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Die Begegnung mit Babaji
ОглавлениеAlmora, 3. April 72. Heute früh sind wir nach einer endlos langen Reise in Almora angekommen. Es ist ein Bergstädtchen auf 1.800 m Höhe, aber es ist nicht so kalt wie bei uns in den Bergen. Der Basar ist schmutzig, das Hotel baufällig, ich ziehe es vor, unterwegs in kleinen Restaurants zu trinken und zu essen. Ich hätte nicht erwartet, derart ärmliche Häuser zu sehen, aus morschem Holz. Das Hotel ist voller Läuse - schrecklich. Morgens ist es kalt, das Duschwasser eisig. Ich bin überrascht, denn das Dorf wurde mir als ein idyllischer Ort beschrieben.
5. April 72. Wir sind in dem Landhaus, mitten im Tal, das Shanti und die Rainbow-Gipsy Gruppe gemietet haben. Es ist schön hier und man fühlt sich wohler.
Alles ist aber sehr unbequem. Es gibt keine Toiletten, elektrisches Licht fehlt und eine Wasserleitung. Ich übernehme es, zu kochen, Töpfe und Geschirr zu spülen. Ich fühle, dass mir das guttut. Ich gebe mir viel Mühe, alle Dinge kuschend zu tun, bewundere die Inder, denen es gelingt, alles in dieser Weise zu machen. Sie haben sehr bewegliche, geschmeidige Körper. Ich komme mir plump, unbeholfen vor dagegen, aber ich fühle, dass ich eine Arbeit tun muss, die den anderen dient.
In der Gruppe gibt es sehr schöne Menschen. Die beiden Kalifornier aus Bombay sind mit ihren Frauen da, auch Rosa, das italienische Mädchen: geschmeidig führt sie morgens wunderschöne Yoga-Stellungen aus. Wir essen alle zusammen, auf dem Boden sitzend, von großen Platten mit Reis und Gemüse.
Shanti hilft mir: er übersetzt für mich, mit viel Geduld erklärt er mir die Dinge, auch die indischen Traditionen. Er führt mich herum. Auch er, so fühle ich, ist jetzt ein Meister für mich. Die jungen Leute singen zur Gitarre wunderschöne Lieder. Vor allem das Lied, das Daniel singt, berührt mich: "We are one for a universe of love", (Wir sind eins für ein Universum der Liebe).
Langsam passe ich mich an den neuen Tagesrhythmus an, der sich nach einfachen, praktischen Dingen richtet: kochen, waschen, sauber machen, dasitzen und die majestätische Schönheit des Tals betrachten; das Grün der Berge und die schneebedeckten Gipfel des Himalaja in der Ferne. Nachts ist es kalt und wir schlafen alle nah beieinander, zusammengedrängt auf dem Fußboden in einem einzigen Raum. Shanti führt mich zu seinen Freunden in Almora und stellt mich empfehlend den indischen Familien vor; erklärt ihnen, dass ich in Philosophie promoviert habe und dass meine Mutter italienisches Parlamentsmitglied ist. Es scheint, als würden diese Dinge hier viel bedeuten.
Wenn ich die Bäuerinnen sehe, die die Straße entlang schreiten, mit ihren weiten, grünen Röcken und den Körben mit Kräutern auf dem Kopf, überkommt mich das Gefühl von etwas, das mir sehr familiär ist, bekannt, wie schon einmal erlebt.
10. April 72. Shanti hat mich heute mit Tara Devi bekannt gemacht, einer betagten amerikanischen Dame, die seit 20 Jahren in Almora lebt. Sie hat uns eingeladen, in die Stadt zu gehen, um einen indischen Heiligen zu sehen, Babaji, die Inkarnation, sagen sie, eines alten, berühmten Yogi, genannt Haidakhan Baba.
