Читать книгу Das Abenteuer einer Transformation - Gora Devi - Страница 7
Mutter Indien
ОглавлениеBombay, 7. März 72. Die Ankunft hier in Bombay ist zu viel. Ich würde am liebsten davonlaufen. Die miserablen Baracken neben dem Flughafen, die erdrückende Hitze, die wimmelnden Menschenmassen, der Schmutz im Hotel, die Hippies von Goa, Verrückte, Verzauberte. In der Straße unterhalb des Hotels Bettler, Aussätzige, die Kinder, die mich auslachten und mir "Hippy" nachriefen. Hare Krishna, Hare Ram. Ich fühle mich schrecklich plump mit meinen Röcken, meinen unordentlichen Haaren. Es ist wirklich eine andere Welt, ein unglaublicher, immenser Basar, ich habe Angst. Vor dem Hoteleingang ist ein Hippy mit blondem Bart, in schmutziges Weiß gekleidet. Auch vor ihm habe ich Angst. Ich fürchte, er könnte sich meines Geistes bemächtigen. Automatisch wiederhole ich das Mantra, das ich von Piero gelernt habe: "Hari sharanam, Shiva sharanam, Ram sharanam, Prabhu Krishna sharanam", ich nehme Zuflucht bei Shiva, Ram, Krishna...
Ich bemühe mich durchzuhalten. Es ist heiß. Alle rauchen Haschisch im Zimmer, stopfen sich mit heißem Tee, mit Milch und fetten Süßigkeiten voll, mir ist übel. Die Nahrung hier mag ich überhaupt nicht, Frittiertes, fettig, schwer, und die Restaurants sind schmutzig. Nur die großen Gläser mit Fruchtsaft stärken mich ein wenig, aber die Bettler dort nebenan, mit ausgestreckten Händen, machen dies wieder zunichte. Ich fürchte mich, allein auf die Straße zu gehen, Piero und Claudio nehmen mich mit. Gianni ist schon im Opium- und Morphiumrausch versunken.
Dieser Tage sah ich einen Schlangenbeschwörer. Was mich am meisten beeindruckt, sind die Augen der Armen und der Bettler, ironisch, wie Glückselige, fast alle mit einem Lächeln im Gesicht. Als wüssten die Leute hier, dass alles relativ ist und die Wirklichkeit eine Art Taschenspielertrick. Ich erinnere mich an die angespannten, harten und bleichen Gesichter der Menschen in Mailand, morgens in der Straßenbahn, ihre Traurigkeit und Kälte.
11. März 72. Heute habe ich eine Gruppe von wunderschönen Menschen kennengelernt. Junge Leute aus Kalifornien mit langen Haaren und Bärten, weiß gekleidet. Sie sind in Indien zu Hause. Selbstsicher. Ich treffe auch Lillo, eine Italienerin, eine kleine, magische Elfe, die mich lehrt, meine Gewohnheiten zu ändern und mich auch in Weiß zu kleiden. Ich begegne den "Rainbow Gipsys", den Regenbogen-Zigeunern. Sie kommen aus allen Ecken der Welt, ziehen auf gut Glück durch die Straßen, mit wenig Geld. Sie reisen herum, tanzend, lachend, sind wunderschön und finden immer irgendwen, der sie als Gast aufnimmt und ihnen hilft. Sie sind in Magie gehüllt und sie verzaubern mich.
Rosa, ein italienisches Mädchen, läuft mit nacktem Busen umher, mit einem Äffchen im Arm, das an ihrer Brust saugt - es geschieht ihr nichts. Von Daniel und Sitaram, den beiden Amerikanern, fühle ich mich angezogen und ich spüre, dass sie es seit langem wissen. Ich würde gerne wie sie werden, mutig, selbstsicher. Ich würde gerne das Wissen erreichen, von dem ich glaube, dass sie es haben. Ich entscheide, meine Haare mit Henna rot zu färben und mich auf einer Hand tätowieren zu lassen. Es scheint mir eine erste Geste von Mut zu sein.
12. März 72. Heute früh waren wir alle im Zimmer gesessen, da läutete es und Carlo kam herein. Sie nennen ihn heute Shanti. Sechs Jahre sind es, die ich ihn nicht mehr gesehen habe, und fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Er hat immer noch sein kindliches Lächeln, aber jetzt hat es sich mit etwas Altem, Weisem vermischt; er ist indisch gekleidet und das beeindruckt mich sehr. Er war einer der ersten, die vor einigen Jahren von Mailand weggingen, um Indien für sich zu entdecken. Damals war er 16 Jahre alt und hatte den Mut gehabt, praktisch ohne Geld, per Anhalter, zu Fuß, über Afghanistan und Pakistan aufzubrechen. Viele machten es so, und ich frage mich jetzt wieder, wie sie es schafften, zu überleben, bewundere ihr Vertrauen. Ich habe gehört, dass Shanti in diesen sechs Jahren mit vielen indischen Gurus zusammen gewesen sein soll und jetzt selbst Guru geworden sei. Er spricht in einer seltsamen Art, langsam und friedfertig.
