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Vrindavan

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Haldwani, 4. Mai 72. Ich warte auf den Zug, der mich nach Vrindavan bringen wird. Es ist das erste Mal, dass ich allein in Indien unterwegs bin, aber ich sehe, dass die Inder freundlich und hilfsbereit sind. Heute früh, als ich von Almora abgereist bin, sah ich mich auf der Straße gehen, gesäumt von Pinien, barfuß, weiß gekleidet, mit einem kleinen Koffer aus Zeltplane auf dem Kopf, alles, was mir übriggeblieben ist. Ich habe kaum Geld und keine Rückfahrkarte. Zum ersten Mal bin ich wirklich allein "auf der Straße", in Indien, und ich bin auf dem Weg zu einem Guru. Es kommt mir vor wie ein Traum.

6. Mai '72. Ich bin in Vrindavan und mir scheint, ich lebe einen Traum. Gestern früh bin ich angekommen, mit einem Zug, der überall anhielt. Auf der Riksha ging es dann durch die alten Straßen, die Stadt kam mir vor wie ein paradiesischer Ort, wieder erbaut, mir bekannt, "déja vu". Jedes der Häuser ist altertümlich, uralt und künstlerisch verflochten, die Straßen sind sehr eng und voll mit Handwerksläden. Obst, Süßigkeiten, Farben. Die Inder sind immer heiter und fröhlich, grüßen mit breitem Lächeln. Wo auch immer: tausendjährige alte Tempel, Singen, heilige Gebete, Sadhus, Heilige und viele weiß gekleidete Frauen. Die ganze Stadt betet. Es ist, als sei die Zeit hier stehengeblieben.

Ich bin am Tempel von Babaji angekommen, bin eingetreten und habe ihn sofort gesehen, auf seinem erhöhten Sitz, wie immer weiß gekleidet, wunderschön, strahlend, unwirklich. Er hat gleich einen Inder gerufen, der mich zum Basar begleitete, damit ich eine enorm große Menge Milch aus einer Terracotta-Amphore trinke. Über diesen magischen Traum bin ich wie benommen, aber Angst habe ich keine mehr. Zum ersten Mal fühle ich mich eingehüllt in eine seltsame Sicherheit, die von der Herzenswärme und der Liebe Babajis kommt und von den Personen an seiner Seite. Als ich mich abends im Tempel hinsetze, kommen die indischen Frauen und Kinder zu mir, neugierig betrachten sie mich, berühren und streicheln mich, bewundern mich. Ich bin die Fremde mit der weißen Haut, sie geben mir das Gefühl, schön zu sein.


Ich bin eingetreten und habe ihn gleich auf seinen Sitz gesehen, immer in Weiß gekleidet, schön, strahlend, unwirklich...

Babaji ruft mich und sagt zu mir, dass mein Name Kali ist, die schwarze Kriegerin. Und dann sieht er mich liebevoll an und sagt: "Nein, dein Name ist Gora Devi", was weiße Göttin bedeutet, erklären sie mir. Ich bin ergriffen. Von der Musik, von den Liedern, von dem Glanz Babajis und der Hingabe der Inder. Sie bilden eine lange Reihe, mit Blumenkränzen in der Hand, um sich einen Augenblick vor ihm zu verneigen, ihm einen Kranz um den Hals zu legen und von ihm eine Geste zu erhalten, ein Lächeln, ein Wort, oder Prasad, gesegnete Nahrung. Auch ich stelle mich in die Reihe. Allein schon, sich ihm zu nähern, ich weiß nicht warum, ist eigenartig. Von ihm geht eine sehr starke Energie aus, und dann hat man immer dieses unglaubliche Gefühl, dass er jeden Gedanken liest. Seine Augen sind wie Magnete, Brillanten voller Liebe, sie verströmen Wissen und Kraft. Ich kann nicht aufhören, ihn zu betrachten und sehe, dass es den anderen genauso geht. Er bleibt sitzen, schier unbeweglich, zwei, drei Stunden lang, spricht nicht, tut nichts, lässt sich anschauen und bewundern, und gibt Darshan, die göttliche Vision, erklärt man mir. Bei allen geschieht innerlich etwas, ich kann es an den Gesichtern jedes einzelnen erkennen und an der Energie, die sich im Tempel aufbaut. Es wird ununterbrochen gesungen. Manchmal das Mantra von Babaji, OM NAMAH SHIVAY, manchmal andere Lieder, bis spät abends.

