Читать книгу Lipstick Traces - Greil Marcus - Страница 31
DEBORD
Оглавлениеschrieb für die erste Nummer der internationale situationniste seine »Thesen über die kulturelle Revolution«: »Diejenigen werden siegen«, erklärte er, »die es verstehen, Unordnung zu schaffen, ohne sie zu lieben.« Sowenig auch Unordnung 1975 zum Rock ’n’ Roll gehörte, McLaren erkannte, dass die Jugend sich nur für diese Kulturform interessierte; 1975 war er dreißig und hing einer aus den Sixties stammenden Definition von Jugend an: Jugend war eine Frage der Einstellung, nicht des Alters. Für die Jugend entsprang alles dem Rock ’n’ Roll (Mode, Slang, sexuelle Gewohnheiten, Drogengewohnheiten, Posen), wurde vom Rock ’n’ Roll ins Leben gerufen oder erhielt von ihm die Bestätigung. Jugendliche, die als rechtliche Phantome nichts besaßen, aber als Menschen alles wollten, spürten am deutlichsten den Widerspruch zwischen dem, was das Leben versprach, und was es einhielt: Jugendrevolte war ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Revolte, daher bot sich der Rock ’n’ Roll als erstes Ziel der gesellschaftlichen Revolte an. Man konnte Verbindungen herstellen. Falls sich zeigen ließ, dass Rockmusik, Mitte der Siebziger als herrschende Ausnahme des öden gesellschaftlichen Lebens ideologisch konzessioniert, lediglich das glänzendste Rädchen im herrschenden Getriebe war, könnte eine Entmystifizierung des Rock ’n’ Roll zur Entmystifizierung des gesellschaftlichen Lebens führen.#
Die Situation dergestalt darzustellen erforderte Phantasie, ja sogar Genie … wessen, tut nichts zur Sache. Früher war Rock ’n’ Roll als Variante der Revolte von seinen Anhängern immer als Waffe oder, noch radikaler, als Mittel gesehen worden, das sich selbst heiligt, eine flüchtige Version jenes Lebens, das jeder in der besten aller möglichen Welten leben würde. Pete Townshend sagte 1968:
Mutter ist soeben die Treppe runtergefallen, Dad hat sein ganzes Geld beim Hunderennen verloren, das Baby hat Tbc. Der Knabe mit dem Transistorradio kommt rein, vergnügt Chuck Berry hörend. Dass Mom die Treppe runterfällt, ist ihm scheißegal … Prima Sache, dass du ein Gerät hast, ein Radio, das Rock-Songs ausspuckt und dich gut gelaunt durch den Tag bringt. Darum geht’s natürlich: Wenn du dir einen Rock-Song reinziehst, so wie du dir »Jumpin’ Jack Flash« oder was Ähnliches reinziehst, weißt du, so solltest du eigentlich dein ganzes Leben verbringen.
Das hörte McLaren, als 1958 ein Freund aufstand und »Great Balls of Fire« sang … schon das war damals eine Negation gesellschaftlicher Fakten. Doch als Rock ’n’ Roll nur einer von vielen gesellschaftlichen Fakten geworden war, wirkte sich dies gegen ihn selbst aus, auch was den nächsten guten Song betraf. 1975 hoben Townshends Candideismen Rock ’n’ Roll von den gesellschaftlichen Realitäten ab, die der Musik ihre Brisanz lieferten. 1958, auch noch 1968, konnte ein einfaches Rock-Konzert Fragen nach Identität, Gerechtigkeit, Unterdrückung, Wunsch und Verlangen aufwerfen; Mitte der Siebziger sog es solche Fragen in sich auf und ließ sie verschwinden.
Wer wollte behaupten, »Fire and Rain«, »Stairway to Heaven«, »Behind Blue Eyes« und »Maggie May« wären nicht im Namen der Freiheit geschrieben und zur Unterdrückung benutzt worden? Nur wer nicht glauben wollte, dass die Affirmation, bei der man die Freiheit beim Schopf ergreift, auf einer Negation wurzelt, in der man einen Blick auf die Freiheit erhascht … aber zu diesen Leuten gehörten McLaren und die Sex Pistols nicht. Daher verdammten sie Rock ’n’ Roll als faulenden Leichnam, als Ungeheuer der begüterten Reaktion, als einen Mechanismus für falsches Bewusstsein, als System der Selbstausbeutung, als Theater talmihafter Unterdrückung, als langweilig. Rock ’n’ Roll, verkündete Johnny Rotten, sei nur das erste von vielen Dingen, die die Sex Pistols vernichten würden. Doch weil die Sex Pistols keine anderen Waffen hatten, weil sie nicht anders konnten, als Fans zu sein, spielten sie Rock ’n’ Roll, reduzierten ihn wie niemand vor ihnen auf die Grundelemente Geschwindigkeit, Lärm, Zorn und irrwitzige Ausgelassenheit.