Sie erzählt uns, er habe seinen Körper verjüngt, ohne durch den Tod gegangen zu sein und erscheine jetzt als Zwanzigjähriger, obwohl er in Wirklichkeit 130 Jahre alt sei, der ohne Essen und ohne Schlaf lebe. Ob das wahr ist? Sie sagt uns auch, Babaji habe ihr aufgetragen, sie solle alle Westlichen, die sie in Almora kenne, einladen, denn er suche unter ihnen eine Person, seine Jüngerin aus früheren Leben.
Lachend sagte Shanti zu mir, dass, wer weiß, vielleicht ich das wäre. Gestern las er mir aus der Hand und meinte, ich hätte die Linien einer Yogini, von einer Person, die lange Zeit in Indien leben werde. Es sind sonderbarerweise die gleichen Linien, die auch er hat, drei vereinte Linien, was die Einheit des Geistes und des Herzens bedeute, sagt er.
15. April 72. Wir waren in der Stadt, in Almora, um Babaji zu sehen. Alle Menschen aus dem Westen, die hier in der Umgebung leben, waren da und auch wichtige Meister, wie Shunia Baba und Guru Lama, der Tibeter.
Kaum hatten wir den überfüllten Raum betreten, bemerkte ich sofort Babaji, erhöht saß er da, weiß gekleidet. Verzaubert habe ich ihn betrachtet. Er ist wunderschön, strahlend, wie ein Christus aus vergangenen Zeiten, sehr ernst, streng. Er hat ungeheuer kraftvolle und alles durchdringende dunkle Augen. Ich sah ihm lange in die Augen und habe Angst bekommen von seiner Macht, aber dann sah ich, wie sich sein Blick senkte und mit einer unglaublichen Wärme und Zärtlichkeit füllte. Ich war magnetisiert und habe ihn zwei oder drei Stunden lang betrachtet.
Die Menschen rundum fuhren ununterbrochen fort, zu singen und eine Reihe zu bilden, um sich direkt vor ihm zu verneigen. Jedes Mal, wenn sich einer vor ihm verbeugte, hob er die Hand, um ihn zu segnen und sah ihn mit einem seltsamen Blick voller Mitgefühl an. Mir war nicht danach, hinzugehen und mich zu verneigen, ich fuhr fort, ihn zu bewundern, fasziniert von seiner Schönheit und der Perfektion seiner Formen, einer Statue gleich. Es schien fast, als würde er nicht atmen, sich nicht bewegen, aber er sieht jedem in die Augen. Ich spüre mit einem unbehaglichen Gefühl, dass er meine Gedanken wahrnimmt, dass er in meinem Geist liest und dass es eine klare telepathische Verbindung zwischen ihm und mir gibt. Innerlich bat ich ihn: "Gib mir, ich bitte dich, die Wahrheit".
Etwas später stand Babaji auf, um in sein Zimmer zu gehen. Er bewegt sich auf eine zauberhafte Weise, geschmeidig, präzise, wie eine Katze, er hat braune, schlanke Beine und geht immer barfuß.
Sie riefen Shanti und mich in sein Zimmer und zum ersten Mal, etwas widerstrebend, verneige ich mich vor ihm. Er fragt, aus welchem Land ich komme und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. Ich nehme es wie einen elektrischen Schlag wahr und fühle mich überflutet von einer erleuchteten Welle. Eine Stimme sagt mir, dass ich ihn wiedersehen würde.
Sehr beeindruckt von der Begegnung, kehre ich mit Shanti nach Hause zurück. Auch Shanti, der schon viele Gurus gesehen hat, bemerkte die außerordentliche Schönheit und Reinheit dieses Wesens.
16. April 72. Heute Nacht habe ich geträumt. Da war ein dichter, dunkler Wald. Plötzlich erschien Babaji, von einem intensiven Licht umgeben, eingekreist von einigen Jüngern, auf einen Stab gestützt und sagte zu mir: "Ich bin der Guru deines Lebens."