Nachts schlafen wir auf der Terrasse eines kleinen Gebäudes in der Nähe des Tempels, auf einer Strohmatte, oft in der Gesellschaft von Affen. Um vier Uhr morgens steht man auf, im Dunkeln, während aus allen Tempeln der Stadt die ersten andächtigen Lieder wieder erklingen. Es wird geduscht und ein wenig meditiert, jeder direkt in seiner Ecke, dann geht es in den Tempel zum Arati, dem Gebet. Gespannt erwartet man Babajis Ankunft. Er kommt aus seinem Raum und lässt sich auf seinem eigens für ihn hergerichteten, bescheidenen Sitz nieder. Der Tempel ist sauber, blitzblank, voller Blumen und duftet nach Weihrauch. Es gibt weder Frühstück, noch Abendessen, nur das Mittagessen und Süßigkeiten und Obst, was tagsüber verteilt wird. Eine Zeitlang wird morgens weitergesungen, während einige mit Babaji sprechen und zum Teil wird gearbeitet, beim Putzen geholfen, beim Kochen, beim Wasserholen aus dem Brunnen auf der Piazza in der Nähe des Tempels.

Ziemlich früh, um 12 Uhr, wird gegessen, dann legt man eine kleine Nachmittagsruhe ein und kommt gegen 17 Uhr wieder im Tempel zusammen, um beim Saubermachen zu helfen und alles für den Abend vorzubereiten. Nachmittags geht man an den Fluss, um zu baden, zum Jamuna, einem heiligen Krishna-Fluss. Bei Sonnenuntergang werden wieder Arati und andere Lieder im Tempel gesungen. Es ist eine sehr präzise und disziplinierte Routine und sie ermüdet mich ein wenig. Es ist sehr heiß, der Mai ist einer der heißesten Monate in Indien und oft kann ich nicht widerstehen und flüchte zum Basar, um etwas zu trinken.

15. Mai 72. Es fängt an, mir schwer zu fallen, hier zu bleiben. Die Routine ist so monoton, die indischen Männer behandeln mich schlecht. Babaji ist immer zauberhaft, aber weit entfernt, unnahbar und unerreichbar. Außerdem gelingt es mir kaum, mit irgend jemandem sprachlich zu kommunizieren. Dauernd hat man Durst bei der Hitze, das Brunnenwasser ist lauwarm und etwas salzig, nichts, was den Durst löscht. Wenn man zum Fluss geht, um zu baden, ist das recht seltsam: das Wasser ist trüb und schlammig, man weiß nicht so recht, wäscht man sich, oder macht man sich schmutzig. Morgens muss man Schlange stehen, um im Gästehaus duschen zu können. Abends im überfüllten Tempel schwitzt man Bäche, die Temperatur steigt auf 40 Grad. Babaji scheint dagegen immun zu sein.

Es gibt viele Witwen in der Stadt, alle sind in Weiß gekleidet und leben zusammengedrängt in verschiedenen Tempeln. Sie beten fortwährend, begleiten einander mit Zimbeln und anderen Instrumenten. Einige von ihnen sind sehr arm, mit abgenutzten, ergrauten Saris. Es kommt mir vor, als würde ich eine Szene eines dantischen Fegefeuers sehen. Man erklärt mir, dass Frauen in Indien, wenn sie verwitwen, nicht wieder heiraten können. Sie müssen der Welt entsagen und für den Rest ihres Lebens die Zeit im Gebet verbringen. Das erscheint mir grausam, voller Ironie denke ich an unsere westliche Frauenbewegung. Ich fange an, Heimweh zu bekommen; nach meinen Freunden, die in Neu Delhi sind, und frage Babaji, ob ich zu ihnen gehen kann. Babaji lässt mich gehen.

Das Abenteuer einer Transformation

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