Ich klammere mich sofort an ihn und fühle, dass er mich irgendwo hinführen wird.
1966 hatten wir zusammen gelebt, die erste Kommune-Erfahrung in Mailand gemacht, in einem alten und frostigen Dachboden im historischen Teil der Stadt. Er und die anderen Freunde waren unter den ersten "langhaarigen Hippies" jener Zeit, verspottet, beschimpft von den Leuten auf der Straße: "Bärtiger - geh' arbeiten!"
Ich hatte die ersten "Gedrehten" geraucht und die ersten Träume vom mystischen Orient geträumt, hatte ihn und Gianni in einem Restaurant von Brera getroffen und sie zum Abendessen eingeladen. Ab da begann ich mich mit ihnen zu treffen. Alles probierten wir aus, happenings mitten auf der Straße und in einer Kulturstätte, wir wurden auch eingesperrt. Gianni landete für eineinhalb Jahre im S. Vittore-Gefängnis, weil man ihn mit ein bisschen Haschisch erwischt hatte. Carlo ist per Anhalter nach Indien aufgebrochen. Auch ich löste mich von ihnen, begann mein Studium an der Universität und wendete mich 1968 der Politik zu.
Einige Jahre vergaß ich den indischen Traum, und jetzt ist es wohl gerade Shanti, vor dem ich mich schier unvermeidlich wiederfinde, und der mich neu daran glauben lässt. Er begann sofort, mich zu necken, weil ich mit zwei Buddhisten unterwegs bin, mit Claudio und Piero. Er polemisiert und sagt, dass der Hinduismus von großer, zeitloser Überlegenheit ist, aber ich würde das zur Zeit nicht begreifen. Ich spüre nur, dass Shanti für mich ein Rettungsanker ist. Piero und Claudio sind von ihrer Sache überzeugt, sie gehen darin auf, und ich erkenne, dass sie nicht dazu berufen sind, mich in ihren Bann zu ziehen. Noch habe ich kein Englisch gelernt und ich fühle mich richtig verloren. Dennoch entschließe ich mich aber, mit Piero und Claudio im Zentrum von Bombay an einem Meditationskurs teilzunehmen. Es handelt sich, erklären sie mir, um einen Vipassana Meditationskurs, der von dem Begründer selbst geleitet wird, von Goenka, einem großen, renommierten Meister. Auch Gianni entschließt sich, mit dem Morphium aufzuhören und teilzunehmen.
15. März 72. Heute beginnt der Kurs. Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Erfahrung mache, und ich bin aufgeregt. Alles ist sehr ordentlich, gut organisiert, sauber. Es ist eine Mischung von Menschen aus dem Westen und Indern; die Inder hier sind eigen, haben eine sehr gute Ausstrahlung, sind vorwiegend weiß gekleidet und sehr auf Disziplin bedacht.
Mir wird bewusst, dass sie jede Geste des täglichen Lebens wie ein Ritual vollziehen, vom Essen bis hin zum Baden. Es erschreckt mich auch ein bisschen, zum ersten Mal begegne ich einem Meister, einem Guru.
17. März 72. Seit zwei Tagen bin ich hier und gebe mir viel Mühe, es ist heiß. Wir stehen um fünf Uhr morgens auf, ich dusche mich und wir beginnen in der Stille zu meditieren. Wir müssen uns nur auf das Atmen konzentrieren, für mich ein schier unmögliches Unterfangen, auf dem Boden sitzen zu bleiben, mit verschränkten Beinen, aufzuhören zu denken. Trotzdem versuche ich es. Zu einem bestimmten Zeitpunkt morgens und nachmittags versammeln sich alle in einer großen Aula vor dem Meister.
Shri Goenka ist ein Mann um die 50, untersetzt, kräftig, mit einem Buddha-Bauch. Von ihm strömt eine ruhige Energie aus, friedlich, gut, stark. Die Leute singen zusammen ein Lied mit einer sehr schönen Melodie. Zum Ende der Sitzung hört man die Stimme des Meisters, der in Englisch spricht: "Liebe, unendliche Liebe für alle Wesen", Liebe, Liebe, endlos, für alles Sein: das ist seine Belehrung, jeden Tag. Und dann gibt er jedem einige Minuten Zeit, still vor ihm zu sitzen, allein mit ihm zu sein. Es ist ein Moment der direkten Begegnung, telepathisch. Wieder einmal packt mich die Angst. Ich setze mich vor ihn und habe Angst um meinen Geist, fürchte mich, negative, aggressive Gedanken zu haben und dass er sie erkennt. Ich fühle mich wie vor einem Spiegel. Mir wird klar, dass es so vieles in mir zu reinigen gibt.
24. März 72. Heute ist der Kurs zu Ende und ich bin froh, ihn gemacht zu haben. Wir sind im Hotel zurück und müssen entscheiden, ob wir weiterreisen. Ich treffe Shanti wieder, und aus dem Stegreif frage ich ihn, ob ich bei ihm bleiben kann. Piero und Claudio wollen weiter nach Nepal, aber ich spüre, dass ich in Indien bleiben und viele Dinge lernen muss.
