römischen Eroberung Ägyptens im Jahr 30 v. Chr. intensivierte sich dieser Handel noch erheblich. In Indien entstanden römische Handelskontore; und große Frachter brachten Pfeffer und andere Spezereien über den Indischen Ozean.12 In der gehobenen Küche der nun beginnenden römischen Kaiserzeit spielte der Pfeffer eine entscheidende Rolle.

Über keine andere antike Küche wissen wir so viel, wie gerade über die dieser Epoche: der Kaiserzeit. Dabei verdanken wir den wertvollsten Teil unseres Wissens einer einzelnen Quelle: einem kaiserzeitlichen Kochbuch (Abb. 5). Es ist nicht das einzige Kochbuch, das es im Altertum gab; auch nicht das älteste, das je geschrieben wurde. Es ist aber das älteste, von dem noch ein so großer Teil vorhanden blieb. Dass wir es besitzen, ist ein wahrer Glücksfall. Wir dürfen dabei nur nicht übersehen, dass auch außerhalb dieses Kochbuchs römische Rezepte erhalten sind. Sie finden sich in einer kleineren Rezeptsammlung, von der noch die Rede sein wird; aber auch zerstreut in einer großen Zahl eigentlich nicht-kulinarischer Werke, in denen man gar nicht mit ihnen rechnen würde; oder auch auf Papyri.13 Gleich im ältesten Prosawerk der lateinischen Literaturgeschichte, einem Buch des Älteren Cato über die Landwirtschaft, ist so eine Reihe von Rezepten für Mehl- und Süßspeisen enthalten, die Interessenten an römischer Küche an diesem für sie unerwarteten Ort oft nicht entdecken (Cato, De agri cultura 74–82, 84–86 und 121).

Doch zurück zum erhaltenen Kochbuch der Kaiserzeit! Es umfasst rund 500 Rezepte, die in schmucklosem Vulgärlatein – um nicht zu sagen: „Küchenlatein“ – geschrieben sind. Das Titelblatt des Werkes war leider schon in der frühesten Überlieferung verstümmelt. Sicher wissen wir nur, dass darauf der Name eines gewissen Apicius stand. Ob das aber geradezu im Sinn einer Verfasserangabe zu verstehen ist oder vielleicht eher im Sinn eines Titels (ähnlich dem unseres Sacher Kochbuchs): „Essen wie bei Apicius“, das lässt sich nicht mehr entscheiden.14

Wer war dieser Apicius? Hier warten schon neue Probleme auf uns. Aus der antiken Literatur kennen wir gleich drei prominente Feinschmecker, die diesen Namen trugen. Einer der drei lebte in der Zeit um 100 v. Chr.; einer in der ersten Hälfte des 1. nachchristlichen Jhs.; und der dritte im frühen 2. Jh. Der bekannteste von ihnen ist aber der des 1. Jhs. n. Chr.: Marcus Gavius Apicius. Nur von ihm wissen wir auch, dass er nicht nur ein zur Legende gewordener Genießer, sondern außerdem ein Küchenschriftsteller war.

Das Kochbuch mit den etwa 500 erhaltenen Rezepten und dem Namen des Apicius im Titel kann jedoch in Wahrheit – jedenfalls in der uns vorliegenden Form – weder von Marcus Gavius noch von einem seiner beiden uns bekannten Namensvettern geschrieben worden sein. Das zeigen sprachliche Kriterien, aber auch die Tatsache, dass manche Rezepte nach Kaisern erst späterer Jahrzehnte und Jahrhunderte benannt sind. Demnach ist das Buch erst lange nach dem Tod aller drei Persönlichkeiten, nämlich zwischen 350 und 450 n. Chr. (genauer: um 370/380?), entstanden. Der Name des Apicius muss also deshalb in den Titel gelangt sein, weil die Berufung auf den legendären Feinschmecker werbewirksam war und weil vielleicht ein Teil der Rezepte wirklich auf ihn zurückging.15 Eine ähnliche Entstehungsgeschichte mag auch noch eine zweite, aber nur schmale Sammlung von Kochrezepten haben, die ebenfalls aus der Spätantike stammt und die ihr Verfasser – ein gewisser Vinidarius – ausdrücklich als Apici excerpta, als Auszüge aus Apicius, bezeichnete.16


Abb. 7 Römisches Taschenbesteck nach Art unseres „Schweizer Offiziersmessers“. An einem silbernen Griff (Länge: 8,2 cm) ist verschiedenes ausklappbares Essbesteck befestigt. Von oben rechts nach unten links: Messer, Löffel/Gabel, Zahnstocher, Öffner für Weichtierschalen(?), Essspießchen. The Fitzwilliam Museum Cambridge.

Aus dieser Sachlage ergeben sich zwei Folgerungen. Die eine ist, dass wir nicht – wie bis heute allgemein üblich – davon sprechen sollten, das große noch vorhandene römische Kochbuch sei das Buch „des Apicius.“ Auch wenn das etwas umständlicher ist, kann korrekterweise doch nur vom „sogenannten“ Apiciuskochbuch die Rede sein. Die zweite Folgerung besteht dagegen in der Einsicht, dass wir das erhaltene Werk nicht, wie das fast ständig geschieht, als eine Quelle aus der Lebenszeit des Marcus Gavius Apicius im 1. nachchristlichen Jh. betrachten dürfen. Die einzelnen Rezepte sind zwar von sicher unterschiedlichem Alter; und einige mögen auch, wie erwähnt, auf Apicius selbst zurückgehen. Die Sammlung als ganze ist jedoch späterer Entstehung.

Nun darf man sich aber nicht täuschen. Auch wenn sich Tatsachen wissenschaftlich klar beweisen lassen und man sie laut bekannt gibt, heißt das noch lange nicht, dass falsche Ansichten, die im allgemeinen Publikum Wurzel gefasst haben, von der Bildfläche verschwinden. Bisher ist nicht zu beobachten, dass bei Erwähnungen des großen erhaltenen römischen Kochbuchs die nicht korrekte Autorenbezeichnung oder die falschen Angaben über das Alter der Rezepte seltener würden. Obwohl es Apicius heute wieder zu einer gewissen Prominenz gebracht hat – als Namenspatron für viele Restaurants, eine Kochschule, eine Zeitschrift, einen Lebensmittelladen und dergleichen mehr –, sind über ihn sonderbar falsche Angaben in Umlauf. Um nur das Beispiel des Programmhefts eines großen Archäologischen Parks für das Jahr 2017 herauszugreifen: dort ist zu lesen, dass ein Menü „nach Originalrezepten des Apicius aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.“ angeboten werde.17


Abb. 8 Römische Esszimmerszene. Der Herr rechts fordert die Dame auf, sich zuerst zu bedienen. Es gibt Geflügel; und gegessen wird mit der Hand. Die Sklavin links hält eine Serviette bereit. Grabstein aus Orolaunum-Arlon (Belgien), 2./3. Jh. Musée de La Cour d’Or, Metz.

Gewürze aus dem Alten Rom

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