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Georgetown, 16. Januar 1992

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Lieber Dr. Senf,

gerade erhielt ich Ihren Eilbrief vom 4. Januar. Sehr herzlichen Dank dafür. Sie haben sich ja eine erstaunliche Arbeit damit gemacht, meine Erinnerungen zur Veröffentlichung in der LVZ zu kürzen. Ja, so kann man das machen. Sie haben großes Geschick darin. Doch werde ich Ihnen weiterhin meine sehr ausführlichen Erinnerungen des Jahres 1945 zukommen lassen. Als Historiker sind Sie sicherlich an denen interessiert.

Zur Veröffentlichung: Sie sollten erwähnen, dass diese Artikel sehr gekürzt und oft auch „umschrieben“ sind, also eine Bearbeitung des originalen Materials sind. Sehr persönliche Dinge und Namensnennungen lässt man für diese Veröffentlichung besser weg, es seien denn Namen, die zur Ortsbestimmung nötig sind (wie Münsters in Königsfeld). Andere wie Dr. Bernstein, Bürgermeister Müller, Angers, Wüstners usw. sollten erwähnt werden, da diese Menschen in vieler Beziehung exemplarisch waren.

Einige Fehler: In der Villa am Standpark wohnten die Eltern von Frau Magnussen. Magnussens selbst hatten eine große Wohnung an der Fabrik (im 1. Stock), und aus der kamen die Möbel, die in der Kommandantur waren.

Rochlitz hatte zu meiner Zeit eine Oberschule, kein Gymnasium.

Frau Münster? Ich finde, man sollte ihr den Titel „Gräfin“ lassen. Diese Adelsnamen gehören zur deutschen Geschichte. Es hat ja auch wenig Sinn, jetzt überall die Marx- und Lenin-Statuen herunterzureißen. Es waren ja wir Menschen, die diesen Leuten bei der Machtausübung geholfen haben.

Die Mulde war Grenzfluss? Möglicherweise haben Sie recht. Ich werde das in meinem Manuskript ändern.

„Festsetzung und Freilassung waren aber eigentlich durch Deutsche und nicht durch Russen veranlasst.“ Der eigentliche Grund meiner Festnahme war, dass wir scheinbar nicht den Befehlen des Landwirtschaftsoffiziers gefolgt waren. Das sollte erwähnt werden. Die Idiotie der solcherart geplanten Wirtschaft war unglaublich.

Was Herr Dr. Bernstein zu mir sagte, finde ich besser, weil härter und unverschönter als Ihre Umschreibung. Ich würde es so lassen, wie ich es Ihnen geschickt habe.

Persönliches: Wenn es Betrachtungen sind, die mich damals beschäftigten, die mir halfen, mit dem Erbe der Nazizeit fertig zu werden, sollten sie erwähnt werden.

Ich glaube, ich schrieb Ihnen vor einigen Tagen, was ich über „Rückgabe vor Entschädigung oder umgekehrt“ halte. Lassen Sie mich noch etwas näher darauf eingehen. Man kann die fünf Länder der früheren DDR nicht wieder so herstellen wie sie vor dem Kriege waren. Da ist etwas zerstört worden, das unwiderruflich dahin ist. Die Bodenreform war ein ganz tiefer Einschnitt, der die Struktur der Gesellschaft völlig verändert hat. Ich kann nicht sehen, wie „Rückgabe“ etwas daran ändern könnte. Alle die, die vor 46 Jahren aus den Ostländern fliehen mussten, haben sich unterdessen in anderen Ländern, mit neuen Verhältnissen und oft auch ganz neuen Kulturen, vertraut gemacht. Unsere eigentliche Heimat ist jetzt dort, wo wir ein Leben lang gelebt haben. Wollte ich wieder in Geithain leben, wäre ich dort ein Fremder. Die, die jetzt zum größten Teil auf diesen Höfen sich angesiedelt haben, wissen kaum noch, wie es dazu kam, dass sie jetzt dort leben, wo sie leben. Wie die Polen im früheren deutschen Gebiet östlich von Ihnen, sind diese Leute jetzt dort zu Hause und haben nach dieser langen Zeit ein Recht darauf, dort bleiben zu können wo sie sind.

Es ist mir unverständlich, warum Bonn das nicht ganz klar ausspricht. Wenn die Ostländer einmal wieder eine starke Wirtschaft haben, dann und erst dann, finde ich, sollten wir oder unsere Nachkommen für das Verlorene entschädigt werden. Unterdessen sollte man herauszufinden versuchen, wem was gehört hat, um dann eine Grundlage für diese zukünftigen Zahlungen zu haben. Wenn ich von „Zahlungen“ spreche, dann meine ich damit nicht, dass ich Zahlungen von den Leuten erwarte, die jetzt dort leben. Zahlungen dieser Größenordnung können doch nur aus Steuergeldern kommen. So hat man ja in Westdeutschland schon seit langem ausgebombte Flüchtlinge, Juden und überhaupt alle durch Hitlers Raubzüge Geschädigten versucht zu entschädigen, so weit das möglich war.

Was mich besonders freut, ist, dass der Sommerhof noch immer diesen Namen trägt. Dieser Hof wäre sowieso eines Tages ein Teil von Geithain geworden. Ich wäre dankbar, wenn dieser Teil Geithains immer „Sommerhof“ genannt würde. Es gibt keinen Grabstein für meine Eltern, dieser Ortsteil von Geithain kommt dem am nächsten. Ich werde Ihnen bald den 7. Teil zukommen lassen. Herzlichen Dank für Ihre große Arbeit und gute Wünsche Ihnen und Ihrer Familie, auch von meiner Frau,

Ihr Ulrich J. Sommer

P.S. Noch etwas: Bitte veröffentlichen Sie diese Artikel unter dem Namen Ulrich Joachim Sommer

Briefgeschichte(n) Band 1

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