"Was wirst du mich lehren?" fragte ich ihn und er antwortete: "Die Teller gut zu spülen." Sehr betroffen wache ich auf. Seine Botschaft an mich ist äußerst klar: Die Teller spülen bedeutet, akzeptieren, dass ich niedrige Dienste mache, die für die anderen nützlich sind. Wie oft in unseren Kommunen in Mailand sind wir mit diesem Problem aneinandergeraten, durch die Unfähigkeit, diese einfachen und grundlegenden Pflichten zu erfüllen, aus Faulheit, aus Stolz. Schon lange weiß ich, dass ich daran arbeiten muss.
Ich erzähle Shanti von meinem Traum. Auch er ist betroffen und sagt mir, dass wir wahrscheinlich zu ihm nach Haidakhan gehen werden, zu dem Tempel, dort, wo Babaji jetzt lebt. Er wird mit Tara Devi darüber sprechen.
Ich bin verzaubert von seinem Anblick, wunderschön,
strahlend wie ein Christus aus einer anderen Zeit...
23. April 72. Wir fragen Tara Devi, ob wir nach Haidakhan gehen können. Sie mustert mich von oben bis unten und sagt, ich müsse mich besser anziehen, nicht diese Hippy-Kleider... und fügt hinzu, sie wisse nicht einmal, ob Frauen bei Babaji überhaupt willkommen seien, denn er ist ein Brahmachari3,was die Keuschheit beinhaltet.
Über diesen Diskurs wundere ich mich, denn ernsthaft, Sex ist der letzte Gedanke, der mir in den Sinn kommt, hier, vor jemandem wie Babaji.
Haidakhan, 26. April 72. Wir sind in Haidakhan angekommen. Gestern, nach einem sehr langen Marsch. Ich bin müde. Zu fünft sind wir gestartet, Shanti und ich, ein Däne, ein Amerikaner und Tara Devi mit ihrem indischen Koch. Irgendwann bog die Straße ab, und dann ging es zu Fuß in den Wald. Ein endloser Weg, über sechs Stunden, barfuß, über heiße Steine, das Gepäck auf dem Kopf. Ich glaubte, es nicht zu schaffen. Mit meiner Angst vor der Kälte habe ich mir sogar noch eine Steppdecke auf den Kopf geladen.
Der Dschungel ist fabelhaft und das Wasser des Flusses rein und durchscheinend. Man kann es trinken. An einer bestimmten Stelle erblickt man einen kleinen weißen Tempel, an den Hügel geschmiegt. Haidakhan, es wirkt wie eine Märchenlandschaft. Als wir uns dem Tempel näherten, konnten wir Babaji sehen; in Weiß gekleidet kam er die Treppen herunter auf uns zu. Beschämt stellte ich fest, dass ich die erste in der Reihe war. Er ging voraus bis zum Tempel und ließ mich dann all die Glocken des Tempels zum Klingen bringen, während wir im Kreis umher gingen. Mir war, als würde ich ein längst vergessenes, altes Ritual wiederleben. Über Shanti, der den Dolmetscher spielte, fragte er mich, ob ich ein Hippy sei und Haschisch rauchte. Stolz antwortete ich mit ja. Er sagte mir, dass es hier verboten sei. Aber nach einer Weile ließ mich ein alter Baba, genannt Prem Baba, rauchen. Ich setzte mich auf die Mauer, um das Tal zu betrachten. Es ist ein herrlicher Platz, eine archaische, altertümliche Landschaft. Die Hügel sind in grünen, fruchtbaren Terrassen angelegt und die Berge sind an ihren Ausläufern mit Pinien bedeckt. Der Fluss unterhalb fließt in einem lieblichen, musikalischen Rhythmus. Ich bin wie verzaubert. Ein majestätischer Bodhi-Baum komplettiert das Landschaftsbild. Alle leben im Freien unter den Bäumen: es gibt nur den Tempel und eine kleine, nach allen Seiten offene Hütte mit einer Feuerstelle4 in der Mitte, wo Babaji lebt. Während ich noch auf der Ringmauer sitze, in meine Betrachtungen versunken, ist Babaji näher gekommen, hat sich neben mich gesetzt, einen Stein aufgehoben und damit Umrisse eines Tempels gezeichnet und dabei zu mir gesagt: "Gott". Er hat mich sehr verlegen gemacht. Es ist ein Konzept, das immer noch schwer für mich zu akzeptieren ist. Er rief mich später dann zu sich, ich sollte mich am Dhuni in seiner Hütte neben ihn setzen. Dort sagte er zu mir auf Englisch: "God is love"5. Er hat strahlende, leuchtende Augen. Er gab mir eine Orange und Trockenfrüchte. Abends bekamen wir etwas zu essen, eine Menge süßes Gebäck, Halwa.