Ich sage zu Shanti, dass ich gerne einen Guru treffen würde, und er lädt mich ein, mit ihm nach Almora zu fahren, wo er zusammen mit seinen Freunden, mit den Regenbogen-Zigeunern, ein Haus gemietet hat. Er sagt, dass viele der Meister und Heiligen in jener Gegend lebten, in den indischen Bergen. Ich bin glücklich, dass ich mit ihm gehen kann.
25. März 72. Wir gehen im Basar von Bombay umher, er ist überfüllt von Menschen, von Farben, von Menschsein. Ein großes, vitales Pulsieren und eine Energie von Liebe und Wärme. Die Frauen sind wunderschön, ich werde nicht müde, sie anzusehen. Sie sind das vollkommene Ebenbild der Weiblichkeit, voller Harmonie, Grazie, aber in einer Weise, die ich als schillernd, keusch wahrnehme. Die bunten Saris sind eine Pracht. Indien beginnt mich einzunehmen und anzuziehen. Jetzt entscheide ich mich, dem Abenteuer zu folgen.
Heute reise ich mit Gianni und Shanti nach Rajasthan. Bevor wir nach Almora gehen, werden wir bei einem von Shantis Gurus vorbeischauen, der in der Nähe von Jaipur wohnt, bei Hari Puri.
Neu Delhi, 27. März 72. Mit dem Flugzeug sind wir in Delhi angekommen. Es ist weniger heiß als in Bombay und es scheint hier etwas zivilisierter zu sein. Wir sind in einem angenehmen Gästehaus und stärken uns an der Straße mit tropischen Früchten, die mit Eiswürfeln serviert werden. Es sei gefährlich, sagt man mir, so unterwegs zu essen, aber ich fühle, dass es eine Kraft gibt, die mich schützt, und dass ich nicht zu zimperlich sein darf. Ich muss mich in diese Geschichte stürzen, ohne Vorbehalte, bis in die Tiefe.
Jaipur, 29. März 72. Hier sind wir also, angekommen in Jaipur in Rajasthan, mit dem Zug. Die Züge sind überfüllt, sehr langsam, schmutzig, staubig, mit Abteilen und Sitzbänken aus Holz. Zum Glück habe ich durch die Reisen in Marokko schon ein bisschen Erfahrung damit.
Mit einer Riksha fahren wir in den Dschungel zu Shantis Meister.
Es ist ein Ort mitten in der Wildnis, voller Sadhus, gleichfalls wild. Sie haben sehr lange Haare, geknotet, die sie nicht kämmen, Körper wie die von Waldkatzen. Die ganze Zeit über rauchen sie Haschisch. Sie erzählen mir ihre Geschichten, etwa wie sie Tiger mit ihren bloßen Händen erlegt haben und dergleichen mehr. Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen, aber sie fahren fort, mit mir zu sprechen, ganz unbefangen. Ich lege mich neben Gianni hin, um auszuruhen, und einer von ihnen hebt meinen Rock hoch, um zu sehen, ob ich eine Unterhose anhabe. Sie geben mir Haschisch zu rauchen und betäuben mich.
Sie ließen mich den Meister treffen: er ist krank, sehr mager, klein, glatt rasiert, sitzt auf einem Bett. Er hat schwache Augen, die aber eine unglaubliche Liebe ausströmen. Ich würde ihm gerne ein Geschenk machen. Mein silbernes Armband gebe ich ihm, das einzige ein bisschen Wertvolle, das ich habe. Auch mit ihm können wir über nichts Bedeutendes sprechen. Es gibt nur den Austausch dieser Wellen der Liebe. Wahrscheinlich wird er bald sterben, sie schaffen es nicht, ihn zu heilen.
2. April 72. Wir waren auf dem Basar, um Stoffe zu kaufen. Die Geschäfte hier sind Plätze, an denen man verweilt, sich hinsetzt, Tee trinkt, ein bisschen plaudert, sich die Geschichten vom wirklichen Leben erzählt. Und dann ziehen sie dich nach draußen, zeigen dir quasi den ganzen Markt, und vielleicht kauft man auch etwas. Die Männer (Frauen sind nicht in den Geschäften) sitzen im Schneidersitz oder ausgestreckt auf großen weißen Betten, als sei die Zeit stehengeblieben und als seien sie nicht etwa dort, um Kunden zu erwarten, sondern nur einfach um zu leben, quasi zu meditieren.
Dann gehen wir in ein luxuriöses Restaurant zum Essen, alter Maharaja-Stil. Wir werden wie große Herren bedient. Die Menschlichkeit der indischen Bedienung ist unglaublich, sie identifizieren sich vollständig mit dem Servieren. Es ist beschämend, bei all den Privilegien fühlt man sich wie ein alter Kolonialist. Ich spüre sofort, dass ich es vorziehe, bei den armen Indern und ihren Plätzen zu sein.