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Was kommt nach der Religion?

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Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon (*1967) ist Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, benannt nach einem italienischen Astronomen, der 1600 von der römischen Inquisition verbrannt wurde. Im Auftrag dieser humanistischen Stiftung verfasste Schmidt-Salomon 2005 ein Dokument, das in Deutschland zu einem der am meisten diskutierten Positionspapiere des Naturalismus wurde: das „Manifest des evolutionären Humanismus“.

Schmidt-Salomon formuliert in diesem Manifest Ziele, für die sich einzusetzen lohnt. Das Leben bietet so viel Schönes: das Strahlen eines Kindes, der Duft von frischem Brot, die Nähe eines geliebten Menschen. Wir sollten lernen, all das zu genießen, statt uns von unerfüllbaren Idealen den Kopf verdrehen zu lassen. Vergeuden wir nicht unsere Zeit mit dem vergeblichen Versuch, ein göttliches Wesen zufrieden zu stellen, das es nicht gibt, damit es uns in ein Jenseits einlässt, das nicht existiert. Genießen wir stattdessen das wirkliche Leben in seiner Endlichkeit.

Man mag diese Genussorientierung eigennützig nennen. Aber eigennützig sind wir alle, auch die Streber nach einem Logenplatz im Jenseits. Doch Eigennutz schließt Gemeinsinn und Mitgefühl nicht aus. Wir können unser Leben der Emanzipation widmen, der eigenen und der unserer Mitmenschen. Dann befreien wir uns von der Fixiertheit auf uns selbst und erleben Sinn. Aufzugehen in etwas, das größer ist als wir selbst, ist also kein Privileg der Religiösen. Zwar ist da kein Gott, der unserem Leben Sinn geben könnte, und auch keine mystifizierte Natur. Das bedeutet aber nicht, dass unser Leben sinnlos ist. Im Gegenteil: Ohne einen Gott sind wir frei, uns den Sinn unseres Lebens selbst zu stiften.

Allerdings lehren uns die Naturwissenschaften auch: Wir Menschen stehen nicht im Mittelpunkt eines geordneten Kosmos. Wir sind nur eine flüchtige Randerscheinung, verloren in den riesigen Weiten eines erkaltenden Universums ohne Sinn. Unsere Geschichte ist keine Heilsgeschichte. Aufgetaucht vor einem Sekundenschlag auf der planetaren Uhr, werden wir aussterben wie andere Tiere. Wir sind nicht die erhabene Krone der Schöpfung, sondern eine Variante der Trockennasenprimaten, eine absichtslose Folge evolutionärer Prozesse. Der Irrtum ist uns in die Wiege gelegt. Denn unser Gehirn und unsere Sinne sind nicht darauf ausgerichtet, die Wahrheit zu erkennen, sondern zu überleben und unsere Gene weiterzugeben. Eine Seele haben wir nicht. Ja, wir haben nicht einmal ein Ich. Was uns so erscheint, ist ein Produkt unbewusster neuronaler Prozesse. Unsere Ideale sind Illusionen, unsere Ideen nicht von bleibendem Wert. Was manche von uns in Visionen von einer transzendentalen Welt zu schauen meinen, sind hirnphysiologisch erklärbare Halluzinationen. Wir sind unser Gehirn, nichts weiter. Wenn unser Hirn tot ist, sind wir tot. Die Idee, dass unsere Seele den Tod unseres Körpers überleben könnte, ist wissenschaftlich widerlegt.

Dieses Weltbild Schmidt-Salomons entspricht dem, was Wissenschaftler heute sagen. Ist es auch human? Immerhin nennt Schmidt-Salomon sein Weltbild humanistisch.

Schmidt-Salomon will uns aus entmündigenden Denkverboten befreien und uns ermutigen, unser Leben in die eigene Hand zu nehmen und frei von Unterdrückung unsere Persönlichkeit zu entfalten. Das ist human. Er will uns davon überzeugen, dass wir in einem Universum leben ohne Transzendenz, ohne Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Das ist human für diejenigen unter uns, die mit dieser Vorstellung gut zurechtkommen. Aber was ist mit den anderen?

An diesem Punkt täuscht sich Schmidt-Salomon, und mit ihm alle, die offensiv einen hoffnungsfrohen Atheismus für alle propagieren: Ihm ist nicht klar, wie schrecklich der Verlust des Glaubens für religiöse Menschen sein kann.

Wer Religion nicht braucht, sollte nicht damit behelligt werden. Es ist in Ordnung, Atheistin oder Atheist zu sein. Aber stellen Sie sich eine Mutter vor, die glaubt, dass ihr tödlich verunglückter Sohn im Jenseits weiterlebt und dass sie ihn dort eines Tages wieder in ihre Arme schließen wird. Wie sollte es für sie eine frohe Botschaft sein, dass das Jenseits wissenschaftlich widerlegt sei?

Es gibt einen naturalistischen Weg, mit dem Tod umzugehen. Aber nicht für alle. Und Schmidt-Salomon will alle überzeugen. Was mich angeht: Ich finde die Vorstellung, dass mit dem Tod alles aus sein soll, unerträglich. Natürlich könnte sie dennoch wahr sein. Aber so lange das nicht mit absoluter Sicherheit feststeht: Warum sollte ich nicht weitersuchen nach Anhaltspunkten für Transzendenz?

Im nächsten Kapitel beschäftigen wir uns mit den Versuchen der Philosophen, Gott zu beweisen. Sind diese Versuche überholt?

Das Übernatürliche

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