An einem bestimmten Punkt taucht flüchtig ein kleiner weißer
Tempel auf dem Berg auf.
Gestern Nachmittag wollten einige Inder Tee zubereiten, aber er hat mit ihnen geschimpft und gesagt, Tee sei im Tempel nicht erlaubt. Dann, als wir an seinem Dhuni saßen, kamen alle Frauen des Dorfes, farbenprächtig, mit großen grünen Röcken, wie ich einen trage. Sie lachten bei meinem Anblick und Babaji sagte zu ihnen, ich hieße Lalli, was so viel wie kleines Mädchen bedeutet. Er fragt mich, wie alt ich sei und ich antworte: 26. Er sagt, ich würde wie fünfzehn wirken.
Von der Zeremonie im Tempel am Abend bin ich sehr beeindruckt. Babaji bleibt unbeweglich sitzen, weiß gekleidet, wie eine perfekte Statue. Ein Inder singt und fächelt eine Flamme zu seinem Gesicht hin, das dadurch einen mystischen Schein annimmt. Der Mann ist bewegt, beginnt zu weinen, während er betet. Ich spüre, dass er die Gegenwart des Göttlichen wahrnimmt. Ich sehe, dass auch Shanti ergriffen ist, obwohl er mir doch sagte, ich solle mich nicht zu sehr von all diesen Ritualen bezaubern lassen. Der alte Sadhu, Prem Baba, weist uns dann einen Platz an einem anderen Feuer an und lässt uns alle im Chor das Mantra Shivas singen: OM NAMAH SHIVAY. Shanti lacht, als er sieht, wie ich sofort dem Zauber verfalle. Frauen backen über einer improvisierten Feuerstelle Brot, Chapati. Alles ist so einfach und essentiell, rein. Abends legen wir uns im Freien zum Schlafen, unter den Tempelsäulen.
Um vier Uhr haben sie uns heute früh geweckt, praktisch mitten in der Nacht und ich bin zum Fluss hinunter geeilt, um mich zu waschen. Auf der Treppe bin ich Babaji begegnet, der schon von seinem Bad zurückkam.
Ich tauchte in das frische Wasser ein, unter den Sternen. Vertieft in einer Ecke denke ich darüber nach, wie gerne ich diese magische Geschichte fortsetzen und Babaji folgen möchte. Aber ich werde es wohl nicht wagen, ihn zu fragen. Einige Minuten später rief mich Babaji zu sich und fragte, ob ich ihn auf seiner Reise nach Vrindavan, einer Krishna-Stadt, begleiten wolle. Glücklich antworte ich mit ja, auch wenn es schrecklich ist, Shanti und die anderen Freunde zurückzulassen. Aber ich fühle, dass meine Reise weitergehen muss. Auch allein. Ich muss nur nach Almora zurück, um Geld und Pass zu holen: Shanti ist ein bisschen verwundert über meinen Enthusiasmus, aber Babaji zieht mich zu sehr an. Und wenn es also wahr wäre? Wenn er mein Guru ist?
Die Menschen sind bewegt und beginnen zu weinen, während sie beten. Ich spüre, dass sie die Gegenwart eines göttlichen Wesens wahrnehmen.